Documentation Philosophy On Stage #4

1000 Nietzsche – Eine Performance(-Skizze) für alle und keinen // Performance Text

Performance by Rainer Totzke [CV] and Simone Weißenfels [CV]

KURT MONDAUGEN deklamiert aus „Also sprach Zarathustra“:

„Du grosses Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest!

Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange.

Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluss ab und segneten dich dafür.

Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die des Honigs zu viel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich ausstrecken.

Ich möchte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Thorheit und die Armen wieder einmal ihres Reichthums froh geworden sind.

Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn!

Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will.

So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugrosses Glück sehen kann!

Segne den Becher, welcher überfliessen will, dass das Wasser golden aus ihm fliesse und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage!

Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.“

RAINER TOTZKE:

Man hat einen Traum, man hat Nietzsche gerufen, man hat geträumt, man hätte Nietzsche gerufen und Nietzsche hätte zurückgerufen! Nietzsche der, vor 126 Jahren, 11 Monaten und 25 Tagen endgültig verrückt geworden ist, hätte einen im Traum persönlich zurückgerufen, und er hätte einen beauftragt, sich eine Performance-Skizze zu ihm auszudenken. Und man schüttelt ungläubig mit dem Kopf in diesem Traum, weil man gar keine Anhaltspunkte hat, wie man das verstehen, geschweige denn wie man das machen soll und man schaut Nietzsche also fragend an – und Nietzsche sagt: „Alter mach’s mal nicht zu kompliziert! – Hier hast du ‘ne Struktur, an der du dich festhalten kannst! Ruf diese Experimental-Musikerin Simone Weißenfels an, fahrt nach Wien und der Rest ergibt sich von alleine, wirst‘e seh‘n!“

1000 Nietzsche – Eine Performance-Skizze für alle und keinen…

1) Nietzsche also // 5 min

2) Philosophiestudium // 5 min

3) Gott ist tot // 5 min

4) Die ewige Wiederkehr // 5 min

5) Aber die Liebe // 5 min

6) Verwechselt mich vor Allem nicht (Interaktion)  // 5 min

Und so sind wir jetzt also hier, Simone Weißenfels und ich – mit nichts weiter als dieser Struktur für diese Performance im Rücken, und der Rest wird sich ergeben, so hat Nietzsche es uns prophezeit. Na ja, wir werden‘s ja sehen!

Abschnitt 1: Nietzsche also


RAINER TOTZKE:

Nietzsche also, mein Gott, denkt man, kann man das eigentlich machen?

Kann man eigentlich zu Nietzsche noch irgendetwas Sinnvolles, Vernünftiges oder Verrücktes machen?

Irgendwas, was nicht schon 1000 Andere vor einem gesagt oder gemacht haben – zu, mit oder gegen Nietzsche?

Irgendetwas, was nicht von Anfang an unterkomplex und banal sein wird?

Irgendwas, was nicht 1000 Lichtjahre hinter Nietzsches titanischen Gedankengebirgen und Sprachgewittern zurückbleibt – ebenso zurückbleibt wie hinter seinem Wahnsinn?

Oder wenigstens irgendwas, bei dem deutlich wird, dass Nietzsche ein 1000-faches Vexierbild ist, ein Bild in das jede/r sich letztlich selbst hineinsieht und hineinsehen muss? – Und zwar, ohne dabei verrückt zu werden – wenigstens in klinischem Sinne nicht!

Man weiß das alles nicht, und aus Verlegenheit versucht man unterdessen erst einmal eine Überschrift zu finden, ein Bild oder eine Überschrift zu finden, mit der man einsteigen könnte in so eine verdammte Nietzsche-Performance mit einem Nietzsche-Bild oder 1000 Nietzsche-Bildern am besten wie gesagt- Man sucht sich da mal was aus dem Internet zusammen und entscheidet sich dann provisorisch für Folgendes:

Aber man merkt gleich. man hat übertrieben – wie Nietzsche auch immer übertreibt: 1000 Nietzsches kann man ja nicht gleichzeitig auf eine Performance-Bühne bringen, denkt man. Man hat ja schließlich auch nicht das Ensemble des Wiener Burgtheaters oder der Oper zur Verfügung.

