Christian Swertz

Didaktische Wissensorganisation in Online-Lernumgebungen.Erste Erfahrungen mit einer L3 - entwickelten Plattform für die Weiterbildung

Das Potential des Internet für die Erwachsenenbildung ist unbestritten: Individuelles Lernen als freie Wahl von Ort und Zeit gelten schon lange als Vorteile computergestützten Lernens. Die nutzung des Internet als mediale Grundlage von Lernprozessen eröffnet nun neue Möglichkeiten. Das Bielefelder Konzept der didaktischen Wissensorganisation bietet dazu einen theoretisch fundierten Rahmen, diese Potentiale in der Weiterbildung zu realisieren.

Das Konzept der didaktischen Wissenorganisation wird am Institut für die Informatik im Bildungs- und Sozialwesen an der pädagogischen Fakultät der Universität Bielefeld unter der Leitung von Prof. Dr. Meder entwickelt. Die Entwicklung wird zur Zeit im Rahmen Projekts »L3: Lebenslanges Lernen« (www.l-3.de) vom BMFT gefördert. In diesem mit 47 Mio. DM dotierten Projekt arbeiten bundesweit 18 Konsortialpartner an der Entwicklung einer Lernplattform nach dem Konzept der didaktischen Wissensorganisation. Über das L3-Projekt hinaus wird das Konzept bereits in einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Projekt angewendet (www.umweltwissen.de).

Das Konzept der didaktischen Wissensorganisation zielt auf die Verwendung des Internet als Lernmedium. Grundlage des Konzepts ist die Annahme, daß am Buchdruck orientierte didaktische Wissensorganisationsverfahren nicht ohne weiteres auf das Internet übertragen werden können. So können längere Texte am Bildschirm nur mühsam gelesen werden (wobei nicht die Verwendung von Text, sondern die Anordnung des Textes als Fließtext problematisch ist). Bei der Aufbereitung von Lerninhalten für Online-Lernumgebungen müssen die medialen Eigenschaften des Internet berücksichtigt werden. Folgende mediale Eigenheiten zeichnen die Computertechnologie aus:

Computertechnologie wird als Bildschirmmedium verwendet. Anders als z.B. das Fernsehen ist Computertechnologie in der Lage, die Inhalte und die Anordnung der Inhalte zu modifizieren. Während beim fertigen Film die Reihenfolge der Darstellung nach der Fertigstellung des Films nur mit hohem Aufwand geändert werden kann, ist eine solche Neuorganisation mit Computertechnologie relativ leicht möglich. Darüber hinaus bietet das Internet vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten, da ein digitaler Kanal zur Verfügung steht, über den viele Medien simuliert werden können. Das Internet ist aus didaktischer Sicht daher ein dynamisches Medium und ein Kommunikationsmedium.

Damit ist nun nicht nur eine Individualisierung von Lernzeit und Lernort, sondern auch eine Indidividualisierung des Lernmaterials für den einzelnen Lerner möglich. Darüber hinaus können modifizierte Anordnungen von gleichen Lerninhalten dazu verwendet werden, Kursmaterialien mit geringem Aufwand an einzelne Lerngruppen anzupassen. Das ermöglicht eine effiziente Wiederverwendung von produzierten Lerninhalten.

Wenn das Ziel ist, individualisierbares und wiederverwendbares Unterrichtsmaterial für das Internet zu erstellen, ist die kleinste zusammenhängende Einheit eine Bildschirmseite, die in der didaktischen Wissensorganisation als Wissenseinheit bezeichnet wird. Das Material muß auf der Ebene der Wissenseinheiten individualisiert oder reorganisiert werden. Stellt man sich einen Fernlernkurs, der traditionell z.B. einen Aktenordner füllt, in Bildschirmseiten zerlegt vor, ist unmittelbar deutlich, daß hier neue Wissensorganisationsprinzipien erforderlich sind. Diese Wissensorganisationsprinzipien müssen insbesondere drei Anforderungen erfüllen:

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden verwendet das Konzept der didaktischen Wissensorganisation ein Metadatensystem. Mit Metadaten, also Daten über Daten, werden die Lerninhalte beschrieben. Dadurch wird ein Problem gelöst, das bei der automatischen Anordnung von Lerninhalten besteht: Computertechnologie kann nicht verstehen. Um Lernmaterial neu zu ordnen ist aber ein Verständnis der Inhalte erforderlich. Dieses Verständnis, also die Bedeutung des Materials in didaktischer Hinsicht wird nun durch die Autorinnen und Autoren im Metadatensystem abgelegt. Auf das Metadatensystem können dann automatisierte Verfahren angewandt werden. Bei der Erzeugung der Navigationshilfen, der Wiederverwendung von Lernmaterial durch Trainer und der automatischen Anordnung von Lernmaterial für den einzelnen Lerner wird auf diese Metadaten zurückgegriffen.

