3.2.
Partner- und Gruppenarbeit
Kurzbeschrieb
Partnerarbeit ( PA)
lässt sich kurzfristig, aber auch als "Lernpartnerschaft" über längere Zeit
realisieren, auch als Voraussetzung für Gruppenarbeit (GA). Das Lernen wird hier
wie dort mit Arbeitsaufträgen ausgelöst und gesteuert. In der arbeitsgleichen GA
lösen alle Gruppen die gleiche Aufgabe, in der arbeitsteiligen GA wird ein Thema
aufgeteilt.
Sowohl beim
arbeitsteiligen als auch beim arbeitsgleichen Verfahren ist zu beachten, dass
die Arbeitsaufträge tatsächlich einen Gruppenprozess erfordern und
bewirken.
Der Lehrer
übernimmt die Rolle des Beobachters, des aktiven Zuhörers, des Beraters. Er
stellt auch gruppeninterne Arbeitsplanung, die Arbeitsrückschau und die
lernwirksame Darstellung der Arbeitsergebnisse sicher.
Meistens werden die Ergebnisse der Klasse (dem
Plenum) vorgestellt (Gruppenberichte, Ausstellung, Texte, Spiel). Das Vorstellen
der Gruppen-Arbeitsergebnisse lässt sich auch mit Plakat-Lektüre oder mit
Gruppenmischung oder im Sinne eins "Info-Marktes" realisieren.
Der Lehrer hat sich auch darüber
Gedanken zu machen, wie er das "soziale Lernen" in der Gruppe fördern und
unterstützen kann, so dass Aussenseiter integriert werden, Kooperation und
gegenseitiges Verständnis aufgebaut werden.
Didaktischer Einsatz:
Wir unterscheiden vier Hauptformen....
- Arbeitsgruppe (etwas bearbeiten,
herstellen, projektieren, realisieren...)
- Gesprächsgruppe (etwas besprechen
und klären ...)
- Lerngruppe (die individuelle
Leistung fördern, etwas gemeinsam trainieren ...)
- Erfahrungsgruppe (gemeinsam
Erfahrungen machen und austauschen ...)
(Gasser. „Didaktische Impulse". S.34
+ Gasser. „ Neue Lernkultur". S.143)
Schlüsselfragen und
Qualitätskriterien
Schlüsselfragen:
- Löst der Auftrag geeignete
Gruppenaktivitäten aus ?
- Können Schüler und Schülerinnen an
einem echten Auftrag selbständig und einander helfend arbeiten bzw. die
Aufgabe lösen, die Arbeitsergebnisse zweckmässig festhalten und
präsentieren?
- Können die Lernenden voneinander und
miteinander lernen ?
- Ist der Lehrende zurückhaltender
Beobachter und Lernberater ?
- Werden die Sach- und Produktebenen,
aber auch die (sozialen) Prozess-Ebenen beachtet und metakommunikativ (z. B.
rückblickend) bearbeitet?
(Gasser. „Didaktische Impulse". S.34
+ Gasser. „ Neue Lernkultur". S.143)
Vier entscheidende Momente in der
didaktischen Konzeption Gruppenarbeit möchte ich besonders hervorheben:
- Die Entscheidung für den Einsatz der
Gruppenarbeitsmethode muss bewusst und überlegt gefällt werden: Warum
mache ich zu diesem Inhalt Gruppenarbeit?
- Den intendierten Lern- und
Arbeitsprozess analysieren und auf diesen hin sinnvolle Arbeitsaufträge
formulieren (siehe auch Kapitel Lernaufgaben) - eventuell Klasse
einbeziehen.
- Die Gruppenbildung ist ein
Schlüsselpunkt für das Gelingen einer Gruppenarbeit: Psychosoziale Bedingungen
kennen und berücksichtigen!
- Lehrerrolle als Begleiter und
nicht Leiter. Sich während der Auftragsbearbeitung zurücknehmen können ist
eine Voraussetzung für das Entwickeln von Engagement und Selbständigkeit
seitens der SchülerInnen.. Darum „aktiv zuhören" und dosiert Lernhilfe
geben.
Guten
Gruppenunterricht zu verwirklichen ist durchaus anspruchsvoll. Didaktisch
wertvolle Hinweise finden sich bei Hilbert Meyer :
(Meyer. „Unterrichtsmethoden - II
Praxisband". S.250+251)
Didaktische Kriterien für
guten Gruppenunterricht
Die Lehrziele der Lehrerin und die
Handlungsziele der Schülerinnen sind im Gruppenunterricht nicht identisch. (Dies
ist nichts Besonderes - im Frontalunterricht ist's ebenso!) Die Lehrerin will
arbeitsfähige Kleingruppen bilden - die Schülerinnen wollen in
Freundschaftscliquen zusammensein, selbständiger und lockerer als normal
arbeiten können und sich ein Stück weit der unmittelbaren Kontrolle der Lehrerin
entziehen. Die Lehrerin muß deshalb das Kunststück fertigbringen, einerseits die
Schülerinnen zum selbständigen und solidarischen Handeln zu ermuntern,
andererseits für einen auch in fachlicher Hinsicht befriedigenden, den erhöhten
Zeitaufwand rechtfertigenden Unterrichtserfolg zu sorgen. Dieses schwierige Ziel
ist m. E. dadurch zu erreichen, daß die Lehrerin...
- ihren Schülerinnen von Anfang an die
für Gruppenarbeit erforderlichen Methodenkompetenzen vermittelt,
- sie nicht nur als einzelne, sondern
als Gruppe anspricht und fordert,
- einen regelmäßigen Wechsel der
Handlungsmuster und Symbolisierungsformen praktiziert,
- sich mit ihren Schülerinnen über
konkrete Handlungsprodukte verständigt, die die Organisation des Lernprozesses
lenken können (siehe S. 158).
