Mag. Dr. Heidi Wilm

Elementale Welt. Die Denkfigur des Fleisches im Spätwerk Merleau-Pontys

Abstract

In seinem späten Schaffen tritt Merleau-Ponty mit einem gewandelten Blick an den Körper bzw. Leib heran, durch den das „Leben“ des Leibes in einer noch radikaleren Weise denkbar (oder denkwürdig) wird als zuvor. Im Entwurf seiner „Philosophie des Fleisches“ bringt sich die kritische Absicht Merleau-Pontys gegenüber klassisch neuzeitlichen Konzepten des Körpers in einer Vehemenz zum Ausdruck, wie sie die frühe Leibphilosophie nur andeuten kann. Hier ist der Versuch unternommen, sich von einem Denken des Leibes in Konzepten des geschlossen Gegenständlichen völlig zu lösen und stattdessen von einem ontologisch (nicht nur phänomenologisch) Offenen des Leiblichen auszugehen – in Form der Denkfigur des Fleisches (chair) als sinnlich-stofflich sich aktualisierendem Prinzip, das Leib und Welt gleichermaßen betrifft.

Anliegen dieser Arbeit ist es, die späte Neuschöpfung la chair als Schlüsselfigur für Merleau-Pontys Entwicklung weg von einer (reinen) Phänomenologie des Leibes hin zu seiner Idee einer „Onto-Genese der Wahrnehmung“ zu betrachten, deren (selbst)kritische Absicht zu beleuchten und begriffsgenealogische Bezüge herauszustellen. Die Aufmerksamkeit liegt dabei auf jenen Aspekten in Merleau-Pontys spätem Denken, die deutlich machen, inwiefern hier die frühere Idee einer „Leibsynthese“ durch diejenige eines Differenzierungsgeschehens des Fleisches abzulösen versucht ist. Dabei steht weniger der strukturalistische Hintergrund dieses Versuchs im Fokus, sondern Merleau-Pontys Aufnahme verschiedenster naturphilosophischer Überlegungen, die unter anderem in seine Naturvorlesungen zurückweisen. Ausgehend von seinem Vorschlag, im Denken des Fleisches einem Zwischenbereich von Konkretheit und Universalität nachzuspüren, der traditionell „dem alten Begriff ‚Element‘“ zugeschrieben wird, folgt die Arbeit Merleau-Pontys Berufung auf vorsokratische Konzepte des Elementalen, um sie auf eine mögliche Denkweise des hier angesprochenen „elementalen“ Wahrnehmens und Empfindens zu verdichten.

Diese Betrachtungen erlauben eine Annäherung an das im Spätwerk entworfene Denken des Raumes und der Zeit – verstanden als gelebter Erfahrungsraum und gelebte Erfahrungszeit –, das Merleau-Ponty unter dem Stichwort der „Topologie“ vorschlägt. Die hier auftauchenden Figuren des Wirbels, der Höhlung und der Faltung finden ebenso Beachtung wie Referenzen auf die Psychoanalyse im Zusammenhang mit der Forderung nach einer „Psychoanalyse der Natur“. Und schließlich widmet sich die Arbeit jenen Aspekten des Denkens des Fleisches, die den Entwurf einer Form der „weiblichen Ontologie“ nahelegen.

Kurzbiographie

Heidi Wilm studierte Philosophie und Zeitgenössischen Tanz in München, Lissabon und Wien und ist ausgebildete Shiatsu-Praktikerin. Ihr Forschungsinteresse gilt besonders der Körperphänomenologie und ihren vielfältigen angrenzenden Bereichen in den Wissenschaften, den Künsten und therapeutischen und spirituellen Praktiken im interkulturellen Blickwinkel. 2014 bis 2016 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im FWF-Projekt „Topographien des Körpers“ (P25977-G22) an der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien. Sie ist Mutter zweier Kinder und lebt und arbeitet in Wien.

Publikationen (Stand Jänner 2019)

Schlafende Körper. (im Sammelband „Körper-Glossar“), Turia + Kant, voraussichtl. 2019.

Prägnante Körper. (im Sammelband „Körper-Glossar“), Turia + Kant, voraussichtl. 2019.

Merleau-Pontys Feldbegriff im Kontext der psychoanalytischen Feldtheorie. (gemeinsam mit Timo Storck und Irene Delodovici, in Vorbereitung).

“Good Bye, Derrida!”, corpusweb: 2017 (https://www.corpusweb.net/-good-bye-derrida.html).

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