Christian Swertz

Konzepte und Methoden zur Qualitätssicherung bei der Produktion von hypertextuellen Online-Lernumgebungen.

Die didaktische Ontologie der Webdidaktik ermöglicht die Qualitätssicherung von Prozessen und Ergebnissen bei der Produktion von Online-Lernumgebungen. Die Qualität wird durch die am pädagogischen Prozess beteiligten Menschen bestimmt. Der Qualitätssicherungsprozess kann durch Software unterstützt werden.

Beispiele

Die Qualitätssicherung in hypertextuellen Online-Lernumgebungen impliziert einen Paradigmenwechsel vom Buchdruck zur vernetzten Computertechnologie (Swertz 2000a: 431f.). Da Paradigmenwechsel durch Gestaltwechsel anhand von exemplarischen Beispielen vollzogen werden (Kuhn 1981), beginne ich mit zwei Beispielen aus der Produktion von hypertextuellen Online-Lernumgebungen.

Abbildung 1 ist dem Lerndorf (www.lerndorf.de) entnommen. Das Lerndorf ist eine Installation der Online-Lernplattform InLearn, die an der pädagogischen Fakultät der Universität Bielefeld entwickelt und eingesetzt wird. Die abgebildete Wissenseinheit hat die Qualitätskontrolle im Lerndorf bereits durchlaufen. Die Wissenseinheit enthält eine Definition des Spielbegriffs von Scheuerl. Der Text lautet:

"Spiel wäre das Urphänomen einer Bewegung, die durch die Ganzheit jener sechs Hauptmomente gekennzeichnet ist: durch Freiheit, innere Unendlichkeit, Scheinhaftigkeit, Ambivalenz, Geschlossenheit und Gegenwärtigkeit (Scheuerl 1968: 115)."

Über dem Inhalt werden Links auf Wissenseinheiten mit den Wissensarten Erklärung, Definition und Argumentation zum Thema "Spiel (Scheuerl)" angezeigt. Die aufgerufene Wissensart "Definition" ist markiert. Über den Wissensarten wird mit "Spiel (Scheuerl)" das Thema der Lerneinheit angezeigt. Die Seite ist im Lexikonmodus aufgerufen, in dem Lernerinnen und Lerner selbstgesteuert durch das Wissen in der Lernumgebung navigieren können. Abgebildet ist der Index; das aufgerufene Thema ist hervorgehoben. Die Links unter der alphabetischen Themenliste führen zu weiteren Retrievalwerkzeugen. Der Link "Lexikon beenden" führt zu der persönlichen Startseite zurück, von der aus Kurse, Konferenzen, Prüfungen, das Lexikon etc. aufgerufen werden können.

Screenshot aus dem Lerndorf
Abbildung 1: Screenshot aus dem Lerndorf (www.lerndorf.de)

Wie ist die Qualität dieser Wissenseinheit zu beurteilen? Der Inhalt der Wissenseinheit ist sachlich richtig. Der Text enthält keine impliziten Referenzen. Es handelt sich tatsächlich um eine Definition. Die Definition ist dem Thema richtig zugeordnet. In medialer Hinsicht ist die Seite einfach gestaltet, mit der Metapher des Rades für die Bewegung und der Metapher des Kreises für die Ganzheit der sechs Elemente der Definition jedoch ausreichend. Das Thema ist nach den Konventionen für die terminologische Kontrolle im Lerndorf richtig gewählt, da die Seite nicht das Thema Spiel im Allgemeinen behandelt, sondern die Definition von Scheuerl. Es sind in der Abbildung nicht wiedergegebene Relationen zu assoziierten Lerneinheiten zum Spiel und zum Oberbegriff vorhanden. Die Erklärung der Elemente des Spielbegriffs findet sich in der Wissenseinheit "Erklärung". Es wäre wünschenswert, zu dem Thema der Lerneinheit noch eine Orientierung und ein Beispiel zu produzieren. Erforderlich ist auch eine Wissenseinheit mit einer Literaturliste. Zusammengefasst ist die Qualität der wiedergegebenen Wissenseinheit gut, die Lerneinheit muss noch erweitert werden.

