OGH: Prostitution ist sittenwidrig
OGH 28.06.1989, 3 Ob 516/89. Fundstelle: JBl 1989, 784LeitsatzDa im Zusammenhang mit der Prostitution häufig Leichtsinn, Unerfahrenheit, Triebhaftigkeit und Trunkenheit von Personen ausgenützt werden, sind Verträge über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt sittenwidrig. Für die Sittenwidrigkeit spricht auch die zu mißbilligende Kommerzialisierung an sich, die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes und die Gefahr für familienrechtliche Institutionen. Sittenwidrig sind aber auch jene Verträge, mit denen eine Teilnahme am Profit kommerzieller Ausbeutung der Sexualität bezweckt wird (entgeltlicher Vertrag über den Besuch einer einschlägigen Sauna). Das in diesen Verträgen vereinbarte Entgelt kann auf Grund der Nichtigkeit nicht gefordert werden. Hingegen scheidet eine Kondiktion bereits geleisteten Entgelts trotz der Vertragsnichtigkeit idR aus. LangtextDie Erstkl betreibt eine Sauna mit angeschlossener Bar. Die Zweit- und Drittkl waren oder sind registrierte Prostituierte. Die Erstkl begehrt vom Bekl die Bezahlung von S 72.700,- sA. Hierauf entfallen S 17.000,- auf das Entgelt für die Benützung der Sauna einschließlich der Ruheräume, S 53.200,- auf Getränke und S 2500,- auf Auslagen insb Taxispesen, die der Geschäftsführer der Erstkl für den Bekl machte. Die Zweit- und Drittkl begehren die Bezahlung von je S 70.000,- sA als Entgelt für die Durchführung des Geschlechtsverkehrs und verschiedener "Sexspiele". Der Bekl wendete ein, daß er infolge seiner schweren Alkoholisierung nicht geschäftsfähig gewesen sei. Die mit der Zweit- und Drittkl geschlossene Vereinbarung und damit auch der mit der Erstkl über die Benützung der Sauna geschlossene Vertrag seien überdies sittenwidrig und daher nichtig. Das ErstG gab allen Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest: Der Bekl begab sich am 16. 6. 1985, einem Sonntag, gegen 2.00 Uhr in die von der Erstkl betriebene Sauna. Er war zu dieser Zeit gut aufgelegt, aber nicht betrunken. In der Sauna waren nur die Geschäftsführer der Erstkl und die beiden Kl anwesend. Der Bekl meinte, daß die Kl zu ihm kommen sollten, und fragte sie, was sie gerne trinken würden. Er begab sich dann mit den Kl in die Sauna und in die Ruheräume, wo es zu Intimitäten kam. Für die Benützung der Sauna und der Ruheräume wurden ihm insgesamt S 2000,- verrechnet. Später erklärte der Bekl, daß er die Sauna, die am Sonntag an sich ab 2.00 Uhr geschlossen bleibt, noch bis Nachmittag benützen wolle. Der Geschäftsführer der Erstkl verlangte hiefür S 15.000,-. Der Bekl war damit einverstanden. Er erzählte den Kl, er sei Millionär und habe ein Haus. Er komme hier her, weil er mit seiner Frau nicht zufrieden sei, und wolle sich hier schöne Stunden machen. Nach der Konsumation von Getränken und intimen "Sexspielen" mit den Kl sagte der Geschäftsführer der Erstkl, er wolle eine Zwischenbilanz machen. Der Bekl übergab ihm hierauf einen Scheck über S 40.000,-. In der Folge ging er mit den Kl wieder in die Sauna und die Ruheräume, wo es zu verschiedenen Sexspielen kam. Der Bekl wußte, daß er die Klägerinnen hiefür zu bezahlen hatte. Insgesamt kam es in der Zeit von 2.00 Uhr bis 15.30 Uhr im Betrieb der Erstkl zwischen dem Bekl und den Kl etwa dreimal zum Geschlechtsverkehr sowie zu Mundverkehr und außerdem