Documentation Philosophy On Stage #4

Club der toten Philosophen // Performance Text

mit Anna Babka [CV], Volker Gerhardt [CV], Robert Schnepf [CV], Violetta L. Waibel [CV] Moderation: Richard Heinrich [CV]

TRANSKRIPTION PERFORMANCE:

Club der toten Philosophen [Anna Babka=Judith Butler; Violetta L. Waibel=Immanuel Kant; Volker Gerhard=Friedrich Nietzsche; Robert Schnepf=Baruch de Spinoza – Moderation: Richard Heinrich]

[27. November 2015 – Philosophy On Stage #4 – Tanzquartier Wien HALLE G]

Richard Heinrich: Ja, ich begrüße Sie herzlich zur inzwischen vierten öffentlichen Gesprächsrunde im Club der Toten Philosophen. Wir freuen uns sehr, wir sind stolz, dass Sie so zahlreich hergekommen sind. Sie werden 90 Minuten Diskussion – klarer Weise auf allerhöchstem Niveau – über Fragen des Verhältnisses von Kunst und Philosophie, künstlerischer Kreativität, philosophischer Argumentation miterleben. 90 Minuten ohne Pause. Ich werde Ihnen, ich möchte Ihnen gerne alle Teilnehmer dieser Gesprächsrunde vorstellen. Ich habe mir gedacht, ich fange mit „ihm“ an. Er ist in einer gewisser Weise der Patron der Veranstaltung. Sein Name ist im Titel des Ganzen mehrtätigen Events. Er kommt aus dem 19. Jahrhundert. Ist eigentlich nicht so lang. Aber es gibt Schwierigkeiten – wir nehmen an mit dem Pferd oder der Kutsche. Ich weiß es nicht. Wir warten auf Friedrich Nietzsche. Als nächster: Immanuel Kant. Vor zwei Monaten, wenigen Wochen, mit einem wirklich riesigen, ganz tollen Kongress an der Universität Wien geehrt. Ein großer Erfolg mit weltweiter Aufmerksamkeit. Heute hier bei uns aus dem 18. Jahrhundert: in personam.

Immanuel Kant: Einen schönen guten Abend.

Richard Heinrich: Aus dem 17. Jahrhundert – er hat ein zurückgezogenes Leben geführt, nicht ohne größte Schwierigkeiten mit seiner sozialen Umgebung. Er hat eine hochanspruchsvolle, in Teilen hermetische Philosophie entwickelt. Und doch nach einer gewissen Inkubationszeit für viele gerade der radikalsten und wildesten Philosophinnen und Philosophen als eine ganz, ganz bedeutende Inspiration gewirkt: Baruch de Spinoza.

Baruch de Spinoza: Es ist mir eine Ehre.

Richard Heinrich: Ja und jetzt: Der Gast-Star schlechthin. An so einem Abend: Eine Lebende: Judith Butler. – Also Sie haben mir in einem kurzen Gedankenaustausch, bevor wir mit unserem Gespräch begonnen haben, gesagt, dass Sie einfach – abgesehen von allem, was an dem Thema faszinierend und interessant ist – sich darauf freuen mit diesen philosophischen Geistern mal wirklich in einen konkreten Kontakt in der Nähe, in ein wirkliches Gespräch – auf der Couch sitzend – zu treten. Was würden Sie denn da am liebsten …

Judith Butler: Absolut! Es ist mir eine wirklich große Ehre. Und ich freue mich, dass ich eingeladen wurde. Es ist eine ganz besondere Situation, um nicht zu sagen, dass sie etwas queer ist. Quer-stehend zu herkömmlichen Vorstellungen von Zeit und Raum. Es ist als wäre ich aus der Zeit gefallen. Die Geister, die ich rief, nun sind sie hier. Das ist schön. Ich habe wirkliche Beziehungen, das habe festgestellt beim Nachdenken. Kant, das Ding an sich beschäftigt mich seit ich erwachsen bin und über die Dinge nachdenke, wie sie sind und wie sie scheinen und welchen Zugang man zu ihnen haben kann. Ich bin sehr froh, dass ich Sie das heute vielleicht fragen darf. Ich hatte eine Frage vorbereitet für Nietzsche, die vielleicht schon übergeleitet hätte zu einer längeren Diskussion – aber ich mache das jetzt anders: Ich beginne tatsächlich mit Spinoza. Sie haben meine Teenager-Jahre geprägt. Ich habe ein Buch von Ihnen, Ihre Ethik, im Keller gefunden, sie hat meiner Mutter gehört. Und ich habe mich mit dem Begriff des „conatus“ auseinandergesetzt. Das ist ein Begriff, der darauf verweist, dass der Mensch grundlegend begehrt ein gutes Leben zu leben – ich hoffe, ich gebe das richtig wieder. Und das ist nun etwas, was mich wirklich selbst beschäftigt, unentwegt; ich komme immer zu diesen Fragen zurück: Was ist der Mensch und was ist ein gutes Leben. Und in meinem Feld hat natürlich die Frage der Geschlechtsidentität viel mit diesem guten Leben zu tun. Es kann zu einem Problem werden, wenn man seine Geschlechterrolle nicht so erfüllt, wie es der gesellschaftliche Diskurs vorgibt, wenn das Geschlecht nicht im Wahren des Diskurses ist. Nun würde ich Sie sehr gerne fragen, Spinoza, ob Sie sich diese Fragen auch schon gestellt haben?

Baruch de Spinoza: Nein. – Der Begriff des Strebens – ich rede nicht von Begehren sondern von Streben in einem umfassenderen Sinne – der ist in der Tat für vieles zentral. Ich verstehe ihn aber nicht als ein unspezifiziertes Streben und vielleicht liegen dort Quellen von Missverständnissen, sondern als ein Streben sich in seinem Sein zu erhalten und das heißt nicht nur, sich in seiner Existenz zu erhalten, sondern sich in dem erhalten zu können, was einen individuell bestimmt, als – in einem modernen Ausdruck formuliert – als individuelle Form. Diese zu realisieren und zu erhalten, das Streben danach, das ist im Zentrum dieser Überlegung. Und das scheint mir im Begriff des Begehrens zu unspezifisch gefasst zu sein. Es scheint mir aber für unsere Diskussion zentral zu sein, spätestens wenn es um Körper und um Affekte gehen wird. Und da sind wir dann tatsächlich auf dem Weg ins Zentrum unserer Diskussion – sicherlich auch mit unserem – noch – abwesenden Diskussionspartner.

Richard Heinrich: Ein Aspekt, der in der Frage natürlich noch drinnen stecken könnte, ist, inwiefern bei diesem Streben der Realisierung dessen, was man als individuelle Form ist und sein kann, inwiefern da jetzt eine gewisse Vorstellung von Normativität drinnen steckt. Oder inwiefern in dem, was man als individuelle Form bezeichnet, wirklich eine Autonomie und eventuell auch eine Autonomie eines Rechtes auf Abweichung besteht. Das wäre schon ein etwas verschärfte Form der Frage, glaube ich.

Baruch de Spinoza: Ich sehe, dass hier zwei Fragen zu trennen sind. Recht auf Abweichung scheint mir primär ein politisch-rechtliches Problem zu sein, Und wie rechtliche und politische Normen generiert werden, das ist eine Frage, die man normfrei zu untersuchen hat. Eine ganz andere Frage ist, ob der Begriff des conatus selbst normativ ist. Da würde ich sagen: Nein! Das ist so! Wir streben nach Selbsterhaltung ohne zu wissen, welches unsere individuelle Form ist.

Judith Butler: Könnte die nicht auch ein „Dividuum“ sein? Weil Sie auf Nietzsche verwiesen haben, der würde doch gerne von einem „Dividuum“ sprechen!

Baruch de Spinoza: Nein. Der Begriff der Form ist bei mir zwar als ein dynamischer Begriff gedacht, ein Begriff, der auch extrem gegensätzliches umspannen, der sich aber auszeichnet dadurch, dass eine gewisse Art und Weise der Übertragung und des Ausgleichs von Impulsen – und seien sie auch noch so entgegengesetzt – erhalten bleibt. Ein Individuum ist ein Individuum. Und ich möchte – hier verstehe ich mich vielleicht mit Herrn Kant – im Interesse von Freiheit an dem Begriff des Individuums festhalten, denn ich muss sagen können, dass bin ich oder ich muss auch sagen können, nein, das bin ich gar nicht mehr.

Richard Heinrich: Sehen Sie wirklich genau genug voraus auf Kant? Können Sie nicht auch antizipieren, dass eventuell bei Kant eine Vorstellung von Allgemein-Verbindlichkeit über die Individualität des Strebens …

Baruch des Spinoza: Ich wollte die Gemeinsamkeit nur in dem allgemeinen Zug sehen, dass der Begriff der Freiheit zum zentralen Begriff auch dann wird, wenn es gilt, das Individuum, den Menschen zu denken. Nur darin. Das wir genügend Differenzen haben, das wissen wir aus unseren Gesprächen …

Immanuel Kant: Im Nicht-Raum und Zeit, sagen Sie es genau!

Baruch de Spinoza: Im Nicht-Raum und Zeit, ganz genau!

Richard Heinrich: Wollen Sie nicht etwas geltend machen?

Immanuel Kant: Ja, also es ist ja eigentlich klar und das ist auch eine große Differenz – Sie sprechen vom conatus, Sie sprechen vom Individuum – die entscheidende Unterscheidung ist ja gerade in diesem Kongress, der am Anfang genannt worden ist, zum großen Thema gemacht worden: Natur und Freiheit. Natürlich haben wir auf der einen Seite unsere Natur, unsere physis, auf der anderen Seite ist das, was uns doch ganz eigentlich und wesentlich ausmacht, dasjenige, was wir durch die Vernunft hervorbringen und eben durch Freiheit, durch Autonomie. Wir müssen diese beiden Seiten immer zum Ausgleich bringen. Aber das, was uns wesentlich ausmacht, das ist natürlich die Autonomie. Und das macht das aus, was die eigentliche Subjektivität darstellt.