Screenshot aus dem ZUB
Abbildung 2: Screenshot aus dem Zentrum für Umweltwissen und Bildung (www.zub-online.de)

Ein zweites Beispiel für die Qualitätskontrolle in Online-Lernumgebungen ist in Abbildung 2 wiedergegeben. Die Seite ist dem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojekt "Zentrum für Umweltwissen und Bildung" (ZUB) entnommen. In diesem Projekt wird eine Lernumgebung zur beruflichen Umweltbildung produziert. Der Autor hat die Wissenseinheit als fertig markiert, die Wissenseinheit hat die Qualitätskontrolle des ZUB jedoch noch nicht durchlaufen. Die Seite enthält folgenden Text zum Thema Facilitymanagement:

Facility Management und Umweltmanagementsysteme.
Da ein CAFM-System bereits umweltrelevante Informationen zu den im Betrieb vorhandenen Ressourcen erfasst und verwaltet, liegt es auf der Hand das FM mit einem Umweltmanagementsystem (UMS) zu ergänzen.
Mittels der Informationen, welche im CAFM zu Gefahrgütern, genehmigungspflichtigen Anlagen und anderen umweltrelevanten Objekten gespeichert sind, ist es möglich die in einem UMS geforderten Umweltberichte bzw. Umwelterklärungen leichter zu erstellen. Das CAFM enthält aber nicht alle umweltrelevanten Daten, sondern es liefert nur Angaben zu statischen Daten aus der Objektverwaltung wie z. B. Flächengrößen oder Anzahl von Lagerplätzen für Gefahrgut. Dynamische Daten, welche zur Bildung von Umweltkennzahlen nötig sind, werden nicht von einem CAFM geliefert.
Mit einem CAFM ist es möglich Schwachstellen zu analysieren und sichtbar zu machen. Es wird sichtbar wo was gelagert wird bzw. wo etwas gebraucht wird. Mit diesem Wissen kann man bestimmte Lagerorte so zusammenfassen oder umlegen, dass Wege verkürzt und wertvolle Flächen freigegeben werden."

Die Kontrolle der inhaltlichen Richtigkeit des Textes kann hier ausgeklammert werden. In formaler Hinsicht sind eine Reihe von Qualitätsmängeln festzustellen:

  1. Der Text enthält mit der Abkürzung "CAFM" eine implizite Referenz. Die Wissenseinheit ist daher nicht in sich geschlossen. Wenn Lernerinnen und Lerner in einem individuellen Lernverlauf diese Seite vor derjenigen aufrufen, auf der die Erläuterung zu finden ist, wird das Verständnis erschwert und der Lernprozess unterbrochen. Die Abkürzung CAFM muss entweder in dieser Wissenseinheit erläutert werden, oder es muss eine Relation auf die Seite mit der Erläuterung angeboten werden.

  2. Der Autor hat die Wissenseinheit als Handlungswissen typisiert. Handlungswissen antwortet auf die Frage "Wie ist es anwendbar?" (Meder 2001: 5). Der Autor schreibt z.B., dass es mit CAFM leichter möglich ist, Umweltberichte zu erstellen. Damit wird zwar ein Kontext hergestellt und CAFM in den Zusammenhang mit Umweltberichten gebracht. Es wird aber nicht gesagt, was ich tun muss, um mit einem CAFM einen Umweltbericht zu erstellen. Handlungswissen erfordert Formulierungen wie: "Gehen Sie zur Erstellung eines Umweltberichts mit ihrem CAFM folgendermaßen vor: ...". Die Wissenseinheit enthält also kein Handlungswissen. Folgt nun in einem handlungsorientierten Lernverlauf nach der Orientierung Handlungswissen, und dieses Handlungswissen ist keines, können die Lernerinnen und Lerner lediglich resignieren ("Was soll das denn jetzt?") oder versuchen, das Handlungswissen selbst zu recherchieren. Auch in einem lexikalischen Zugriff stört die nicht zutreffende Typisierung der Seite als "Handlungswissen" die Rezeption, da das gewünschte Wissen nicht gefunden werden kann.

  3. Der Inhalt der Wissenseinheit stimmt nicht mit dem Thema der Lerneinheit überein. Zum Thema "Facilitymanagement" wird in dem Text kaum etwas gesagt. Das Thema der Seite scheint eher CAFM zu sein. Das führt in hypertextuellen Lernumgebungen zu Schwierigkeiten, weil die Lernerinnen und Lerner Inhalte leichter aufsuchen können, wenn Inhalt und Überschrift übereinstimmen. Wenn Lernerinnen und Lerner in einem Prozess selbstgesteuerten Lernens einen Lernbedarf artikulieren und dann z.B. mit dem Index zu einem gewünschten Thema navigieren, müssen die Seiten zu dem Thema auch Inhalte zu genau diesem Thema enthalten. Nachteilig ist es auch, wenn Lernerinnen und Lerner etwas zu einem Thema wissen möchten, das in der Lernumgebung behandelt wird, die Inhalte aber nicht auffinden können, weil das Thema nicht zutreffend angegeben wurde.

