Volkswirtschaft I, Wirtschaftsordnung

China: Die neuen Superreichen düsen mit Privatjets über das Land, bauen Pyramiden und spielen nachts unter Flutlich Golf

Reich werden ist auch für Kommunisten ehrenhaft

Von Harald Maass, Peking

Es gibt Tage, an denen auch ein Mann wie Zhang Yue nicht zufrieden ist. Missmutig schlendert der 41-jährige Unternehmer über sein 300.000 Quadratmeter großes Firmengelände bei Changsha. Vorbei an der 38 Meter hohen Pyramide, die er zwischen den Fabrikhallen errichten ließ. Sein französisches Schloss, ein pompöser Kitschbau im klassizistischen Stil, ist in der chinesischen Region von Hunan ein etwas merkwürdiger Anblick.

Auf dem Platz vor dem Büro landet der Privathubschrauber. Seit vergangenem Jahr hat sich Zhangs Vermögen verdoppelt. Doch der Unternehmer ist verstimmt. "Natürlich bin ich nicht zufrieden", sagt er und wirft eine Liste auf den Schreibtisch aus Edelholz. "Ich bin nicht die Nummer eins oder zwei. Ich bin nur auf Position 25."

Zhang ist Privatunternehmer, ein äußert erfolgreicher. Anfang der 80er-Jahre, das kommunistische China hatte sich gerade geöffnet, hängte Zhang seine Planstelle bei einem Staatsbetrieb an den Nagel und gründete mit seinem Bruder einen kleinen Privatbetrieb. Sie produzierten Heizkessel. Weil die Kessel besser waren als die der Staatsfabriken, wuchs das Geschäft. Neue Produkte wurden entwickelt, die Technik verfeinert. Heute ist die Firma "Yuanda" mit 1200 Mitarbeitern der zweitgrößte HersteIler von Klimaaggregaten in China. Das Unternehmen exportiert nach Europa und in die USA.

Und Zhang ist reich. Die neuste Studie des Wirtschaftsmagazins Forbes führt die Zhang-Brüder auf Platz 25 der Liste der reichsten Chinesen. Geschätztes Vermögen: 202 Millionen US-Dollar. Zhang hat im Hinterland von Hunan sein eigenes kleines Reich aufgebaut. Das Volk sind die 800 Angestellten, von denen jeder einen kleinen goldfarbenen Anstecker mit dem Yuanda-Symbol auf der Brust tragen muss. Das Regiment ist streng; Jeder Angestellte muss vor der Anstellung an einem einwöchigen Militärlager teilnehmen, Nachtmärsche absolvieren und durch Schlamm robben. Alle Mitarbeiter bei Yuanda tragen die gleichen uniformierten Anzüge. Jeden Morgen um 7.30 Uhr findet ein Fahnenappell statt. Teilnahme ist Pflicht.

Unternehmer Zhang ist der König in diesem Reich. "Für eine asiatische Firma ist das passend", erklärt er die strenge Unternehmensphilosophie. Die Mitarbeiter lassen sich die Bevormundung gefallen. Arbeitsplätze sind in Hunan rar, und Yuanda zahlt gut.

"Wir haben viele Vergünstigungen", sagt Mitarbeiterin Wang. Drei Mal täglich wird in der hochmodernen Kantine, in der den ganzen Tag Satellitenfernsehen läuft, umsonst Essen serviert. Für die Unterhaltung seiner Mitarbeiter betreibt Yuanda ein eigenes Werkstheater mit 1000 Sitzen. Nur verlassen darf das Reich niemand. Unter der Woche müssen die Angestellten getrennt von ihren Familien in werkseigenen Wohnheimen übernachten.

Dengs Reformen

"Reich werden ist ehrenhaft." Mit diesem Satz startete der Reformer Deng Xiaoping 1978 Chinas Öffnung. In zwei Jahrzehnten stieg die Volksrepublik von einem armen Bauernstaat zu einer Wirtschaftsmacht auf. Der Sozialismus steht heute nur noch in der Verfassung. Während jeder zehnte Chinese bis heute von weniger als einem Dollar pro Tag überleben muss, haben andere riesige Vermögen angehäuft. Sie fliegen mit Privatjets durch das Land, leben in abgesperrten Villengebieten und spielen nachts unter Flutlicht Golf - damit die Haut nicht so braun wird wie die der Bauern.

Mehr als 100 Chinesen haben ein Privatvermögen von mehr als 60 Millionen Dollar, schätzt Forbes. Ihr Reichtum wächst immer schneller. Oft sind es die KP-Mächtigen, die durch Korruption und Schmuggel die Vermögen anhäufen. Im Juli dieses Jahres setzte Staatschef Jiang Zemin deshalb zum ideologischen Rückwärtssalto an. Man könne die Integrität eines Menschen nicht "nach seinem Wohlstand" beurteilen, erklärte Jiang beim 80. Jahrestag der chinesischen KP. Schließlich würden auch die Unternehmer beim "Aufbau des Sozialismus" mitarbeiten.

Jiangs Rede war die öffentliche Rehabilitierung der Kapitalisten. Millionen von Chinesen haben in den vergangenen Jahren Firmen gegründet und dadurch das chinesische Wirtschaftswunder erst möglich gemacht. Einst als Klassenfeinde bekämpft, dürfen Unternehmer in China jetzt Mitglied der KP werden. "Marx war schlimmer als Hitler", sagt Unternehmer Chen Rong. Die KP von Schanghai verlieh ihm trotzdem die Auszeichnung "Fortgeschrittene Person".

"In China gibt es nur Neureiche", sagt die Fernsehproduzentin Yang Lan. Mit perfekt geschminktem Gesicht sitzt die 33-Jährige in ihrer Schanghaier Kolonialvilla, im Hintergrund ein goldgerahmtes Ölgemälde. Yang arbeitete als Moderatorin für das Staatsfernsehen, ehe sie sich mit einer eigenen Fernsehproduktionsfirma selbstständig machte. 850 Millionen Yuan (116,3 Millionen Euro) war ihr Aktienunternehmen Anfang des Jahres wert. Es sei der Ehrgeiz der Unternehmer, der China voranbringe, erklärt Yang. Viele Leute arbeiteten Tag und Nacht für den Erfolg.

Härtester Kapitalismus

"Wir haben nichts zu verlieren"' sagt Yang über chinas Unternehmer. "Wir haben unseren Reichtum mit den bloßen Händen erarbeitet. Das macht uns sehr stark." In gewisser Weise sei China deshalb ein Paradies für Firmengründer. "Chinas Wirtschaft ist noch im Aufbau. Hier gibt es so viele Möglichkeiten."

"Sozialismus mit chinesischer Charakteristik" nennen Pekings KP-Führer das neue China. In Wirklichkeit herrscht Kapitalismus, härter und kälter als in den USA. Arztbesuche, die Schule der Kinder, Pflege im Alter - das alles gibt es in China nur noch gegen Geld.

Unabhängige Gewerkschaften sind verboten. Kündigungsschutz, Arbeitslosen- versicherung und Mutterschutz stehen nur auf dem Papier. Millionen Chinesen schuften als Akkordarbeiter an Fließbändern. Meistens werden sie von ihren Bossen in die Fabrik eingesperrt. Wer aufbegehrt, wird entlassen und landet auf der Straße.

Quelle:
Oberösterreichische Nachrichten
21.1.2002, Seite 3

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