Judith Butler: Uije. Die Autonomie. Ja, zum einen: Ich kann schon nicht so einfach „ich“ sagen, wie Sie, Herr Spinoza, vorher „ich“ gesagt haben. Wenn ich „ich“ sagen würde, würde ich sagen „ich bin in mir selbst unendliche Schichten“, nicht „eins“, das ich fassen könnte.

Immanuel Kant: Sind Sie nicht identisch mit sich selbst?

Judith Butler: Nein. nein. Gewiss nicht, Sie etwa?

Immanuel Kant: Ja, natürlich! Wie sollte ich denn von der Autonomie, von der Freiheit, wie können wir von Subjektivität sprechen, wenn wir uns nicht in diesem einen Bewusstsein, das wir haben, alle unsere Gedanken zuschreiben. Natürlich sind das Empfindungen, natürlich sind das hochkomplexe Gedanken, die wir fassen. Aber das ist alles das, was wir auf die eine Subjektivität, auf das eine Bewusstsein, das wir nun einmal sind, vermögen, und mehr haben wir nicht. Wollen Sie vielleicht sagen, dass Sie verschiedene Bewusstseine sind? Ich verstehe das nicht.

Judith Butler: Das ist schon so ein psychologischer Diskurs, Kant!

Immanuel Kant: Oh nein, es geht nicht um eine Psychologie! Ich unterscheide sehr wohl, und da würde ich Sie doch bitten, ich weiß gar nicht genau, ob Sie zu meinen Leserinnen zählen, da würde ich Sie doch sehr bitten zu unterscheiden zwischen dem empirischen Selbstbewusstsein und der reinen transzendentalen Apperzeption, und die ist dasjenige, auf das wir doch alles beziehen. Ob ich jetzt eine Empfindung habe, ob ich einen Traum habe, ob ich Empfindungen, die mir erst hinterher zu Bewusstsein gekommen sind, all das beziehe ich auf mein Bewusstsein, und das ist die reine transzendentale Apperzeption – und darüber wollen Sie nicht verfügen?! – – – Dann würde ich mich doch sehr wundern, wie Sie zu konsistenten Gedanken kommen!

Baruch de Spinoza: Dann wundern Sie sich einmal darüber, dass das geht!

Judith Butler: Das geht. Das ist vielleicht auch einfach ein völlig anderes Vokabular. Es stimmt, Kant, ich argumentiere nicht mit ihrem Vokabular, wenn ich von Subjekt spreche, von Identität spreche. Es ist, denke ich …

Immanuel Kant: Da bin ich dann aber doch gespannt …

Judith Butler: … Es ist, denke ich, ein völlig anderer Diskurs und hier wären wir vielleicht bei einem wichtigen Begriff für mich. Ich spreche ja davon, dass das Subjekt Effekt von Diskursen ist und diskursiven Regimen, die sozusagen alles, was zu einer gewissen Zeit sag- und denkbar ist, ausmachen. Die sind veränderbar in der Zeit. Ich muss und kann ausschliesslich von einem Subjekt sprechen, das zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte der Entwicklung der Menschheit andere Grundlagen hat, ein anderes Sprechen über das Subjekt, andere Konzeptionen, andere Wahrheitsregime liegen hinter solchen Konzepten und Begriffen. Insofern verstehen wir uns da vielleicht nicht wirklich, obwohl ich versuche zu übersetzen und mir auch Ihr Vokabular zu eigen zu machen jetzt in meiner Argumentation. Wer oder was bin ich? Ein Effekt dieser Diskurse, die mich zum Sprechen gebracht haben, aus deren Wissensrepertoire ich schöpfe – dazu kann auch Kantsches Philosophieren gehören, natürlich.

Immanuel Kant: Ja, gut. Ich habe schon verstanden im 20. Jahrhundert, im 21. Jahrhundert ist das empirische Ich so viel wichtiger für die Philosophie geworden als das, was jetzt mein ursprüngliches Anliegen in der Philosophie war. Vielleicht wollen Sie sich einfach mal meine „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ ansehen, da sind bestimmt einige Gedanken zu finden, die Grundlage dessen sind, was Sie da machen. Das war natürlich nicht mein Hauptgeschäft. Das war allerdings eine Vorlesung, und dieses Buch ist aus den Vorlesungen hervorgegangen, die ich mein Leben gehalten habe. Und das ist wahr, das ist genau die Vorlesung, die die Studenten auch immer wieder hören wollten. Ich habe das gerne gemacht, ich habe das aber nicht als das philosophische Hauptgeschäft gesehen. Insofern verstehen Sie vielleicht, das war für mich das letzte Werk, und ich sehe, Sie haben Probleme entfaltet, die ich doch gar nicht in dieser Tiefe gesehen habe.

Richard Heinrich: Ich würde sagen, vielleicht gehen wir mal auf die Anfangsfrage zurück – nach dem Streben, nach dem conatus in der Philosophie Spinozas, eventuell auch bei Leibniz. Was uns hier im Sinn des Themas, über das wir reden sollen, interessiert, wäre doch zum Beispiel, inwiefern wir dieses Streben jetzt wirklich auch im engeren Sinn als kreativ verstehen können. Be Ihnen steht dieses Streben sehr stark im Zusammenhang mit dem Begriff der Erhaltung und der Selbsterhaltung. Wie kann man da Kreativität unterbringen? Können Sie das als ein hervorbringendes Streben verstehen? Als ein Streben, das transformiert? Und in welcher Weise würden Sie dann nochmal unterscheiden zwischen einer intellektuellen Transformation, einer intellektuellen Selbsttransformation und dem, was im engeren Sinn eigentlich künstlerische Aktivität – oder vielleicht auch als Drittes technische Hervorbringung – eigentlich ausmacht?

Baruch de Spinoza: Bevor ich Ihre Frage beantworte, möchte ich einen kleinen Nebenpunkt machen. Ich wollte nie und an keiner Stelle sagen, dass es einfach sei „ich“ zu sagen. Ich wollte nur sagen, wir können es manchmal – mit besseren und mit schlechteren Gründen. Und verehrter und hochgelehrter Herr Kant, wir brauchen darüber nicht zu reden, da kommen wir nie übereins. Es gibt nur eine Natur und Freiheit IN dieser Natur zu denken.

Immanuel Kant: Sie sagen es richtig, ich glaube, da können wir nicht auf den gemeinsamen Punkt kommen!

Baruch de Spinoza: Ich möchte zu Ihrer Frage kommen. Im gewissen Sinne halte ich den Gedanken der Kreativität für einen Ungedanken. Wenn es ein Gedanke ist, dass etwas Neues gleichsam aus dem Nichts hervorspringen soll. Das so nicht angelegt ist, in dem, was da ist, und in den Umständen, in denen es da ist. Jede Hervorbringung muss erklärbar sein. Und sofern mit Kreativität etwas gemeint ist, was gleichsam unerklärbare Ursprünge hat und denen entspringt, ist mir dieser Gedanke fremd. Das bedeutet für mich auch, dass jedes Produkt künstlerischer Tätigkeit analysierbar und erklärbar sein muss in seinen Ursachen wie in seinen Effekten. Ja. Ihre Frage war spezifischer: Das Streben findet statt, in meinem Augen, unter Bedingungen, über die das Streben selber nicht verfügt. Streben kann sich manifestieren als ein leidendes Streben in diesem Sinne, als ein passives Streben. Und ich bin natürlich an den Formen von Streben interessiert, die diesen Aspekt des Leidens nicht haben. Ich bin mir nicht sicher, ob künstlerische Produktivität per se ein Streben ist ob ihr ein Streben zugrunde liegt, das nicht durch diesen Aspekt der Passivität und des Leidens ausgezeichnet ist. Ich bin mir nicht sicher, ob künstlerische Aktivität per se reine autonome Aktivität ist.

Richard Heinrich: Von Ihnen inspirierte Philosophen – insbesondere im 20. Jahrhundert der französische Philosoph Gilles Deleuze …

Baruch de Spinoza: Ja!

Richard Heinrich: … hat diesen Aspekt Ihres Denkens ja aufgenommen und immer versucht, ein Streben zu denken, dass nicht Kompensierung eines Mangels und dem auch nicht ein solches leidendes zugrunde liegen würde sondern dass – wenn man es als Begehren ansprechen würde – eben immer ein positives Begehren wäre. Darf ich an Herrn Spinoza und an Sie, Immanuel Kant, nochmal eine gemeinsame Frage richten, um die Diskussion ein bisschen mehr auf das Verhältnis zur Kunst zu bringen. Ich sehe inzwischen zwischen Ihnen beiden ein wenig eine Gemeinsamkeit: Sie firmieren nicht unter den großen Philosophen, Denkern über die Kunst. Beide nicht. Sie haben beide fast gleichzeitig – am Ende des 18. ten Anfang des 19. ten Jahrhunderts – mit einer gewissen Verspätung eigentlich beide sehr, sehr inspirierend gewirkt für große philosophisch-ästhetische Entwürfe. Wie stehen Sie denn, Herr Spinoza zum Beispiel, dazu, dass in einer gewissen Reaktion zunächst einmal gegen Kant Sie so stark wieder ins philosophische Gespräch gekommen sind als ein Anwalt sozusagen ursprünglich für romantische Bestrebungen in der Philosophie, als ein Philosoph, der sozusagen die Inkarnation des rationalen Denkens zu sein schien und plötzlich ein Anwalt für quasi irrationalistische Philosophien geworden sind?! Und so einen Impuls dargestellt haben für die Entwicklung ästhetischer Theorien?!

Baruch de Spinoza: Nicht lachen. Nicht weinen, sondern verstehen. Das gehört zu den Dingen, über die ich weinen müsste, wenn ich weinen würde.