Unter didaktischer Perspektive werden in dem Metadatensystem der Bielefelder didaktischen Wissensorganisation drei Typen von Wissenseinheiten unterschieden:

  1. Rezeptive Wissenseinheiten: Die Inhalte werden durch die Lernenden betrachtet. Das ist etwa bei Texten, Grafiken etc. der Fall.
  2. Interaktive Wissenseinheiten: In diesen Wissenseinheiten findet eine Interaktion mit der Computertechnologie statt.. Das ist z.B. bei Simulationen der Fall, bei denen Parameter von den Lernenden verändert und so Abläufe modifiziert werden. Zu den interaktiven Wissenseinheiten zählen aber auch Testaufgaben, die automatisch ausgewertet werden können. Solche Aufgaben können z.B. als Selbstkontrollaufgaben oder Prüfungsaufgaben verwendet werden.
  3. Kommunikative Wissenseinheiten: Bei diesen Modulen tauschen sich die Lernenden untereinander aus. Nach dem Konzept der didaktischen Wissensorganisation wird die Kommunikation also nicht wie bei CBTs oder Fernlehrbriefen nebem dem Kurs angeboten, sondern in den Lernverlauf selbst integriert. Auf diesem Weg können kommunikative Lernszenarien von Rollenspielen bis zu Open-Space-Konferenzen in Online-Lernumgebungen durchgeführt werden.

Im Metadatensystem sind nun eine Reihe systematisch unterschiedener rezeptiver, interaktiver und kommunikativer Typen vorgesehen, die hier nur exemplarisch angedeutet werden können: Für eine Typisierung der rezeptiven Module wird eine didaktische Differenzierung nach Wissensarten verwendet, die auf Flechsig zurückgeht. Flechsig unterscheidet zwischen Orientierungswissen, Erklärungswissen, Handlungswissen und Quellenwissen. Diese Wissensarten lassen sich als Antworten auf Fragen bestimmen: Orientierungswissen beantwortet die Frage »Was gibt es?«. Erklärungswissen beantwortet die Frage: »Warum gibt es das?«. Handlungswissen beantwortet die Frage: »Was kann ich tun?« und Quellenwissen beantworte die Frage: »Wo finde ich mehr darüber?«. Erklärungswissen läßt sich nun weiter in Definitionen, Was-Erklärungen etc. unterscheiden.

Die als rezeptive, interaktive oder kommunikative Wissenseinheiten typisierten Lerninhalte werden nun auch mit inhaltlichen Metadaten versehen. Zunächst werden die Wissenseinheiten thematisch geordnet. Jedes Modul gehört also zu einem Thema; oder umgekehrt: Die Inhalte zu jedem Thema werden in die verschiedenen Wissensarten zerlegt. Auf diese Weise entsteht zunächst eine Liste von Themen, die aus verschiedenen Perspektiven, nämlich denen der Wissensarten, dargestellt werden. Wird diese Themenliste alphabetisch geordnet, steht bereits ein Lexikon zur Verfügung. Nun ist ein Lexikon immer dann hilfreich, wenn man weiß, was man sucht; wenn also das Stichwort bekannt ist. Wenn man nur eine Vorstellung von einem Problem hat, die Lösung aber nicht kennt, ist eine Gliederung hilfreicher. Darum ist in der didaktischen Wissensorganisation eine zweistufige Gliederung vorgesehen, mit der ein thematisch strukturierter Zugang zum vorhandenen Wissen ermöglicht wird.

Die alphabetische Themenliste als Index und die Gliederung als Inhaltsverzeichnis werden nun durch eine Netzstruktur, einen Hypertext ergänzt. Zentral ist dabei die Verbindung der Themen durch typisierte Relationen (=Links). Es wird also durch die Autorinnen und Autoren angegeben, ob es sich bei der Verbindung von einem Thema zu einem anderen um eine Oberbegriff-Relation, eine Assoziationsrelation usw. handelt. Damit wird es möglich, die Bedeutung von Wissenseinheiten in einem Wissensnetz zumindest soweit abzubilden, daß eine automatische Neuanordnung von Lernmaterial möglich ist.

Nach dem Konzept der didaktischen Wissensorganisation werden für Online-Lernumgebungen also bildschirmgroße Wissenseinheiten erstellt, die jeweils nur eine Wissensart zu einem Thema enthalten. Die Themen sind über ein Lexikon, eine thematische Gliederung und einen Hypertext erschlossen.

Damit sind die wesentlichen Navigationshilfen für die Lernenden gegeben: Die Lernenden können anhand der Wissensart auswählen, welches Wissen sie sich aneignen wollen. Geht es um einen Überblick, ist das Orientierungswissen die erste Wahl. Geht es um Anwendung, ist Handlungswissen der richtige Weg. Wenn nun z.B. problemorientiert gelernt wird, läßt sich ein erster Zugang zum erforderlichen Wissen über die Gliederung finden und das Gebiet dann mit Hilfe der Hypertextstruktur erarbeiten. Zum Nachschlagen leistet das Lexikon wertvolle Hilfe.

Anhand der Wissensarten werden Dozenten auch bei der Anpassung von Kursmaterial unterstützt. Ist das Ziel z.B. die Aneignung theoretisch fundierter Grundlagen, sollte in einem Kurs vermehrt Erklärungswissen verwendet werden. Ist das Ziel dagegen, einen Überblick über ein Themengebiet zu verschaffen, wird vor allem Orientierungswissen verwendet. Mit der Auswahl von Lernmaterial für eine Lerngruppe stehen durch das Metadatensystem zugleich die erforderlichen Orientierungsmittel als Gliederung, Index und Hypertextstruktur zur Verfügung.

