Das Manuskript, dass in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts in die k. u k. Hofbibliothek gelangte[1], beinhaltet eine Abschrift eines Klassikers der arabischen Literatur. Die Makamen, Versammlungen, beschreiben die Abenteuer des listigen und wortgewandten Schelms Abu Zaid, welcher auf seinen Reisen die verschiedensten Situationen zu seinen Gunsten wenden kann, wobei er nicht immer im Einklang mit der offiziellen Moral handelt. Fünfzig dieser schon vorher existierenden Erzählungen wurden um 1100 von Al-Hariri niedergeschrieben[2]. Diese Version der Makamen erlangten im 13. und 14. Jahrhundert eine große Popularität, von der eine hohe Anzahl von erhaltenen Kopien zeugt, unter ihnen 13 mit Illustrationen. 

Mit dem Entstehungsjahr 1334, das wir aus dem Kolophon kennen, ist das Wiener Exemplar eine der letzten, uns erhaltenen, illustrierten Hariri Handschriften. Sie wird  Kairo, der damaligen Hauptstadt des Sultanates und Kaliphates des Mamlukenreiches, zugeordnet[3]. Die Handschrift ist mit Ausnahme des originalen Einbandes und vermutlich 16 Blättern[4], vollständig erhalten.

Die Ausstattung der 195 Folios, mit den Maßen von 370x 225mm, ist sehr reich. Der in mamlukischem Nas’chi geschriebene Text ist, durch auf Goldgrund aufgestempelte Wirbelrosetten, gerahmte und mit Arabesken verzierte Überschriften und 70 Illustrationen bereichert. 

Die Handschrift gehört einer Gruppe von frühmamlukischen Manuskripten an, welche ihre Vorbilder in Beispielen der Bagdadschule und in der Buchmalerei der Mosulgruppe haben. Der Einfluss der ersten Gruppe beschränkt sich  auf wenige eklektisch verwendete Motive, während die Mosulgruppe als direkteres Vorbild gelten kann.  Dies zeigt sich  im Wiener Hariri in der Verwendung verschiedener zeichenhafter  Motive, wie z.B. langstielige Phantasiepflanzen, die Landschaften andeuten, und stilistische Ähnlichkeiten,  v.a. in der Menschendarstellung und der Art der Definition der Gewandfalten zu finden.

Die Umformung dieser Merkmale ins Zeichenhafte, Dekorative und Ornamentale erreicht im Wiener Hariri seinen Höhepunkt.

Die Illustrationen, in denen Figuren  mit reich ornamentierten Gewändern dominieren, bestechen durch ihre leuchtende Farbigkeit und die flächig-dekorativen Kompositionen, die einen  hier in Wien als Vorwegnahme von Gestaltungsprinzipien Gustav Klimts im frühen 20. Jahrhunderts erscheinen. Sie machen in ihrer durchgängigen Einheitlichkeit den Wiener Hariri zum prachtvollsten Beispiel der frühmamlukischen Buchmalerei.

Doris Schneider

 

Literatur:
Duda, Dorothea, Die Illuminierten Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek, Islamische Handschriften II: Die Handschriften in Arabischer Sprache (Textband und Tafelband), Wien, 1992.
Haldane, Duncan, Mamluk Painting, Warminster, 1978.
Holter, Kurt, Die Galen Handschrift und die Makamen des Hariri der Wiener Nationalbibliothek, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Sonderheft 104, Wien, 1937

Grabar, Oleg, The Illustrations of the Maqamat, Chicago und London 1984.
 


[1] Duda, Dorothea, Die Illuminierten Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek, Islamische Handschriften II: Die Handschriften in Arabischer Sprache (Textband), Wien, 1992, S. 21.[2] Atil, Esin; Renaissance of Islam, Art of the Mamluks, Washington, 1981, S. 258.[3] Duda, 1992, (zit. Anm. 1), S. 37, 38.[4] Ebenda, S. 20.