Franz Martin Wimmer (Wien)

Sexismus ohne Sexisten. Die acta philosopharum als Beispiel (1989)*

Tatsächlich ist die Methodologie,
so wie sie praktiziert wird,
von beispielloser Armut:
was zählt, ist das, wovon man spricht.
(F. Chatelet)

Die Abwesenheit von Philosophinnen in den allermeisten Darstellungen der Philosophiegeschichte ist eklatant. Nicht so eklatant ist die Abwesenheit von Philosophinnen in der Geschichte des philosophischen Denkens selbst.

Die Sprache der Historiographie in der Philosophie ist in mehrerer Hinsicht und ziemlich ohne Ausnahme sexistisch. Unter einer "sexistischen Darstellungssprache" in der Philosophiehistorie verstehe ich solche Beschreibungsbegriffe und Ausdrucksweisen, die stillschweigend oder ausdrücklich durch die bloße Verwendung von bestimmten Wörtern, semantischen Umfeldern und durch ähnliche Mittel — also ohne direkte Formulierung von Thesen oder deren Belegung durch Quellen — die Auffassung vermitteln, daß große Leistungen in der Philosophie ausschließlich durch Männer erbracht worden oder zu erbringen sind.

Offen sexistische Thesen, die zumindest in der von mir durchgesehenen Literatur nicht vertreten werden, von denen ich auch unterstelle, daß die Autor/inn/en sie nicht vertreten, wären z.B.
——Echte Autoritäten in der Wissenschaft (der Philosophie) sind immer Männer.
——Frauen sind in der Wissenschaft (in der Philosophie) zu selbständigen Leistungen nicht fähig.
——Wichtige theoretische Neuansätze in der Wissenschaft stammen stets von Männern.
——Ein in der Wissenschaft (in der Philosophie) behandeltes Thema, mit dem sich vorwiegend oder ausschließlich Männer beschäftig(t)en, ist von allgemeinem (Menschheits—) Interesse. Ein Thema, mit dem sich vorwiegend oder ausschließlich Frauen befassen, ist nur für Frauen von Interesse und führt zu deren Ghettoisierung.

Ich brauche, wie gesagt, nicht anzunehmen, daß eine dieser Thesen ausdrücklich vertreten wird, um zu bemerken, daß in der Wissenschaft der Philosophie (und wohl auch in anderen Disziplinen) derartige Sprech—, Schreib— und Leseregeln befolgt werden, die nur dann einen vernünftigen Sinn ergeben, wenn eine oder mehrere dieser problematischen Thesen zumindest als plausibel angenommen werden.

Sexismus ohne Sexisten liegt etwa dann vor, wenn keine Thesen über eine (wissenschaftliche, intellektuelle, soziale, moralische etc.) Unterlegenheit eines der beiden Geschlechter, in unserer Historiographie zumeist des weiblichen, im Verhältnis zum anderen Geschlecht behauptet, bzw. wenn solche Thesen bei Gelegenheit sogar ausdrücklich geleugnet, aber dennoch Verhaltensweisen und sprachliche Handlungsweisen praktiziert werden, die nur bei Annahme solcher Thesen einen vernünftigen Sinn ergeben.

Es scheint mir, daß Sexismus ohne Sexisten ein ziemlich verbreitetes Phänomen der Gegenwart ist, auch im Bereich der (Human—)Wissenschaften. Das erklärt sich einfach: es scheint untunlich und beinahe unmöglich, gegen die heute bekannten Daten kultursoziologischer, psychologischer und historischer Art, sowie gegen die durch die zweite feministische Bewegung gewonnenen Möglichkeiten für Frauen, sich öffentlich zu Wort zu melden, klar sexistische Thesen in der Weise zu vertreten (etwa in akademischen Abhandlungen), wie wir das noch bei Weininger und Möbius finden. In dieser offenen, erklärten Form findet sich Sexismus meines Wissens nicht mehr im akademischen Diskurs (wenngleich bei Personal— und ähnlichen Entscheidungen immer noch Stereotype von weiblichem Denken etc. an entscheidenden Stellen der Diskussion genannt werden können). In erklärter, thesenartiger Form findet sich also Sexismus heute nicht unter Philosophen oder Philosophiehistorikern.