Gruppenunterricht ist von allen vier Sozialformen
sicherlich die anspruchsvollste. Es ist nicht gut, ihn ªeinfach so´ anzusetzen,
weil er doch so wichtig sei. Vielmehr müssen die Voraussetzungen für die
Gruppenarbeit sehr genau geklärt werden. Die`Lehrerin sollte
überprüfen,
- ob die erforderlichen
Lernvoraussetzungen gegeben sind oder während der Gruppenarbeitsphase
vermittelt werden können,
- ob das Thema für ein selbständiges
Erarbeiten geeignet ist
- und ob die Erarbeitung des Themas in
Gruppen tatsächlich aufs Ganze gesehen mehr zu erbringen verspricht als die
Erarbeitung im Frontalunterricht oder in Einzel- oder
Partnerarbeit.
Ich
fasse diese Überlegungen und Begründungsversuche zu den folgenden drei Kriterien
zusammen:
1.) Durch die Ausweitung der
Selbsttätigkeit sollen die Schülerinnen zu mehr Selbständigkeit im Denken,
Fühlen und Handeln verleitet werden.
2.) Durch die Arbeit in kleinen Gruppen soll die
Fähigkeit und Bereitschaft zum solidarischen Handeln gefördert
werden.
3.) Durch den
phantasievollen Wechsel der Symbolisierungsformen und Handlungsmuster soll die
Kreativität der Schülerinnen hervorgelockt werden.
Auch unter Berücksichtigung der
geforderten Qualitätskriterien können mehr oder weniger grosse
Realisierungsschwierigkeiten auftreten. Diese müssen nicht immer in
didaktischen Fehlleistungen wurzeln, sie können auf den institutionellen Rahmen
der Schule zurückzuführen sein:
Gruppenunterricht liefert zwar gewisse
Spielräume für ein freies und selbstbestimmtes Lernen der Schülerinnen, aber die
in der Ersten und Zweiten Lektion beschriebene Widersprüchlichkeit des
institutionellen Rahmens schulischen Unterrichts wird damit nicht aufgehoben.
Schule leidet insgesamt an dem Widerspruch, einerseits eine fortwährende
individuelle Leistungsbeurteilung und Selektion der Schülerinnen zu betreiben,
andererseits Selbständigkeit und Solidarität der Schülerinnen zu einem wichtigen
Erziehungsziel zu machen. Im Frontalunterricht wird diese Widersprüchlichkeit
durch das methodische Handeln der Lehrerin eher geglättet und übertüncht, in
projektförmigen Lehrveranstaltungen wird sie wegen des Verzichts auf Zensierung
ein Stück weit außer Kraft gesetzt, aber im Gruppenunterricht tritt sie offen
zutage:
These 11.5: Die
übergeordneten Ziele des Gruppenunterrichts, nämlich die Förderung der
Selbständigkeit und Kreativität sowie die Entwicklung solidarischen
Verhaltens, können unter den gegebenen institutionell-organisatorischen und
personellen Rahmenbedingungen schulischen Unterrichts nur widersprüchlich und
halbherzig verfolgt werden.
Gruppenunterricht ist, was die
Gestaltung des schulischen Gewaltverhältnisses betrifft, weder Fisch noch
Fleisch. Er gibt die Schülerinnen ein Stück weit, aber nicht völlig frei; er
setzt die Selektionsfunktion der Schule ein Stück weit, aber nicht völlig außer
Kraft; er fördert das solidarische Handeln der Schülerinnen, gibt aber kaum
Gelegenheit, es ernsthaft auf die Probe zu stellen (es sei denn, die
Schülerinnen probten den Aufstand und handelten solidarisch gegen ihre
Lehrerin).
Nun wäre es
unsinnig und unlogisch, wegen dieser Schwierigkeiten auf Gruppenunterricht zu
verzichten. Denn der Gruppenunterricht produziert die skizzierte
Widersprüchlichkeit nicht, sondern liefert nur den Rahmen, sie offener als in
den übrigen Sozialformen zum Vorschein kommen zu lassen. Durch eine Rückkehr zum
Frontalunterricht würden die Schwierigkeiten nicht behoben, sondern
verschleiert. Das bei vielen Lehrerinnen vorhandene Negativ-lmage des
Gruppenunterrichts ist also leicht zu erklären, aber nicht theoretisch zu
rechtfertigen. Nun kann es aber nicht durch theoretische Belehrungen behoben
werden. Das Negativ-lmage bleibt als subjektive Einstellung m. E. solange
handlungsleitend, bis es durch bessere eigene Erfahrungen mit dieser Sozialform
abgelöst worden ist und so die von jeder Lehrerin verinnerlichten
Unterrichtsbilder korrigieren konnte. Deshalb kann ich jene Lehrerinnen, die
selten oder nie Gruppenunterricht machen, nur bitten, es einmal mit einer
gezielt vorbereiteten Serie kleiner Gruppenarbeitsphasen zu versuchen. - Es
lohnt sich! Gruppenunterricht kostet mehr Vor- und Nachbereitungszeit als
Frontalunterricht, er ist risikoreicher, aber er ist auch lebendiger,
interessanter und letztlich befriedigender.
(Meyer. „Unterrichtsmethoden - II
Praxisband". S.252)
Vorzüge und Ziele der
Methode
Im Kontrast zum Frontalunterricht zeichnen
folgende Qualitäten gute Partner- und Gruppenarbeit aus:
(Meyer. „Unterrichtsmethoden - II
Praxisband". S.245ff.)
Gruppenunterricht kann von seiner
Struktur her einige Funktionen erfüllen, die ihn deutlich vom Frontalunterricht
abgrenzen:
- Im Gruppenunterricht können sich
mehr Schülerinnen aktiv am Unterrichtsprozeß beteiligen als im
Frontalunterricht.
- Sie können sich, falls sie nicht
durch ein ungünstiges soziales Klima daran gehindert werden, ohne Scheu äußern
und erst einmal ' ins Unreine´ reden.
- Sie können ein
Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe entwickeln und festigen.
- Sie können, falls die
Arbeitsaufträge entsprechend gestaltet und die Lernvoraussetzungen gegeben
sind, relativ selbständig arbeiten.
- Sie können Lernumwege und
Seitenpfade betreten, die im Frontalunterricht aus Zeit und Kompetenzgründen
zumeist blockiert werden.
- Sie können ihre Neugierde ausleben;
sie können neue, von der Lehrerin nicht vorhergesehene Aspekte des Themas
einbringen und bearbeiten.