Und man ist ja als Philosoph sowieso eher so eine Art Alleinunterhalter, und als solcher kann man sich auch nicht in 1000, sondern höchstens, sagen wir, in drei Figuren gleichzeitig hinein verkörpern, ohne dass das Publikum und man selbst den Überblick verlöre. Und man denkt sich also diese drei verschiedenen Nietzsche-Figuren aus für diese Performance:

ERSTENS: Einen traditionellen durch die akademische Laufbahn domestizierten, Philosophen (nennen wir ihn Rainer Totzke – hier!)

ZWEITENS: einen Spoken-Word-Poet und Performance-Künstler und Nietzsche-Traumdeuter  (nennen wir ihn: Kurt Mondaugen  – und lassen ihn ungefähr so aussehen, bzw. wir hatten ihn am Anfang schon dort oben auf der Bühne):

und DRITTENS erfinden wir einen tanzenden Skeptiker, einen seelischen Schwergewichtsweltmeister, notorischen Lebens-Jasager, Antichristen und Diesseitsmystiker, nennen wir ihn: Zarathustra. Hier BITTE:

Abschnitt 2: Philosophiestudium


RAINER TOTZKE:

Und man liest also wieder Nietzsche:

„Ich lehre Euch den Übermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss. Was habt Ihr getan, um ihn zu überwinden?“

UND:

„Was ist das Größte, was Ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der Grossen Verachtung. Die Stunde, in der Euch auch Eurer Glück zum Ekel wird und ebenso Eure Vernunft und Eure Tugend.“

UND:

„Eure Nächstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber.“

UND:

„Die ‚Vernünftigkeit um jeden Preis‘ als gefährliche, als lebensuntergrabende Gewalt!“

UND: „Das Individuum selbst ist ein Irrthum…“

UND: „Verwechselt mich vor allem nicht!“

Und man denkt, ja: man kann diese Sätze von Nietzsche wirklich nur verstehen, wenn man sie auf die Bühne stellt und dort agieren lässt, wenn man sie von tausend oder wenigstens von drei verschiedenen Personen in tausend oder wenigstens in drei verschiedenen experimentellen Sprechsituationen vorführen, und sie an diesen Sätzen tausend oder wenigstens dreimal gelingen oder scheitern lässt.

Und man artikuliert das, und man hat also mittlerweile unter der Hand einen provisorischen Anfang hergestellt für diese Performance, wie man in der Philosophie immer nur einen provisorischen  Anfang herstellt unter der Hand, und wie Nietzsche als Künstlerphilosoph fragt man hier nicht nach Logik und Geltung, sondern nach Genese oder Genesung: Doppelpunkt:

Und man versucht also zurückzudenken, wie es gewesen ist, damals, als man selber erst anfing  an der Uni Philosophie zu studieren, damals, als man Nietzsche und den Übermenschen noch nicht kannte, als man sich selbst noch nicht kannte, will man beinahe sagen und kann es nur sagen, indem man den Aggregatszustand wechselt und ein Gedicht aufsagt, ein Lebensbewältigungsgedicht von damals:

KURT MONDAUGEN:

Philosophiestudium

In Partys aufgewachsen

und in Morgengrauen-Dingen

nachsozialisiert

wie eine Scheibe, die die Erde sein soll

seit dem Mittelalter

sich im Logik-Grundkurs

wie ein Außenbordmotor vorkommen

der Vernunft

wie eine Verabredung zum gemeinsamen Singen

von Mantras für oder gegen den freien Willen

das ICH ausweisen

ein unbenutztes Gefühl

einen Körper zu haben

dessen Hormone wir steuern

mit Letztbegründungen

die es nicht gibt

und sich mit den eigenen Lebensweisheiten abfinden

also und genau hinsehen

was geschieht

wenn die Partys wieder anfangen

im Club der Freunde des Alltags

in denen man aufwächst

wie ein vergessenes Fragment von Heraklit

von dem Andere nur träumen

RAINER TOTZKE:

Und dann kam also Nietzsche in mein Leben und sagte, er wolle mich vom Fatalismus erlösen und allen Dingen wieder ihr Schwergewicht zurückgeben, und ich solle auch in der Philosophie endlich wieder lernen, ohne Reserve zu leben. Hier und jetzt und immer!