Hingegen fällt es gar nicht sehr schwer, im Sprachverhalten von Philosophen und, wenn auch weniger, von Philosophinnen der Gegenwart Sexismus festzustellen. Das spricht nicht für ein durchgehend verbreitetes oder wirksames kritisches Bewußtsein dieser Disziplin ihrem Sprachverhalten gegenüber — was allerdings in einem Fach, das so sehr wie die Philosophie auf Ausdrücke, Begriffe und deren Klarheit angewiesen ist, kein geringes Manko darstellt.

Beim Sammeln des Materials, an dem ich die Hypothese prüfen wollte, bin ich auf eine (naiverweise) nicht erwartete Schwierigkeit gestoßen. Da ich solche Arbeiten (Bücher oder Aufsätze), die sich ausdrücklich mit Problemen der Vernachlässigung der Leistung von Frauen, oder mit Fragen der Emanzipation von Frauen befassen, nicht heranziehen wollte (aus der Erwägung, daß deren Autor/inn/en in der fraglichen Angelegenheit untypisch, weil überdurchschnittlich sensibel bezüglich bestehender Diskriminierungen seien), ergab sich schlicht das Problem, daß in den meisten meiner Quellentexte Frauen nicht in erkennbar diskriminierender Weise genannt oder zitiert wurden, weil sie nämlich überhaupt nicht vorkamen. Auch daraus läßt sich natürlich einiges schließen, nur läßt sich eben leider bloß vermuten, wie Darstellungen aus den Acta Philosopharum aussehen würden, die nicht existieren.

Interpretationsregel 1: Immer wenn eine philosophische Autorität ohne Geschlechtsindex eingeführt oder genannt wird, ist vorauszusetzen, daß sie männlichen Geschlechts ist.

Die erwähnten Geschlechtsindices können von zweierlei Art sein:
a) geschlechtsspezifische Titel (wie "Miß, Madame" u.ä.)
b) Vornamen

a) Der Zusatz von Titeln, die rein der Geschlechtsangabe dienen (im Gegensatz zu solchen Titeln, die die akademische Rangordnung betreffen, wie z.B. "Professor") kommen meiner Erfahrung nach in der philosophiehistorischen Literatur nur bei Frauen vor. Hierbei ist demnach ein Vergleich mit männlichen Autoren nicht möglich, und ich lasse den Sachverhalt daher uninterpretiert.
b) Der Fall der Verwendung von Vornamen in der philosophiehistorischen Darstellungssprache ist nicht eindeutig, es muß daher erläutert werden, was damit gemeint sein kann.

Erstens kann der Vorname bei einer zitierten oder genannten Autorität andeuten, daß der/die Darstellende ein besonders nahes oder besonders ehrfürchtiges Verhältnis zu dieser bestimmten Autorität zum Ausdruck bringen will. Das kann so weit gehen, wie es derzeit etwa bei Vertretern des Kritischen Rationalismus gelegentlich vorkommt, daß Popper nur noch als "Sir Karl" zitiert wird. In den meisten Fällen solcher Art bleibt es jedoch bei der Nennung des Vornamens zusammen mit dem Familiennamen (wie: "Immanuel Kant"). Ein besonders nahes, vielleicht persönlich—freundschaftliches Verhältnis (wenn es sich um Zeitgenossen von geringerem Berühmtheitsgrad handelt) kann ebenfalls durch die Nennung des Vornamens dem Leser suggeriert werden. All dies ist an sich noch keineswegs als sexistisches Sprachverhalten zu kennzeichnen.

Jedoch ist zu bedenken, daß aufgrund der generellen Abwesenheit von Frauen in jenen mentalen Listen von Autoritäten, die in der Philosophie und deren Historiographie offensichtlich weitergegeben und verstärkt werden, Philosophinnen als Kandidatinnen für solche selbstverständliche Autorität ohnedies kaum vorkommen. Es gibt also, um es anders zu sagen, keine "Miß Elizabeth" neben einem "Sir Karl". (Daß es sehr wohl eine "Miß Anscombe" gibt, rechne ich der oben erwähnten, bei männlichen Autoritäten nicht vorkommenden Verwendungsform zu.)