- Gruppenunterricht erlaubt es der
Lehrerin, ihre Schülerinnen genauer, mit mehr Muße und in anderen Rollen als
im Frontalunterricht zu beobachten.
- Gruppenunterricht erfordert
allerdings, kurzfristig gesehen, zumeist mehr Zeit als Frontalunterricht. Die
Schülerinnen brauchen länger, um einen Sach-, Sinn- oder Problemzusammenhang
in eigener Regie zu erarbeiten. Langfristig zahlt sich dieser Mehraufwand
jedoch durch wachsende Methodenkompetenzen aus.
Ich fasse zusammen: Gruppenunterricht ist, wenn er
zielstrebig gestaltet wird, geeignet, die Selbständigkeit und Solidarität der
Schülerinnen zu fördern. Zunächst zur ersten Funktion:
These 11.1:
Gruppenunterricht ist geeignet, die Schülerinnen durch einen didaktisch
begründeten Wechsel der Handlungsmuster und der Symbolisierungsformen zum
selbständigen Denken, Fühlen und Handeln zu ermutigen.
Unter verschiedenen
Symbolisierungsformen versteht Meyer beispielsweise:
- Sprache
(vorherrschend)
-
handwerklich-bildnerisches Gestalten (Bsp. plastisches Modell,
Zeichnen)
- Rollenspiel,
Sketch
- Standbild,
Pantomime
- Diverse Mischformen
wie: Streitgespräch, Textcollage, etc...
In diesem planvollen Wechsel der
Symbolisierungsformen (und dem sich dabei von selbst einstellenden Wechsel
der Handlungsmuster) steckt der Schlüssel zum Erfolg des Gruppenunterrichts!
Solange die Gruppenarbeit lediglich eine Fortsetzung der schon im
Frontalunterricht und in der Einzelarbeit vorherrschenden, die Schülerinnen
langweilenden Handlungsmuster und Symbolisierungsformen liefert, ist es nicht
weiter verwunderlich, wenn die Schülerinnen die im Gruppenunterricht
existierende Handlungsspielräume mißbrauchen, Nebentätigkeiten nachgehen oder
gammeln.
Nun ist der skizzierte Wechsel der
Symbolisierungsformen nicht auf den Gruppenunterricht beschränkt. Er kann auch
im Frontalunterricht, in der Partner- und der Einzelarbeit stattfinden. Die
zweite, noch wichtigere Aufgabe des Gruppenunterrichts ist demgegenüber
nirgendwo sonst zu erfüllen. Sie ergibt sich aus der schlichten Tatsache, daß
mehrere Schülerinnen zusammenarbeiten und darauf angewiesen sind, sich zu
verständigen:
These 11.2: Das
übergeordnete, theoretisch begründete Ziel des Gruppenunterrichts besteht
darin, die Schülerinnen durch die gemeinsame Arbeit an der gestellten
Lernaufgabe zum solidarischen Handeln zu
befähigen.
Solidarität entsteht nicht von
selbst und schon gar nicht durch verbale Belehrungen. Sie kann nur dort wachsen,
wo Menschen gemeinsam arbeiten, interagieren und sprechen. Es ist ein
beglückendes Gefühl, eine schwierige Aufgabe gemeinsam gemeistert zu haben -
dieses Glücksgefühl ist der eigentliche Motor für die Entwicklung von
Solidarität im Unterricht. (Solidarität durch gemeinsames Leiden gibt es auch -
aber dies sollte nicht zum Ziel des Unterrichts umdefiniert werden!) Die zweite
These macht den utopischen Überschuß deutlich, der im Begriff des
Gruppenunterrichts enthalten ist. Nicht jede bunt zusammengewürfelte
Schülerinnenschar ist eine Gruppe. Von ªGruppen´ dürfte eigentlich erst dann
gesprochen werden, wenn durch beständiges und erfolgreiches Zusammenarbeiten
eine Solidargemeinschaft entstanden ist, die die schwächeren Schülerinnen
einzubinden und die stärkeren zu nützlicher Hilfestellung anzustacheln
weiß.
Dieses anspruchsvolle Ziel ist nur dann
zu erreichen, wenn sowohl die Lehrerin wie auch die Schülerinnen bereit und in
der Lage sind, ihre Rollen neu zu definieren.
Die Lehrerin ist im Gruppenunterricht nicht
so sehr die Wissens- und Kompetenzvermittlerin, sie ist auch nicht in erster
Linie der Scheuerpfahl, an dem sich die Schülerinnen zum Zwecke ihrer
Identitätsbildung reiben können, sondern vorrangig die Moderatorin des
gemeinsamen Lernprozesses. Dies kostet, wie alle gruppenunterricht- erfahrenen
Lehrerinnen bestätigen, nicht weniger, sondern mehr Kraft, Mühe und vor allem
auch Vorbereitungszeit, als dies für die meisten Varianten des
Frontalunterrichts der Fall ist. Während des Unterrichts liegt der Schwerpunkt
der Arbeit der Lehrerin nicht in der Darstellung und Vermittlung eines Sach-,
Sinn- oder Problemzusammenhanges, sondern in der Formulierung von
Arbeitsperspektiven, im Beobachten und Interpretieren, im Ermutigen und
Stabilisieren der Schülerinnen, im Bereitstellen von Materialien und in der
Lenkung der Auswertung.
Die Lehrerin muß neu lernen:
- zuzuhören, abzuwarten, zu
beobachten;
- zu beraten, Hilfen zur Selbsthilfe
zu formulieren, Mut zu machen;
- den Lernprozeß mindestens so wichtig
wie die Lernergebnisse zu nehmen;
- Lernum-, -irr- und -holzwege
zuzulassen;
- Materialien aufzubereiten, Kontakte
herzustellen; Spiel- und Arbeitsformen vorzuleben
- Arbeitsergebnisse zu bündeln, zu
strukturieren, zur Veröffentlichung im Plenum vorzubereiten.