Abschnitt 3: Gott ist tot


RAINER TOTZKE:

Oder man sucht einen anderen Anfang für diese Selbsterfahrungsexperiment mit Nietzsche im eigenen Leben, und man hört ihn dazu murmeln: „Gott ist tot und wir haben ihn getötet!“

Ich wuchs im Kommunismus auf/Sachsen-Anhalt/DDR wie Nietzsche, irgendwo in der Nähe von Röcken geboren in den 70ern vermutlich und meine Eltern waren natürlich in der Parteikirche oder Schichtleiter im Braunkohletagebau, ich weiß es nicht mehr so genau. Und ich trug meine ganze Kindheit lang irgendwelche Uniformen kommunistischer Pionierorganisationen. Und ich las Ernst Blochs „Geist der Utopie“ schon mit 14 und beamte mich weg, und dann kam die Wende oder die Freiheit, vor 25 Jahren und ich suchte den dritten Weg jenseits der Systemausfallsysteme Kommunismus und Kapitalismus, wie ich Gott gesucht hatte, damals im Kommunismus. Und dann kam Nietzsche, zerbrach die Tafeln von Moses und Paulus wie die von Marx und Lenin und des realexistierenden Utopismus. Mit Nietzsches ANTICHRIST bin ich wirklich vom Glauben abgefallen – wie auch diese ganzen französischen Philosophen vom Glauben abgefallen sind an die Paradiese aller Couleur dank Nietzsche irgendwann nach Stalins Tod wie Foucault bis heute jeden Fundamentalismus verhöhnend schrieb ich irgendwann diesen Nietzsche-Reenactment-Text, Doppelpunkt, einen Tag nach dem Ende der Geschichte oder nach dem 11. September 2001. Damals! Heute! DOPPELPUNKT:

KURT MONDAUGEN:

„WIR GOTT ENDE“

Wir. Wir alle. Wir alle werden nicht dafür beten, aber Gott wird diesmal bei uns sein, wenn wir auf die Bühne springen. Wir werden T-Shirts anhaben, wo mit greller Neonschrift draufsteht: „Ficken für den Islam“ oder „Kotzen für Krishna“ oder „Jointen for Jesus“ oder die Anfangszeile der Internationale. Strophe 3 Es rettet uns kein höheres Wesen – Nietzschelike: Und wir werden schreien dabei, wie wir noch nie geschrien haben. Und wir werden die Säle füllen mit unseren Textfratzen, mit grollenden schwarzen Wortfetzen und mit unserem Speichel. Denn wir werden die Mikrofone anbrüllen, bis sie endlich die Wahrheit sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so lange bis es alle merken, ohne dass Gott uns hilft von Pointe zu Pointe, von Erbrechen zu Erbrechen gegen den Tod und gegen die, die das Leben weglügen mit Paradiesjungfrauen und Jenseits-Aktien, werden wir schreien.

Und wir werden von einer Welle der Begeisterung getragen, plötzlich, und wir werden uns verstanden fühlen. Wir werden glauben, dass wir uns verstanden fühlen, und wir werden immer weiterschreien, unsere Wut hinausschreien. Unsere Wut auf alle, die das nicht wahr haben wollen und die einfach so weitermachen mit Gott wie bisher. Und es wird keine Blasphemie mehr sein, neben uns. Und man wird uns zujubeln. Ihr alle werdet uns zujubeln. Und es wird uns gefallen, und wir werden weiterschreien bis in alle Ewigkeit.

Doch eines Tages werden wir nichts mehr spüren dabei. Wir werden die Welt anbrüllen oder das Mikrofon, aber nichts davon wird sich mehr echt anfühlen: unsere Worte nicht und nicht die Fratzen und nicht die Gesten. Und wir werden neben uns stehen und uns schreien hören, und wir werden wissen, dass es vorbei ist. – Auch wenn die anderen es nicht merken, aber wir merken es jetzt! Wir wussten es ja schon immer besser, werden wir denken, wenn wir ehrlich sind. Ganz kurz.

Und wir werden noch lauter brüllen – noch viel lauter als wir es jemals konnten, mit verrotzter, verkotzter, verwürgter Stimme werden wir brüllen vor Schmerz:

„Warum nur ? – Warum, Gott, hast du uns verlassen?