Der Vollständigkeit wegen möchte ich hier anmerken, daß es zwar (in feministischer Literatur) gelegentlich die damit vergleichbaren Nennungen "Rosa" (für Rosa Luxemburg) oder "Simone" (für Simone de Beauvoir) gibt, daß dies aber doch faktisch innerhalb der philosophiehistorischen Literatur insofern einen anderen Stellenwert hat, als eben im Leserbewußtsein (so etwa in meinen eigenen Assoziationen) hierbei die Gedankenverbindung mit einem speziellen, dem feministischen Diskurs, vielleicht sogar mit einem ghettoisierten Diskurs gegeben ist — wogegen die Nennung von "Sir Karl" mir lediglich suggeriert, daß hier die Zugehörigkeit zu einer (vielleicht umstrittenen, vielleicht von mir abgelehnten, aber jedenfalls) bedeutsamen Schule innerhalb des allgemeinen philosophischen Diskurses der gegenwärtigen Menschheit signalisiert wird. Ich habe diese letzte Zuordnung absichtlich so geschwollen formuliert, denn das ist tatsächlich gemeint.

Eine zweite Verwendungsform des Vornamens in philosophiehistorischen Darstellungen findet hingegen tatsächlich bei Philosophinnen Anwendung, und diese ordne ich eindeutig einer sexistischen Darstellungssprache zu. Ich möchte den/die Leser/in bitten, folgende zwei Sätze gemäß seinen/ihren Lesegewohnheiten zu lesen:

(1) The British philosopher Langer has deeply influenced contemporary thinkers in the field of aesthetics.
Falls Sie Langer kennen, wird Ihnen beim folgenden Satz nicht viel auffallen. Aber vielleicht sind Sie sogar dann von der Ausdrucksweise leicht irritiert.
(2) She has elaborated the views of E. Cassirer.

Die Vermutung meinerseits war, daß die meisten Leser/innen, sofern sie Langer nicht ohnedies kennen, das She im zweiten Satz auch dann nicht erwarten, wenn hier doch nur von einer Fortsetzung der Arbeit des Meisters die Rede ist. Ich habe für das Beispiel Englisch deswegen gewählt, weil im Deutschen schon die Geschlechtsneutralität des ersten Satzes bei gleichzeitiger Verwendung von respekteinflößenden Epitheta nicht möglich gewesen wäre (sondern nur etwa in der Form Langer hat beeinflußt oder ähnlich).

Ich habe einige Versuche gemacht, die angeführte Vermutung auch empirisch zu überprüfen, darüber habe ich keinerlei Zahlen, und es kommt auch nicht darauf an. Ich will die Beurteilung der Sachlage jeder/jedem Leser/in überlassen, da es ja schließlich in solchen Fragen lediglich darauf ankommen kann, eigenes Sprachverhalten zu korrigieren und bei anderen auf die Korrektur zu drängen; tatsächlich erwarten die wenigsten Leser/innen das She, wenn vorher die Respektfigur aufgebaut wurde. Belegbar ist jedenfalls, daß im Fall der Nennung von Frauen in der Philosophiehistorie — unter den 'ganz Großen' des Faches kommen sie ja überhaupt nicht vor — in der Regel ihr Vorname angeführt wird. Ich möchte dieses seltsame Verhalten mit einer seltsam klingenden, aber recht ernstgemeinten und weitreichenden Hypothese zu erklären suchen:

Die Nennung des Vornamens bei den 'ganz Großen' soll dem/der Leser/in in Erinnerung rufen: Auch er war (noch) ein Mensch (obwohl er fühlte, sterblich war, gelegentlich irrte).

Hingegen soll die Nennung des Vornamens bei Philosophinnen gerade von der entgegengesetzten Seite her den/die Leser/in einstimmen: Auch sie ist (bereits) ein denkender, kompetenter Mensch (obwohl sie eine Frau ist).