Die Lehrerin muß
verlernen,
- jedes auftauchende Problem in der
Kleingruppe oder im Plenum verbalisieren zu wollen;
- alles möglichst schnell und
umfassend in die eigenen Hände nehmen zu wollen;
- den eigenen Wissens- und
Kompetenzvorsprung bei jeder sich bietenden Gelegenheit demonstrieren zu
wollen;
- Druck und Tempo zur zügigen
Fertigstellung von Arbeitsergebnissen zu machen.
Die Lehrerin muß eine Tugend entwickeln, die der
herkömmlichen Rollendefinition widerspricht:
These 11.3: Die
Lehrerin, die Gruppenunterricht machen will muß wagen, ihre Schülerinnen ein
Stück weit allein zu lassen.
Dies fällt vielen Lehrerinnen
schwer, und zwar weniger wegen der rechtlichen Bedenken, die unbegründet sind,
als aus psychischen Gründen.
Auch die Schülerinnen müssen im
Gruppenunterricht ein neues Rollenverständnis entwickeln - sie dürften damit
aber weniger Schwierigkeiten als die Lehrerinnen haben. Sie müssen neu
lernen:
- selbständig zu denken, zu fühlen und
zu handeln;
- sich mit den Mitschülerinnen zu
verständigen und zusammenzuraufen;
- Selbstkritik zu üben; konkrete
Phantasie zu entwickeln;
- Arbeitsschritte zu
planen;
- Arbeitsergebnisse zu sichern, zu
dokumentieren oder zu protokollieren;
- in Solidarität mit der Gruppe auch
eine schlechtere Note hinzunehmen als die, die alleine herauszuholen gewesen
wäre.
Die
Schülerinnen müssen verlernen:
- die Verantwortung für jeden
Lernschritt der Lehrerin zurückzuschieben;
- sich in der Gruppe nach vorn zu
drängeln;
- für alles und nichts eine Note haben
zu wollen.
Die
Schülerinnen müssen ein hohes Maß an Selbstdisziplin entwickeln, um
Gruppenunterricht erfolgreich werden zu lassen. Da dies im Frontalunterricht
kaum einzuüben ist, sollte die Lehrerin auch dann, wenn eine Klasse eigentlich
noch nicht ªreif´ für Gruppenunterricht ist, das Risiko eingehen und ihre
Schülerinnen ein Stück weit freigeben. Die Schülerinnen müssen an sich selbst,
also im praktischen Handeln erfahren können, was es heißt, den Lernprozeß selbst
zu organisieren.
These 11.4: Die
Schülerinnen müssen lernen, sich ihres Verstandes ohne Anleitung anderer zu
bedienen.
Einstiegsformen und
-hilfen
Als Hilfe insbesondere für den Einstieg in
die Methode Partner- und Gruppenarbeit folgt abschliessend eine
Checkliste zur Vorbereitung:
(Meyer. „Unterrichtsmethoden - II Praxisband". Auszüge aus
S.254ff.)
- Ist das Thema für den
Gruppenunterricht geeignet?
- Themengleicher (arbeitsgleicher)
oder themendifferenzierter (arbeitsteiliger) Gruppenunterricht?
Themengleicher
Gruppenunterricht liegt dann vor, wenn in allen Arbeitsgruppen dasselbe
Thema behandelt wird. Themendifferenzierter Unterricht liegt dann vor, wenn
jede Kleingruppe einen anderen Auftrag erhält (vgl. E. Meyer 1975, S. 108ff.).
Eine Mischform wurde im Unterrichtsbeispiel von Abschnitt 1.3 vorgeführt: Die
Schülerinnen arbeiten alle am selben Thema, haben aber den Auftrag,
unterschiedliche Handlungsmuster zu benutzen.
- Für themengleichen
Gruppenunterricht sind jene Themen gut geeignet, die von ihrer Struktur her
die Selbsttätigkeit der Schülerinnen nahelegen, besser noch erzwingen: die
Durchführung eines Experiments, für das mehr als zwei Schülerinnen
erforderlich sind; die Einübung eines Stegreif- oder Rollenspiels, die
Anfertigung einer Collage usw.
- Gut geeignet sind für
themengleichen Gruppenunterricht konstruktive Anwendungsversuche: Die zuvor
im Frontalunterricht erarbeiteten Grundkenntnisse oder Kompetenzen werden an
phantasiereich variierten neuen Inhalten überprüft, erprobt und
gefestigt.
- Übungsphasen, die von manchen
Lehrerinnen in Form von Gruppenarbeit inszeniert werden, sind häufig
verkappte Partner- oder Einzelarbeiten! - Dann sollten sie auch so genannt
werden, um keine falschen Vorstellungen über Gruppenunterricht zu
wecken.
Themendifferenzierter
Gruppenunterricht bietet sich dort an, wo verschiedene Aspekte oder Ebenen
oder Dimensionen ein- und desselben Themas in den Kleingruppen erarbeitet und
dann im Plenum gemeinsam ausgewertet werden können:
- Die verschiedenen Rollen eines
Rollenspiels werden in Kleingruppen getrennt erarbeitet, um dann im Plenum
mit den Vertretern der anderen Kleingruppen durchgespielt zu werden. Pro-
und Contra-Diskussionen, Planspiele usw. können ähnlich vorbereitet
werden.
- Inhalte, die nicht zum Grundwissen
gehören, sondern sich exemplarisch variieren lassen, werden an Kleingruppen
vergeben und dann im Plenum vorgestellt: Im Geographieunterricht wird der
Nord-Süd-Konflikt erarbeitet - gemeinsame Fragestellungen werden im Plenum
formuliert, danach nimmt sich jede Kleingruppe ein anderes Land vor, um die
gestellten Fragen zu beantworten.
Die Planungsqualität
themendifferenzierten Gruppenunterrichts erweist sich erst in der
Auswertungsphase. Die von den Kleingruppen erarbeiteten Teile sollten sich
dort in einer für alle Schülerinnen nachvollziehbaren Weise wie zu einem
Puzzle zusammenfügen. Die Schülerinnen sollten sinnfällig erfahren können, daß
das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist.
Themendifferenzierter Gruppenunterricht ist noch
anspruchsvoller als themengleicher. Er setzt eine gründliche didaktische
Analyse, genaue Kenntnis der Methodenkompetenzen der Schülerinnen und viel
methodische Phantasie voraus. Wer ihn einschließlich der Auswertung
hinbekommt, hat sozusagen die Meisterinnenprüfung im Lehrberuf
bestanden.