Aber er wird nicht antworten.

Und wir werden die Bühne verlassen.

Und wir werden alle Bühnen dieser Welt verlassen, um nach Ihm zu suchen – irgendwo da draußen in dieser Stadt oder im Orionnebel, wenn es sein muss, werden wir Gott suchen. Und wir werden jeden Stein umdrehen am Wegesrand und jede Silbe in unserem Mund, und kein Wort werden wir auf dem anderen lassen, und wir werden alle Sätze auspressen, die wir finden, bis sie nur noch röcheln und um Vergebung winseln. Alle Sätze, wirklich alle und von jedem! Und wir werden dabei verzweifelt aussehen und verbissen.

Und dann werden wir irgendwann montagmorgens in eine Fußgängerpassage in der Innenstadt einbiegen, und es wird die Fußgängerpassage Gottes sein und dort werden wir die anderen alle treffen, die sich hier bei Gott rumdrücken, und wir werden jetzt plötzlich mit ihnen mitbeten: Wir werden mit den Mormonen murmeln, mit den Krishnas chanten und mit den Zeugen Jehovas alles bezeugen, was uns in die Quere kommt. Wir werden mit orthodoxen Rabbinern um die Wette slammen und die mündliche Thora neu erfinden, wenn es sein muss, mit den Alewiten die Leviten lesen, mit Imamen endlose Fatwas austauschen und mit Tom Cruise sinnfreie Ron Hubbard Sprüche: „Wir nutzen nur zehn Prozent unseres geistigen Potentials.“ usw.

Und jedes dritte Wort von uns wird dabei „Gott“ sein oder wenigstens: „negative Theologie“! – Ja wir werden von Gott sprechen, so lange bis es keiner mehr hören kann! – Und dann, ganz am Schluss werden wir sogar den Großen Poetry Slam der Religionen gewonnen haben, endgültig!

Und man wird uns Beifall klatschen. Und alle Konfessionen werden sich vor uns in den Staub schmeißen. Und sie werden rufen:

„Wir ergreifen Zuflucht zu Eurer Lehre!“

Und es wird plötzlich Pfingsten sein auf Erden, und das Ende des Ramadan und der Geburtstag von Shiwa, Buddha und Krishna und das Chanukka-Fest und das alles gleichzeitig an einem Tag. Und Nathan der Weise wird mit dem Vorortzug aus Kamenz herbeikommen und die Ringparabel zerfetzen vor unseren Augen, denn wir werden ja so recht haben. – So recht!

Aber wir werden nicht damit zufrieden sein. Denn wir werden uns nicht verstanden fühlen oder wir werden zumindest glauben, dass wir uns nicht verstanden fühlen oder wir werden uns selbst nicht verstehen

Was ja dasselbe ist, werden wir denken.

Und wir werden keinen Ausweg mehr wissen, und wir werden heimlich irgendwelche gefährlichen Flüssigkeiten zusammenkaufen und irgendjemand wird bereits die Online-Durchsuchung unserer Computer-Festplatten beantragen, aber da werden wir längst schon unsere Selbstmordattentätergürtel aus Palästina bei Ebay ersteigert und umgebunden haben.

Und wir werden in einer Nacht- und Nebelaktion alle Kirchen, Moscheen und Synagogen dieser Welt erstürmen, mitten im Gebet, alle Minarette und Kanzeln besetzen, alle Buddha-Statuen und Ganesha-Elefanten-Köpfe dieser Erde erklimmen.

Und die Gläubigen werden uns anstarren von unten – ungläubig!

– So wie Ihr mich jetzt anstarrt. –

Und alle werden auch ein bisschen verängstigt aussehen.

Und es wird ein deutscher Herbst sein auf der ganzen Welt.

Und wir werden da oben stehen mit unseren Sprengstoffgürteln aus dem Heiligen Land, aus Palästina, und plötzlich werden wir alles verstanden haben. Oder wir werden glauben, alles verstanden zu haben.

Und dann werden wir unter unsere Jacken fassen, weil es jetzt endlich losgehen soll.

Und mit einem gewaltigen Ruck werden wir irgendetwas aus uns herausreißen. Und es wird blutig aussehen, und wir werden es hoch in die Luft halten, und wir werden schreien:

„Wir sagen Gedichte auf und schmeißen keine Bomben!“

Ja genau das werden wir schreien. Ja genau das wollen wir schreien!

