Eva-Maria Aigner, BA MA

Dissertation: „Derrida Überleben“

Abstract

Am 19. August 2004 veröffentlichte die französische Tageszeitung Le Monde ein Interview zwischen Jacques Derrida und Jean Birnbaum unter dem Titel Apprendre à vivre enfin. Mehr denn je beschäftigt Derrida zu dieser Zeit, nur wenige Monate vor seinem Tod am 9. Oktober 2004, die Frage des Überlebens – und doch ist es eine alte Frage, die, wie er behauptet, den Beginn der Schrift und seines eigenen Schreibens berührt: „[…] la question de la survie ou du sursis, qui m’a toujours hanté, littéralement, à chaque instant de ma vie, de façon concrète et inlassable […].“ (Derrida 20051, 26) Im Jahr 1995, beinahe ein Jahrzehnt vor dem Interview mit Jean Birnbaum, bekennt sich Derrida in einem Gespräch mit Gianni Vattimo in ähnlicher Weise zu seinem „Geschmack“ für das Überleben (vgl. Derrida/Ferraris 2018, 113). Und tatsächlich spricht Derrida „als ob er nicht tot wäre“, noch in seinen letzten Worten vom Überleben, in einer Notiz, die sein Sohn Pierre am 12. Oktober 2004 auf Derridas Begräbnis am Friedhof von Ris Orangis vortrug und in der Derrida den Freund*innen noch „von jenseits des Grabes“ zuruft: „Préfèrez toujours la vie et affirmez sans cesse la survie…“ (Derrida 20052, 6)

Wie aus diesen Passagen hervorgeht, zeichnet sich Derrida selbst immer wieder als Denker des Überlebens. Dennoch hat die „survivance“ innerhalb des derridaschen Begriffskorpus bei Weitem nicht dieselbe Beachtung erfahren wie z. B. die différance, die Spur, die Gabe, die Freundschaft etc. Hier öffnet sich ein Spannungsfeld, das es lohnend macht, zu untersuchen, welche „Spuren“ die Frage des Überlebens in Derridas Texten und im Denken der Dekonstruktion hinterlassen hat. Obwohl sich in den letzten Jahren mehrere vielversprechende Ansätze für eine systematische Betrachtung dieser Thematik gezeigt haben (vgl. v. a. Silverman 2005, Michaud 2007, Saghafi 2015, 2018), steht die Umsetzung einer solchen Untersuchung noch aus. Dieser „blinde Fleck“ der Derrida-Forschung bildet den Ausgangspunkt für mein Dissertationsprojekt, in dem ich untersuchen möchte, inwiefern sich Derridas Denken unter dem Blickpunkt des Überlebens lesen lässt und wie die Frage des „Überlebens“ im Ausgang von Derrida im Umfeld der Dekonstruktion  aufgenommen und weiterentwickelt wurde – wie der Begriff der „survivance“ seinen Autor also selbst „überlebt“ hat.

Kurzbiographie

Eva-Maria Aigner studierte Philosophie an der Universität Wien (BA, MA). 2017-2018 Studentische Projektmitarbeiterin im FWF-Projekt „Artist-Philosphers. Philosophy AS Arts-Based Research“ (AR-275-G21), 2015-2017 Studentische Mitarbeiterin am Institut für Philosophie Wien. Seit März 2020 ist sie DOC-Fellow der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Neben der Dissertation arbeitet sie an Projekten zur Erschließung kollektiver Schreibpraktiken (z. B. 2018-fortlaufend: Echoraum; 2020: Vulvina Monologe, mit dem Kollektiv V-Muskel). 2019 Ausstellung „Memory Boxes. ÜberLebensspuren“ im Essl Museum, Klosterneuburg, gefördert durch die Stadt Wien.

Publikationen/Vorträge (Auswahl, Stand November 2020)

„Between Here and There. A Meteoric Meditation. In Response to ‚How to be a Refuge(e) for a Stranger?‘“, in: Oliver, Kelly und Madura, Lisa und Ahmed, Sabeen (Hrsg.): Refugees Now. Rowman & Littlefield: London/New York 2019, 273–283.

Online: https://www.rowmaninternational.com/book/refugees_now/3-156-16c6d2c1-a9b9-41b7-8440-39c96520db8b

Böhler, Arno und Aigner, Eva-Maria und Schäfer, Elisabeth (Hrsg.): Philosophy On Stage. The Concept of Immanence in Contemporary Art and Philosophy. Performance Philosophy Journal. Volume 3, Issue 3 (2017): 563–575. Online: https://www.performancephilosophy.org/journal/article/view/191

November 2019

Moderation Buchpräsentation „Passe-Partout“ mit Oswald Auer, Zagury-Orly und Joseph Cohen, Depot Wien

Titel: „Passe-Partout“

Programm: https://www.depot.or.at/index.php?article_id=30&clang=0&archiv=2019

Mai 2019

Vortrag APL Konferenz „Truth, Fiction, Illusion“, Universität Klagenfurt

Titel: Risk-taking to come. Derrida and Dufourmantelle on the magic of „l’avenir“

Programm: https://www.philosophyliterature.com/

November 2018

Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe der Sektion Ästhetik (Neue Wiener Gruppe/Lacan-Schule), Wien

Titel: „Zwischen Tag und Nacht, zwischen Mittag und Mitternacht, braut sich diese Verschwörung zusammen“ – Grenzereignisse bei Jacques Derrida und Trinh T. Minh-ha

Programm: https://lacan.at/seiten_LA/index2.html

September 2018

Vortrag Konferenz „Political Identity on the Threshold“, Nova University Lissabon

Titel: Crossing the Threshold. Border Identities (Derrida, Trinh)

Programm: https://politicalidentityonthethreshold.wordpress.com/

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.