Brechungsgesetz


Franz Embacher

Fakultät für Physik der Universität Wien

 
Das Brechungsgesetz – oft auf einer eher intuitiven Ebene mit Hilfe einer ebenso intuitiven Version des Huygensschen Prinzips begründet – ist nicht auf Licht beschränkt. Es gilt beispielsweise auch für die Schallausbreitung, und ganz allgemein lässt es sich für beliebige raumzeitliche Felder herleiten, die die Wellengleichung $$\Box\,\,\phi(\vec{x},t)\equiv\left({1\over c^2}{\partial^2\over\partial t^2}-\bigtriangleup\right)\phi(\vec{x},t)=0$$ ($c=$ Phasengeschwindigkeit, $\bigtriangleup=$ Laplace-Operator) erfüllen.

Im Fall des Lichts (d.h. einer elektromagnetischen Welle) in einem (dispersionsfreien) Dielektrikum erfüllen mehrere Größen die Wellengleichung, nämlich
  • jede Komponente des elektrischen Feldes und des Magnetfeldes,
  • das skalare Potential und jede Komponente des Vektorpotentials in der Lorenz-Eichung
  • und jede Komponente des Vektorpotentials in der Coulomb-Eichung,
wobei $c$ für die Phasengeschwindigkeit des Lichts im betreffenden Medium steht. (Siehe diese Seite und den Unterpunkt "$\rightarrow$ Potentiale" für Details dazu für den Fall des Vakuums).
Anmerkung: Tritt im Medium Dispersion auf, d.h. ist $c$ von der Wellenlänge abhängig, so gilt die Wellengleichung nur für Wellen einer festgehaltenen Wellenlänge. Das tut der folgenden Argumentation keinen Abbruch, da wir uns ohnehin nur auf Wellen einer Wellenlänge beschränken.
An einer Grenzfläche ändert sich $c$ sprunghaft, und dort findet das Phänomen der Lichtbrechung (oder, wenn es sich um Schall handelt, eine "Brechung der Schallwelle") statt.

Zu den Lösungen der Wellengleichung in einem Bereich mit konstantem $c$ zählen die fortschreitenden ebenen monochromatischen Wellen. Ist das Feld $\phi$ reell, so ist allgemeinste Form einer solchen Lösung durch

$\phi(\vec{x},t)=A\sin(\vec{k}\cdot\vec{x}-\omega\,t+\varphi)$

gegeben, wobei die Wellengleichung $\omega^2=c^2\vec{k}{}^2$ verlangt. Im obigen Ausdruck ist
  • $A>0$ die Amplitude der Welle,
  • $\vec{k}$ der Wellenzahlvektor (seine Richtung ist die Ausbreitungsrichtung der Welle, aus seinem Betrag ergibt sich die Wellenlänge $\lambda=2\pi/|\vec{k}|$),
  • $\omega=c|\vec{k}|$ die Kreisfrequenz (aus der sich die Frequenz $f=\omega/(2\pi)$ und die Periodendauer $T=2\pi/\omega$ ergeben)
  • und $\varphi$ eine beliebige Phase (die dazu verwendet werden kann, stets $A>0$ und $\omega>0$ zu erreichen).
Da ebene Wellen den gesamten Raum ausfüllen, können sie als solche nicht in der Natur realisiert sein, aber in einem kleinen Gebiet innerhalb eines "Lichtstrahls", der ja in Wahrheit eher eine "Röhre" ist, außerhalb der das Feld mit zunehmendem Abstand verschwindet, kann die ebene monochromatische Welle als recht gute Näherung zur Beschreibung des räumlichen und zeitlichen Feldverlaufs benutzt werden, und Analoges gilt für Schallwellen.