- Erforderliche
Lernvoraussetzungen und Methodenkompetenz
Haben die Schülerinnen die
erforderlichen Vorkenntnisse? Haben sie die erforderlichen
Methodenkompetenzen? (Methodische Überforderungen führen fast zwangsläufig zum
Scheitern des Unterrichts; inhaltliche Vorwegnahmen und Verfrühungen können
demgegenüber - wohl dosiert - eine Belebung des Unterrichts schaffen; siehe S.
149) Haben die Schülerinnen die richtige Einstellung zum
Gruppenunterricht?
Wenn
Sie wissen oder befürchten müssen, daß die Schülerinnen aufgrund schlechter
früherer Erfahrungen mit der Gruppenarbeit eine negative Einstellung gegenüber
dieser Sozialform haben, sollten Sie mit Ihren Schülerinnen darüber sprechen,
woran dies gelegen hat und wie die Schwierigkeiten bei einem neuen Anlauf
vermieden bzw. überwunden werden können. Eine schlichte Anfrage (ªWollen wir
mal wieder Gruppenunterricht machen?´) bringt dabei nicht viel. Besser ist es,
eine gelungene 20-Minuten-Kostprobe für Gruppenarbeit zu machen und danach
eine Diskussion anzuzetteln, ob in Zukunft wieder mehr Gruppenarbeit gemacht
werden kann.
Innerhalb
gewisser Grenzen können die Voraussetzungen für Gruppenarbeit im
Frontalunterricht erarbeitet werden. Dies gilt insbesondere für den Aufbau
gruppenunterrichts-förderlicher Methodenkompetenzen:
- Im Frontalunterricht müssen
Spielregeln der Gesprächsführung eingeübt werden. Die Lehrerin sollte darauf
achten, daß die ªDauerschwätzerinnen´ gebremst und die Stillen im Lande
gefördert werden. Die Schülerinnen müssen lernen, das Wort zu erteilen und
es zu entziehen; sie müssen verinnerlichen, daß die Gesprächsleiterin ihren
Posten nicht dazu mißbrauchen darf, sich selbst und ihre eigene Meinung in
den Vordergrund zu schieben.
- Die Anfertigung von
Arbeitsprotokollen ist für Schülerinnen ähnlich unbeliebt wie für
Studentinnen und Lehrerinnen. Kein Wunder, daß die Protokollpflicht in der
Gruppenarbeit - wenn sie einmal eingeführt worden ist - Gegenstand
beständiger Querelen ist. Deshalb empfiehlt es sich, im Frontalunterricht
und in der Einzelarbeit methodisch interessante Varianten einzuüben:
Wandzeitung, Simultanprotokoll, Tonband-Protokoll, Fotodokumentation usw.
(siehe S. 173 ff.).
- Es bietet sich im
Frontalunterricht hier und da an, die Schülerinnen in zwei ªLager´ zu
unterteilen und sie eine Pro- und eine Contra-Position einnehmen zu lassen.
Dies ist zugleich eine vorbereitende Übung für das Streitgespräch und die
Debatte. Die Schülerinnen sollen dabei erfahren, daß sie gemeinsam die von
ihnen gewählte Position besser als alleine verteidigen können.
Ein anderer Teil von
Methodenkompetenzen kann auch in der Partnerinnenarbeit vorbereitet
werden:
- Wiederholungen
- Formulieren von Fragen für das
anstehende Unterrichtsgespräch
- Überprüfen von
Hausaufgaben
- Sammeln von
Fakten/Beispielen/Stichworten
- gemeinsame Bearbeitung von
Übungsaufgaben
- Aufträge zur Konsensbildung (die
Partnerinnen müssen zu einem kontroversen Punkt zu einem Problem eine
gemeinsame Position erarbeiten)
- gemeinsame Arbeit an
Handlungsprodukten (Zeichnungen, Modelle, Experimente, Tonband-lnterviews
usw.)
- Spiele zu zweit.
Die in der
Literatur immer wieder aufgestellte These, die Partnerinnenarbeit sei eine
unmittelbare Vorbereitung auf die Gruppenarbeit, ist allerdings empirisch kaum
zu belegen! Fast immer handelt es sich nur um eine bloße Variation der
Einzelarbeit! Deshalb die Faustregel:
Die beste Vorbereitung auf
Gruppenarbeit ist eine gelungene Gruppenarbeit.
- Auftragsformulierung und
Auftragstypen
Ein unklar formulierter
Arbeitsauftrag ist fast immer ein Indiz für eine insgesamt unklare
Zielbestimmung. Wer nicht genau weiß, wo er hinwill, braucht sich nicht zu
wundern, wenn er anderswo ankommt als gedacht! Unklare Arbeitsaufträge sind
grundsätzlich ein Übel - einerlei, ob der Arbeitsauftrag von der Lehrerin
vorgegeben wird oder ob er von den Schülerinnen selbst erarbeitet worden ist.
Deshalb wiederum einige Rezepte (vgl. auch Scheller 1981, S.
99ff.).
Es empfiehlt sich, zwischen
geschlossenen, offenen und freien Arbeitsaufträgen zu
unterscheiden:
- Geschlossene
Arbeitsaufträge
Die
Lehrerin legt verbindlich und konkret fest, was die Schülerinnen wann und
wie tun sollen. Geschlossene Arbeitsaufträge sind vor allem dann
unverzichtbar, wenn eine Klasse neu an die Gruppenarbeit herangeführt wird
oder wenn die Lehrerin (bzw. Studentin/Referendarin) sich neu in diese
Sozialform einarbeiten will:
- Anfängerinnen sollten dabei den
Arbeitsauftrag in der Unterrichtsvorbereitung schriftlich vorformulieren
und möglichst mit der Mentorin bzw. Fachleiterin vorbesprechen.
- Wenn der Arbeitsauftrag nicht
auf einem Arbeitsblatt aufgeschrieben worden ist, sollte er zur
Unterstützung der mündlichen Bekanntgabe an die Tafel geschrieben
werden!