  4. Der Autor hat acht Wissenseinheiten mit dem Medientyp "Text" als Handlungswissen zum Facilitymanagement produziert. Er hat offenbar versucht hat, sich an die Vorgabe für die Länge von Wissenseinheiten von ca. eine Bildschirmseite zu halten. Er hat jedoch versucht, alle Inhalte in einer Lerneinheit unterzubringen. Da die Inhalte nicht alle auf eine Seite passten, hat er sie in acht Seiten mit Text unterteilt. Da dadurch acht nicht mehr ohne weiteres unterscheidbare Texte entstanden sind (auf den Links steht immer nur "Text") und einige Inhalte nicht zum Thema "Facilitymanagement" passen, hat der Autor mit Zwischenüberschriften eine charakteristische Fliesstextlösung verwendet. Das erschwert die Anordnung des eingegebenen Wissens durch andere Dozenten, da diese ihre Kurse nicht anhand der Metadaten zusammenstellen können, sondern die einzelnen Seiten erst analysieren müssen. Um diese Probleme zu vermeiden, muss der Autor eine relationierte Hypertextstruktur aufbauen. Dazu muss er eine neue Lerneinheit mit dem Thema "CAFM" anlegen, die vorhandene Wissenseinheit diesem Thema zuordnen und die neue Lerneinheit mit der Lerneinheit "Facilitymanagement" verlinken.

  5. In medialer Hinsicht ist die Seite sehr schlicht gestaltet. Gestaltungtechniken wie Fettsatz, Listen oder Tabellen können in hypertextuellen Lernumgebungen eingesetzt werden und unterstützen die Erfassung der Inhalte. Darüber hinaus wäre eine ikonische Repräsentation des Textes wünschenswert, beispielsweise in Form eines Flussdiagramms.

  6. Relationen zu anderen Lerneinheiten fehlen ganz.

Die Qualität der Wissenseinheit ist daher nicht ausreichend; auch die Lerneinheit muss umstrukturiert werden.

Qualitätskriterien für Lern- und Wissenseinheiten in Online-Lernumgebungen

Grundlage der eben durchgeführten Beurteilung der Wissens- und Lerneinheiten ist die didaktische Ontologie der Webdidaktik. Die bisherige Beurteilung bezieht sich auf die Nanoebene, d.h. auf eine einzelne Wissenseinheit, und auf die Mikroebene, d.h. auf die mehrere Wissenseinheiten zu einem Thema zusammenfassende Lerneinheit. Für die Qualitätskontrolle von Wissens- und Lerneinheiten können zunächst inhaltliche und didaktische Kriterien unterschieden werden. Inhaltliche Qualitätskriterien für Wissenseinheiten sind

  1. Die Wahrheit von Wissen ist oft nicht objektiv festzustellen. Zwar kann leicht überprüft werden, ob eine Definition richtig wiedergegeben wurde. Wenn jedoch z.B. der Begriff der Bildung definiert werden soll, trifft dieses Unterfangen auf Probleme, da keine schlechthin akzeptierte Definition von Bildung vorliegt, und nach dem Verlust der großen Erzählungen (Fromme 1997: 92) auch nicht zu erwarten ist. In einem solchen Fall können mehrere, sich möglicherweise widersprechende Bildungsbegriffe in die Lernumgebung eingestellt und durch Relationen verbunden werden. Dabei kann die Auswahl noch nach Kriterien wie Relevanz in der wissenschaftlichen Debatte oder hinreichender Breite der wiedergegebenen Positionen beurteilt werden. Das gelingt nicht mehr, wenn in Lernumgebungen Alltagserfahrungen oder subjektive Erlebnisse verwendet werden. Die Wahrheit solchen Wissens lässt sich nicht mit objektiven Kriterien sicherstellen. Die Qualität der Wahrheit des Wissens kann daher nicht nach allgemeinen Kriterien geprüft werden. Für die Überprüfung der Richtigkeit von Wissen in Online-Lernumgebungen können jedoch heuristische Methoden verwendet werden. Heuristische Methoden sind z.B. das Peer-Review-Verfahren und Lektoratsverfahren.