Wenn diese Hypothese einiges für sich hat, so besagt sie, daß hier ein Sprachverhalten vorliegt, wie es auch sonst angesichts der Leistungen von Angehörigen von (qualitativen) Minderheiten festzustellen ist: an sich seien diese als latent inkompetent vom ernstzunehmenden Diskurs der Menschheit auszuschließen, doch gebe es immer wieder einzelne Individuen, die aus der anonymen Masse herausragten und in der Darstellung von ihr abzusondern seien. Bei Frauen kann es dann durchaus vorkommen, daß ihnen männliches Denken oder eine andere lobenswerte Qualifikation zugesprochen wird (wie einzelne schwarzafrikanische Literaten und Intellektuelle dieses Jahrhunderts auch gelegentlich wohlmeinend als gar keine echten Neger apostrophiert worden sind).

Zu denken ist hier etwa an L.S. Senghor, zu dem M. Towa schreibt: „Le suprême compliment que certains croient pouvoir faire à un Nègre de valeur, c'est de lui déclarer qu'il n'est plus Nègre, qu'il n'a plus de Nègre que l'apparence. ... Aujourd'hui encore il en est que déclarent très sérieusement que Senghor n'est pas un Africain: et par là ils ne veulent pas l'accuser de trahir les intérêts de l'Afrique, mais exprimer leur admiration pour ses bonnes manières, sa culture, ses talents. En ce qui concerne Césaire, c'est absolument évident: c'est un Blanc!“ (Towa, M. (1983): Poésie de la Négritude, Sherbrooke, Can.: Naaman, S. 51)

„Daten zur Interpretationsregel 1“:


a) Stegmüller, Wolfgang: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. II.

Stuttgart: Kröner, 1974
Diese (m.E. zu Recht) verbreitete Darstellung philosophischer Richtungen des 20. Jahrhunderts hat eine ihrer (vom Autor im Gegensatz zur marxistischen Diskussion nicht einmal erwähnten) Lücken darin, daß der feministische Diskurs hier nicht existiert. Entsprechend dürftig fallen meine Hinweise aus, Philosophinnen kommen so gut wie nicht vor; jedenfalls hat es keine zur Ehre einer Kapitelüberschrift gebracht.
Das Namenregister des ersten Bandes (6. Auflage, 1978) führt m.W. keine Philosophin an. Das Register des zweiten Bandes (1. Auflage, 1974) verzeichnet eine Philosophin, die laut dieser Auskunft auf den Seiten 108, 110f. und 120 vorkommt. Ich lese diese Seiten durch.
S. 108 werden genannt:
    Austin        1 Nennung
    Wittgenstein    1 Nennung
    von Wright    4 Nennungen
    Hegel        1 Nennung
    Tuomela    1 Nennung
Entgegen der Auskunft des Registers sind alle hier Genannten Männer, alle werden ohne Nennung des oder der jeweiligen Vornamen angeführt. Lediglich zu Tuomela wird die Initiale (R.) angegeben.
S. 109 wird von Wright einmal genannt (wie zuvor).
S. 110 werden genannt:
    von Wright    1 Nennung
    Anscombe    1 Nennung
von Wright wird hier wiederum ohne seine Vornamen genannt, aber wir erfahren dafür Anscombes Rufnamen: Elisabeth (nicht ihre Initialen G.E.M.).
S. 111 (=110f.) kommen keine Eigennamen vor.
S. 120 werden genannt:
    von Wright    3 Nennungen
    Anscombe    1 Nennung
Es ist nicht auszuschließen, daß noch weitere Philosophinnen in den zwei Bänden angeführt werden. Festzustellen ist, daß G.E.M. Anscombe nur im Rahmen der Darstellung von G.H. von Wright Erwähnung findet, und daß dabei klar gesagt wird, daß es sich um eine Philosophin handelt. Wer also bei der Nennung von Tuomela (der im Rahmen des Referats eine vergleichbare Rolle wie Anscombe spielt) aufgrund des Verschweigens oder Abkürzens des Vornamens geschlossen hat, daß es sich bei ihm um einen Philosophen handelt, hat recht geschlossen.