- Der Arbeitsauftrag muß deutlich
machen, was die Schülerinnen tun sollen und wie sie es tun sollen. Er muß
also handlungsorientierend sein. Abstrakte Arbeitsaufträge (ªMachen Sie
sich Gedanken über...´, ªVersuchen Sie, das Problem... zu lösen, wie. ..´)
sind vor allem dann, wenn eine Klasse neu in die Gruppenarbeit eingeführt
werden soll, in aller Regel eine Überforderung.
- Offene
Arbeitsaufträge
Offene Arbeitsaufträge sind nicht
gleichzusetzen mit unverbindlichen oder schwammigen Aufträgen! Auch die
Offenheit muß sprachlich verständlich und inhaltlich eindeutig formuliert
werden:
- ªDenkt euch ein eigenes
Beweisverfahren für den Satz vom . . . aus!´
- ªSpielt eine Szene der
Kurzgeschichte in Form einer Pantomime nach!´
- ªVersucht, mit Hilfe der
mitgebrachten Arbeitsmaterialien eine eigene Technik zum Zermahlen von
Getreide-Körnern zu entwickeln!´
- ªMachen Sie aus folgenden Texten
eine Text-Collage, die Sie für ein Zeitungstheater verwenden können!´
(Vgl. Boal 1979, S. 28)
Wenn der Arbeitsauftrag schriftlich vorgelegt
wird (Matrizenabdruck / Kopie), sollte er auch äußerlich ansprechend
gestaltet werden. Solche offenen Arbeitsaufträge sollten aber erst dann
gestellt werden, wenn die Schülerinnen mehrfach und mit Erfolg geschlossene
Aufträge erledigt haben.
- Freie
Arbeitsaufträge
Sie
sind eigentlich gar keine Arbeitsaufträge, sondern verbindliche
Vereinbarungen über die Einleitung oder Fortsetzung der
Gruppenarbeit:
- ªGruppe Rosa übernimmt die
Vorbereitung der Klassenraum-Dekoration für den Elternabend! Gruppe Lila
sorgt für die Bewirtung!´
- ªMacht bitte einen ersten
Entwurf für das Einleitungskapitel des Schüler-Buchs, das wir schreiben
wollen!´
- ªBereitet euch in eurer Gruppe
auf die Klassenarbeit vor! Entscheidet selbst, was ihr üben
wollt!´
Erst
diese freien Arbeitsaufträge entsprechen der theoretischen Zielbestimmung
des Gruppenunterrichts aus These 11.4! Die Gefahr, die Methodenkompetenzen
der Schülerinnen zu überfordern, ist bei diesen Aufträgen aber sicherlich
groß. Deshalb können freie Aufträge erst dann gegeben werden, wenn sich eine
Gruppe gefunden hat und mehrfach mit offenen Aufträgen erfolgreich
war.
- Gruppenbildung
Es gibt eine Reihe zum Teil
miteinander konkurrierender Kriterien, die die Lehrerin flexibel
berücksichtigen sollte:
- Es ist wünschenswert, stabile
Kleingruppen zu bilden, um die im Abschnitt 1.1 skizzierten Zielstellungen
(gruppendynamische Prozesse/soziales Lernen) verfolgen zu können. Es ist
sinnvoll, existierende Freundschaftsgruppen (= informelle Gruppen) zu
berücksichtigen, aber es ist auch wichtig, schwierige Schülerinnen und
Außenseiterinnen zu integrieren. Es kann passieren, daß Gruppen ªim eigenen
Saft schmoren´ und deshalb getrennt werden sollten; es gibt Themen, bei
denen absichtlich Schülerinnen mit unterschiedlichen Einstellungen und
Interessen gemischt werden (z. B., um Rollenklischees zwischen Jungen und
Mädchen aufzubrechen).
- Die Größe und Zusammensetzung der
Gruppen sollte von den Zielen und Inhalten des Unterrichts abhängig gemacht
werden: Für die Durchführung eines Schülerinnenexperiments sind manchmal
bereits drei Schülerinnen eine zu viel; bei der Erkundung eines
Waldlauf-Parcours können sieben oder acht Schülerinnen gut zusammenarbeiten;
bei der Erarbeitung und Diskussion von Texten und Thesen sind sieben oder
acht zumeist schon zu viele. In der Mehrzahl aller Fälle ist eine
Gruppengröße von vier bis fünf Schülerinnen optimal.
- Bei der Festlegung der
Gruppengröße sollte bedacht werden, daß die Arbeitsergebnisse hinterher im
Plenum ausgewertet werden sollen. Es ist wünschenswert, möglichst sämtliche
Ergebnisse zu berücksichtigen. Dies ist bei konventionellen
Auswertungsprozeduren (siehe S. 172) oft jedoch zu zeitaufwendig und vor
allem dann, wenn nur mündlich berichtet wird, schrecklich langweilig. Hier
sind aber methodische Alternativen der Ergebnissicherung vorhanden, die eine
zügige und parallele Auswertung von Arbeitsergebnissen gestatten (vgl. die
Beispiele aus der neunten Lektion, S. 176 ff.).
- In bestimmten Fächern und bei
bestimmten Themen ist eine leistungsdifferenzierte Gruppenbildung
üblich:
- Homogene (= leistungsgleiche)
Leistungsgruppen sind vor allem dann notwendig, wenn über längere
Zeiträume ein differenziertes und möglichst individuell auf bestimmte
Lerndefizite oder Lernstärken ausgerichtetes Unterrichtsprogramm
durchgeführt werden soll.
- Heterogene (=
leistungsdifferenzierte) Leistungsgruppen sind vor allem dort sinnvoll, wo
kein themengleicher Gruppenunterricht gemacht wird und wo die schwächeren
Schüler in die heterogene Gruppe so integriert werden können, daß sie
nicht drangsaliert werden.
Es ist kaum möglich, in einer
Unterrichtsstunde alle genannten Kriterien auf einen Nenner zu bringen.
Deshalb schlage ich folgendes Mischverfahren vor:
- Bilden Sie in Ihrer Klasse stabile
Kleingruppen, die möglichst eng an die informelle Gruppenbildung anknüpfen,
aber Außenseiterinnen integrieren. Diese Gruppen werden für alle ziel- und
inhaltsneutralen Gruppenarbeiten herangezogen.