  2. Die Angemessenheit des Umfangs wird in der Didaktik traditionell durch Sachanalyse und Inhaltsreduktion sichergestellt. Eine Inhaltsreduktion ist erforderlich, da Vollständigkeit praktisch nicht erreicht werden kann und die Inhaltsreduktion nicht schlicht in die Verantwortung der Lernerinnen und Lerner gestellt werden kann. Für die didaktische Inhaltsreduktion liegen keine formalen Verfahren vor. Damit kann auch die Inhaltsreduktion nur mit heuristischen Methoden erfolgen. Es kann jedoch formal überprüft werden, ob das bereitgestellte Wissen ausreicht, um bestimmte Lernwege abzudecken. Wenn z.B. aufgabenorientiertes Lernen möglich sein soll, müssen auch Aufgaben vorhanden sein. Da viele Lernwege bestimmte Wissensarten enthalten, die in anderen Lernwegen nicht verwendet werden, erfordert die Individualisierung von Lernverläufen in Online-Lernumgebungen die Bereitstellung einer größeren Wissensmenge als z.B. ein Buch.

Didaktische Qualitätskriterien sind:

  1. Eine Wissenseinheit ist Kohäsiv, wenn alle externen Referenzen explizit gemacht werden. Wenn eine Wissenseinheit mit dem Satz "Wie wir eben gesehen haben,..." beginnt, dann verweist "eben" auf einen vorhergehenden Text. In hypertextuellen Lernumgebungen, die eine individuelle Navigation ermöglichen, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Wissenseinheiten in einer bestimmten Reihenfolge abgerufen werden. Implizite Referenzen müssen daher in explizite Referenzen überführt werden.

  2. Die Granularität der Wissenseinheiten muss so gewählt werden, dass die Wissenseinheiten als Ganzes auf einmal überschaut werden können (Meder 2002b: 17). Wie viel Inhalt ohne weiteres überblickt werden kann, hängt vom verwendeten Ausgabegerät ab. Die Menge an ohne weiteres überblickbarem Text ändert sich mit der Größe von Monitoren, der eingestellten Bildschirmauflösung oder der Verwendung von Wheelmäusen.

  3. Die Zuordnung zum Thema der Lerneinheit muss richtig sein, d.h. zugeordnetes Thema und Inhalt der Wissenseinheit müssen übereinstimmen.

  4. Das Thema der Lerneinheit muss zutreffend formuliert sein. Das gilt vor allem für fächer- und institutionenübergreifende Lernumgebungen. Solche Lernumgebungen erfordern eine Konvention, die angibt, wie die Übereinstimmung des begrifflichen Umfangs des Themas einer Lerneinheit mit dem Inhalt hergestellt werden soll. Wenn das Thema z.B. "Division" lautet, die Inhalte aber die Division von Brüchen behandeln, ist das Thema zu weit formuliert. Eine mögliche Konvention ist es, den Unterbegriff in Klammern hinter das Thema zu setzen: "Division (Brüche)".

  5. Die Kohärenz zwischen Wissenseinheiten wird durch die Typisierung der Wissenseinheiten und die Zuordnung zur Lerneinheit hergestellt. Wenn eine Wissenseinheit als Beispiel typisiert wird und eine andere als Erklärung, ist klar, dass die Erklärung das Beispiel erklärt. Typisierung und Inhalt müssen also übereinstimmen. Die Kohärenz zwischen Lerneinheiten wird durch typisierte Relationen hergestellt, z.B.: A ist Oberbegriff von B. Diese Typisierung muss zutreffend sein.

Die bisher genannten Qualitätskriterien ermöglichen die Qualitätssicherung von einzelnen Wissens- und Lerneinheiten für hypertextuelle Lernumgebungen. Da die Qualitätskontrolle einzelner Wissenseinheiten fortlaufend erfolgen kann, sind diese Kriterien gut für eine prozessbegleitende Qualitätssicherung (formative Evaluation) bei der Produktion von Online-Lernumgebungen geeignet.

