Walter Seitter: Physik der Medien
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Medientheoretischer Fundamentalismus
Schon in seiner "Physik des Daseins" (1997) betreibt der Wiener Philosoph Walter Seitter die Wiedereinführung der Physik (im aristotelischen Sinne) in die Philosophie. Es ist die Rede von der antiken Gewaltenteilung zwischen Physik, Logik und Ethik. Nun wird das fundamentalistische Projekt mediologisch weitergetrieben. Die "Physik der Medien" setzt ganz grundsätzlich an - bei der spezifischen Materialität des Raums zwischen den Dingen und dem Wahrnehmenden. Diese Überbrückung ist eine Leistung von Medien. Medien sind extrahumane Fremdkörper, die von Seitter beschrieben werden: die Hand (ein Grenzfall), der Tisch, die Straße, das Glas, Schrift, Licht, Elektrizität etc. Es geht also nicht um technische Medien, und auch nicht um Physik im Schulbuchsinn. Es liegt hier eher eine Variante des klassischen Dualismus vor, nachdem ein Medium ein Mittleres sei, das zwischen dem Subjekt und der Welt steht.
Das Medium ist damit ein Bote, der etwas überbringt und selbst hinter seiner Botschaft verschwindet. Schon McLuhan hat darauf aufmerksam gemacht, dass es dieses Verhältnis neu zu bedenken gilt. Hier knüpft Seitter an, indem er Medien als "Präsentationsmittel und Präsentationstechniken" analysiert - also dezidiert nicht als Kommunikationsmittel.
Alles kann ein Medium sein oder eines werden, wobei Körper je nach dem Grad ihrer Auflösung mehr oder weniger medial sein können. Medien sind jeweils definiert durch "bestimmte Minimalleistungen", die sie für uns erfüllen. Sie stellen also weniger Ausweitungen des Körpers und Geistes ("Extensions of man" bei McLuhan) dar, sie sind vielmehr Bedingung für den Vollzug von Existenz. Als Verbund bilden Medien dann das "Milieu menschlicher Verhaltensweisen", wie Seitter mit Bezug auf Régis Debrays Begrifflichkeit ausführt.
Ein Basismedium etwa ist die Elektrizität, die physikalische Grundlage für technische Medien ist. Nun ist Elektrizität etwas, das in der Natur allgegenwärtig ist. Für uns gibt es sie aber erst, seit wir sie entdeckt haben: nachdem der Mensch fähig war, sie künstlich zu erzeugen. Für unsere Erfahrung gibt es Elektrizität nur als Technik; sie macht nach ihrer Entdeckung, so Seitter, eine "mikrophysische subatomare Kraft makrophysisch empirisch".
An diesem Beispiel begreift man Seitters
Methode. Das Medium ist unwichtig - der Bote stirbt in Athen,
nachdem er die Siegesbotschaft von Marathon überbracht hat.
Medien sind an sich unwichtig - funktional gesehen sind sie es
allerdings nicht, da sie doch grundlegende
Ermöglichungsbedingungen für menschliches Dasein sind, und
zwar in einem präfunktionalen wie präkognitiven Sinne. Es ist
die medientheoretische Aufgabe, sie aus ihrer "Unwichtigkeit"
herauszuheben. Dies mediographisch-beschreibend zu tun ist
Seitters Projekt. Er ist dabei ein äußerst dichter Autor, was
sowohl für die vorausgesetzten Theoriebezüge gilt wie für die
Intensität der vorgelegten Beobachtungen und nicht zuletzt
ihre literale Qualität.
Obwohl Medien im geläufigen Sinn - also
alles, was sich der technischen Entwicklung seit dem 19.
Jahrhundert verdankt - bewusst ausgeblendet werden, ist so ein
wichtiges medientheoretisches Werk entstanden. Während andere
über Sinn und Unsinn einer Medienphilosophie dilettieren,
entzieht Seitter sich dieser Aufregung und betreibt
emphatische Medienphilosophie. Eine Unentschiedenheit zwischen
Theoriebildung und medientheoretischem Meta-Diskurs ist
feststellbar, die sich in einer gewissen Autoritätsfixierung
ausdrückt (Fritz Heider bis Francis Ponge). Sein
Fundamentalismus jedoch wirkt durchaus gerechtfertigt, und
zwar aus sich selbst heraus und nicht nur im Hinblick auf
konkurrierenden Medientheorie-Gebilde.
[Frank Hartmann, Feb. 2004]
Walter Seitter:
Physik der Medien.
Materialien, Apparate, Präsentierungen.
Weimar: VDG 2002, 457 Seiten, 34,- Euro
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