- Bilden Sie von Thema zu Thema neue
Ad-hoc-Gruppen, deren Zusammensetzung Sie als Lehrerin bestimmen oder aber
nach vorher besprochenen Kriterien den Schülerinnen übertragen! Diese
Gruppen arbeiten solange zusammen, bis der Arbeitsauftrag erfüllt
ist.
Viele Lehrerinnen betreiben die
Gruppenbildung achtlos: Sie teilen die Schülerinnen der Bequemlichkeit halber
nach ihren Sitzplätzen in Gruppen ein, oder sie überlassen die Gruppenbildung
den Schülerinnen. Letzteres ist grundsätzlich positiv zu beurteilen, aber die
Lehrerin muß unter Kontrolle halten, was bei diesem ªmethodischen
Sozialdarwinismus´ herausgekommen ist. Häufig bleiben nämlich zwei, drei
Schülerinnen übrig, die niemand haben will und die dann in einem peinlichen
Bittgang von der Lehrerin in bereits gebildete Gruppen geschubst werden.
Deshalb ist es wichtig, den Schülerinnen in vorhergehenden Gesprächen deutlich
zu machen, dass es bei der Gruppenbildung sowohl um personenbezogene als auch
um inhaltliche Kriterien geht. Ich halte es allerdings für illusorisch und
auch für pädagogisch sinnlos, von den Schülerinnen zu erwarten, dass sie die
Gruppenbildung ausschliesslich nach inhaltlichen Gesichtspunkten vornehmen.
(Wir Erwachsene tun dies schliesslich auch nicht!)
- Räumliche Voraussetzungen
Es ist sehr wichtig, daß jede
Schülerinnengruppe einen festen Platz für die Gruppenarbeit hat und diesen
Platz auch symbolisch und real besetzen darf. Die Gruppe muß sich mit ªihrer´
Ecke im Klassenzimmer identifizieren können. Dies kann sie nur, wenn sie
sozusagen ihre Duftmarken hinterlassen darf. Bei der folgenden Sitzordnung
kann der Gruppenunterricht ohne jede Umräumerei von der einen zur anderen
Sekunde beginnen:
1.Gruppentische
2.Lehrertisch
3.Raum für Austellungen,
etc.
4.diverse Schränke
5.diverse Tafeln, Anschlagbretter
Ein lernfreundlicher Arbeitsplatz, an
dem die Lehrerin und die Schülerinnen auch einmal länger als unbedingt
erforderlich bleiben mögen, ist weniger durch Nippes, Vasen und Poster als
durch leicht greifbare unterrichtsrelevante Medien und Materialien
gekennzeichnet:
- eine Leseecke mit Lesesofa und
Bücherborten oder Regalen
- eine Spielecke für szenisches
Spiel (oder eine leicht freizuräumende Fläche in der Mitte des
Raums)
- große Tafeln; Pinnwände oder
Flächen für Wandzeitungen, Collagen
- ein abschließbarer Schrank (für
technische Geräte und Medien; Radio, Video)
- ein Sessel, der symbolisch
ªbesetzt´ werden kann: als Geburtstags-Gratulationssessel, als Vorlese- und
Erzählsessel
- ein Regal mit Scheren, Klebstoff,
Papier, Knete usw.
- Borten, Regale, Flächen für
Anschauungsmittel, Objekte
- Platz für private Dinge der
Schülerinnen.
Wer auf die für den
Frontalunterricht günstigere U-förmige Sitzordnung nicht verzichten will,
sollte mit seinen Schülerinnen das zügige Umstellen der Sitzordnung für den
Gruppenunterricht üben. Gut eingespielte Klassen können die Sitzordnung in 45
Sekunden vom Frontal- auf Gruppenunterricht umräumen (und haben sich dabei
körperlich bewegt, was auch kein Fehler ist!) - schlecht eingespielte oder
demotivierte Klassen mißbrauchen das Umräumen zum Mistmachen. Durch den
Verzicht auf die Änderung der Sitzordnung wird das Problem aber nicht gelöst,
sondern eher noch verschärft. Denn ein Unterricht, in dem die praktizierte
Sozialform nicht mit der Sitzordnung harmoniert, ist noch störanfälliger als
normal! Die Schüler müssen die Hälse recken, um die Tafel oder die Lehrerin zu
sehen; sie rennen hin und her, um an ihre Büchertasche zu gelangen
usw.
In der
Grundschulpädagogik hat es sich inzwischen herumgesprochen, wie wichtig eine
lernfreundliche Einrichtung des Klassenraumes ist. Die Fachräume in der
Sekundarstufe I und II sind zumeist ebenfalls interessant und anregungsreich;
die Klassenräume in der Sek. I und II sind jedoch auch heute noch sehr häufig
von einer tödlich-langweiligen Leere und Häßlichkeit, deren einzige
Nutznießerin die Hausmeisterin ist.
- Spielregeln einüben
Bezugnehmend auf Ruth Cohn‘s
Themenzentrierte Interaktion verweist Meyer auf die hohe Sensibilität,
die von SchülerInnen gegenüber MitschülerInnen, gegenübersich selber und
gegenüber dem Thema verlangt ist, um themenzentriert interagieren zu können.
Die eigenen Gefühle und Ansichten und die des anderen wahrzunehmen, sie
auszudrücken, respektive auf sie zu reagieren, stellen auf sozialer Ebene die
eigentlichen Schlüsselkompetenzen dar.
Die Regeln sollen nun die Themen- und
Subjektzentrierung der Interaktion in der Gruppe stützen:
Vertritt dich selbst in deinen
Aussagen; sprich per >ich< und nicht per >Wir< oder per
>Man<. Wenn du eine Frage stellst, sage, warum du fragst und was deine
Frage für dich bedeutet. Sage dich selbst aus und vermeide das Interview.
Halte dich mit Interpretationen von anderen so lange wie möglich zurück.
Sprich statt dessen deine persönlichen Reaktionen aus. Sei zurückhaltend mit
Verallgemeinerungen.