Für die Beurteilung der Makroebene von Online-Lernumgebungen sind weitere Kriterien erforderlich. Nach Meder (2000: 182ff., dort ist auch der im folgenden nur auszugsweise wiedergegebene Kriterienkatalog vollständig abgedruckt) ist die Produktion von Online-Lernumgebungen als Abbildung einer sachlogischen Beziehung in die Lernzeit zu verstehen und in drei Dimensionen zu beurteilen:

  1. Die Abbildung von Sachverhalten in die Zeit meint die logisch-operative Dimension von Lernumgebungen. Damit wird die Ausrichtung der Navigation in der Lernumgebung an der sachlogischen Struktur des Stoffes bezeichnet. Wenn z.B. induktiv vorgegangen wird, muss im Lernprozess verallgemeinert werden; wenn dezentrisch vorgegangen wird muss der Lerngegenstand zunehmend in seinen weiteren Zusammenhang gestellt werden (Meder 2002b: 16ff.).

  2. Die Technik der Dramaturgie bezeichnet die Abbildung von Sachverhalten in den sozialen Raum und die Einbindung des Lernprozesses in die Lebensgeschichte des Lerners. Zur Beurteilung der Lernumgebung ist z.B. zu prüfen, ob das Lernmaterial in eine Geschichte eingebettet ist oder ob der Lernprozess über das Lösen von Problemen gesteuert wird (Meder 2002b: 21ff.)

  3. Die Technik medialer Darstellung bezeichnet die Veranschaulichung von Sachverhalten. Hier ist z.B. die Variabilität der Abbildung auf unterschiedliche mediale Formen wie Video, Vortrag oder Animationen zu beurteilen.

Diese Kriterien werden von Meder entwickelt aus einer Theorie der Evaluation didaktischer Lernumgebungen im Anschluss an Hönigswald. Hönigswald bestimmt den Sinn des pädagogischen Verhaltens als die " [...] Überlieferung eines bestimmten Wahrheits- beziehungsweise Geltungsbestandes von einer Generation an die nachfolgenden durch die Vermittlung der zeitlich nächsten" (Hönigswald 1927: 25). Hönigswalds Analyse richtet sich auf die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit der Pädagogik als Wissenschaft. Da Hönigswald annimmt, mit dieser Frage auch die Frage nach der Sinnbestimmung der erzieherischen Tätigkeit beantwortet zu haben, entwickelt er keine eigene Didaktik. Seine Begriffe der Konzentration und Determination können jedoch als Grundprinzipien einer Systematik und Methodik der Didaktik verstanden werden (Schmied-Kowarzik 1969: 245ff.). Die Entwicklung einer didaktischen Ontologie für das Online-Lernens aus Hönigswalds Ansatz kann hier nicht im einzelnen gezeigt werden. Für die Frage der Qualitätssicherung in Online-Lernumgebungen ist es jedoch erforderlich, die von Meder entwickelte Webdidaktik vorzustellen.

Die Webdidaktik

Die bisher vorgestellten Qualitätskriterien und Methoden werden auf bereits produzierte Seiten angewandt. Mit der Webdidaktik kann nun auch die Produktion von qualitativ hochwertigen Online-Lernumgebungen unterstützt werden. Als Methode wird dabei die Abbildung des didaktischen Konzepts auf Softwarewerkzeuge verwendet.

Bei der Webdidaktik handelt es sich um eine didaktische Ontologie für hypertextuelle Lernumgebungen. Ziel der Webdidaktik ist es, Lerninhalte für das entdeckende Lernen in hypertextuellen Online-Lernumgebungen zu strukturieren (Meder 2002b: 6). Hypertexte sind Texte, die Relationen zwischen Knoten durch Links und Anker herstellen. Die Knoten enthalten in Online-Lernumgebungen digitalisierte Inhalte. Mit Ankern und Links werden die Knoten so verbunden, dass die Aktivierung eines Ankers zur Darstellung des Links und des verbundenen Knotens führt (vgl. Kuhlen 1990). Online-Lernumgebungen sind Lernumgebungen, die hypertextbasiert in Computernetzwerken ablaufen.

Lernumgebungen lassen sich auf vielfältige Weise realisieren, wie z.B. die Lernumgebung des Jean Jaques im Emile oder die des Comenius im Orbis pictus. Als Dimensionen der Gestaltung von Lernumgebungen werden heute meist intentionale, inhaltliche, methodische, medienbedingte, anthropologisch-psychologische und situativ-sozial-kulturelle Aspekte unterschieden (Heimann 1976: 153f. ). Die Medien- und Methodenwahl rücken bei Online-Lernumgebungen in den Mittelpunkt. Es wird möglich, Medien- und Methodenwahl individuell für einzelne Lernerinnen und Lernern vorzunehmen. Das führt zu besonderen Anforderungen an die Organisation des Wissens in der Lernumgebung. Diese Anforderungen sind in der Webdidaktik formuliert.