Richard Heinrich: Sie [wendet sich an Kant]  sind in einer gewissen Weise ein Gegenspieler gewesen, eine zeitlang für diese Bestrebung und haben versucht, sich gegen sie zu wehren, gegen diese aufkommenden romantische Philosophie, die sich an dem Einheitsdenken Spinozas orientiert hat. Für Sie gilt aber eigentlich auch, dass nicht nur bei Dichtern sondern auch in der Philosophie auf einmal in der frühen romantischen Philosophie Ihre Ästhetik eine so bedeutende Rolle zu spielen begonnen hat. Was in der „Kritik der Urteilskraft“ über das ästhetische Urteil, über den Geschmack, über das Schöne – und vor allem Ihre Theorie über das Erhabene – hat einen enormen Einfluss auf die romantische Philosophie und Dichtung ausgeübt. Haben Sie das vorhergesehen?

Immanuel Kant: Das habe ich einerseits nichts vorhergesehen und ich bin auch nicht über alles sehr glücklich, was man aus meinen Schriften glaubt herauslesen zu können, aber Sie gerade Herrn Spinoza gefragt nach der Bedeutung des conatus. Ich habe zwar nicht den conatus, aber wenn es um die Kunst geht, dann habe ich natürlich, ich würde mal sagen, in einer mustergültigen Weise, die Genietheorie, die ja seit Jahrzehnten in unserem 18. ten Jahrhundert diskutiert worden ist von vielen auf eine sehr plastische Weise zum Thema gemacht und das ist von vielen rezipiert worden. Was die Romantik aus meiner Kunsttheorie gemacht hat, die ja im Grunde nur einen Anfang darstellen kann. Ich habe zur Kunst etwas gesagt, aber das ist natürlich nicht erschöpfend, ich bin mir vollkommen im Klaren darüber, dass eine ausführliche Kunsttheorie fehlt, aber es gibt eben doch diese Anfangsgründe einer Kunsttheorie. Und muss ich sagen, die Zeitgenossen, die sich damit beschäftigt haben, ob das nun Hölderlin ist – vor allem aber mein Kollege in Jena, Friedrich Schiller – das hat mich schon sehr beeindruckt. Ich wäre nicht auf den Gedanken gekommen, aber ich kann ganz gut nachvollziehen, dass Friedrich Schiller aus meiner Theorie des Erhabenen dann seine Theorie des Tragischen gemacht hat. Ich habe eine ganze Reihe der Schriften Schillers gelesen. Das finde ich durchaus sehr überzeugend. Was die Romantiker dann aus meiner Ästhetik herauslesen, das geht mir – glaube ich – schon viel zu weit. Ich habe einen wesentlichen Unterschied gemacht: Es gibt die Kunst als eine geistige Kunst und es gibt die schöne Kunst. Und mir war eigentlich in meinen Überlegungen, in dem, was mich interessiert hat, die schöne Kunst dasjenige, was ich weiter ausgeführt hätte, wenn ich denn eine ausgeführte Kunsttheorie entwickelt hätte. Was in der Romantik passiert ist, das man die geistige Kunst ins Zentrum gestellt hat und die Genie-Theorie in einer Weise dann ausgeführt hat, das sind Entwicklungen, die mir eigentlich nicht wirklich gefallen wollen. Ich verstehe nicht, warum man dann das Hässliche später zum Gegenstand der Kunst gemacht hat, das Überraschende, das Performative. Also, mir scheint, das geht doch ein wenig zu weit. Das Schöne ist ein Symbol unserer Menschlichkeit, unserer Autonomie, unserer Sittlichkeit. Aber, wo soll diese Kunst hin?! Was will diese Kunst?! Das kann ich nicht mehr nachvollziehen! Und vor allem: Man kann es eigentlich nicht aus meinen Schriften lesen!

Baruch de Spinoza: Wenn ich einen Beitrag zur Entwicklung der Ästhetischen Theorie habe in der Wirkungsgeschichte – dann wahrscheinlich – weniger bei den Romantikern als bei Autoren wie Moses Mendelssohn, die sich um eine affekttheoretische Grundlegung der Ästhetik bemüht haben mit entsprechenden Einflüssen in den entsprechenden Diskussionskontexten. Aber wissen Sie, wenn man so viel geschrieben hat und wenn es schon so lange her ist, beobachtet man Wirkungsgeschichte mit einer gewissen Gelassenheit. Ich zumindest muss mich nicht mehr darüber aufregen. Ich möchte auf einen anderen Punkt aufmerksam machen. Ich gebe zu, ich habe zur Ästhetik – in gewissem Sinne – noch weniger geschrieben als der Kollege Kant. Auch weil mich das Urteil „Dies ist schön“ nie so sonderlich interessiert hat, muss ich gestehen. Ich bin auch nicht sicher, ob das im Zentrum des Nachdenkens über Kunst steht.

Immanuel Kant: Das habe ich ja auch noch nie behauptet!

Baruch de Spinoza: Ich bin mir nicht so sicher, ob man sich an dem Schönen orientieren sollte. Ich möchte aber auf zwei Dinge hinweisen: Es ist selbstverständlich, dass man sich mit meiner Ausbildung künstlerisch betätigt hat! Das man Kunstinteressiert war. Zu unserer Bildung gehörte Schauspielunterricht. Der Schauspielunterricht wurde vollzogen an den Klassikern! An der klassischen Komödie. Es ist ebenso klar, dass Zeichenunterricht zu unserer Ausbildung gehörte. Ich habe gezeichnet, ich habe geschauspielert. Musiziert habe ich nicht. ––– Und: Ich denke, wenn man über das Verhältnis von Kunst und Philosophie nachdenken will – ich möchte es auf zwei Thesen zu spitzen, um eine Kontroverse auszulösen: Über Wahrheitsansprüche entscheidet die Philosophie – zum Prozess der Vervollkommnung des Lebens und auch zum Prozess der Erkenntnisgewinnung mag die Kunstrezeption und die künstlerische Betätigung beitragen.

Richard Heinrich: Wir diskutieren diese zwei echt zugespitzten Fragen jetzt unter Teilnahme des Patrons der gesamten Veranstaltung: Friedrich Nietzsche!

Friedrich Nietzsche: Jawohl, seien Sie gegrüßt! [Applaus für Friedrich Nietzsche]

Judith Butler: Ich möchte nur kurz zu dieser letzten Behauptung etwas sagen. Da finde ich ja nun sehr interessant, was nun Nietzsche – wenn er es gehört hat – dazu sagen würde, dass die Philosophie über die Wahrheit entscheidet – darf ich wiederholen – und wer entscheidet über die Kunst?! [wendet sich an Spinoza]

Baruch de Spinoza: Nicht Entscheidungen über die Kunst! Das habe ich nicht gesagt!

Judith Butler: Nicht Entscheidungen über die Kunst – okay!

Baruch de Spinoza: Sondern ich habe gesagt, dass künstlerische Betätigung und Kunstrezeption zu dem Prozess des Findens einer vollkommeneren Lebensform und auch zum Prozess des Gewinnens von Erkenntnissen beitragen kann – aber nicht beitragen muss.

Judith Butler: Sie haben mich noch nicht gefragt – [Szenenapplaus. Begeisterte Zwischenrufe aus dem Publikum: „Judith Butler“] – ob und wie ich mich zur Fragen der philosophischen Ästhetik verhalte. Also ich hab dazu nicht publiziert. Ich habe mir aber sehr wohl Gedanken gemacht, welche Zugänge ich aus meiner Perspektive zur Kunst im weitesten Sinne formulieren könnte oder wo ich aus der Kunst heraus Impulse nehme, seien sie begrifflicher Natur oder auch Verfahrensweisen, die mir helfen. Ein Moment – ich zähle sie jetzt kurz auf – wäre natürlich der Sprechakt, der performative Akt, hier kommt das Theatrale ins Spiel. Darüber können wir ja noch sprechen, über die Inszenierung, die Performanz von Identität, von Geschlecht. Des weiteren würde ich sagen, bzw. würde ich mich gerne beziehen auf einen Ansatz von Michel Foucault, der die Kunst der Selbstformung über ethische Fragestellungen formuliert hat, über die Frage „Was ist Kritik?“, die er eng geführt hat mit dem Postulat eines Abweisens von Subjektivation als Unterwerfung und mit Postulat der Selbstregierung im Gegensatz zum Regiert-Werden. Und das ist der Mensch für ihn, die Kunst des Selbstregierens. Das ist sehr spannend! Dass dieser Begriff hier aufkommt in der Form einer Selbstermächtigung, in der Form einer Selbstregierung des Subjektes. Und ferner natürlich – das sage ich als dritten Punkt, es gäbe einige mehr – interessiert mich die rhetorische Verfasstheit von Identität, von Wahrheit – und hier wäre natürlich mein direkter Ansprechpartner, wenn ich jetzt von Wahrheitsregimen spreche, die für Foucault so bedeutsam sind, was ist Wahrheit und wie würden Sie mir antworten, Nietzsche?!

Friedrich Nietzsche: Also, wenn ich jetzt sage, ich bin leider zu spät gekommen und dass Flugzeug hatte aus verschiedenen Gründen, die ich nennen könnte, eine solche Verspätung und sagen würde: Es ist wahr – es ist nicht eingebildet, würde auch Nietzsche nicht widersprechen! Und er hat in seiner Untersuchung „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ –––––

Zwischenruf aus dem Publikum: Sie SIND Nietzsche! Sie SIND Herr Nietzsche!

Friedrich Nietzsche: Ist das wahr?! Ja dann muss ich natürlich leugnen, dass ich hierher geflogen bin!

Immanuel Kant: Wir haben schon vermutet, dass der Pferdewechsel ein Problem war!