SPIELREGELN DES
GRUPPENUNTERRICHTS
- Du bist erstens für Dich und
zweitens für Deine Gruppe verantwortlich.
- Wenn Dich etwas stört, sag es den
anderen Gruppenmitgliedern deutlich und verständlich. Hör Dir aber auch in
Ruhe an, was die anderen Dir zu sagen haben.
- Versteck Dich nicht hinter
anderen. Wenn Du etwas willst, sag deutlich:"Ich will das so, weil" Achte
auf die Argumente der anderen und bezieh Dich in Deinen Begründungen
darauf.
- Wählt Euch eine Gruppenleiterin.
Sie ist für Absprachen mit der Lehrerin und mit den anderen Gruppen
zuständig. Sie regelt die Gesprächsführung, sie achtet darauf, daß die
Arbeitsplanung eingehalten und daß gemeinsame Arbeiten (Protokollschreiben,
Berichterstattung im Plenum usw.) gerecht auf alle Gruppenmitglieder
verteilt werden.
- Wenn Ihr Konflikte habt, versucht,
sie selbst zu lösen. Die Lehrerin darf nur dann zu Hilfe gerufen werden,
wenn alle anderen Möglichkeiten, den Konflikt beizulegen, erschöpft
sind.
- Sprecht mit der Lehrerin einen
Namen für Eure Gruppe ab
- Geht sparsam und pfleglich mit
Arbeitsmaterialien um.
- Achtet auf die Zeit. Wenn Ihr
seht, daß Ihr vermutlich nicht bis zum abgesprochenen Zeitpunkt fertig
werdet meldet dies der Lehrerin rechtzeitig.
- Jede Gruppe muß selbst dafür
sorgen, daß die Arbeitsergebnisse festgehalten werden. Ihr sollt sie nach
der Gruppenarbeit in der Klasse vorzeigen, vorführen oder vorlesen. Wenn im
Arbeitsauftrag nichts anderes festgelegt worden ist, könnt Ihr Euch selbst
aussuchen, wie Ihr die Arbeitsergebnisse festhaltet (z.B. durch ein
schriftliches Protokoll, durch eine Wandzeitung, durch Fotos,
usw.).
- Ablauf besprechen,
Arbeitstechniken einüben
Die Rahmenbedingungen sollten gerade
bei längeren Gruppenarbeitsphasen schriftlich abgegeben werden.
- Als Lehrperson aus dem
Zentrum heraustreten
Oft ist es die Lehrerin, die die
Schülerinnen bei der Arbeit stört! Gerade zu Beginn einer Gruppenarbeitsphase
sollte sie ihren Schülerinnen die Chance geben, sich erst einmal selbständig
in den (hoffentlich präzis formulierten!) Arbeitsauftrag und in das neue Thema
einzuarbeiten.
Gerade
engagierte Lehrerinnen übersehen leicht, welche Folgen ihre physische Nähe zu
den Schülerinnen in aller Regel hat: Die Diskussionen kommen zum Erliegen; die
Schülerinnen werden verleitet, Rückfragen zu stellen und die Verantwortung für
den Arbeitsablauf an die Lehrerin zurückzugeben. Gerade dies soll nicht sein!
Deshalb halte ich es für besser, wenn sich die Lehrerin erst einmal ans
Lehrerinnenpult zurückzieht und nur nach Aufforderung zu den Gruppen
kommt.
Erst auf halber
Strecke kann die Lehrerin einmal herumgehen und in allen Gruppen nachschauen,
ob es irgendwo Schwierigkeiten gegeben hat und wie die Arbeit fortschreitet.
Erst am Schluss sollte sie auf jeden Fall einmal herumgehen und nachschauen,
was herausgekommen ist, um die Auswertung der Arbeitsergebnisse im Plenum
besser steuern zu können.
- Beobachtungen anstellen
Die Lehrerinnen haben während des
Frontalunterrichts, der immerhin drei Viertel des gesamten Unterrichts
ausmacht, kaum Ruhe und Gelegenheit, ihre Schülerinnen differenziert zu
beobachten. (...) Im Gruppenunterricht kann die Lehrerin demgegenüber
beobachten, wie die Schülerinnen miteinander und mit der Aufgabenstellung
umgehen, wenn sie nicht fortwährend dirigiert und kontrolliert
werden.
In dem mehrfach
zitierten Buch von Rolf Gutte (1976, S. 93) werden folgende Beobachtungspunkte
vorgeschlagen:
- Gibt es Spannungen zwischen
einzelnen?
- Dominiert einer und macht die
anderen Gruppenmitglieder zu seiner Hilfstruppe?
- Wo wird ein einzelner von seiner
Gruppe nicht akzeptiert?
- Wo gibt es Rivalitäten, die das
gemeinsame Lernen paralysieren?
- Welche Normen bestimmen die
gemeinsame Arbeit einer Kleingruppe?
- Wer wendet sich häufig
Aufmerksamkeit suchend an die Lehrerin?
- Wer organisiert die Aktivitäten in
der Gruppe?
- Wer übt soziale Kontrolle in der
Gruppe aus?
- Wer ist nicht in der Lage oder
nicht bereit, sich mit ªseiner Gruppe´ zu identifizieren?
- Bekommen schwächere
Gruppenmitglieder Hilfe von anderen?
- Gibt es eine starre
Rollenverteilung in der Gruppe?
- Wie grenzen sich einzelne
Kleingruppen von anderen ab?
- Stabilisierung der
Gruppen
Die Lehrerin soll dafür Sorge
tragen, daß die Arbeitsergebnisse möglichst aller Gruppen im Plenum in einer
methodisch phantasievollen Art und Weise vorgestellt werden können. Es ist ein
Unding, im Plenum immer nur verbal über die Ergebnisse und Schwierigkeiten der
Gruppe berichten zu lassen. Vor allem bei themengleichem Gruppenunterricht
hört dann schon in der dritten Runde kaum mehr jemand zu. Deshalb sollten Sie
möglichst häufig auf die in der neunten Lektion skizzierten ganzheitlichen und
handlungsorientierten Formen der Ergebnissicherung zurückgreifen (S. 176
ff.).
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