Die Strukturierung von Inhalten erfolgt nach der Webdidaktik mit einem Wissensorganisationssystem und einer didaktischen Ontologie, die als Metadatensystem zur Typisierung von Lernmaterial realisiert ist. Die Inhalte müssen dafür dekontextualisiert und in einem didaktisch strukturierten Hypertext rekontextualisiert, d.h. didaktisch aufbereitet werden (zur De- und Rekontextualisierung von Wissen vgl. Flechsig 1991).

Das Wissensorganisations- und Metadatensystem kann hier nur skizziert werden: Wissen wird in Wissenseinheiten gegliedert. Wissenseinheiten sind in sich geschlossene Einheiten, die auf einmal überschaubar sind. Wissenseinheiten werden typisiert in der Wissensart, der Zielkategorie, der medialen Präsentationsform, der Relation und der Sachkategorie (Meder 2001: 3). Sie enthalten jeweils eine Wissensart und eine spezifische mediale Darstellung. Als Wissensarten werden rezeptive, interaktive und kooperative Wissenseinheiten unterschieden. Rezeptive Wissenseinheiten können Orientierungswissen, Erklärungswissen, Handlungswissen oder Quellenwissen enthalten. Interaktive Wissenseinheiten können Simulationen oder Tests enthalten. Kooperative Wissenseinheiten können geplante (z.B. Rollenspiele) und ungeplante Kommunikationen (z.B. tutorielle Betreuung (Rautenstrauch 1991)) enthalten. In der Zielkategorie werden die Lernziele der Wissenseinheiten beschrieben. In der medialen Dimension können die Wissenseinheiten Texte, Tabellen, Abbildungen, Bilder, Videos, Animationen, Chats, Foren etc. enthalten.

Wissenseinheiten werden zusammengefasst zu Lerneinheiten. Lerneinheiten sind Behälter für Wissenseinheiten zu einem Thema. Die Relationen in einer Lerneinheit ergeben sich im wesentlichen aus den Wissensarten. Relationen zwischen den Lerneinheiten sind z.B. "ist Teil von" oder "ist neben". Durch die typisierten Relationen entsteht eine topologische Struktur von Lerneinheiten. Auf die Relationen zwischen den Lerneinheiten können Lernverläufe wie z.B. exemplarisches Lernen oder induktives Lernen abgebildet werden. Damit können die Inhalte automatisch für verschiedene Lernstrategien angeordnet werden. Eine Übersicht über das System der Webddiaktik bietet die folgende Tabelle:


Rezeptive Wissenseinheiten

Interaktive Wissenseinheiten

Kooperative Wissenseinheiten

Sachdimension

Drei- oder mehrstufiger Thesaurus

Kompetenzdimension

Tätigkeits- bzw. oder Rollenbeschreibung

Mediale Dimension

Darstellungsmedien

Interaktive Medien

Kommunikationsmedien

Wissensdimension

Wissensart

Antwort auf Fragen

Aufgabentypen

Ausfüllen von Leerstellen

Kooperationsformen

(Wissenskommunikation)

Relationale Dimension

Sachrelation

Einbindung in Lerneinheiten mit didaktischen. Relationen (didaktisch vor, gehört zu)

Sachrelationen in Beziehung auf die Themen der Kooperation

(nach: Meder 2001: 4)

Die Webdidaktik ist im Blick auf die technische Realisierbarkeit in die Form eines Metadatensystems gebracht worden. Ausgehend von dem Metadatensystem können Werkzeuge für die Produktion von Online-Lernumgebungen entwickelt werden. Solche Werkzeuge werden hier als Lernplattformen bezeichnet.