Das Szenario

Um das Brechungsgesetz herzuleiten, betrachten wir folgende Situation:
  • Die Grenzschicht ist die $xy$-Ebene. Oberhalb (d.h. für $z>0$) ist die Phasengeschwindigkeit $c_{\sf oben}$, unterhalb (d.h. für $z<0$) ist sie $c_{\sf unten}$.
  • Von oben fällt eine ebene monochromatische Welle mit Wellenzahlvektor $\vec{k}$ ein (daher $k_z < 0$). Wir schreiben sie in der Form $$\phi_{\sf ein}(\vec{x},t)=A\sin(\vec{k}\cdot\vec{x}-\omega\,t+\varphi)\,{\sf\small.}$$
  • Ein Teil der Welle wird reflektiert. Der Wellenzahlvektor dieser Teilwelle ist $\vec{k}{}'$ (daher $k'_z > 0$). Wir schreiben sie in der Form $$\phi_{\sf refl}(\vec{x},t)=A'\sin(\vec{k}{}'\cdot\vec{x}-\omega'\,t+\varphi')\,{\sf\small.}$$
  • Ein Teil dringt – sofern möglich – in den unteren Halbraum ein – wir nennen ihn die transmitierte Welle. Der Wellenzahlvektor dieser Teilwelle ist $\vec{k}{}''$ (daher $k''_z < 0$). Wir schreiben sie in der Form $$\phi_{\sf transm}(\vec{x},t)=A''\sin(\vec{k}{}''\cdot\vec{x}-\omega''\,t+\varphi'')\,{\sf\small.}$$
Auf den Zusatz "sofern möglich" im letzten Punkt werden wir noch zu sprechen kommen. Die gesamte Welle im oberen Halbraum ist durch $\phi_{\sf oben}=\phi_{\sf ein}+\phi_{\sf refl}$ gegeben, die Welle im unteren Halbraum durch $\phi_{\sf transm}$. Gegeben ist der Wellenzahlvektor $\vec{k}$ der einfallenden Welle, woraus sich deren Kreisfrequenz zu $\omega=c|\vec{k}|$ ergibt, und die Amplitude $A$. Die Phase $\varphi$ können wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit gleich $0$ setzen. (Ist sie $\neq 0$, so kann durch eine simple Verschiebung der Zeitkoordinate $\varphi=0$ erreicht werden). Bei einer vollständigen Analyse sind alle anderen Konstanten gesucht – wir beschränken uns hier darauf, $\vec{k}{}''$ zu bestimmen.

Die Bedingung an der Grenzfläche

Um die Wellen oberhalb und unterhalb der Grenzfläche miteinander in Beziehung zu setzen, wird – je nachdem, welche physikalische Größe $\phi$ darstellt – entweder verlangt, dass $\phi$ stetig ist oder dass $\phi$ beim Übergang durch die Grenzfläche einen Sprung um einen vorgegebenen Faktor erfährt, der vom Verhätnis der beiden Phasengeschwindigkeiten abhängt. (Für das Verhalten des elektromagnetischen Feldes an Grenzflächen siehe diese Seite – die Details spielen für die hier angestellten Überlegungen aber keine Rolle). Es gilt daher eine Beziehung der Form $$\left.\phi_{\sf ein}\right|_{z=0}+\left.\phi_{\sf refl}\right|_{z=0}=q\,\,\left.\phi_{\sf transm}\right|_{z=0}$$ für alle $x,y$ und $t$ gelten, wobei im stetigen Fall $q=1$ gesetzt wird. In dieser Bedingung tritt die $z$-Koordinate nicht mehr auf, da $$\left.\vec{k}\cdot\vec{x}-\omega\,t\,\right|_{z=0} = k_x x + k_y y-\omega\,t\,{\sf\small,}$$ und Analoges gilt für die Ausdrücke mit einfach und zweifach gestrichenen Konstanten.

Um unsere Bedingung bequem auswerten zu können, setzen wir zuerst $x=y=0$. Es muss dann für alle $t$ die Beziehung $$A\sin(\omega\,t)+A'\sin(\omega'\,t+\varphi') = q\,A''\sin(\omega''\,t+\varphi'')$$ gelten. Eine Linearkombination zweier harmonische Schwingungen mit zwei Kreisfrequenzen $\omega$ und $\omega'$ ist nur dann wieder eine harmonische Schwingung, wenn die Kreisfrequenzen übereinstimmen. Analoge Argumentationen führen wir für $y=t=0$ und $x=t=0$ durch und erhalten

\begin{eqnarray} &&\omega = \omega' =\omega''\\ &&k_x =k'_x=k''_x\\ &&k_y =k'_y=k''_y\,{\sf\small.} \end{eqnarray} \begin{eqnarray} &(1)&\\ &(2)&\\ &(3)& \end{eqnarray}

