Franz Martin Wimmer
Interkulturelles Lernen
In:
Jürgen Hasse (Hg.)
Geographieunterricht in den 90er Jahren, Westermann (=
Praxis
Geographie), Nr. 3, 1994, S. 24-27
Aus dem
Text:
Der Kollege,
mit dem ich an der Autobahnraststätte
in den Voralpen saß, unterbrach kurz seine Schilderung und
fragte:
"Wie sagt man eigentlich auf Deutsch zu meinem Volk?" Ich
wußte
es
nicht und schlug vor: "die Bevölkerung von Zaïre, denn
wissen
Sie,
wir reden selten über euch." Das befriedigte uns beide nicht,
aber
ich konnte weder mit Zaïrern, noch mit Zaïranern
oder Zaïresen viel anfangen - die einstigen Kongolesen
wären nicht nur unzutreffend gewesen, sie kamen nicht in
Frage. Da
mir
andererseits sein Vorschlag, künftig nicht mehr von Österreichern
oder Deutschen zu reden, sondern nur von der Bevölkerung
dieser Länder, unbehaglich war, einigten wir uns nach
längeren
Vergleichen mit anderen Namen auf Zaïresen. "Aber
warum
habt
ihr keinen Namen für uns, wie redet ihr über uns?" "Wie
gesagt,
wir reden eher selten über euch, und dann gibt es ja auch noch
die
Stammesnamen."
"Ach was, ich meine nicht die Luba oder die Hessen,
ich
rede
von Zaïresen und Deutschen."
Die Namen
der Völker sind nicht unschuldig,
weder ihre Selbstbezeichnungen noch die Benennung durch
Fremde. Bei den
Inuit
(Eskimo), den Samojeden (welches Volk würde
sich
selbst als
"Menschenfresser" bezeichnen?), den Roma und Sinti
(auch Zigeuner
ist ein Schimpfname) versteht sich das von selbst.
Unsere
Schwierigkeiten mit den Zaïresen
führten uns damals in lange Vergleiche. Die europäischen
Nachbarvölker
benennen wir im Deutschen auf eine Art, die an Subjektnamen
denken
läßt:
einer ist ein Finne, ein Franzose, ein Ungar.
Frauen
bekommen ein -in, mit Ausnahme der Deutschen, die
sind
männlich
und weiblich gleichlautend. Etwas weiter entlegene Völker, mit
denen
unsere Väter weniger zu tun hatten, enden auf -aner:
Marokkaner,
Tibetaner, Brasilianer. Manchmal, scheint mir, ist bei
einem
Wechsel
dieser Ebenen auch eine Änderung der Wertschätzung beteiligt
gewesen:
die Tibeter klingen mir souveräner als die Tibetaner.
Bei
der Endung -esen schließlich denke ich nicht mehr an
Individuen, sondern an eine Art von kollektivem Subjekt: bei
den Ceylonesen,
Vietnamesen und eben jetzt auch Zaïresen.
Man kann
natürlich sagen, daß in manchen Fällen die Endung sich
gleichsam
aus dem Landesnamen ergibt. Aber das überzeugt nicht: Japan und Taiwan klingen
verhältnismäßig ähnlich. Die "Japanesen" - die es im Deutschen
tatsächlich
einmal
gegeben hat -, würden wir nicht mehr in den Mund nehmen; von
"Taiwanesen"
- statt "Taiwanern" - sprechen wir jedoch.
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