zu verschiedenen "Sexspielen" (Perversitäten). Der Bekl wußte immer im vorhinein, was er für die Leistungen der Kl zu zahlen hat, und war mit den geforderten Beträgen einverstanden. Er vereinbarte mit den Kl für die von ihnen erbrachten Leistungen die Bezahlung von je S 70.000,-. Jeweils vor der Erbringung der Leistungen wurde von den Kl ein Scheck ausgefüllt, den der Bekl unterschrieb. Er unterschrieb neun Schecks über zusammen S 212.700,-. Sie konnten in der Folge nicht eingelöst werden, weil er sie sperren ließ. Er war während seines Aufenthaltes im Betrieb der Erstkl nicht betrunken. Das BerufungsG gab der Berufung des Bekl teilweise Folge. Die Revision der Kl ist nicht berechtigt. Soweit dies überblickt werden kann, hat sich der OGH mit der Frage, ob der Vertrag über die Erbringung sexueller Leistungen gegen Entgelt sittenwidrig ist, nicht befaßt. In der E SZ 54/70, in der er den Anspruch einer Prostituierten auf Verdienstentgang gem § 1325 ABGB bejahte, ließ er die Frage der Sittenwidrigkeit des zwischen ihr und ihren Kunden geschlossenen Vertrages ausdrücklich offen. In der BRD hat der BGH in seiner E BGHZ 67, 119 = JZ 1977, 173 = VersR 1976, 941, die ebenfalls den Anspruch einer Prostituierten auf Verdienstentgang betraf, mit ausführlicher Begründung die Ansicht vertreten, daß die von einer Prostituierten über ihre Tätigkeit geschlossenen Verträge sittenwidrig und daher gem § 138 BGB nichtig seien. Eine gleichartige Auffassung vertrat vorher das OLG Düsseldorf in der E NJW 1970, 1852. Sie wird ferner bis in die jüngste Zeit weitaus überwiegend im Schrifttum der BRD vertreten, wobei sich die Meinungen meist allgemein auf entgeltliche Rechtsgeschäfte über geschlechtliches Verhalten beziehen (zB Stürner, JZ 1977, 176; Hübner, Allgemeiner Teil des BGB, Rz 499; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Auflage, Rz 701; Heinrichs in Palandt, BGB, 48. Auflage, Anm 5g zu § 138; Krüger - Nieland - Zöller, RGRK, 12. Auflage, Rz 193 zu § 138; Hefermehl in Soergel - Siebert, BGB, 12. Auflage, Rz 208 zu § 138; Mayer-Maly in MünchKomm zum BGB, 2. Auflage, Rz 50 zu § 138). Abweichender Auffassung ist Rother (AcP 1972, 498 ff; insb 505 ff), der meint, daß nur die Verpflichtung zur geschlechtlichen Hingabe sittenwidrig sei, dies aber auf das Versprechen der Geldzahlung oder einer sonstigen Entlohnung im allgemeinen nicht zutreffe; dieses könne daher durchgesetzt werden. Ferner hat Kühne (ZPR 1975, 184) die Sittenwidrigkeit des mit einer Prostituierten geschlossenen Vertrages allgemein verneint. Der Ansicht Rothers hat sich in jüngerer Zeit Damm (Luchterhand, BGB, Rz 196 zu § 138) angeschlossen. In Österreich vertritt Krejci (in Rummel, ABGB, Rz 75 zu § 879) die Meinung, daß die Gewährung des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt einer schuldrechtlichen Verpflichtung nicht fähig sei. Mit dem Persönlichkeitsschutz sei das Gebot eng verbunden, die sexuelle Integrität des einzelnen entsprechend zu respektieren. Insb solle sie nicht zum Gegenstand der Kommerzialisierung werden. Unter den guten Sitten iSd § 879 Abs 1 ABGB ist nach dem jüngeren Schrifttum (Koziol - Welser, 8. Auflage, I 139; Krejci aaO Rz 55 zu § 879) und der jüngeren Rsp (EvBl 1980/117; vgl auch JBl 1986, 539 ua) der Inbegriff jener Rechtsnormen zu verstehen, die