Lernplattformen

Mit der Programmierung von Lernumgebungen wird eine Form der Qualitätssicherung möglich, die bisher wenig beachtet worden ist. Ansatzpunkt ist der Umstand, dass Menschen ihre Handlungen auch an der Welt ausrichten. Medien als Teil der Welt sind Gegenstände, die von Menschen als Zeichen verwendet werden (Swertz 2000b: 69ff.). Die gegenständliche Dimension von Medien strukturiert die Handlungen von Menschen im Gebrauch des Mediums. Bei Lernplattformen sind die verwendeten Algorithmen als gegenständliche Struktur des Mediums zu verstehen (Swertz 2000b: 153ff.). Damit können Handlungen durch die verwendeten Algorithmen beeinflusst werden. Dabei gilt: Wenn ein Algorithmus genutzt wird, kann im Gebrauch hinter die damit festgelegte Struktur nicht zurückgegangen werden. Es ist also möglich, sich für oder gegen eine Lernplattform zu entscheiden oder eine Lernplattform zu entwickeln; es ist aber nicht möglich, sich für eine Lernplattform zu entscheiden und diese dann in einem anderen als dem in den Algorithmen ausgedrückten Sinn zu verwenden.

Die Qualität von Online-Lernumgebungen kann nun dadurch erhöht werden, dass die Handlungen der am Lernprozess beteiligten Menschen durch Abbildung pädagogischer Prinzipien auf Algorithmen strukturiert werden. Computertechnologie hat dabei den Vorzug, dass Algorithmen relativ einfach erstellt und verändert werden können.

Damit kann pädagogisches Verhalten weder ersetzt noch automatisiert werden. Pädagogisches Verhalten weist stets auch irrationale Momente auf (Hönigswald 1927: 19f.), die zwar wissenschaftlich reflektiert werden können, die aber nicht determiniert sind und daher in der Praxis Verstehen erforderlich machen (Oevermann 1997).

Auch die Produktion und Beurteilung von Lernumgebungen erfordert Verstehen. Computertechnologie kann jedoch nicht verstehen. Daher ist es nicht möglich, Computertechnologie zur Qualitätssicherung so einzusetzen, dass die Qualität von Online-Lernumgebungen durch automatisierte Verfahren beurteilt wird. Es ist jedoch möglich, mit Algorithmen einen Spielraum zu gestalten. Indem der Spielraum so gestaltet wird, dass ungeschickte Spielzüge als solche erfahrbar werden, kann die Produktion qualitativ hochwertiger Lernumgebungen unterstützt werden. Ein Beispiel bietet Abbildung 2. Indem die Software aus der Eingabe des Autors acht ununterscheidbare Links generiert, wird sofort sichtbar, dass hier die hypertextuelle Strukturierung nicht gelungen ist.

Die Qualität von Online-Lernumgebungen kann nun gesteigert werden, indem die Lernplattform nach pädagogischen Prinzipien gebaut wird. Indem die didaktische Ontologie der Webdidaktik als Software realisiert wird entsteht ein Medium, dass einen Spielraum mit Spielregeln eröffnet, die Autorinnen und Autoren zum guten Spiel und zur kreativen Gestaltung verleiten können. Dadurch kann die Qualität von Online-Lernumgebungen verbessert werden

Qualität

Merkmale der Qualität von Online-Lernumgebungen sind die Prozesse und Ergebnisse im Blick auf Lehrende, Lernende und Lernmaterial. Der Qualitätsbegriff wird hier verwendet, weil Qualität dem Evaluationsbegriff in der Sicherung der Güte pädagogischen Handelns den Rang abgelaufen hat. Systematisch ist die Einführung dieses Begriffs möglicherweise nicht erforderlich. Dennoch kann ein neuer Begriff neue Sichtweisen auf den Gegenstand focussieren, die vorher zwar systematisch möglich waren, aber politisch nicht im Mittelpunkt standen. Qualität ist in diesem Sinne, wie Terhart treffend feststellt, zu einem Slogan in der Pädagogik geworden, der sich vor allem durch seine positive Konnotation und weniger durch seine begriffliche Schärfe auszeichnet (Terhart 2000: 809).

Den damit verbundenen Verschiebungen in der pädagogischen Politik soll hier nicht nachgegangen werden. Nur soviel, dass gerade im Blick auf Online-Lernumgebungen daran erinnert werden muss, den Mensch in seiner Menschlichkeit und nicht in seiner Nützlichkeit als Maßstab zu behalten.

Im Mittelpunkt der Diskussion zum Qualitätsbegriff steht für Terhart die Frage nach einem verabredeten, instrumentellen Gütemaßstab. Bestimmungen der Qualität werden nach Terhart auf theoretischer Seite in normativen, analytischen und empirischen Ansätzen vorgeschlagen und auf praktischer Seite in operativer Hinsicht versucht.

