Dr. Mario Guendl

Dissertation: Chiaroscuro. Meditationen über Dualität und Nichts

Abstract

Ausgang der Dissertation ist die Beschäftigung mit dem künstlerischen Vermächtnis, dem Bildzyklus Unseen Strangers, des österreichischen Graphikers und Malers Paul Nestlang. Nestlang, der sich zu Beginn dieses Zyklus noch am figuralen Stil des englischen Malers Francis Bacon orientierte, dringt darin zu einer eigenständigen Bildsprache durch, die sich durch eine hart kontrastierte Chiaroscurotechnik (in Schwarz und Weiß) auszeichnet. Auf der Suche nach einem möglichen Interpretationsschlüssel für das Werk fragt die Arbeit nach Wesen, Bedeutung und Sinn dieses Chiaroscuros. Weil Licht und Schatten in den Bildern aber nicht mehr durch natürliche Lichtquellen erklärt werden können, wird in Anlehnung an Didi-Hubermans Konzeption einer Malerei der Unähnlichkeit ein Chiaroscuro der Unähnlichkeit angenommen und nach seiner Bedeutung gefragt. Ergebnis ist, dass der Mensch, der das zentrale Thema Nestlangs ist, in der Klemme steckt. Es ist die Klemme aus Schwarz und Weiß, Licht und Finsternis. Doch was bedeutet Schwarz und Weiß, was die Klemme? Eine phänomenologische Beleuchtung fördert zu Tage, dass das Wesen der Klemme in der Dualität liegt. Diese Dualität der Klemme wird nun auf das menschliche Dasein rückgekoppelt und in verschiedenen Daseinsbereichen herausgestellt. So steckt der Mensch in seiner Sprache, Geschlechtlichkeit, Ethik, Psychologie, Kunst und Existenz in der Klemme. Um nun zum Wesen der Dualität vorzudringen, untersucht die Dissertation wichtige dualistische Positionen der Philosophiegeschichte anhand ihrer Unterschiedlichkeit zu monistischen Konzeptionen. Dies geschieht unter besonderer Berücksichtung des Aspekts von Licht und Finsternis. So rücken als zentrale Pole der antiken Philosophie Parmenides Seinslehre und Heraklits Widerspruchsdenken in den Blick. Als neuzeitliche Gegenpositionen werden Descartes Substanzdualismus und Spinozas emanativer Monismus auseinandergesetzt. Die Analyse gipfelt schließlich in einem Konsiderat von Monismus und Dualismus, das deren fundamentale Wesensmerkmale sowie ihre Unvereinbarkeit darlegen soll. Mittels Hegels Philosophie wird der kühne Versuch präsentiert, den Widerspruch zwischen Monismus und Dualismus zu überwinden. Gelingt es Hegel mit seinem dialektischen Dreischritt zwar auf logischer Ebene diesen Widerspruch in ein höheres Drittes aufzulösen, bleibt seine teleologisch zum absoluten Geist strebende Philosophie dennoch im Begrifflichen stecken. Erst in der Spätphilosophie Schellings, in der durch das Ek-statischwerden der Vernunft im Ich die „negative Philosophie“ in eine „positive Philosophie“ umschlägt, gelingt der dialektische Durchbruch der Dualität ins Existentielle. An diesem Punkt ist die Untersuchung auf den Bereich der Existenz und damit der anfänglichen Daseinsanalyse zurückgeworfen. Als letzte Möglichkeit einer Überwindung der Dualität, tritt schließlich das Nichts in den Focus. Nach einer ersten Begriffsklärung kann das Nichts in ein relatives Nichts, das aus seiner logischen und ontologischen Relation zu einem Seienden nicht herauskommt, und einem absoluten Nichts, das von dieser Relation losgelöst (lat. absolut) ist, unterschieden werden. Das absolute Nichts ist ein positiv phänomenales Nichts, das in der Tradition der via negativa zur unio mystica führen soll. Diese Denktradition wird anhand von Meister Eckhart und Dionysos Areopagita nachgezeichnet und mit dem Konzept der Sunyata, der Leer bei Nishitani zusammengedacht. Als Höhepunkt einer Philosophie des negativen Wegs, wird das Entzugsdenken Martin Heideggers und damit das Ereignis zum Thema. Im Ereignis entzieht sich dem Menschen, der ein Seiender ist, das Seyn selbst, weshalb es ihm, vom Felde des Daseins, der Welt aus, auch als Nichts erscheint. Genau in diesem Entzug des Seyns aber gibt das Seyn Dasein frei, gründet, lichtet es. Darum ist das Nichts die „wesentliche Erzitterung des Seyns selbst“. Die Dualität wird vor diesem Hintergrund bedeutungslos und insofern überwunden. Was bleibt, ist das Staunen über das ES IST. Diese finale Erkenntnis wird am Ende auf die Nestlangschen Bilder, in denen die Klemme ja konstatiert wurde, angelegt. Dadurch eröffnet sich die Lesart, dass das Grundlegende im Chiaroscuro der Bilder, sowie im menschlichen Dasein auch, nicht die Klemme ist, sondern vielmehr das Wunder, dass sich Dasein zeigt, dass ES IST und dass ES uns gelichtet IST.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.