im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen sind, sich aber aus der richtigen Beurteilung der rechtlichen Interessen ergeben, die nicht gröblich verletzt werden dürfen. Maßgebend sind (jedenfalls) die aus der Rechtsordnung ablesbaren Wertungsgesichtspunkte (EFSlg 43.725). Im Zusammenhang mit der Prostitution werden häufig der Leichtsinn, die Unerfahrenheit, die Triebhaftigkeit und die Trunkenheit von Personen ausgenützt. Dies wird in der angeführten E des BGH mit Recht hervorgehoben. Daß ein solches Verhalten dem Geist der Rechtsordnung widerspricht, zeigen mehrere gesetzliche Bestimmungen (vgl etwa § 566, § 865 und § 879 Abs 2 Z 4 ABGB). Wenn auch im einzelnen Fall der Tatbestand dieser Bestimmungen nicht erfüllt sein mag, macht schon die Gefahr solcher Ausnützung solche Verträge bedenklich. Dem entspricht, daß die Wette, das Spiel und das Los auch dann, wenn sie erlaubt sind, gem § 1271 ABGB nur eine Naturalobligation begründen. Auch hiebei ist die Gefahr der Ausnützung schutzwürdiger Personen besonders groß. Indizien für Sittenwidrigkeit sind ferner eine zu mißbilligende Kommerzialisierung (Krejci aaO Rz 75 zu § 879 ABGB; Mayer-Maly in: Bydlinski ua, das Bewegliche System im geltenden und künftigen Recht 122), eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsschutzes und eine Gefahr für familienrechtliche Institutionen (vgl Krejci ebendort 133). All dies trifft auf die Prostitution zu. Sie richtet sich insb gegen die Institution der Ehe, weil sie oft zu Ehebruch führt (vgl EFSlg 41.175) der durch die Rechtsordnung auch außerhalb des Scheidungsrechtes (§ 47 EheG) verpönt wird (§ 543 ABGB; § 194 StGB). Die angeführten Gesichtspunkte führen jedenfalls in ihrer Gesamtheit dazu, daß ein Vertrag über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt gegen die guten Sitten verstößt. Die Nichtigkeit eines solchen Vertrages muß entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung nicht zur Folge haben, daß auch ein schon bezahltes Entgelt zurückverlangt werden kann. Bei Nichtigkeit des Vertrages ist nach beiderseitigem Leistungsaustausch nur dann rückabzuwickeln, wenn der Normzweck auch dies erfordert, dh die Vermögensverschiebung - und nicht nur der Zwang zur Erfüllung - mißbilligt wird (Apathy in Schwimann, ABGB, Rz 27 zu § 879 und Krejci aaO Rz 258 zu § 879 jeweils mwN). Die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes über die entgeltliche geschlechtliche Hingabe wird daher nicht davon berührt, daß eine bereits eingetretene Vermögensverschiebung hier idR nicht wieder rückgängig gemacht werden kann (vgl SZ 54/70). Die Kl berufen sich in der Revision zu Unrecht darauf, daß die Prostitution in Österreich nicht strafbar ist, daß eine Prostituierte nach der Rsp des OGH Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges hat und daß ihre Einkünfte der Besteuerung unterliegen. Die Tatsache, daß die Prostitution nicht verboten ist, bedeutet nur, daß damit im Zusammenhang stehende Rechtsgeschäfte nicht schon deshalb nichtig sind, weil sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Sie bedeutet aber nicht, daß die Rechtsordnung Rechtsgeschäfte hierüber billigt und für durchsetzbar hält. Der Anspruch der Prostituierten auf Ersatz des Verdienstentgangs wurde in der E SZ 54/70 unabhängig von der Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts zwischen