b) Französische Aufklärung. Bürgerliche Emanzipation, Literatur und Bewußtseinsbildung.
Leipzig: Reclam, 1979.
Dieser Sammelband hat ein umfangreiches Personenregister: geschätzte 450 Namen. Darunter finden sich 14 Frauen, wenn ich mich nicht verzähle. Diese werden an insgesamt 17 Textstellen (laut Register) genannt; davon finden sich 6 Stellen im Abschnitt über den Roman der Frühaufklärung, ebenfalls 6 Nennungen in demjenigen über Voltaires Contes philosophiques (beide Texte stammen von ein und demselben, einem männlichen Autor). Die restlichen 5 Nennungen sind verstreut in unterschiedlichen Zusammenhängen des insgesamt 928 Seiten starken Bandes zu finden. Einen besonders großen Anteil an der bürgerlichen Emanzipation Frankreichs scheinen dessen Frauen nach Auskunft dieses Registers nicht genommen zu haben. Ich lese mit Hilfe des Registers willkürlich einige Seiten.
S. 488 werden drei männliche Autoren und eine Autorin leglich mit ihren Nachnamen angeführt, eine weitere Autorin mit dem Standes– und Geschlechtsindex Madame (ein Monsieur, obgleich natürlich möglich, fehlt durchgehend). Alle hier Genannten haben im 18. Jahrhundert in Frankreich publiziert.
S. 506 wird ein Autor des 19. Jahrhunderts (Stendhal) lediglich mit dem Nachnamen (zweimal) genannt. Die Adressatin seiner hier besprochenen Briefe wird als Madame Gauthier angeführt.
S. 507 werden insgesamt vier männliche Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts genannt, einer davon mit seinem Vornamen. Die einzige hier genannte Autorin wird ebenfalls mit ihrem Vornamen eingeführt.
S. 536 werden zwei Autoritäten des 20. Jahrhunderts genannt:
„Werner Krauss“ ohne weitere Qualifikation;
„Vivienne Mylne, die Verfasserin bedeutsamer Studien“ etc.
Der Sachverhalt scheint aus diesem Bestand an Nennungen weniger deutlich hervorzugehen als beim ersten Beleg, doch ist er auch hier hinreichend erkennbar.


c) Seibert, Petra: Innere Widersprüche utopischer Entwürfe am Beispiel von ‚Utopia‘, ‚Ökotopia‘ und ‚Herland‘. In: CONCEPTUS 20. Jg., Nr. 51, S. 121–131.
Dieser Text schien mir insbesondere zur Untersuchung unserer Frage geeignet, weil er dem Anschein nach von einer Frau verfaßt ist und weil unter den drei hier hauptsächlich referierten und diskutierten Autoritäten eine Frau ist (mithin 1/3 der Autoritäten, ein ungewöhnlich hoher Anteil). Zudem ist die Zeitschrift, in der der Aufsatz erschienen ist, nicht der feministischen Diskussion zuzurechnen, und das Thema ein immer wieder auftauchendes Thema der allgemeinen politiktheoretischen Debatte.
Folgende Autoritäten werden in dem Beitrag genannt:
a) Männliche Autoritäten:
    Callenbach        7 Nennungen (stets ohne Vornamen)
    von Ditfurth        1 Nennung (mit Vorname)
    Morus            3 Nennungen (stets ohne Vornamen)
    Oncken        1 Nennung (ohne Vorname)
Weibliche Autoritäten:
    Merchant        2 Nennungen (stets mit Vornamen)
    Perkins–Gilman    4 Nennungen (einmal ohne, dreimal mit Vornamen)
    Wolf            1 Nennung (mit Vorname)
Auffallend ist hier nicht nur ein Vergleich zwischen Oncken und Wolf, die ungefähr gleichrangige Funktion im Text haben, und die generelle Verteilung der Nennung von Vornamen, die meine Hypothese gut stützt. Wirklich auffallend ist die diesbezügliche Behandlung von Perkins–Gilman, der Autorin eines der referierten Sozialentwürfe, die also entsprechend wie Callenbach und Morus zu nennen wäre. Tatsächlich aber wird sie völlig anders und durchaus entsprechend der hier vermuteten Hypothese benannt.


