Volkswirtschaft I, Wirtschaftsordnung

Grundzüge der katholischen Soziallehre

Grundsätzliche Vorbemerkungen

Die katholische Soziallehre leitet sich aus der Auseinandersetzung mit den sozialen Problemen und Nöten früherer Zeit her. Sie nimmt Stellung zu Fragen menschlichen Zusammenlebens. Ihre Wurzeln hat sie zum einen in der Heiligen Schrift. Eine wesentliche Rolle kommt beispielsweise der christlichen Nächstenliebe zu. Zum anderen aber beruht sie auf Erkenntnissen der Sozial- ethik. Wir können daher die katholische Soziallehre auch als philosophisches System verstehen.

Zwei Dinge müssen hiebei nachdrücklich herausgestrichen werden:

  • Die katholische Soziallehre ist ein "Ordnungssystem", das auf vernünftiger Einsicht und logischer Argumentation basiert. Sie vermittelt an sich keine Glaubensinhalte (etwa das Dogma der Dreifaltigkeit) und richtet sich grundsätzlich an alle Menschen. Da sie aber auf Vernunft und "gesunden Menschenverstand" aufbaut, können die von ihr getroffenen Aussagen für jedermann nachvollziehbar und akzeptabel sein, d. h. auch Nichtkatholiken können sich mit ihr einverstanden erklären.

  • Aufbauend auf fundamentalen Grundeinsichten in Wert, Würde und Wesen von menschlicher Person und Gesellschaft, gibt die katholische Soziallehre Leitlinien für eine Problemlösung, jedoch keine fertigen Lösungen, sie muss vielmehr je nach aktueller Lage und Situation angewendet und um- gesetzt werden.

Die drei Grundprinzipien der katholischen Soziallehre

Das Personalitätsprinzip

Das Personalitätsprinzip geht davon aus, dass der Mensch einmalig und individuell geschaffen ist. Daraus ergibt sich, dass die Menschen an sich nicht gleich sein können. Gleich sind sie allerdings hinsichtlich ihrer Würde, die aus christlicher Sicht in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen wurzelt. Sinn und Zweck der menschlichen Existenz ist die Selbstverwirklichung der Person. Der Mensch kann aber letztlich nur innerhalb der Gemeinschaft existieren. Man spricht daher von der Sozialnatur des Menschen. Beide stehen gleichwertig nebeneinander im Gegensatz zum Liberalismus und Marxismus, wo jeweils nur eine Natur des Menschen beachtet wird.

Die Entfaltung der Persönlichkeit steht an oberster Stelle. Die Gesellschaft ist also für den Menschen da, nicht aber der Mensch für die Gesellschaft. Als soziales Wesen darf der Mensch aber bei seiner eigenen Selbstentfaltung niemanden anderen beeinträchtigen. So bedarf es der verantwortlichen Selbstverwirklichung des einzelnen. Damit sind wir jedoch bei einem anderen, ganz wesentlichen Begriff in der katholischen Soziallehre, dem Gemeinwohl. Eine mögliche Definition könnte lauten: Das Gemeinwohl ist "die Summe aller jener Bedingungen des sozialen Lebens, durch welche die einzelnen, die Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung voller und schneller erreichen können". Es wird durch gesellschaftliche Kooperation geschaffen und gibt so der Gesellschaft ihren eigentlichen Sinn.

Das Solidaritätsprinzip

Das Solidaritätsprinzip bestimmt das wechselseitige Verhältnis von Person und Gesellschaft. So wie der einzelne nicht nur für das Wohlergehen seines Mitmenschen, sondern auch für das Wohl der Gesamtheit an sich verantwortlich ist, so trägt umgekehrt auch die Gesellschaft Verantwortung gegenüber ihren einzelnen Mitgliedern. Diese beidseitige Bindung und Rücksichtnahme entspringt dem urschriftlichen Gebot der Nächstenliebe. Aus der Solidarität resultiert nun aber auch das Recht des Einzelmenschen auf Hilfe, wenn er seine Chancen nicht selbst wahrnehmen kann.

Das wiederum spielt in den Bereich eines weiteren wichtigen Begriffs der Soziallehre hinein, der sozialen Gerechtigkeit. Damit ist nun nicht gemeint, dass alle das Gleiche bekommen müssen, sondern dass jeder das bekommen soll, was ihm am besten dienlich ist. Dazu gehört dann auch die Chancengleichheit.