Dabei kann eine wie immer geartete Theorie der Qualität nicht schlichtweg zu qualitativ hochwertigem Handeln führen. Hier sei nur an Begriffe wie den pädagogischen Takt (Herbart 1979) oder die Professionalisierungsbedürftigkeit pädagogischen Handelns (Oevermann 1997) erinnert, in denen die Nichtdeterminiertheit pädagogischer Praxis reflektiert wird. Obwohl die Formulierung von instrumentellen Qualitätsmaßstäben nicht automatisch zu einer verbesserten pädagogischen Praxis führen kann, ist es möglich, Methoden zu entwickeln, die eine gute pädagogische Praxis unterstützen. Die Webdidaktik ist in diesem Sinne eine Regel für das pädagogische Sprachspiel mit vernetzter Computertechnologie. Die Regel führt nicht zwingend zum guten Spiel. Mit Online-Lernumgebungen nach der Webdidaktik werden vernünftig gestaltete Spielräume geschaffen, die zum guten Spiel herausfordern. Wer mitspielen möchte und wer gut spielt, zeigt sich nur im Spiel.


Literatur

Comenius, Johann Amos (1964): Orbis sensualium pictus. Osnabrück : Zeller.

Flechsig, Karl-Heinz (1991): Wissenssynthesen (Verfahren). Studienbrief im Weiterbildungsprogramm Wissensorganisator. GQWO: Göttingen.

Fromme, Johannes (1997): Pädagogik als Sprachspiel. Leske+Budrich:

Opladen.

Heimann, Paul (1976): Didaktik als Theorie und Lehre. In: ders.: Didaktik als Unterrichtswissenschaft. Klett: Stuttgart, S. 142-167.

Herbart, Johann Friedrich (1979): Zwei Vorlesungen über Pädagogik. In: Adl-Amini, Bijan: Pädagogische Theorie und Erzieherische Praxis. Stuttgart, S. 106-111.

Hönigswald, Richard (1927): Über die Grundlagen der Pädagogik. Ein Beitrag zur Frage des pädagogischen Universitäts-Unterrichts. Ernst Reinhardt: München.

Kuhlen, Rainer (1991): Hypertext. Ein nicht - lineares Medium zwischen Buch und Wissensbank. Springer: Berlin u.a.

Kuhn, Thomas S. (1981): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Suhrkamp: Frankfurt am Main.

Meder, Norbert (2000): Evaluation von Lern- und Spiele-Software. In: Fromme, J.; Meder, N.; Vollmer, N.: Computerspiele in der Kinderkultur. Leske+Budrich: Opladen, S. 176-227

Meder, Norbert (2001): Didaktische Ontologien. http://www.l-3.de/de/literatur/download/did.pdf (25.2.2002)

Meder, Norbert (2002a): Evaluation Tele-Kurssystem und Kursevaluation. Bielefeld (unveröffentlichtes Manuskript)

Meder, Norbert (2002b): Web-Didaktik (in Druck)

Oevermann, Ulrich (1997); Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In: Combe, A.; Helsper, W.: Pädagogische Professionalität. Frankfurt am Main. S.70-182.

Rautenstrauch, Christina (2001): Tele-Tutoren. Qualifizierungsmerkmale einer neu entstehenden Profession. W. Bertelsmann: Bielefeld.

Rousseau, Jean Jaques (1981): Emile oder über die Erziehung. 5. Aufl. Schöningh: Paderborn.

Terhart, Ewald (2000): Qualität und Qualitätssicherung im Schulsystem. Hintergründe - Konzepte - Probleme. In: Z.f.Päd. (6) 46, S. 809-829.

Scheuerl (1994): Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen. Beltz: Weinheim.

Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich (1969): Die Erziehungsphilosophie Richard Hönigswalds. In: Schmied-Kowarzik, W.; Benner, D.: Die Pädagogik der frühen Fichteaner und Hönigswalds. A . Henn Verlag: Wuppertal u.a.

Swertz, Christian (2000a): Ausbildung zum Gebrauch didaktischer Ontologien. In: Ohly, H.P.; Rahmstorf, G.; Sigel, A.: Globalisierung und Wissensorganisation. Würzburg, S. 431-442.

Swertz, Christian (2000b): Computer und Bildung. Bielefeld.