d) Pettit, Philip: „Philosophy after Rorty.“ In: A.J. Holland (Hg.): Philosophy, its History and Historiography. Dordrecht: Reidel, 1985, S. 69–83
Dieser Text hat erstens den Vorzug, in englischer Sprache verfaßt zu sein (wo sich die Dinge ja möglicherweise anders verhalten; zumindest hat mich ein skandinavischer Freund darauf aufmerksam gemacht, daß nach seinem Empfinden die ungleiche Verwendung in den skandinavischen Sprachen so nicht vorkomme). Zweitens wird in diesem Aufsatz eine methodologische Frage der Philosophiehistorie besprochen, indem der Autor die von einer Philosophin (Hesse) gegen einen prominenten gegenwärtigen Philosophen (Rorty) vorgebrachten Einwände diskutiert.
Naturgemäß finden sich die Namen der beiden Kontrahenten in diesem Text sehr häufig. Bemerkenswert ist, daß alle außerdem noch genannten Autoritäten (Apel, Davidson, Descartes, Habermas, Kant, Locke, Wiggins, Wittgenstein, jeweils 1 bis 3 Nennungen) männlichen Geschlechts sind und alle nur mit dem Familiennamen genannt werden. Da keine Frau unter ihnen ist, kann ich daraus höchstens schließen, daß diese Form des Anführens von Autoritäten dem Verfasser „natürlich“ erscheint. Von dieser Vermutung gehe ich also aus.
Im ersten Satz des Aufsatzes werden Mary Hesse und Richard Rorty als Referatspersonen eingeführt. Ich vernachlässige diese Nennung.
Von dieser ersten Nennung abgesehen, wird im Text selbst Hesse noch 17mal genannt, davon viermal mit vollem Vornamen, keinmal mit Initiale (also mit dem Vornamen in ca 25% der Fälle). Dies sind die einzigen Fälle der Nennung eines Vornamens im Text dieses Aufsatzes.
Rorty wird im Text noch 52mal genannt, in keinem Fall aber mit seinem Vornamen oder dessen Initiale (also in 0% der Fälle).
Selbst unter Berücksichtigung des Sachverhalts, daß Rorty den meisten Leser/innen dieser Fachliteratur bekannter sein dürfte als Hesse, ist nicht ersichtlich, welche Information in dem immer wieder vorgebrachten Vornamen Hesses liegen sollte, es sei denn die wiederholte Erinnerung, daß es sich um eine Frau handelt, die hier argumentiert. Diese Verteilung deutet also wiederum auf eine Interpretationsregel hin, wie ich sie vorhin formuliert habe. Es scheint dem Verfasser eben „natürlicher“ in den Ohren zu klingen, bei einer Philosophin gelegentlich den Vornamen beizufügen, als dies bei einem Philosophen klingen würde.


e) Klaus, Georg und Manfred Buhr (Hg.): Marxistisch–leninistisches Wörterbuch der Philosophie
Reinbek: Rowohlt 1972
Abschließen möchte ich diese Beispielsammlung zur ersten Interpretationsregel mit einem (vermutlichen) Lapsus. Das genannte „Wörterbuch“ verzeichnet im Namenregister sieben Frauen (de Beauvoir, Conrad–Martius, Krupskaja, Luxemburg, Pardo Bazan, de Stael–Holstein udn Turin), die mit einer Ausnahme hinsichtlich ihrer Namensnennung keinen Unterschied zur Nennung von Männern erkennen lassen.
Die Ausnahme:
S. 350f.: „Weitere Vertreter des Existentialismus sind WUST, HAECKER, GUARDINI, PRZYWARA, GRISEBACH, HÄBERLIN, O. BECKER, O.F. BOLLNOW, SZILASI, GADAMER, VOLCKMANN–SCHLUCK; BERDJAJEW, SIMONE DE BEAUVOIR, E. MOUNIER, J. WAHL, MERLEAU–PONTY, KOJEVE; ABBAGNANO, GRASSI u.a.“

Ich vermute, daß es wenige Leser/innen dieser Namensliste gibt, denen nicht einige der Angeführten weniger bekannt sind als de Beauvoir. Es hätte darum wohl kaum die Gefahr der Verwechslung mit einem männlichen „de Beauvoir“ bestanden.]