Friedrich Nietzsche: Aha. Ja, dann ist das natürlich noch eine andere Zeit. Aber wir wissen ja jetzt durch die jüngste Untersuchung, dass das Zeitalter der Pferde zu Ende ist. Und ich jetzt jedenfalls mich zurückdenken muss – das fällt mir jetzt im Moment ein bisschen schwer. Also: Wahrheit gibt es im Hinblick auf jene Tatsächlichkeiten der Zeit, einer bestimmten Gegebenheit, ob ich mit Kleingeld oder mit großem Geld bezahle, das würde Nietzsche nicht bestreiten. Also auch ich nicht. Aber im Hinblick auf die Philosophie – wie ich das ja gerade von Ihnen gehört habe – mit dem hohen Anspruch, dass die Philosophie das bestreitet, das muss ich nun, wenn ich mir die Maske Nietzsches vorsetze, ganz entschieden bestreiten, denn das ist der Punkt gegen den er eigentlich seine gesamte schriftstellerisch-philosophische Existenz hindurch, also von 18 …

Zwischenruf Johnny: Sie SIND Herr Nietzsche, sie SIND Herr Nietzsche!

Friedrich Nietzsche: Ja, vielen Dank. Ich bin noch ein bisschen unvertraut mit der Ehre, die Sie mir hier zu Teil werden lassen. Ich werde das vielleicht im Laufe des Abends – und wenn ich nicht zu sehr darunter leide, dass ich nicht so sprechen kann und so vollendet formulieren kann, wie Nietzsche das kann – dann vielleicht doch auch im Laufe des Abends soweit auch diese Verwechslung mit mir und ihm mir nicht mehr unterlaufen zu lassen. Also. Es gibt die Wahrheit gerade eben nicht mit Blick auf die Philosophie, weil die Philosophie Aussagen über das Ganze zu machen versucht, über das Leben, über die Geschichte, über den Sinn unserer Existenz und sie dann so tut, als würde man über das Leben so sprechen wie über eine Ankunft in Wien, über die Uhrzeit, über die Tatsache wie wir jetzt hier in Sesseln oder auf Stühlen sitzen. Und um diese Verwechslung gar nicht erst aufkommen zu lassen, liegt ihm außerordentlich daran, dass das, was die Philosophie als Wahrheit ausgibt, eigentlich von der Lüge nicht zu unterscheiden ist. Deswegen die Betrachtung „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“. Wer trotzdem auf einem Wahrheitsanspruch besteht, der hat ein moralisches Interesse, der möchte in einer ganz bestimmten Weise jemanden beeinflussen, unter ein Ideal stellen oder gar kein Ressentiment ausleben, und dass ist das, wovor ich jetzt im Namen Nietzsches ebenfalls warnen möchte.

Judith Butler: Wenn ich darf, dann würde ich gerne einen Aspekt einbringen, den ich auch gerne mit Ihnen, mit Ihnen dreien diskutiert hätte. Mir geht es um die Wahrheit die Geschlechts. Um im Wahren, im intelligiblen Geschlecht zu sein, das die Voraussetzung dafür ist, das man ein gutes Leben leben darf, anerkannt wird, es geht immer um die Frage der Anerkennung, das Geschlecht ist nichts beiläufiges, es ist etwas, was den Menschen innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Diskurses lokalisiert, ihn zum Subjekt macht zu allererst – es ist sehr schwierig ausserhalb der binären Logiken, die das Geschlecht vorschreibt, im Wahren zu sein. Ist man das nicht, dann ist man gefährdet. Es ist tatsächlich die Existenz gefährdet, es ist das Leben gefährdet. Welche Rolle spielt für Sie alle die Wahrheit des Geschlechts?!

Immanuel Kant: Ein sehr befremdlicher Gedanke – so wie Sie diesen gerade eben formuliert haben – für mich gibt es Weiber, Frauen und Männer. Ich habe schon mitbekommen, dass die Geschlechtlichkeit heute in einer ganz anderen Weise diskutiert worden ist. Vielleicht müssen Sie sehen, wie ich das diskutiert habe in meinem Schriften, in der Rechtsphilosophie, in der „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“, die habe ich gerade eben schon genannt. Da war es doch klar, dass die Natur uns in zweierlei Geschlechter auf die Erde gebracht hat. Es war der Wunsch – wenn Sie so wollen – der Natur, dass die Menschen sich vermehren, sich erhalten. Es war das große Pfand der Fortpflanzung, die man der Frau anvertraut hat, und deswegen war es der Mann, der für den Ehestand, für den Hausstand sorgen musste, der die Frau beschützt hat. Und dass, was Sie hier an Gedanken aufbringen, das sind für mich natürlich sehr befremdende … befremdliche Gedanken. Ich musste natürlich in meiner Rechtsphilosophie auch unterscheiden zwischen einem aktiven und einem passiven Bürgerrecht. Das aktive Bürgerrecht ist ganz klar. Das war natürlich dem Mann zugeschrieben. Das passive, das betraf Frauen, Hausgesinde, das waren all jene, die eben unselbständig sind. Sie hatten nicht das volle Bürgerrecht, aber sie konnten rechnen auf den Schutz der Gemeinschaft, das war natürlich garantiert und sollte garantiert und gegeben sein. Dass man heute ganz anders über Geschlechtlichkeit nachdenken kann, das hat auch sehr viel damit zu tun, denke ich – wenn ich darüber nachdenke – dass die Medizin sich ungeheuer entwickelt hat, dass die vielen Frauen, die im Kindbett gestorben sind, die ihr Leben lang Kinder gebären mussten, die gebärt haben, dass das nicht mehr in dieser Weise ist, wie in den Jahrhunderten bis in meine Zeit hinein und so war es für uns eigentlich undenkbar, dass man den Frauen, die für die Kinder, für den Nachwuchs sorgen sollten, für den Hausstand sorgen sollten, dass man diesen Frauen teure Ausbildungen bezahlen kann, das war einfach nicht denkbar. Das war auch eine Situation der Natur, die wir nicht anders zu bewältigen hatten.

Friedrich Nietzsche: Vielleicht darf ich meinem so sympathischen Kollegen Kant – gegenüber dem ich sonst wenig freundlich mich äußere; er ist ja für mich eher der Chinese vom Königsberg und ist jemand, der so sehr in die Moralphilosophie verliebt ist, dass er eben zu jenen gehört hat, die dann eben gemeint haben, sie müssten auch die Wahrheit aufrechterhalten – aber in diesem Fall muss ich ihm Recht geben, wenn man zum Weibe, darf man die Peitsche nicht vergessen. Das ist etwas, das ich gar nicht selber sagen musste, sondern, das mein Zarathustra gesagt hat. Und insofern hat es die Bedeutung von mehreren tausend Jahren, die dieser Prophet, der ja die Geschichte neu ins zwei Hälften teilen sollte und die Zeitrechnung sollte vom Erscheinen von „Also sprach Zarathustra“ wieder von Null ausgehen, das war das neue Evangelium, das ich geschrieben habe, und ich warte immer noch darauf, dass die Menschen danach jetzt auch ihre Kalender neu einrichten, aber in diesem Punkt muss ich – so sehr ich mir vielleicht denken kann, dass meine Interpreten dann 150 Jahre nach mir das möglicher Weise nicht mehr so ganz richtig finden – sagen, dass doch Frauen im wesentlichen dazu da sind für das Wohl der Familie und der Männer zu sorgen – es gibt Ausnahmen, es gibt einige wenige Ausnahmen, wie Fräulein von Meysenburg oder aber diejenige, die mir möglicherweise einmal den Kopf hätte verdrehen können, auch hier ein Fräulein, die sehr kluge Sachen über mich gesagt hat, aber das ändert nichts daran, dass sie eben als Frau noch nicht einmal im Kreise des Zarathustra wirklich gelitten ist.

Judith Butler: Ad hoc: ein Satz! Nietzsche, Sie haben echt Glück, dass hinter ihren Taten und Schriften offenbar kein Täter steckt! Die sind ganz selbstständig, deshalb müssen Sie sich jetzt gar nicht rechtfertigen!

Friedrich Nietzsche: Wenn es keinen Täter gäbe – es gibt mich als Autor. Und ich kann die charmante Bemerkung machen, dass ich in jener Zeit als ich die Krankheit als meine große Gesundheit erlebt habe, das ist eine meiner ganz großen Einsichten, aus der heraus dann die neuen Werke „Menschliches Allzumenschliches“ und „Die Morgenröte“ und „Die fröhliche Wissenschaft“ hervorgegangen sind, die mir deutlich gemacht haben, dass zum Leben auch das Leiden und der Schmerz und die Krankheit gehören, dass ich in jener Zeit den Abstand zum Buch gefunden habe und Jahre lang nichts zu lesen brauchte, sondern nur diktieren konnte und da hatte ich dann meinen treuen Diener Peter Gast, so habe ich ihn genannt, und ich war nur der Autor, ich habe diktiert, und er war der Schriftsteller, weil er das aufgeschrieben und dann auch tatsächlich noch einmal kopiert hat. Also, Autor bin ich schon.

Judith Butler: Über dieses Konzept der Autorschaft müssen wir dann aber schon reden im Zusammenhang mit dem Konzept der Täterschaft. Aber das würde dann jetzt vielleicht zu weit führen.

Richard Heinrich: Also, eine Anregung, die es ja einmal gegeben hat von Kant, die wir noch nicht richtig verfolgt haben, und die sich auf Sie bezieht, wäre Kants Überraschung, dass in den Vorstellungen über künstlerische Produktivität jetzt solche Begriffe eingetreten sind, wie Performativität. Was wir nicht berücksichtigt haben bisher – wir haben über das Feld von Philosophie und Kunst unter dem Aspekt der Kreativität gesprochen – was wir nicht besprochen haben, die Rolle, die in der Kunst – unter Umständen! – im Unterschied zur Philosophie der Körper spielt. Die Tatsache, dass wir, wenn wir künstlerisch produktiv sind, etwas hervorbringen in der einer Art und Weise, die unsere körperliche Aktivität, unser Zusammensein in einer Gemeinschaft, unser Auseinandersetzung mit Materialien zur Voraussetzung hat. Das wäre doch vielleicht ein Punkt, an dem für Sie – auch wenn Sie sich nicht zentral mit Fragen der philosophischen Ästhetik beschäftigt haben – ein Einsatzpunkt wäre, der auch für die anderen interessant ist. Was bedeutet für Sie in diesem Zusammenhang die Rolle des Performativen?!

