VON ENGELBERT J. DOCKNER UND GEORG PFLUG
(Die Presse, 29.10.2002)
Hoffnungslos überfüllte Hörsäle und Prüfungen in
Kinosälen: Warum ist dieses Problem aufgetreten, was steckt
dahinter? Fehlplanung? Irrtum? Absicht? Vordergründig geht es
um Kapazitätsprobleme und offenbar falsche Prognosen über
Studentenzahlen, hintergründig jedoch um prinzipiellere
Fragen. Jede Bildungsinstitution hat sich in der
Bildungslandschaft zu plazieren. Nach der Zeit der staatlichen
Verantwortung für die Ausbildung geht nach der neuen
Gesetzeslage die Verantwortung schrittweise an die
Bildungsinstitutionen über.
Der Staat behält sich die Aufsichtsfunktion
und die Standortpolitik vor. Die Universitäten legen durch die
Wahl der Studienpläne ihre Strategie fest. Das Beispiel der
Studienrichtungen "Wirtschaftsinformatik" und "Internationale
Betriebswirtschaftslehre" kann exemplarisch herangezogen
werden. Beide Studien sind seit vielen Jahren an der Uni Wien
(Wirtschaftsinformatik zusammen mit der TU Wien) eingerichtet.
Nun hat das Ministerium - entgegen der Praxis der
Standortbereinigung - beide Studienrichtungen auch an der WU
Wien, mit derselben Bezeichnung, aber einem völlig anderem
Studienplan, eingerichtet.
Vergleicht man Qualität bzw. Tiefe der
Ausbildung in den Strukturwissenschaften für das
Bakkalaureatsstudium der Wirtschaftsinformatik anhand der
verpflichtend vorgeschriebenen Semesterstunden, so stellt man
fest: An der Uni Wien werden verpflichtend 12 Semesterstunden,
an der WU 4 Stunden vorgeschrieben. Dies muß vor dem
Hintergrund der international üblichen Qualität und Tiefe der
Ausbildung gesehen werden. In den Strukturwissenschaften im
Studium der Wirtschaftsinformatik an der TU München sind 24
Semesterstunden Pflicht.
Gütesiegel als Schmuck?
Damit ist der Kernpunkt des Problems aufgezeigt: Wie positionieren sich Studien und wodurch wird deren Gütesiegel signalisiert? Die WU Wien hat sich als Massenstudium positioniert, was im Rahmen eines differenzierten Studienangebots seine unbestrittene Bedeutung hat. Im internationalen Vergleich ist man jedoch einen anderen Weg gegangen. Dem Vorschlag, um Verwechslungen mit den in Strukturwissenschaften weit besser ausgebildeten Studierenden der Wirtschaftsinformatik zu vermeiden, das neue Studium "Informationswirtschaft" zu nennen, ist die WU nicht nahegetreten. Die Strategie war offenbar, einen bewährten Namen zu imitieren und Anreize für die Positionierung als ein Massenstudium zu setzen.
Im Gegensatz dazu möchte sich die Uni Wien
anders, nämlich im oberen Bereich der Tiefe und der Qualität
der Ausbildung positionieren, jedenfalls möchte sie erreichen,
daß ihre Absolventinnen und Absolventen im internationalen
Vergleich nicht abfallen. Dies ist schwierig, weil in
Österreich Begriffe wie "elitär" oder "intellektuell
anspruchsvoll" belächelt, im schlimmsten Falle bekämpft
werden. Eliten sind aber für eine Gesellschaft genauso wichtig
wie die breite Grundausbildung.
Die derzeit stattfindende Ausdifferenzierung
des Bildungssystems ergibt die große Chance, eine bestmögliche
Versorgung des Marktes mit Absolventen verschiedenen Niveaus
sicherzustellen. In diesem Konzert spielen auch die
Fachhochschulen eine wichtige Rolle. Sie befriedigen den
Bedarf an gut, aber nicht so tief ausgebildeten Fachleuten.
Massenstudien liegen zwischen Fachhochschulen und hochwertigen
Studien: Durch die Masse sinkt zweifellos die Qualität und der
Marktwert.
Nur durch das Dreigespann
Fachhochschulen/Massenstudien/hochwertige Studien wird der
Arbeitsmarkt richtig beliefert. Letztendlich entscheidet der
Arbeitsmarkt über die Qualität. Etwas sollte aber vermieden
werden: Durch die Wahl einer international üblichen
Bezeichnung die Vorstellung zu erzeugen, daß die Absolventen
eines Massenstudiums genauso gut ausgebildet werden wie jene
gleichlautender Studienrichtungen.
Engelbert J. Dockner ist O. Univ.-Prof. am Institut für Betriebswirtschaftslehre der Universität Wien und Vorsitzender der Studienkommission Betriebswirtschaft; Georg Pflug ist O. Univ.-Prof. und Vorstand des Instituts für Statistik der Universität Wien.