Interpretationsregel 2: Die Abhängigkeit einer Philosophin von (meist männlichen) Lehrern oder Meistern ist relativ größer und schwerer zu überwinden als dies bei männlichen "Jüngern" der Fall ist.

Zur Orientierung der Leserschaft wird es, wenn diese Regel stimmt, häufiger bei einer Philosophin als bei einem Philosophen vorkommen, daß ihre Affiliation zu einem anerkannten Meister, Schulgründer, großen Philosophen angegeben wird. Auch die Ausdrucksweisen, mit denen solche Sachverhalte ausgesprochen werden, dürften verschieden sein: bei Männern liest man eher, sie stehen nahe, sind beeinflußt von, sind (z.B.) Marxisten, Kritische Rationalisten, Phänomenologen etc. An vergleichbaren Stellen erfährt man über Frauen eher, sie seien Schülerin von, stehen in der Nachfolge von, gehören der x—Schule an etc.

Zwei weitere Interpretationsregeln könnten hier formuliert und belegt werden:

Interpretationsregel 3: Wenn ein theoretisch bedeutender Neuansatz in der Philosophie auftaucht, so ist ein männlicher Philosoph als dessen Schöpfer anzunehmen.

Interpretationsregel 4: Wenn eine Philosophin ein Thema behandelt, das männliche Philosophen nicht behandeln, so ist dieses Thema nicht von allgemeinem, systematisch—philosophischem Interesse. Das Umgekehrte trifft nicht zu.

Die vier genannten und eventuell weitere Regeln sind zugleich Schreib— und Lese—Regeln in philosophiehistorischer Literatur der Gegenwart. Es ist daher anzunehmen, daß, wenn derzeit ein sehr hoher Prozentsatz der philosophischen Texte nach solchen Regeln der Sprachverwendung (von zumeist männlichen Autoren) geschrieben werden, die entsprechenden Lese—Gewohnheiten (bei weiblichen wie bei männlichen Lesern) ziemlich gut entwickelt und internalisiert sind. Vorschläge, wie sie zu einer Änderung der Sprache (auch der Wissenschaftssprache) von Linguistinnen/en vorgebracht werden, müssen daher zunächst als verwirrend erscheinen; sie sind nichtsdestoweniger notwendig, wenn die in solchen kollektiven Gewohnheiten wirksamen Mechanismen des Abgrenzens und des Vor—Beurteilens durchschaut und kritisiert werden sollen.

 

Literatur in Auswahl:

 

APA: Guidelines For Non—Sexist Use of Language. (1987)

Galtung, Johan: "Struktur, Kultur und intellektueller Stil.", in: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Berlin, Jg.11, H.2 (1983), 303—338.

Gössmann, Elisabeth: "Die Gelehrsamkeit der Frauen im Rahmen der europäischen Qerelle des Femmes" in: dies. (Hg.): Das Wohlgelahrte Frauenzimmer. (Archiv für philosophie— und theologiegeschichtliche Frauenforschung, Bd. 1), München: iudicium 1984, 8 — 21.

Hausen, Karin und Helga Novotny (Hg.): Wie männlich ist die Wissenschaft?. Frankfurt: Suhrkamp, 1986.

Hudabiunigg, Ingrid: "Vom generischen Maskulinum und dem movierten Femininum". In: Bielefelder Universitätszeitung (1989) S. 31—35.

Klinger, Cornelia: "Modernisierungsorientiertes oder traditionsorientiertes Emanzipationskonzept? Zwei Befreiungsbewegungen — ein Dilemma." in: Was Philosophinnen denken II (1986), 71—96.

LaBalme, Patricia H. (Hg.): Beyond their Sex. Learned Women of the European Past. New York: Univ. Press, 1981.

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Marin, Bernd: "Antisemitismus ohne Antisemiten." Vortrag: Tagung über 'Minderheitenpolitik', Öst.Ges.f. Politikwissenschaft, Wien 26.—28.6. 1987.

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