Ralf Gisinger, BA Bakk. MA

Dissertation: Insistenz der Ökologie? Öko-philosophische Gefüge bei Deleuze/Guattari

Abstract

Insistenz der Ökologie? Öko-philosophische Gefüge bei Deleuze/Guattari untersucht den Zusammenhang von Naturphilosophie und Ökologie im Spätwerk von Gilles Deleuze und Félix Guattari sowie darauf aufbauend aktuelle öko-philosophische Diskurse und Politiken.

Eine Bemerkung von Deleuze über sein Vorhaben eines gemeinsamen Projekts mit seinem langjährigen Ko-Autor Guattari als „eine Art Naturphilosophie – zu einem Zeitpunkt, wo jeder Unterschied zwischen Artefakt und Natur sich verwischt“ dient als Einsatzpunkt der Forschungsarbeit, die sich die Frage stellt, ob sich diese Naturphilosophie in ihrem letzten gemeinsamen Werk Was ist Philosophie? verwirklichte und in welchem Verhältnis dazu Guattaris gleichzeitige Auseinandersetzungen mit Ökologie ab Mitte der 1980er stehen. Im selben Jahr nach dem Erscheinen von Was ist Philosophie? (1991), wo Ökologie/Ökosophie kein einziges Mal erwähnt wird, veröffentlicht Guattari einen Text mit dem Titel „Was ist Ökosophie?“. Hier kulminiert seine jahrelange Beschäftigung über den Zusammenhang von Ökologie und Philosophie, was (als zentrale These der Arbeit) auf eine komplementäre Funktion der Ökosophie zur Philosophie hindeutet, die Guattari mit der Spiegelung der Frage „was ist“ indirekt einzufordern scheint.

Die folgenden vier Punkte sollen die vorläufige Struktur und die argumentative Stoßrichtung der Dissertation in aller Kürze umreißen:

(i) Um den naturphilosophischen Elementen („eine Art Naturphilosophie“) nachzugehen, stütze ich mich zunächst vornehmlich auf Deleuzes/Guattaris Entfaltung einer Geophilosophie – ein neues Bild des Denkens, welches danach trachtet, einen Bezug zur Erde, Natur oder Umwelt einzufordern, sich dabei aber von holistisch-vereinheitlichenden oder mythologischen Konzeptionen von Natur oder der Erde abzugrenzen, ohne in anthropozentrischen oder transzendenten Vorstellungen aufzugehen, wo der metaphysisch überhöhte Mensch (das Subjekt) einer (an)organischen Natur oder unbelebter Materie gegenübergestellt wird.

(ii) In den 1980er-Jahren entwickelt Guattari durch seine Beschäftigung mit ökologischen Fragen die Ökosophie bzw. die „drei Ökologien“, welche über ein bloßes Naturverhältnis hinausgehen und woran anschließend ich mit Guattari transversale und störungsbasierte Ökologie(n) gegen eine Harmonisierung, Romantisierung und vor allem Totalisierung „der“ Natur ins Feld führe.

(iii) Die öko-philosophische Schlussfolgerung und immer engere Verzahnung der beiden Autoren stützt sich vornehmlich auf den werkgeschichtlich stets wichtiger werdenden Begriff Gefüge/Assemblage [agencement] als Paradigma eines möglichen Naturbegriffs nach Deleuze/Guattari. Gleichzeitig wird auch ihre wechselseitige Beziehung (als Gefüge Deleuze-Guattari) über die jeweiligen philosophischen Inhalte und Begriffe erschlossen, allerdings immer wieder eine konstitutive Differenz eingezogen (z.B. durch die Konstruktion einer Öko-Philosophie anstelle der Ökosophie).

(iv) Teilweise mit Bezügen auf Deleuze/Guattari kam es in den letzten Jahren zu einer Hochkonjunktur von neoökologischen Philosophien rund um die Themen Umwelt, Ökologie und Relationalität, die sich heuristisch in zwei Hauptstränge gliedern lassen: 1. ein Denken, welches die mannigfaltigen Beziehungen, Verknüpfungen, bzw. die Verbundenheit von Existenzweisen ins Zentrum stellt (z.B. Latour, Haraway, Nancy, Debaise, Ingold, Massumi) und 2. „neue“ Materialismen, die vor allem die Subjekt-Objekt-Unterscheidungen infrage stellen oder Kategorien wie „Leben“ oder „Materie“ neu besetzen (Barad, Bennett, Morton, Harman, DeLanda, Bryant). Diese Bündelung von diversen Ansätzen soll im letzten Kapitel im Lichte ihrer philosophischen sowie politischen Voraussetzungen und Implikationen kritisch beleuchtet und mit der von Deleuze/Guattari ausgehend entwickelten Öko-Philosophie kontrastiert werden.

Die Gleichzeitigkeit von Guattaris Beschäftigung mit Ökologie ab Mitte der 1980er-Jahre mit Deleuzes Vorhaben einer „Naturphilosophie“ mündet in einer Insistenz in mehrfachem Sinne: Die Insistenz der Ökologie zeitigt sich in ihrer gegenwärtigen (philosophischen, politischen, wissenschaftlichen, existentiellen) Relevanz, der Hervorhebung der Thematik der Natur(philosophie) in Deleuzes und Deleuzes/Guattaris Spätwerk, der Proliferation der Ökologie/Ökosophie bei Guattari sowie als Referenzrahmen für viele der neoökologischen Philosophien im Anschluss an Deleuze/Guattari.

Kurzbiographie

Ralf Gisinger, Studium der Philosophie und Politikwissenschaft in Wien und Innsbruck, arbeitet derzeit an einem PhD-Projekt zu Naturphilosophie und Philosophie der Ökologie im Ausgang von Deleuze/Guattari an der Universität Wien.

Zuletzt erschien seine erste Monographie Philosophien der Pluralisierung. Begegnungen des Politischen zwischen Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy, eine Studie zum Verhältnis von Einheit und Vielheit sowie den Konsequenzen für das Politische im Werk von Deleuze und Nancy.

Web

https://univie.academia.edu/RalfGisinger

https://www.fink.de/view/title/56652 (Philosophien der Pluralisierung. Begegnungen des Politischen zwischen Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy)

Publikationen (Auswahl, Stand November 2020)

Monographie

Philosophien der Pluralisierung. Begegnungen des Politischen zwischen Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy, 240 Seiten, Wilhelm Fink Verlag, 2020.

Artikel

Making (of) Ecology. Philosophical Perspectives on Tim Ingold, in: Porr, Martin/ Weidtmann, Niels (Hg.): One World Anthropology and Beyond. A multidisciplinary engagement with the work of Tim Ingold, Routledge, 2021(in Druck).

Figuren des Unpersönlichen bei Deleuze: Ein Leben, Haecceïtas, man, homo  tantum…, in: Lehmann, Robert (Hg.): Dimensionen des Impersonalen, Ergon-Verlag, 2021 (in Druck).

‘Widerstand gegenüber der Gegenwart‘ – Politisches (Minoritär-)Werden bei Deleuze/Guattari, in: Grohs, Nora/ Metzler, Barbara/ Paintner, Jonas (Hg.): Widerstehen & Widersprechen. Beiträge zur vierten under.docs-Fachtagung zu Kommunikation, danzig & unfried, 2020/21 (in Druck).

Goethes Faust im Fokus seiner Kant-Lektüre, in: Waibel, Violetta/ Geml, Gabriele/ Schaller, Phillipp (Hg.): Verwandlungen. Dichter als Leser Kants, Vienna University Press, 2021 (in Druck).

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