Bei der fast quadratischen Planzeichnung (85,5 x 83,5 cm) handelt sich um eine kolorierte Federzeichnung auf Papier. Die entsprechenden Legenden sind auf alt-türkisch in arabischer Schrift verfasst. Aufgefunden wurde die Planzeichnung im Jahr 1688, nach der Einnahme von Belgrad durch die kaiserlichen Truppen.

War man im späten 19. Jahrhunderts noch der Auffassung, dass es sich bei dem Plan nur um eine „linkisch angefertigte“ (Camesina) Skizze handelte, in der die topographischen Verhältnisse nur ungenau wiedergegeben wurden, haben spätere Forschungen gezeigt, dass dieses kategorische Urteil der Planzeichnung nicht gerecht wird.

Tatsächlich gibt diese nicht nur die topographischen Verhältnisse und die Anordnung der militärischen Formationen relativ genau wieder, sondern sie vermittelt auch ein komprimiertes Bild der mythischen Vorstellungen, die die Osmanen mit der Festung Wien und einigen zentralen Gebäuden und Plätzen der Stadt verbanden.

Da der Plan einen genauen Überblick über die Aufstellung des osmanischen Heeres und seiner Verbündeten im Verlauf der gesamten Belagerung gibt, wird ersichtlich, dass das Objekt erst retrospektiv vollendet worden sein kann und vermutlich die Funktion hatte, die Kampfhandlungen zu erläutern.

Als zentrales, strukturierendes Element fungieren die Befestigungsanlagen der Stadt Wien. Innerhalb der Mauern finden sich einige repräsentative Bauten, die mit realen Bauten der Stadt korrespondieren (Hofburg, Stephanskirche) beziehungsweise Örtlichkeiten entsprechen, die im osmanischen Geschichtsmythos mit der ersten Belagerung von Wien durch Süleyman I (reg. 1520-1566) in Verbindung gebracht werden. Die Bauten außerhalb der Festung, also die Vorstädte Wiens, sind im Gegensatz dazu, stereotyper dargestellt.

Von den präzisen ortsbezogenen Angaben abgesehen, fußen zentrale Aspekte der Darstellung in der piktoralen Tradition des osmanischen Reichs. Dies kann vor allem durch einen Vergleich mit Stadtansichten der Miniaturmalerei aus der Zeit Süleymans veranschaulicht werden. Der Schematismus, der in der Darstellung der weltlichen und sakralen Bauten der Planzeichnung deutlich wird, erinnert außerdem an Abbildungen etwa der Schreine von  Nadschaf (Najaf )  und Kerbala sowie anderer zentraler Orte muslimischen Glaubens, wie wir sie auf den weitverbreiteten islamischen Pilgerfahrtrollen finden.

Jedoch auch literarische Quellen, allen voran die um einige Jahrzehnte vor der Planzeichnung entstandenen Reisebeschreibungen des Evliya Celebi (1611- ca. 1685), geben Aufschluss darüber, wie die Planzeichnung in der kulturhistorischen Tradition des osmanischen Reichs zu situieren ist. Schließlich kann auch der internationale Einfluss auf derartig militärische Pläne, vor allem dank der mannigfaltigen Kopiertätigkeit von Kartenmaterial nicht außer acht gelassen werden.

Heute zählt die osmanische Planzeichnung der Festung Wien zu den Prunkstücken der Sammlung zu den Türkenkriegen des Wien Museum Karlsplatz.

 

Alexandra Caruso

 

Literatur: 

Kreutel, Richard F., Ein zeitgenössischer türkischer Plan zur zweiten Belagerung Wiens, in: Wiener Zeitschrift für die  Kunde des Morgenlandes, Wien 1953 / 55, S 212- 368.

Schausammlung, Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 1984.

Camesina, Albert, Wien´s Bedrängnis im Jahre 1683, in: Berichte und Mitteilungen des Altertums-Vereines zu Wien, Bd. VIII. Wien 1865.

Kreutel, Richard F. / Prokosch, Erich, Im Reich des Goldenen Apfels, Des türkischen Weltenbummlers Evliyâ Celebi denkwürdige Reise in das Giaurenland und in die Stadt und Festung Wien anno 1665, Graz-Wien-Köln 1987.