Damit ist zwar die Bedingung an der Grenzfläche nicht vollständig ausgeschöpft, aber (1) – (3) ist alles, was wir benötigen. Wird Bedingung (1) durch die Wellenzahlvektoren ausgedrückt, so nimmt sie die Form

$$c_{\sf oben}|\vec{k}| = c_{\sf oben}|\vec{k}{}'| = c_{\sf unten}|\vec{k}{}''|$$ $$(1')$$

an.

Das Brechungsgesetz

Aus (1'), (2) und (3) folgt $k_z{}^2=k'_z{}^2$, und da ja $\vec{k}{}'$ der Wellenzahlvektor der reflektierten Welle ist, gilt klarerweise $$k'_z=-k_z\,{\sf\small.}$$ Damit bleibt von (1) – (3) nur mehr die Bedingung $$c_{\sf oben}|\vec{k}| = c_{\sf unten}|\vec{k}{}''|\,{\sf\small,}$$ und diese ist genau das Berechungsgesetz! Der Einfallswinkel $\alpha$ ist durch $\cos\alpha=-k_z/|\vec{k}|$ definiert, der Ausfallswinkel $\beta$ durch $\cos\beta=-k''_z/|\vec{k}{}''|$. (Die Minuszeichen rühren daher, dass sich die einfallende und die transmittierte Welle nach "unten" bewegen). Daraus folgt \begin{eqnarray} \sin^2\alpha &=& 1-{k_z{}^2\over |\vec{k}|^2}={k_x{}^2+k_y{}^2\over |\vec{k}|^2}= \left({c_{\sf oben}\over c_{\sf unten}}\right)^2 {k''_x{}^2+k''_y{}^2\over |\vec{k}{}''|^2}=\\ &=&\left({c_{\sf oben}\over c_{\sf unten}}\right)^2\left(1-{k''_z{}^2\over |\vec{k}{}''|^2}\right)= \left({c_{\sf oben}\over c_{\sf unten}}\right)^2\sin^2\beta\,{\sf\small,} \end{eqnarray} woraus das Brechungsgesetz in seiner üblichen Form $${\sin\alpha\over\sin\beta}={c_{\sf oben}\over c_{\sf unten}}$$ folgt. Die Wellenlänge ändert sich bei der Brechung gemäß $\lambda''/\lambda=c_{\sf unten}/c_{\sf oben}$, während die Frequenz gleich bleibt, da $\omega''=\omega$ gilt. $k''_z$ kann, wie eine weitere kleine Rechnung zeigt, aus $${k''_z\over k_z} = {\tan\alpha\over\tan\beta}\equiv {1\over\cos\alpha}\sqrt{\left({c_{\sf oben}\over c_{\sf unten}}\right)^2 - \sin^2\alpha} $$ ermittelt werden.