der Prostituierten und ihren Kunden wegen der Besonderheiten der schadenersatzrechtlichen Regelungen bejaht. Es ist hieraus daher für den Standpunkt der Kl nichts zu gewinnen. Dasselbe gilt schließlich für die Rsp des VwGH (VwSlg 5758 F), wonach die Einkünfte einer Prostituierten als Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach (dem damals geltenden) § 23 Z 1 EStG 1972 der Einkommensteuer unterliegen. Auch diese Besonderheit des Steuerrechts hat nichts mit der Frage zu tun, inwieweit Rechtsgeschäfte über die Prostitution sittenwidrig sind, zumal daraus nicht abgeleitet werden kann, daß die Rechtsordnung den Rechtsgeschäften die zu Einkünften einer Prostituierten führen, die Durchsetzbarkeit gewähren will. Wenn der Staat die Prostitution zwar nicht verhindern kann, sie aber mißbilligt, wäre es unvertretbar, die daraus erzielten Einkünfte durch Gewährung der Steuerfreiheit zu privilegieren (ebenso auch der BGH in der angeführten E). Der erkennende Senat kommt daher in Übereinstimmung mit der bisher überwiegend vertretenen Auffassung zu dem Ergebnis, daß ein Vertrag über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt gem § 879 Abs 1 ABGB sittenwidrig ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die anerkannten Normen der Moral mit zu berücksichtigen sind (so EvBl 1980/117; aM zB Krejci aaO Rz 75 und Koziol - Welser aaO) und ob diese die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt als unsittlich erscheinen lassen, weil sich die Sittenwidrigkeit schon aus anderen, im Vorstehenden dargelegten Erwägungen ergibt. Diese Erwägungen schließen es auch aus, im Sinn der Ausführungen von Rother (aaO 505 ff) den mit einer Prostituierten geschlossenen Vertrag in seine beiden Versprechensbestandteile zu zerlegen und nur das Versprechen über die geschlechtliche Hingabe, nicht aber auch das Versprechen auf Bezahlung des Entgelts als sittenwidrig anzusehen. Die Ansicht Kühnes (aaO), der sich nur auf die gegenwärtigen Moralvorstellungen und die Verbreitung der Prostitution beruft, trägt den Kriterien der Sittenwidrigkeit nach österr Recht nicht Rechnung, weshalb ihr ebenfalls nicht gefolgt werden kann. Die zwischen den beiden Kl und dem Bekl geschlossenen Rechtsgeschäfte sind daher nichtig. Ohne Bedeutung ist hier, ob eine absolute oder bloß eine relative, also nur über Einwendung des schutzwürdigen Teiles wahrzunehmende Nichtigkeit vorliegt (vgl hiezu Koziol - Welser aaO 140 mwN in FN 34), weil der Bekl zu den schutzwürdigen Personen gehört und die Nichtigkeit im Umfang der Abweisung des Klagebegehrens durch das BerufungsG eingewendet hat. Dem BerufungsG ist schließlich iS der Ausführungen von Krejci (aaO Rz 78 zu § 879) auch darin beizupflichten, daß neben dem Vertrag über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt auch alle Verträge sittenwidrig sind, die eine Teilnahme am Profit kommerzieller Ausbeutung der Sexualität bezwecken. Auch hiefür treffen die dargelegten, die Sittenwidrigkeit des Vertrages über die geschlechtliche Hingabe begründenden Erwägungen zu. Es ist daher der Vertrag über die Benützung der Sauna ebenfalls sittenwidrig, weil er dazu diente, die vom Bekl angestrebte geschlechtliche Hingabe der beiden Kl zu ermöglichen und daraus Gewinn zu erzielen. Der Bekl hat demnach das hiefür vereinbarte Entgelt ebenfalls nicht zu bezahlen.