Judith Butler: Ja, das ist ein Akt – ein Sprechakt, es kann auch ein körperlicher Akt sein, eine Performanz, die ein Akt ist, der hervorbringt – über Wiederholungen hervorbringt, was benennt oder was ihm vermeintlich zugrunde liegt. Also, ich finde es ja auch spannend heute hier mit der Performanz von Kant konfrontiert zu sein. Diese Subversion – Kant in seiner Performanz hier als subversiver Akt, vielleicht nicht ganz als Dragking, das wäre übertrieben, aber doch eine gewisse – man würde vielleicht eher Hosenrolle dazu sagen! Ich könnte den Unterschied erklären: Die Hosenrolle geht, ohne dass man viel darüber spricht. Sie parodiert nicht. Sie ist dezent. Das passt zu Ihnen, Kant. Sie will nicht provozieren, aber dennoch gibt sie zu denken. Kant, Sie geben zu denken, in der Art und Weise wie sie hier heute auftreten.

Immanuel Kant: Ich hoffe, ich gebe nicht nur zu denken, wie ich hier heute auftrete, das habe ich mir nicht ausgesucht in welcher Form ich aus dem Nichtraum und der Nichtzeit hier bei Ihnen als Geist erscheinen soll und Sie sprechen mich jetzt darauf an, dass es wohl eher ein weiblicher Körper ist als ein Männerkörper, ich habe bis jetzt nicht darüber nachgedacht, das interessiert mich jetzt auch gar nicht. Das wesentliche ist doch, dass ich hier bin, inkorporiert bin und einen Körper brauche, um nachzudenken, mit Ihnen zu sprechen über meine Philosophie zu sprechen. Dass ich auf meinen Körper all mein Leben sehr gesehen habe, dass wissen Sie ja vielleicht von den Biographen, die darüber schreiben. Ich habe ja auch an manchen Stellen – ich muss wieder auf meine Anthropologie verweisen – da habe ich daraufhin gewiesen – später habe ich sogar eine Diätetik geschrieben auf Anlass von Wilhelm Hufeland – wie wichtig es ist, als erstes auf den Körper zu sehen, damit er funktioniert, damit er uns treu dient, dass wir denken können und – das Wichtigste – der Geist, die Vernunft kann viele Einsichten haben, um präsent zu sein. Sie nennen das heute Performanz.

Richard Heinrich: Können Sie dem zustimmen, dass sozusagen die Sorge um den Körper – so wie das jetzt von Kant beschrieben worden ist – hauptsächlich eine Sorge um einen Diener ist?! Dass er uns dienen möge, dass er uns nicht verlassen möge, dass seine Schwäche uns nicht daran hindern möge etwas anderes als seine Kräfte zu entwickeln.

Immanuel Kant: Das war meine ganze Forderung. Aber ich denke, ich habe es zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Nicht ohne Grund hat mich Wilhelm Hufeland, der Mediziner in Jena, der berühmte, Sie wissen, dazu aufgefordert, eine philosophische Diätetik zu schreiben. Und dass Schule gemacht.

Baruch de Spinoza: Nein.

Richard Heinrich: Sie glauben, das kann nicht so sein?!

Baruch de Spinoza: Es ist nicht so.

Richard Heinrich: Es ist nicht so!

Baruch de Spinoza: Es ist nicht so. Geist und Körper sind zwei verschiedene Dinge! Jeder Vorgang des Denkens ist zugleich ein körperlicher Vorgang Und natürlich hängt unsere Fähigkeit zum Denken auch von der Verfasstheit unseres Körpers ab, auch von der Verfasstheit unseres Körpers in Hinblick auf die Mannigfaltigkeit der Eindrücke aber auch der Fähigkeit diese zu verarbeiten. Der Körper ist nicht der Diener des Geistes – sondern Körper und Geist IST ein und dasselbe. Ich möchte aber noch einen zweiten Punkt …

Immanuel Kant: Da kann ich aber nicht ganz zustimmen …

Baruch de Spinoza: … Ich habe Ihnen auch widersprochen!

Immanuel Kant: Ich habe das wohl gehört …

Baruch de Spinoza: Ich möchte aber noch einen zweiten Punkt machen, um der wohl gelehrten Frau Butler zu antworten. Hier kommt der Gedanke der Performanz ins Spiel. Sehen Sie: Jein! Ich habe versucht es am Beispiel religiöser Diskurse zu analysieren! Sie verwenden den Ausdruck der Performanz. Aber wenn Sie sich anschauen, wie ich religiöse Diskurse analysiert habe, dann habe ich sie so analysiert, dass durch die Art und Weise des Sprechens und durch die Sprecher, in dem was sie, indem sie so sprechen wie sie sprechen, und sich damit auch Autorität zusprechen, die anerkannt wird, soziale Fakten geschaffen werden, die historische wandelbar sind. Auf dieser Ebene finde ich – mir ist der Begriff der Performanz fremd – aber ich finde ihn auf dieser Ebene ein vorzügliches Analyse-Mittel – auch um entsprechende Klärungsfragen zu stellen und zu beantworten. Es sind aber zwei verschiedene Dinge, dies auf einer Ebene als Analyse-Mittel historischer Wirklichkeit zu verwenden und auf der anderen Seite zu verzichten auf die These: Ja, Dinge sind so. Das ist ein Individuum. Das ist seine Form. Das sind seine Ursachen. Ich unterscheide ja strikt, beispielsweise, den religiösen Diskurs vom philosophischen Diskurs. Und ich würde auch den dichterischen Diskurs vom philosophischen Diskurs entsprechend zu unterscheiden versuchen. Und konsequenter Weise würde ich auch auf Ihre erste Frage an mich, wie die Geschlechterdifferenz von mir zu denken ist, antworten. Es gibt eine vergleichsweise uninteressante Antwort. Da hab ich nicht viel nachgedacht. Es gibt aber, so finde ich, auch eine etwas interessantere Antwort. Auf der Ebene der Performanzen, in dem von mir jetzt von Ihnen adaptierten Sinne – und es ist ein Gespräch zwischen den Zeiten, das wir führen – kann ich ihrem Gedanken etwas abgewinnen, denn, in meinem Begriff, der Form des Individuums steckt per se kein biologisches oder sonstiges Merkmal.

Judith Butler: Ich habe gesehen, Sie argumentieren konstruktivistisch …

Baruch de Spinoza: Jein. –––––

Judith Butler: Aber ja! Wir nähern uns an! Ich finde das sehr bereichernd. Vielen Dank, Spinoza.

Baruch de Spinoza: Das beruht auf Gegenseitigkeit, hoch geehrte Frau Butler!

Friedrich Nietzsche: Ich hatte gerade schon den Versuch gemacht, daran zu erinnern, dass ich im Jahre 1867 eigentlich vor hatte eine Dissertation zu schreiben, nicht in meinem Metier, der Altphilologie, sondern im Bereich der Philosophie. Aber dann kam der ruf nach Basel dazwischen und ich brauchte dann nicht mehr zu promovieren. Aber diese Promotion hätte ich geschrieben über Immanuel Kants Teleologie. Das ist eben jener Teil, der auf die Ästhetik des verehrten Kant folgt. In dieser Ästhetik sagt er etwas ganz enormes, wie ich auch als Nietzsche sagen muss, dass der Geist die belebende Kraft im Gemüte ist. Und was im Gemüte ist, das gehört selbst wiederum – und das ist ein Teil dessen, was das Lebendige ausmacht, nämlich die – und dass ist ein Begriff Kants, ich beneide ihn dafür – Selbstorganisation. Der Begriff ist – soweit ich mich auskenne – in der Literatur, die nach meinem Tode noch geschrieben worden ist, inzwischen unverzichtbar. Ich habe das dann später aufzunehmen versucht, indem ich versucht habe, in strikter Weise her vom Leib zu denken. Und den Versuch gemacht habe, dieses Kantische Diktum noch ein wenig zu verschärfen, indem ich daraus gemacht habe, dass die Vernunft etwas ist, was eigentlich die große Kraft des Leibes ist! Und dass der Leib, indem wie er sich bewegt, eine große Vernunft ist und dass die kleine Vernunft, mit der wir versuchen jetzt uns zu verständigen und auch ein hoffentlich doch gelingenden Spiel zu spielen, etwas ist, das selbst wiederum nur an den Fäden des Leibes – sozusagen wie eine Marionette – geführt wird. Ich bin in der Zeit, in der ich das geschrieben habe im Zarathustra, der Auffassung gewesen, dass eigentlich der Leib alles ist und dass sowohl die Sinne wie auch der Verstand, wie auch die Vernunft nichts anderes sind als die Diener des Leibes. Ich bin nicht sicher, ob ich durchweg bei dieser Auffassung geblieben bin, wenn ich das noch eben sagen darf, denn kurze Zeit im Fünften Buch der Fröhlichen Wissenschaft nach dem Zarathustra hab ich dann einen Gedanken in die Welt gesetzt, von dem ich den Eindruck habe, dass die Philosophen nach mir ihn noch gar nicht richtig begriffen haben! Dort nämlich habe ich sagen müssen, dass das Bewusstsein ein Netz ist! Das viele Leiber verbindet! Und dass ist ein Gedanke, den ich leider dann nicht mehr im Einzelnen ausführen konnte. Und wenn das so ist, dann ist das, was den Körper, den Leib begeistert, was ihn belebt, also diese große Vernunft des Leibes nichts ist, das nur wie ein Organ in mir ganz bestimmte Funktionen erledigt, sondern das mich mit anderen, die in gleicher Weise ebenfalls belebt, begeistert und eben auch – das kommt in meinen Texten vor – etwas ist, was dann eine Mitteilung ermöglicht. Das ist, das weiß ich als Nietzsche natürlich ganz genau, ein platonischer Begriff: Ich nehme Teil an etwas! Und indem ich mit-teile, bin ich dem verbunden, dem ich etwas mit-teile. Und dann ist das Bewusstsein ein Organ der Mit-Teilung zwischen vielen. Und ich glaube, dass dies dem Gedanken der Performanz, wenn ich es richtig verstehe durchaus nahekommen kann, weil das ja nicht nur etwas ist, was ich an meinem Körper, mit meinem Körper tue, sondern das immer schon in Situationen, szenisch, durch Handlung, durch Tätigkeiten in eine bestimmte Sichtbarkeit und auch eine bestimmte Aktivität gebracht worden ist.