Die Totalreflexion

Bei dieser saloppen Rechnung müssen wir aber ein bisschen aufpassen. Hier kommt die oben gemachte Einschränkung "sofern möglich" ins Spiel. Schreiben wir die Bedingung $c_{\sf oben}|\vec{k}| = c_{\sf unten}|\vec{k}{}''|$, aus der wir das Brechnungsgesetz gewonnen haben, in quadrierter Form und nach Ausnutzung von (2) und (3) auf: $$c_{\sf oben}{}^2\left(k_x{}^2+k_y{}^2+k_z{}^2\right) = c_{\sf unten}{}^2\left(k_x{}^2+k_y{}^2+k''_z{}^2\right)\,{\sf\small.}$$ Ist $c_{\sf oben} < c_{\sf unten}$ (also die obere Halbebene von einem optisch dichteren Medium erfüllt als die untere), so kann es passieren, dass diese Gleichung keine reelle Lösung für $k''_z$ besitzt, denn eine kleine Umformung führt auf \begin{eqnarray} k''_z{}^2 &=&\left({c_{\sf oben}\over c_{\sf unten}}\right)^2\left(k_x{}^2+k_y{}^2+k_z{}^2\right)-\left(k_x{}^2+k_y{}^2\right)=\\ &=&\underbrace{\left({c_{\sf oben}{}^2\over c_{\sf unten}{}^2}-1\right)}_{\large < 0 }\,\left(k_x{}^2+k_y{}^2\right)+{c_{\sf oben}{}^2\over c_{\sf unten}{}^2}k_z{}^2\,{\sf\small,} \end{eqnarray} und die rechte Seite kann, wenn $k_z{}^2$ nicht groß genug ist, negativ sein! "Nicht groß genug" bedeutet, dass die Welle zu schräg einfällt. Das ist genau dann der Fall, wenn $$\sin\alpha > {c_{\sf oben}\over c_{\sf unten}}$$ gilt (das Brechungsgesetz würde dann $\sin\beta >1$ verlangen), und dann tritt Totalreflexion ein.

Brechung von Materiewellen

Eine Brechung der Ausbreitungsrichtung einer Welle kann auch auftreten, wenn die zugrundeliegende Gleichung nicht die obige Wellengleichung ist – grundsätzlich genügt es, dass das betreffende Feld die Form ebener Wellen entweder vom oben angeschriebenen reellen Typ oder vom komplexen Typ

$\psi(\vec{x},t)=Ae^{i\left(\vec{k}\cdot\vec{x}-\omega\,t\right)}$

annehmen kann. Wie die Kreisfrequenz $\omega$ vom Wellenzahlvektor $\vec{k}$ abhängt, sagt uns dann die jeweilige Grundgleichung, und ebenso, wodurch sich die beiden durch die Grenzfläche getrennten Halbräume physikalisch unterscheiden. Ein Beispiel vom komplexen Typ ist die Schrödingergleichung für ein (nichtrelativistisches) Teilchen der Masse $m$ in einem Bereich konstanter potentieller Energie $V$: $$i\hbar {\partial\over\partial t}\,\,\psi(\vec{x},t)=\left(-{\hbar^2\over 2m}\bigtriangleup + V\right)\psi(\vec{x},t)\,{\sf\small.}$$ In diesem Fall ist die komplexe Form der ebenen Welle eine Lösung, sofern $$\hbar\,\omega = {\hbar^2\over 2m}\vec{k}{}^2 + V$$ gilt. (Dieser Ausdruck ist dann gleich der Gesamtenergie des Teilchens, da $\hbar \vec{k}$ mit dem Impuls identifiziert wird). Hier kann etwa die Grenzfläche darin bestehen, dass sich der Wert der potentiellen Energie sprunghaft von $V_{\sf oben}$ zu $V_{\sf unten}$ ändert (was die Einwirkung einer Kraft, d.h. einen kurzen "Kick" modelliert). Die Brechung einer solchen Materiewelle wird dann einfach durch die von der Kraft bewirkte Impulsänderung hervorgerufen. Das "Brechungsgesetz" nimmt in diesem Fall natürlich eine andere Form an als im Fall des Lichts. (Versuchen Sie, sie herauszufinden!)

Interessant ist, dass es auch in diesem Fall einen reflektierten Wellenanteil gibt. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird also ein (quantenmechanisch beschriebenes) Teilchen durch eine nach unten gerichtete Kraftwirkung nach oben katapultiert!

Hier ist allerdings – in einer gewissen Analogie zum Fall des Lichts – zu beachten, dass es ebene Wellen der komplexen Form nur dann geben kann, wenn $\hbar\,\omega -V > 0$ ist. Ist das für den oberen, nicht aber für den unteren Halbraum der Fall, so liegt wieder eine "Totalreflexion" vor, wobei die Welle dann einen Anteil besitzt, der exponentiell abfallend in den unteren Haltraum eindringt (formal ist $k_z''$ dann imaginär), was bedeutet, dass das Teilchen bei einer Ortsmessung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in einem Raumbereich gefunden wird, der vom klassischen Standpunkt energetisch gar nicht möglich ist.


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