Aber wir können es nicht!,

Denn unsere Münder werden zugenäht sein. Mit Stacheldraht.

Und es wird sich grausam anfühlen, und wir werden die Schere nehmen wollen oder das Cuttermesser.

Aber es wird zu spät sein.

Und wir werden wissen, dass es zu spät ist.

Für immer zu spät.

Und dann werden wir weinen.

Ja ich glaube, wir werden da oben stehen, ganz nahe bei Gott werden wir stehen, und wir werden alle zusammen ein bisschen weinen.

Wir. Gott. Und Ende!

RAINER TOTZKE:

Und ich weiß nicht, ob Nietzsche diesen letzten Text und die Musik dazu jetzt gut gefunden hätte, oder welcher Nietzsche das in mir gut gefunden hätte oder auf der Bühne, welcher Nietzsche, dessen Sätze ich wieder und wieder lese, und wie billig das ist, dass Gott tot ist und wir ihn getötet haben und dass er trotzdem wiederkehrt wie auch der Kapitalismus seit Jahrzehnten schon tot ist und wiederkehrt? Und ob Nietzsche das auch mitgemeint hätte in den neoliberalen Gebrauchszusammenhängen seiner Theorie, die keine Theorie ist, sondern eine hyperaktive Lebensform  für alle und keinen. Und ich kann Nietzsches Worte auch nur verstehen, indem ich sie vor mich hin stakkatiere, sie in mich hineinspreche und mich schließlich wirklich durchgeknallt und verkleidet vor eine Leinwand stelle mit Multimediaunterstützung und mit diesem Zarathustra-Buch und in konzentrischen Kreisen die ewige martialische Relektüre des Gleichen zelebriere und mich anverwandle dabei, weil mein Herz sich anverwandelt wenn  ZARATHUSTRA über mich kommt wie diese Lehre der ewigen Wiederkunft. Doppelpunkt, ich zitiere:

Abschnitt 4: Die ewige Wiederkunft


ZARATHUSTRA:

„Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange – nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben:

– ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Größten und auch im Kleinsten, daß ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, –

– daß ich wieder das Wort spreche vom großen Erden- und Menschen-Mittage, daß ich wieder den Menschen den Übermenschen künde.

Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein ewiges Loos –, als Verkündiger gehe ich zugrunde!“

Ich bin also Nietzsches Zarathustra und ich schwimme schon in Eurer Blutbahn und ich lehre Euch den Rausch oder philosophisches Präsenztraining oder die ewige Wiederkunft des Gleichen als Dithyrjambus oder Haiku oder Koan des Übermenschen oder Gefühlsriesen zu werden und in die Oberflächengrammatik dieser Welt einzutauchen wie Dionysos wie ich immer sage und nicht in Neoprenanzügen zu leben und Euch nicht zu schonen und Euch nicht zu verfehlen auf den Zuschauertribünen des Fatalismus.

Und ich lehre Euch, die Leierkästen der Erklärungen zu zerbrechen und Euch selbst den Atem zu verschlagen in jedem Augenblick dieser Performance, die Euer Leben ist, diese endlose Kette von Selbstmissverständnissen zu zerbrechen, occupy yourself, und aus diesem Text zu euren Körpern zurückzukehren und wieder und wieder auch zu den Abgründen in euren Körpern zurückzukehren in jedem Moment durch holotrophes Atmen oder Höhentraining oder Hodenatmung oder chinesische Medizin, egal. Ich lehre Euch, allen Dingen ihr Schwergewicht zurückzugeben mit oder ohne Gott-ist-tot-schlag-Argumente oder Arjuvedatee oder zu tanzen mit oder ohne Kundalini-Schlange im Rückgrat endlich ohne Reserve zu leben und zu tanzen und sich zu vergeben ohne doppelten Boden und doppelte Artikulation, und das Rauschen in den Ohren und das DaCapo-Rufen als das große Antidepressivum des Lebens wiederzufinden auf Eurer Großhirnrinde oder auf meiner Großhirnrinde.– Und die Pharmakonzerne haben ein Kopfgeld ausgesetzt auf mich oder Euch unterdessen, weil sie einen Gewinneinbruch fürchten, wenn ich Euch oder Ihr mir die ganze Wahrheit sagt, die ganze psychosomatische Wahrheit sagt: Depression ist Angst vor Verantwortung! Zum Beispiel! Und nur was einer mit seinem Blute schreibt, interessiert mich noch, und eine Wunde zu sein, die brennt oder blutet! Und ich bin eine Brandwunde oder Blutung verdammt, eine Lebensform also für Nietzsche und diesen Text und diese Performance.