Judith Butler: Ja.

Friedrich Nietzsche: Ja, da kenne ich mich etwas besser aus als bei den Weibern! Das muss ich ja zugeben – als Nietzsche. Mir ist auch gerade – wie konnte mir das entfallen! – das Fräulein von Salomé ist es gewesen, das mich wirklich immerhin soweit gebracht hat, dass ich ihm – dem Fräulein – einen Heiratsantrag gemacht habe. Das hat sie nun leider abgelehnt und ist dann erstmal mit jemandem anderen in eine Wohngemeinschaft gezogen und hat ihn dann aber auch nicht geheiratet, das hat immer sehr geschmerzt – aber von diesem Fräulein habe ich die allergrößte Achtung und mein größtes Musikstück ist auf einen Text geschrieben, der von ihr stammt! Also insofern gibt es doch auch eine gemeinsame Produktivität zwischen dem Mann und dem Weibe.

Richard Heinrich: Würden Sie sagen, dass Sie in einer gewissen Weise die Ideen Kants in der teleologischen Urteilskraft als eine Art Verlängerung seiner ästhetischen Urteilskraft auffassen, und nicht als ein komplementäres Stück. Würden Sie sagen, dass in der Weise wie Sie das betrachten in ihrer Philosophie tatsächlich auch eine künstlerische Praxis verwirklicht wird?! Oder würden Sie diesen Zusammenhang in einem speziellen Sinne, in einem Sinne, in dem uns das hier beispielsweise interessiert, also wir wissen Sie haben einen Sinn nicht nur für die Tragödie, für das Theatralische insgesamt, und für die Inszenierung insgesamt gehabt, für die Bedeutung, die die Möglichkeit, etwas zu werden, was man nicht ist, für die Identität hat, also die nicht nur auf der Basis einer vorausgesetzten Identität, die transzendental oder sonst irgendwo – das haben wir am Anfang in Ihrer Abwesenheit natürlich uns zu diskutieren getraut – dass man das wirklich verstehen kann auch als ein Vorbild für jetzt noch lebende – wie Frau Butler oder unser Publikum – … die Grenzen zwischen philosophischer Reflexion und Argumentation, oder wie Spinoza das gesagt hat, diese große scharfe Grenze zwischen dem Wahrheitsanspruch der Philosophie und dem Bildungsanspruch der Kunst – dass das heute noch als Vorbild wirken könnte?! Würden Sie sagen, dass Ihre Teilnahme an dieser theatralen Veranstaltung wirklich eine Erfüllung dessen ist, was Sie sich gedacht haben über das Verhältnis von Kunst und Philosophie?!

Friedrich Nietzsche: Also erstmal muss ich sagen, ich freue mich in Ihnen mal einen Leser zu haben. Das war zu meinen Lebzeiten leider eben doch ein wenig dürftig. Und ich habe in jenem Buch, das Sie ansprechen, eine Idee vertreten, von der ich später gesagt habe, es handelt sich um eine ästhetische Rechtfertigung der Welt – und auf diese Weise habe ich versucht, das, was die Philosophen vor mir – insbesondere mein Vorgänger Spinoza, von dem ich dann erst 1881 genaueres erfahren habe; Sie haben immer versucht die Welt als Ganze und den Lebenszusammenhang aus einer Sicht einer physikalischen oder physiologischen oder aber moralischen Sicht als eine Einheit zu sehen. Meine Position in der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ von 1872 hatte das Große, dass sie eine ästhetische Metaphysik vertreten hat. Und ich habe eigentlich nichts anderes getan als dass, was den Griechen existentiell geschehen ist. Sie wusste von der tragischen Verfassung des Lebens. Sie wussten, dass das Beste, was dem Menschen passieren kann, nicht geboren zu sein – und da er nun schon mal geboren ist, gibt es für ihn nur das zweitbeste, nämlich möglichst bald wieder tot zu sein. Und so lange er dies nicht tut, ist die einzige Chance, die er hat, eben das Leben ästhetisch zu verklären. Und insofern ist meine Entdeckung bei der Deutung der griechischen Kultur dahingehend zu sehen und darin hat mir Jakob Burkhardt zugestimmt, der einzige Leser, der für mich letztlich infrage gekommen ist in dieser Zeit, dass die Griechen die Entdeckung gemacht haben, dass sie Kunst sie für das Leben gerettet hat! Die Kunst ist es! Das ist sozusagen der größte Gedanke von Performanz, den man sich vorstellen kann. Dass es die Kunst ist, die uns überhaupt erst in einer Weise lebensfähig macht, sodass wir es aushalten. Wenn dieser Gedanke nicht kommt, wenn das alles der Wissenschaft überlassen wird, ich sage es ja deutlich im Absatz 15 der Geburt der Tragödie – niemand hat es gelesen – dann müsste allein unter der Herrschaft der Wissenschaft es den Menschen in Europa längst so gegangen sein wie jenen Wilden auf den Fidchi-Inseln, die schon längst in einem kollektiven Selbstmord ein Ende mit ihrem Dasein gemacht hätten.

Judith Butler: Ich würde diese Frage jetzt versuchen anders zu stellen. Das ist sehr reichhaltig, Nietzsche, was Sie hier sagen. Aber ich versuche den Unterschied zwischen literarischem und philosophischem Text herzustellen und zu erklären. Also, dass wäre eine Frage, die ich gerne an alle stellen würde. Der literarische Text als das Kunstwerk – der philosophische Text als die philosophische Abhandlung, frei von Kunst? Frei von Metaphern, die ihr künstlerisches Unwesen treiben?! Ich denke, es kann dieser Unterschied, in der Vehemenz gar nicht behauptet werden?! Was machen wir dann mit dieser Frage, wenn es diesen Unterschied zwischen Philosophie und Kunst nicht so eindeutig zu ziehen gilt – oder es auch gar nicht funktioniert?! Ich denke, Nietzsche, Sie müssten hier doch einige Argumente doch auch auf meiner Seite haben?

Friedrich Nietzsche: Ob es der Argumente bedarf, bezweifele ich ja immer. Sondern man macht es sozusagen in der Performanz des Textes und überzeugt sozusagen auch durch die Größe und die Eleganz und den Witz der Darstellung – aber, Ihre Frage habe ich allein schon durch einen Buchtitel beantwortet! „Fröhliche Wissenschaft“ – „Fröhliche Wissenschaft“! Das ist jene Wissenschaft, die eben das beides verbindet: Den Versuch natürlich, das, worum es uns geht in einer freien Weise, freier Geist!, zu erschliessen und so zu erschliessen, dass wir dadurch gefördert und entwickelt werden. Selbst wenn wir krank sind, wir diese Krankheit nicht merken und über uns hinaus gehen, sodass wir in der Lage sind – ein wesentlicher Gedanke, auf den ich stolz bin – dass wir uns selbst überwinden können, dies aber tun in einem entspannten, in einem offenen, in einem freien, in einem nicht-zerquälten Geist von den Stubenhockern, die normalerweise auf Lehrstühlen sitzen. Und Bildungsphilistern, die sie alle sind! Das muss man doch auch mal dazu sagen.

Baruch de Spinoza: So viel ich Herrn Nietzsche bewundere, zu den Dingen, die ich am meisten bewundere, gehört, dass er eine Frage beantwortet, die sich eigentlich nicht stellt. Nämlich die nach der Rechtfertigung des Lebens. Ein solcher Ungedanke! Rechtfertigung des Lebens!

Immanuel Kant: Und noch dazu ästhetische Rechtfertigung! Wie kann man die Wissenschaft soweit zurückdrängen!

Baruch des Spinoza: Aus meiner Perspektive …

Friedrich Nietzsche: Unterschätzt mich nicht! – Ich weiß von der Paradoxie der Formulierung!

Baruch de Spinoza: Paradox ist eine der schönsten Ausreden, die man wählen kann an dieser Stelle, wenn es um das klare Denken geht. Ich möchte auf Ihre Frage zurückkommen nach der Differenz von literarischem Text und philosophischem Text, die glaube ich nochmal in das Zentrum unserer Diskussion führt. Und Sie hatten die Frage zugespitzt auf die Frage, gibt es metaphernfreie Sprache. Es war ein Aspekt.

Judith Butler: Es war ein Aspekt!

Baruch de Spinoza: Es war ein Aspekt! zunächst mal sehe ich Gemeinsamkeiten zwischen bestimmten philosophischen Texten und künstlerischen Texten über den Begriff der Form! Beide sind hoch formal organisierte Textgebilde! Und unter Text verstehe ich jetzt wirklich Text im Sinne von Text, okay?! Muss man ja mal sagen! Nicht Gedanke! Textgedanke ist ja nochmal ein anderes Problem. Der zweite Punkt: metaphernfreie Sprache. Ich vermute, man wird keine Sprache vollständig metaphernfrei bekommen können – und ich weiß auch noch nicht genau, was das bedeuten können sollte! Aber! Ich verstehe Sprache so – und Texte so – dass sie dem Leser dazu verhelfen sollen, nicht etwas Sprachliches am Ende zu haben, sondern einen Gedanken zu fassen. Und der Gedanke, der gefasst werden soll, der bedarf einer bestimmten Organisation, einer bestimmten inneren Klarheit, Distinktheit und eines inneren Zusammenhanges. Den Leser dazu zu bringen solche Gedanken zu fassen, dazu können Metaphern hilfreich sein! Und ein produktiver Metapherngebrauch unterscheidet sich von einem unproduktiven wildwüchsigen bis gefährlichen Metapherngebrauch genau dadurch inwiefern er dieses Ziel anvisiert und inwiefern es ihm gelingt.