Mit den Wissensarten sind nun aber nicht nur vorgegebene Lernverläufe, sondern auch auf automatisch an den individuellen Bedarf angepaßte Lernverläufe realisierbar. Die Idee dazu geht auf den Göttinger Katalog didaktischer Modelle von Flechsig zurück. Flechsig geht dabei von der Annahme aus, daß die Vielfalt der didaktischen Methoden sich auf ein Repertoire an Modellen zurückführen läßt. Mit dem Göttinger Katalog didaktischer Modelle hat Flechsig diese Annahme eindrucksvoll belegt. Ein Ziel der didaktischen Wissensorganisation ist es nun, den Lernenden die Wahl des didaktischen Modells zu überlassen: Der Lerner wählt ein Modell (Exemplarisches Lernen, Frontalunterricht usw.), und die Computertechnologie präsentiert das vorhandene Material mit Hilfe der Metadaten automatisch im gewünschten Lernverlauf. So wird z.B. ein deduktiver Lernverlauf mit einem Thema beginnen, das im Wissensnetz eine hohe hierarchische Position einnimmt (die anhand der Oberbegriffrelationen automatisch gefunden werden kann), und von dort zu den jeweiligen Unterbegriffen fortschreiten.

Die Absicht der didaktischen Wissensorganisation ist nun in erster Linie, Autorinnen und Autoren bei der Erstellung von Lernmaterial und Lernerinnen und Lerner bei der Arbeit mit dem Material so zu unterstützen, daß Lernprozesse optimiert werden können. Das Ziel ist also die praktische Anwendung. In den Eingangs genannten Projekten werden dazu Online-Lehr- Lernplattformen entwickelt, die dem Konzept der didaktischen Wissensorganisation folgen. Im folgenden wird die Lernplattform kurz vorgestellt, die für das von der Bundestiftung Umwelt geförderten Projekt in Zusammenarbeit mit der JANUS software Projekte GmbH entwickelt worden ist, da diese Plattform bereits eingesetzt wird und verfügbar ist.

Das Janus-System enthält ein Autorensystem zur Eingabe von Inhalten, ein System zur Zusammenstellung von Kursen, ein Qualitätssicherungssystem und eine Lernplattform mit Kommunikationsumgebung und Benutzerverwaltung. Eine öffentlich zugängliche Installation der Lernplattform ist unter www.umweltwissen.de zu finden. Das Eingabesystem wurde so gestaltet, daß auch Autorinnen und Autoren ohne Programmierkenntnisse Inhalte eingeben und strukturieren können. Die Arbeit mit dem System erfolgt online über einen Internetbrowser, so daß keine Softwareinstallationen nötig sind. Die Eingabe von Inhalten läuft in drei Schritten ab:

  1. Zunächst wird das Thema angelegt. In einer Eingabemaske kann das Thema im gleichen Arbeitsschritt der Gliederung zugeordnet werden.
  2. Das Thema wird dann mit rezeptiven, interaktiven und kommunikativen Modulen gefüllt. Für die Texteingabe steht dabei eine einfache Eingabemaske zur Verfügung, in den der Text direkt eingegeben oder aus vorhandenem Material einkopiert wird. Grafiken, Sounds etc. können in das System geladen werden.
  3. Die Themen werden verknüpft. Dabei wird eine Liste der vorhandenen Themen angeboten, in der die Themen angeklickt werden, zu denen eine Relation hergestellt werden soll.

Auf diese Weise entsteht eine mit den Metadaten der didaktischen Wissensorganisation strukturierte Wissensbasis. Aus dieser Wissensbasis können nun Kurse zusammengestellt werden. Dazu werden aus einer Liste der vorhandenen Wissenseinheiten die Einheiten ausgewählt, die in einem geplanten Kurs verwendet werden sollen. So kann das gleiche Material schnell in verschiedene Kurse eingebracht werden. Dabei kann zugleich eine Reigenfolge empfohlen werden, so daß die Lerner auf Wunsche das Material auch angeleitet (»Guided Tour«) durcharbeiten können.

Für die Lerner entstehen dabei verschiedene Zugriffsmöglichkeiten auf das Material: Zum einen kann der Inhalt in Form von Kursen abgerufen, zum anderen aber auch in der strukturierten Wissensbasis frei navigiert werden, so daß invidiuelle Zugriffe auf das Material möglich sind.

Das Janus-System, das dem Konzept der didaktischen Wissenorganisation folgt, unterstützt so die didaktisch fundierte Erstellung von Online-Lernmaterial. Mit der didaktischen Wissensorganisation erhalten die Lernenden, die Autorinnen und Autoren und die Dozentinnen und Dozenten Unterstütztung für erfolgreiche Online-Lernprozesse. Rollenwechsel, etwa von Lernern zu Autoren sind dabei nicht nur erwünscht, sondern durch die integrierten Werkzeuge auch jederzeit leicht möglich.