Und jede Blutung stillt sich selbst irgendwann und kehrt wieder.

So will ich es! PUNKT! Und also sprach Zarathustra.

Abschnitt 5: Aber die Liebe


RAINER TOTZKE:

Aber die Liebe, aber was ist mit der Liebe? will ich fragen gegen diesen übertriebenen Martialismus oder Machismus in Nietzsches Gehirn. Denn früher oder später kam die Liebe doch zu mir, wie Lou Andre-Salome zu Nietzsche, und sie transzendierte alles – ein Rausch, eine Menage a trois, ein sich ausdehnendes Schicksal,  – und ich habe versucht, es für Euch zu erinnern. DOPPELPUNKT

KURT MONDAUGEN:

„AUSDEHNUNG“

Und dann kam dieses Gewitter über den See gezogen wie bei Sören Kierkegaard die Angst, und die Leute flüchteten vom Strand weg, aber wir zogen uns nur nackt aus, und verstauten unsere Sachen in den wasserdichten Taschen, so hofften wir wenigstens, von Ortlieb oder Vaude ohne Werbung machen zu wollen in diesem Moment für irgendwelche Outdoor Equipement, es war einfach so, und wir wollten ja nie etwas verschweigen, und als der Regen dann warm und heftig auf unsere Haut prasselte und die Blitze zuckten und den See von einem Moment zum anderen in einen Geysir verwandelten, zogst du mich ins Wasser und sagtest, ich bräuchte diese Angst nicht länger oder Nietzsche oder Kierkegaard lesen oder Osama bin Laden verstehen wollen nachträglich, und wir würden uns jetzt ausdehnen zusammen…

Und eng umschlungen standen wir bis zu den Schultern im galvanischen Wasser und die Blitze meinten es gut mit uns – und ich wusste plötzlich, du konntest diesen Sommer wirklich ausdehnen, unendlich ausdehnen, und diese Liebe und dieses Leben auch, und sogar neue olympische Disziplinen erfinden in der Liebe wie Blitz-Schwimmen zum Beispiel, und wir trieben dann nackt auf dem Rücken des Sees und von unten rieben die Fische die Kiemen an unseren elektrischen Körpern, und von oben rieb Gott sich an uns mit seinem Regen, und ich verstand jetzt deine Art des Humors, und du verstandest meine Art des Humors und wir dachten uns also diese Geschichte aus, die auch nur so funktionierte wie die Ursuppe bei den Alchemisten, elektrische Ladung, ausgedehnter Galvanismus und die Entstehung des Lebens aus der Verwunderung Gottes – Libellen zum Beispiel und irgendwann bekamen wir unser erstes  Kind zusammen oder Flügel.

RAINER TOTZKE

Und Nietzsche sagte über die Liebe, dass sie eine Illusion sei oder doch keine Illusion: Doppelpunkt:

„Alle große Liebe, die will nicht Liebe – die will mehr“

Und ich weiß nicht, ob ich ihm das glauben soll – und wie ich es ihm glauben soll. Aber was liegt schon am Glauben und Nietzsches Herz öffnete sich und also sprach Zarathustra DOPPELPUNKT:

Abschnitt 6: Verwechselt mich vor Allem nicht“


RAINER TOTZKE:

Das ist der interaktive Teil der Performance

ZARATHUSTRA:

Und Also sprach Zarathustra: Ich bin der Große Liebende, aber Verwechselt mich vor allem nicht. Denn gerade in der Liebe will ich von Euch nicht verwechselt werden. Gerade in der Liebe will ich nicht, dass ihre Euch selber verwechselt oder manipuliert. „Was weiß der von Liebe, der nicht gerade verachten musste, was er liebte“, sage ich und muss ich Euch sagen: denn ich bin wirklich Nietzsche oder Zarathustra, aber ich verstehe das nicht vollständig und auch mein Körper versteht das nicht vollständig, und ich bin wirklich gescheitert in der Liebe oder ins Universum hinausgewachsen darüber mit meinem Resonanzgeweih hypersensibel hineinhorchend in die Schwingungen der Diskurse, die auf Taubenfüßen kommen und die Welt verändern durch mein Bewusstsein, und ich leide deswegen manchmal etwas an Selbstüberschätzung, oder ich leide nicht wirklich daran, und ich habe diese Verwechslungsphobie, mit der ich mich lächerlich mache oder nicht lächerlich mache, DOPPELPUNKT:

„Erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren!“

Aber man macht sich sowieso lächerlich als Nietzsche oder als Zarathustra, denke ich immer, verkleidet bis zur Unkenntlichkeit in Euren Augen, und auch darüber hinauszugehen, über dieses Seil hinauszugehen, über diesen Abgrund hinauszugehen, über diese Sprache hinauszugehen, mit der ich Euch vom Übermenschen rede und vom Großen Mittag und vom Willen zum Willen und diesem ganzen Menetekel-Unsinn der Macht, das wäre der Sinn dieser Performance: „Verwechselt mich vor allem nicht. Verwechselt mich vor allem nicht!“ will ich euch zurufen. Und „Nur wer sich wandelt bleibt mit mir verwandt.“

Und ob diese Performance oder Performanceskizze hier jetzt am Ende scheiterte oder gelänge oder gerade im Scheitern gelänge, hinge also ganz und gar von Euch und Eurer eigenen Verwandlungsfähigkeit ab am Ende, dächte ich, rezeptionsästhetisch. Und deshalb wiederholte ich diese Litanei von der ewigen Verwechslungs-Wiederkehr des Gleichen jetzt noch einmal hinter meinem Rücken. Und ihr müsstet Euch jetzt selber darauf einlassen, auf dieses verdammte Zarathustra-Verwandlungs-Experiment mit der Wahrheit, und woran ich erkennen würde, dass ihr mich wirklich verstanden hättet, würde ich mich jetzt fragen, würdet Ihr mich jetzt fragen? Und ein Experiment machen, DOPPELPUNKT:

Wenn ich zum Beispiel die Zeit runterzählte, wenn ich zum Beispiel den Count Down dieser Verwandlungs-Performance hier runterzählte, 12, 11, 10, ob Ihr dann am Ende plötzlich aufstehen würdet, ob Ihr dann am Ende dieses Count Down plötzlich alle zusammen und jeder für sich allein aufstehen würdet – nach diesem Countdown 9, 8, 7 – und ob Ihr damit je selber entscheiden würde, ob diese Performance hier gelänge oder scheiterte oder im Scheitern gerade gelänge – während der Countdown läuft: 6, 5, 4 –  wenn jeder einzelne von Euch also aufstünde, wenn diese Performance auf null runtergezählt wäre und dann mit seiner je eigenen wirklichen Stimme diese fünf Nietzsche-Worte sagte: DOPPELPUNKT, ich zitiere: „Verwechselt mich vor allem nicht“… Wenn genau dies geschähe…

– Achtung – wir werden es jetzt sehen: der Countdown läuft: 3,2,1, Null: DOPPELPUNKT:

IMPRESSUM

Led by Arno Böhler, the PEEK-Projekt „Artist Philosophers. Philosophy AS Arts-Based-Research“ [AR275-G21] is funded by the Austrian Science Fund (FWF) as part of the programme for artistic development and investigation (PEEK). Research location: University of Applied Arts Vienna. Brought about in national and international cooperation with: Jens Badura (HdK Zürich), Laura Cull (University of Surrey), Susanne Valerie Granzer (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien/Max Reinhardt Seminar), Walter Heun (Tanzquartier Wien), Alice Lagaay (Zeppelin Universität Friedrichshafen). Postdoc: Elisabeth Schäfer (University of Applied Arts Vienna). The lecture series was produced in collaboration with: Institut für Philosophie Universität Wien, University of Applied Arts Vienna [Arno Böhler] and Institut für Theater- Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien [Krassimira Kruschkova].

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Universität für angewandte Kunst
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