Judith Butler: Spinoza, ist das kontrollierbar?!

Baruch de Spinoza: Nur für denjenigen, der den Text liest. Man sieht es dem Text nicht an, wenn das die Frage war. Man sieht es nicht auf der Oberfläche des Textes, sondern es ist im Prozess des Lesens, das sich der Unterschied für den Leser einstellt oder nicht.

Judith Butler: Das heißt, die Leser_innen müssen klüger sein als die Philosophen?!

Baruch des Spinoza: Müssen ist eine normative Aussage.

Richard Heinrich: Ich würde gerne noch einen zusätzlichen Aspekt in Bezug auf diese Philosophie und Kunst Unterscheidung rein bringen. Das meiste, was wir hier besprochen haben, betrifft Zusammenhänge zwischen ästhetischer Erfahrung, Lebensgestaltung und vor allem bei Nietzsche diese Affinität von, oder dieses Ineinandergehen von dichterischer und philosophischer Bildung und letztlich auch Erziehung. Mit dem Hinweis auf den Unterschied zwischen Texten in der Philosophie und in der Literatur haben Sie auf etwas aufmerksam gemacht, was wir bisher völlig vergessen haben, nämlich, dass man doch weitgehend als eine charakteristische Erscheinung der Kunst das Werk betrachtet. In welcher Weise ist das nicht etwas, was die Philosophie von der Kunst unterscheidet, dass das, was das Werk ist, dass das Terminieren künstlerischer Aktivität in einem Werk, das dann selbstständig dasteht, als das, was es ist, gewürdigt werden kann, denn die Kunst von der Philosophie unterscheidet eigentlich – wenn es so ist, wie Herr Spinoza sagt – dass dort der Metaphern und auch der literarische Effekt letztlich dem Zweck dient, nicht ein abgeschlossenes eigenes Werk, ein Objekt, ein Etwas da sein zu lassen, sondern einen Gedanken fassbar zu machen. Dann ist sozusagen das Ende das Resultat – auch wenn wir an beide ästhetische Kriterien anlegen können, wenn wir in beiden Fällen von künstlerischer Kreativität sprechen können – das Resultat signifikant verschieden. Es bleibt in der Kunst  – oder wir stellen uns vor, dass in der Kunst … – Aber, ich nehme an, dass Sie werden da einen Einspruch haben! Klassischerweise sehen wir in der Kunst ein Werk als Resultat, und als Resultat ästhetischer Aktivität in der Philosophie vielleicht doch eher so etwas wie Erziehung, Klarheit, Bildung, die Gestaltung einer Einstellung.

Friedrich Nietzsche: Ich weiß nicht, ob ich schon wieder sprechen darf. Vielleicht habe ich das Bedürfnis, weil ich so spät gekommen bin noch etwas nachzuholen. Aber, eines ist, denke ich, sehr wichtig, dass es darauf ankommt, sich das, was man aus einem Text nimmt, ganz einzuverleiben. Ein Lieblingsausdruck von mir! Und man muss den Text nicht einfach lesen, sondern man muss ihn wiederkäuen, wiederkäuen! Man muss ihn immer und immer wieder so in sich hinein holen, dass man aus ihm lebt. Und das ist etwas, wo wir sehen, dass die leibliche Organisation etwas durchaus in sich auch künstlerisches hat und so versucht der Philosoph, wenn er wirklich wirksam werden will, auch zu wirken! Sehen Sie, ich habe wirklich zweimal in meinem Leben in Schriften über andere Philosophen oder über andere geschrieben, die Werke geschrieben haben. In der dritten Unzeitgemäßen Betrachtung über Schopenhauer als Erzieher und dann Richard Wagner in Bayreuth in meiner vierten Unzeitgemäßen Betrachtung. Und die Leute haben das so gelesen als seien das Schriften über Schopenhauer und Wagner. Das mich sehr amüsiert. Ich schreibe doch nur über mich! Ich schreibe nur über mich – und man muss es heute lesen, um zu sehen, wie ich damals auf dem Weg zur Eigenständigkeit war! Und insofern, weil die Konsequenz dieses Richard Wagners in Bayreuth bedeutet hat, das ich nie mehr wieder Bayreuth gefahren bin. Und so ist es dann auch gewesen! Also, da gibt es eine ganz andere Beziehung! Die Philosophie stellt auch, wenn sie wirklich große Werke schreibt, wie etwa die künstlerischen Dialoge Platons, des göttlichen Platon, das ist der Erfinder des Romans! Das niemand anderer so klar gesehen, wie ich, dass dies keineswegs einfach nur philosophische Schriften über Sokrates sind, sondern dass da eine völlig neue Literaturgattung geschaffen wird. Und ich habe dann in anderen Zusammenhängen eben deutlich gemacht, dass die Philosophie, wenn sie Werke schafft, es Werke sind, die wie Kunstwerke weiterwirken und wenn ich nun wüsste, wie meine Werke nach meinem Tode aufgenommen werden, dann könnte ich immerhin sagen, dass mich zu Lebzeiten zwar viel zu wenige beachtet haben, aber nach mir ist wahr geworden, was ich immer wusste beim Schreiben: Meine Werke sind Dynamit!!! Und nicht einfach ein Text! Und ich würde glauben, dass man bei mir diese säuberliche Unterscheidung zwischen dem Gedanken und dem Text auch schon deshalb nicht machen kann, weil man im Produzieren der Gedanken, dass alles schon eine Umwandlung von etwas Leiblichem in ein anderes Leibliches beim Sprechen ist, Und insofern ist das eine sukzessive Verwandlung von etwas, das zunächst einmal in mir Luft, Atmen, Schwingungen sind und dass dann tatsächlich etwas Körperliches insofern hat, als es einen bildlichen Charakter hat und dann ist es Metapher. Und das, was dann in einem Text von dem großen Spinoza, den ich wirklich für meinen Vorgänger halte, den ich aber – das haben jetzt die Philologen herausgekriegt – leider nie gelesen habe, dass dann in einem solchen Text etwas ja eigentlich abgestorbene, abgegriffene – wie Münzen abgegriffene – Metaphern sind. Und ja, wer sich damit zufrieden gibt, der kann Philologe werden, aber kein wirklich produktiver Philosoph.

Immanuel Kant: Kant-Versessenheit, Identität von Ästhetik und Wissenschaft – es ist eigentlich ein Schreck für mich, wie sich die Philosophie entwickelt hat! meine große Arbeit war, herauszustellen, was Wissenschaft heißt. Die Wissenschaft ist das, was dem Menschen Aufklärung möglich gemacht hat. Sie hat möglich gemacht, Medizin zu entwickeln, sie hat möglich gemacht, eine neue Juris Prudens auf den Weg zu bringen, hat möglich gemacht, alle Wissenschaften, vor allem die Physik, den großen Newton! Und jetzt kommen Sie daher und wollen uns weismachen, dass  Philosophie und Ästhetik eigentlich nahezu das gleiche sind. Wiederkäuen sagen Sie, muss man die Texte! Ja, dem Gedanken kann ich – obwohl es ein sehr leibversessener Gedanke ist, was ich nicht unterstreichen mag – aber ich verstehe den Gedanken, den Sie da haben. Das ist ja – bitte schön – ein Gedanke, Herr Nietzsche, den ich längst auch habe. Denn, ich habe immer deutlich gemacht, dass man die Texte, die ich geschrieben habe, die meine Kollegen geschrieben haben – aber es ist ja schon gut, wenn man meine Texte liest, ich habe die Philosophie auf ganz neue Füße gestellt – aber es ist natürlich klar, dass ich die Gedanken nach vollziehen können muss, das ist ein Gedanke im übrigen, den hat schon Christian Wolff gehabt, den ich sehr verehrt habe und der, wer – Gott helfe ihm – nicht auf so eine verrückte Idee gekommen ist wie Sie, die Sie da dann in ihrem neunzehnten Jahrhundert entwickelt haben. Es ist schon klar, weshalb wir uns nicht wirklich verstehen!

Judith Butler: Ich sage auch noch etwas aus dem 21. Jahrhundert dazu. Das Werk – ja, was ist das Werk? Nietzsche, ich finde es ja verständlich, dass Sie Ihr Werk in der Wirkung als Dynamit verstehen wollen. Aber Sie können diese Wirkung ja nicht kontrollieren! Ein Werk – da wäre ja auch die Frage, ist das Werk ein Ding an sich? Wie ist der Zugang zu diesem Ding?! Welche Möglichkeiten haben wir überhaupt über ein Werk zu sprechen?! Also, ich möchte jetzt schon auch die Seite der Rezeption ansprechen: Ein Werk realisiert sich natürlich in der Betrachtung – und die unterscheidet sich sicher über die Jahrhunderte, sie ist individuell sehr verschieden je nachdem, welche Möglichkeiten ich überhaupt habe, ein Werk zu rezipieren. Das Werk an sich gibt es nicht. Und es kann auch nicht feststehen. Es kann draufstehen, dass es ein philosophisches Werk ist, aber ob es sich in mir als solches realisiert, oder ob ich es eher als künstlerischen Text lese, der mich entzückt ob der rhetorischen Verfasstheit des Gedankens, das ist nicht kontrollierbar – zumindest nicht im 21. Jahrhundert.