Versuche, Gleichheit durch gleiche Förderung herzustellen, müssen scheitern, weil zwar die Würde jeder Person gleich ist, nicht aber die Person selbst. Die Folge wäre eine Nivellierung.

Das Subsidiaritätsprinzip

Das Subsidiaritätsprinzip wurde zuerst in der Enzyklika "quadragesimo anno" formuliert und dient der Gemeinwohlverwirklichung. Es zerfällt in zwei Teil- bereiche:

  • Das Prinzip der Eigenleistung drückt das Recht und die Pflicht der einzelnen Person und der je kleineren Gemeinschaft aus, den jeweiligen Beitrag am Gemeinwohl eigenverantwortlich zu leisten, den sie bewältigen können. So kann beispielsweise der Beitrag Kindererziehung effizienter von der kleineren Gemeinschaft Familie besorgt werden, als etwa von der größeren Gemeinschaft Staat.

  • Das Prinzip der Hilfestellung hingegen besagt, dass die individuelle Person oder die kleinere Gemeinschaft bei der Bewältigung ihrer Aufgabe von der je größeren unterstützt werden sollen. Übersteigt eine Aufgabe die zumutbare Leitungsfähigkeit einer Person oder Gruppe, so ist die je größere Gesellschaft einzuschalten. Da also eine Familie beispielsweise die Berufsausbildung ihrer Kinder zumeist nicht gewährleisten kann, wird eine größere Gemeinschaft wie eine Schule oder ähnliches diese Aufgaben übernehmen müssen.

Dabei bedarf es aber auch einer Autorität, etwa der des Staates, die bei der Gemeinwohlverwirklichung eine steuernde und ordnende Funktion übernimmt. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus der Ungleichheit und Freiheit der Menschen. Die Autorität soll einerseits die Beiträge einzelner Personen und Gemeinschaften zum Gemeinwohl koordinieren und ihre Ausführung kontrollieren und hat andererseits auch dafür zu sorgen, dass die Anteile am Gemeinwohl gerecht verteilt werden.

Gesellschaftliche Konsequenzen

Die katholische Soziallehre verfügt, wie bereits gesagt, über keine griffbereiten Rezepte zur Problemlösung. Nichtsdestoweniger ergeben sich aus den ihr zugrunde liegenden Prinzipien eine Vielzahl von Konsequenzen für Menschen und Gesellschaft. Einige wollen wir exemplarisch hier anführen:

  • Das Recht ist Teil der sittlichen Ordnung und hat deshalb auch selbst sittliche Bedeutung. Das natürliche Sittengesetz (Naturrecht) genießt übermenschliche Autorität.

  • Der Staat ist Herrschaftsordnung im Dienste des allseitigen Gemeinwohls. Er ist für die Menschen da, nicht aber umgekehrt. Deshalb sind sowohl der totale Staat als auch die Anarchie abzulehnen.

  • Der Staat setzt sich aus eigenständigen Teilgemeinschaften mit Eigen- rechten zusammen, woraus sich ein Dualismus von Staat und Gesellschaft ergibt (z. B. Erstrecht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder).

  • Das Recht auf Privateigentum ist aus der Personenwürde des Menschen ableitbar. Dabei darf aber die soziale Funktion von Eigentum nicht außer acht gelassen werden.

  • Der Staat ist berechtigt und verpflichtet, im Sinne des Sozialzwecks der Wirtschaft zu intervenieren (soziale Marktwirtschaft).

  • Mann und Frau sind von gleicher sozialer Würde.

  • Die Koalitionsfreiheit hat naturrechtlichen Charakter.

  • Die Souveränität der Staaten ist durch das Weltgemeinwohl, das Wohl der gesamten Menschheit, begrenzt.

  • Die Staaten der Erde sind zu weltweiter Solidarität verpflichtet. Eine Konsequenz davon stellt sinnvolle Entwicklungshilfe (Hilfe zur Selbsthilfe) dar.

Quelle:
K.Ö.St.V. Sonnberg Perchtoldsdorf im MKV
Katholische Soziallehre
Wien, 2001

oben
 

Webdesign, Copyright des Designs: Dr. Klaus Zerbs, Linz 2002