Baruch de Spinoza: Dass die Rezeption eines Textes nicht kontrollierbar ist, brauchen Sie mir nicht zu sagen! Das habe ich erfahren! – Gleichwohl würde ich festhalten, Philosophie ist das Wissen – nicht der Text. Dass das Wissen unter anderem hilfsweise über Texte vermittelt und zugänglich gemacht werden kann und muss, ja – aber Philosophie ist nicht Text.

Immanuel Kant: Da kann ich Ihnen nur zustimmen!

Baruch de Spinoza: Wir können oft einander zustimmen, obwohl wir so tief einander widersprechen!

Immanuel Kant: Das ist wahr!

Richard Heinrich: Die abschliessende Frage wäre doch eigentlich jetzt, wenn es nicht nur Text ist – und Sie legen sehr nahe, die philosophische Aktivität terminiert in einem Gedanken und sie terminiert in einer Einstellungsänderung oder dergleichen – die abschliessende Frage, zu der vielleicht jeder vielleicht noch eine kleine Stellung abgeben kann, kann sie in einer Theatralik terminieren? Kann die Philosophie Ihrer Ansicht wirklich in einer Art Performance terminieren?

Immanuel Kant: Können ja. Es ist die Frage, ob das sinnvoll ist. Denn ich habe ja schon gesagt, es ist ein genauer Unterschied zu machen zwischen der Philosophie und Philosophie-begründender Wissenschaft. Die Philosophie begründet Wissenschaft, sie begründet auch Ästhetik. Aber es ist doch ein ganz andere Sache, ob ich mich ästhetisch artikuliere, die Ästhetik, die schönen Werke, die sind dazu da, sich zu vergnügen. Ich bin ja auch kein großer Freund – ich habe das schon einmal gesagt: einer meiner großen Leser ist Friedrich Schiller – ich bin kein großer Freund von Tragödien, ich bin kein großer Freund von den Künsten, die uns sozusagen in unserem Vital-Sinn erschüttern. Denn wofür brauchen wir unsere eigentlichen Kräfte? Natürlich für die Wissenschaft, für die Aufklärung, und für die Besserung der Menschheit.

Friedrich Nietzsche: Ja, da hört man eben, die reine Professoren-Philosophie, die dann am Ende  …

Immanuel Kant: Das ist ihre Perspektive, Friedrich Nietzsche!

Friedrich Nietzsche: Ja, aber das muss man leider sagen und das endet dann wieder bei Menschheit – oh Humanität, oh Blödsinn! Das ist nun uns allen geläufig und bekannt und das wird dann in den Bibliotheken vermodern und es wird immer darauf ankommen, dass da einzelne sind, die das wirklich in einer Weise aufnehmen, dass daraus ein Funken für Neues springt! Das ist das Entscheidende, dass wir – ich habe das selten betont, aber es gibt immerhin einige versteckte Stellen, wo ich deutlich gemacht habe, dass es auch die Mittelmäßigen geben muss und dass es auch diejenigen geben muss, die die Arbeit tun, die die Bauwerke errichten und die dann tatsächlich auch mit ihrer Existenz zufrieden sein können – aber! Und da ist nochmal das Moment mit der Rechtfertigung, natürlich – ich bin derjenige, von dem später lange Zeit gesagt worden ist, ich hätte als erster die Formel vom Sinn des Lebens erfunden; das ist zwar nicht ganz wahr, das hab ich von Goethe und Schiller im Briefwechsel und Schopenhauer hat auch schon so gesprochen, aber der Sinn des Lebens, der liegt nicht daran, dass ich irgendwelche Texte schreibe, Gedanken mache, das aufschreibe, was andere daran auch verstehen und vermitteln! Der Sinn des Lebens liegt – das ist nachzulesen in meiner zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung – einzig und allein darin, sich hohe Ziele zu setzen …

Immanuel Kant: Das ist reine Moralität!

Friedrich Nietzsche: … und daran zu Grunde zu gehen! Und das ist  der Punkt, auf den ich hinkommen möchte, das ist ja die Frage, die Sie mir gestellt haben. Es kommt darauf an, dass wir die tragische Verfassung des Lebens erkennen und darauf würde ich durchweg bestehen, dass wir nicht zu einer – ich sage es mal abkürzend – optimistischen Auffassung der Geschichte und der Kulturen kommen. Die Kulturen sind wie das Leben, sie gehen auf und gehen wieder unter, sie sterben und sind lange Zeit unproduktiv. Und worauf es ankommt, ist, dass wir aus dem, was wir als kulturelle Form vorfinden, das größtmögliche Neue zu machen! Deswegen ist für mich die entscheidende Epoche, die auch den richtigen Namen hat, diejenige der Renaissance! Also der Wiedergeburt! Und das ist für mich ein ganz entscheidender Gedanke, dass wir versuchen aus der Einsicht in einen Verfall, in eine Dekadenz, in einen Untergang zu sehen, dass wir unter diesen Bedingungen meist durch Verneinung, durch scharfe Kritik – Nihilismus ist ja etwas, das ich als Diagnose stelle, damit es überwunden wird – etwas Neues machen, das uns in eine neue Zeit bringt. Und wenn ich das richtig sehe, ist also der Gedanke, den ich am Ende als meinen wichtigsten bezeichne, ewige Wiederkehr des Gleichen und Umwertung aller Werte dasjenige worauf es ankommt  – und ich will gar nicht sagen, dass die gemäßigt begabten Köpfe in Königsberg und anderswo natürlich brave philosophische Arbeit geleistet haben. Spinoza ist groß, weil er den Gedanken der ewigen Wiederkehr und des amor fati gedacht, dass man dies alles, was so schrecklich ist, auch lieben können muss, das ist ein großer Gedanke – aber es kommt immer darauf an, was wir daraus machen.

Baruch de Spinoza: Sehen Sie, hochverehrter Herr Nietzsche, ich war immer ein Freund der Komödie! Plautus terens. Aristophanes. Der Sinn für das Tragische, den Sie so emphatisch vorgeben, ich weiß nicht, ob ich sein Fehlen bei mir tatsächlich mir als Mangel zuschreiben soll! Unter dem ich zu leiden hätte aus irgendwelchen – mir unerfindlichen – Gründen! Mir scheint nach wie vor, Ihre Frage nach dem Sinn erledigt sich am besten nicht dadurch, dass man sie beantwortet, sondern dass man sich selbst in eine Verfassung bringt, dass sie sich erst gar nicht stellt! Und dass sie sich stellt, ist Kennzeichen eines Mangels. Ob Philosophie im Werk terminiert?! Philosophieren als Tätigkeit sicher nicht zwangsläufig! Es gibt viele Formen des philosophischen Tätigseins, viele Formen, aus denen man philosophischen Gewinn schlagen kann. Dazu gehört das Lesen von Komödien, das ist meine feste Überzeugung! Das habe ich intensiv gemacht, Sie werden die Spuren finden, wenn Sie sie suchen. Der Text ist auch nicht das Ende oder das Ziel der Philosophie. Wahrheit ist es, worauf Philosophie zielt, und wohin sie zu terminieren hat. Ich vermute auch auf diese Formulierung könnten wir uns einigen – selbst wenn wir sie sehr verschieden verstehen.

Immanuel Kant: Ich würde nichts sagen, die Wahrheit. Sondern das Gute Leben …

Baruch de Spinoza: [seufzt] Wir können uns nicht einigen!

Immanuel Kant: … das wir aus der Philosophie entwickeln! Der Mensch, der sich zur Moralität bekennt, zu einem Ende der Kriege, lesen Sie meine Schrift zum Ewigen Frieden …

Baruch de Spinoza: Sie träumen so wie er!

Immanuel Kant: … das ist etwas, die Entwicklung des Republikanismus, das ist etwas, was an jeder Zeitstelle sich entwickeln kann – aus jeder Situation, und ich glaube, das ist eine Botschaft, die ich auch heute an diese Zeit richten möchte. Und das scheint mir das Zentrum der Philosophie zu sein! Komödien lese ich gerne, zu meinem Vergnügen, wenn ich mich abspannen muss nach einem langen Arbeitstag.

Baruch de Spinoza: Eine Botschaft möchte ich nicht richten!

Judith Butler: Ich mische mich jetzt ein in diesen sehr schönen …

Richard Heinrich: An Sie ist die letzte Frage gerichtet worden, wir kehren wieder zurück ins 21. Jahrhundert – Sie haben das letzten Wort!

Judith Butler: Ich mache das jetzt ganz kurz: In mir realisiert sich ja jetzt sozusagen Ihre Philosophie – ich bin das Ende Ihrer Philosophie oder vielleicht auch ein Anfang, ein Neuanfang. Das ermöglicht diese theatrale Form hier, die natürlich auf diesen Inhalt zurückwirkt. Für diese Form bin ich extrem dankbar – noch einmal, es ist ein wunderbares Gespräch gewesen und hätte es diese Form nicht gegeben, hätte das Gespräch nicht stattgefunden. Ich danke ganz herzlich für dieses aufregende Erlebnis!

Richard Heinrich: Ich danke auch!


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Led by Arno Böhler, the PEEK-Projekt „Artist Philosophers. Philosophy AS Arts-Based-Research“ [AR275-G21] is funded by the Austrian Science Fund (FWF) as part of the programme for artistic development and investigation (PEEK). Research location: University of Applied Arts Vienna. Brought about in national and international cooperation with: Jens Badura (HdK Zürich), Laura Cull (University of Surrey), Susanne Valerie Granzer (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien/Max Reinhardt Seminar), Walter Heun (Tanzquartier Wien), Alice Lagaay (Zeppelin Universität Friedrichshafen). Postdoc: Elisabeth Schäfer (University of Applied Arts Vienna). The lecture series was produced in collaboration with: Institut für Philosophie Universität Wien, University of Applied Arts Vienna [Arno Böhler] and Institut für Theater- Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien [Krassimira Kruschkova].

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