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2.4 Transportvorgänge

Ein System befindet sich im ,,Gleichgewicht``, wenn sich seine Eigenschaften im Lauf der Zeit nicht spontan ändern. Wenn äußere Felder (z. B. das Schwerefeld) auf das System wirken, dann können die Stoffeigenschaften unter dem Einfluß dieser Felder von Ort zu Ort variieren; andernfalls sind sie unabhängig vom Ort - das System ist nicht nur im Gleichgewicht, sondern auch homogen.

Insbesondere werden im Gleichgewichtszustand die lokale Energiedichte (das ist die in einem Volumenelement $dV$ enthaltene Energie, geteilt durch $dV$), die Impulsdichte und die Teilchen- oder Massendichte zeitlich konstant sein. Diese drei Dichten, die den drei Erhaltungsgrößen der Mechanik zugeordnet sind, spielen im folgenden eine besondere Rolle.

Betrachten wir wieder das verdünnte Gas, und nehmen wir der Einfachheit halber an, daß keine äußeren Felder wirken. Dann sind die erwähnten Dichten definiert durch

\begin{displaymath}
\rho_{E} \equiv \frac{E}{V} = \frac{1}{V} \sum_{i=1}^{N} \fr...
...{v}_{i} ,\;\;\;
{\rm und} \;\;\;
\rho_{m} \equiv \frac{Nm}{V}
\end{displaymath} (2.32)

Bei genauer Betrachtung sind die lokalen Dichten selbstverständlich nicht völlig konstant; sie werden vielmehr ein wenig um ihren Mittelwert schwanken. Mit anderen Worten, es werden sich spontan lokale Gradienten der betreffenden Dichten ausbilden, die alsbald wieder abklingen. Es ist aber auch möglich, künstlich einen Gradienten der betreffenden Dichte zu erzeugen. Beispielsweise kann man einer horizontalen Schicht eines Gases oder einer Flüssigkeit eine Geschwindigkeit $u_{x} \neq 0$ (und damit einen Impuls $p_{x}$) aufprägen. Durch die Differenz zwischen diesem Impuls und dem der darunter und darüber befindlichen Schichten ist ein Gradient der Impulsdichte definiert. Würde man das System nun sich selbst überlassen, würde sich dieser Impulsgradient von selbst ausgleichen, bis wieder Gleichgewicht herrscht. Die Stoffeigenschaft, die das Tempo dieses Ausgleichs bestimmt, wird als Zähigkeit bezeichnet.

Wenn eine Meßgröße insgesamt erhalten bleibt, dann kann eine lokale Änderung nur dadurch erfolgen, daß die entsprechende Größe aus dem betrachteten Raumbereich heraus- oder in ihn hineinfließt. Man spricht in diesem Zusammenhang von Transportprozessen, deren Schnelligkeit durch Transportkoeffizienten - die eben erwähnte Zähigkeit $\eta$, die Wärmeleitfähigkeit $\lambda$ (für den Energietransport) und die Diffusionskonstante $D$ (für den Massentransport) - bestimmt wird.

In realen Experimenten zur Bestimmung dieser Transportkoeffizienten hält man den betreffenden Gradienten meist künstlich aufrecht. In solchen Fällen wird zwar dauernd ein gewisses Maß an Impuls, Energie oder Materie in Richtung des Gradienten transportiert, bei geeigneter Versuchsanordnung bleiben aber diese Flüsse und die lokalen Dichten (bzw. deren Gradienten) im Lauf der Zeit ungeändert. Man spricht in diesem Fall von einer stationären Nichtgleichgewichtssituation.

DEFINITION DER TRANSPORTKOEFFIZIENTEN
Bei der formalen Definition der Transportkoeffizienten $\eta$, $\lambda$ und $D$ orientieren wir uns am besten and den einfachsten Meßanordnungen.

$\bullet$
Zähigkeit: Um den Transportkoeffizienten $\eta$ zu messen, erzeugt man eine laminare Strömung, indem man eine Gas- oder Flüssigkeitsschicht zwischen zwei horizontale Platten bringt, deren obere mit gleichförmiger Geschwindigkeit $u_{0}$ nach rechts bewegt wird. Damit wird der ungerichteten, zufälligen Bewegung der Moleküle eine systematische Geschwindigkeitskomponente in $x$-Richtung überlagert.

Der Betrag der ungerichteten thermischen Geschwindigkeit der Moleküle liegt in der Größenordnung von $10^{3} m/s$; die Überlagerung einer ,,Schergeschwindigkeit`` $u(z)$ von einigen Zentimetern pro Sekunde wird daher das lokale Gleichgewicht im System nicht stören. Wir können also annehmen, daß trotz dieser kleinen Störung an jedem Ort im System die Maxwell-Boltzmann-Verteilung der Geschwindigkeiten gilt, und zwar mit demselben Wert für den Parameter $\langle E \rangle$ (bzw. $kT$).

Zur Wiederherstellung des Gleichgewichts wird nun ein gewisser Teil des $x$-Impulses entgegen der Richtung dieses Gradienten - in unserem Fall also nach unten - fließen. Der Betrag des pro Zeit- und Flächeneinheit nach unten fließenden Impulses wird als Flußdichte $\vec{j}_{p}$ bezeichnet. In erster Näherung ist dieser Strom proportional zu dem aufgeprägten Geschwindigkeitsgradienten, und die Proportionalitätskonstante ist per definitionem der Transportkoeffizient $\eta$:

\begin{displaymath}
j_{p}= -\eta \frac{d u(z)}{dz}
\end{displaymath} (2.33)

Diese Definitionsgleichung für $\eta$ wird oft als Newtonsches Gesetz des viskosen Strömung bezeichnet. Der Parameter $\eta$ heißt Zähigkeit oder Viskosität.

$\bullet$
Wärmeleitfähigkeit: Einen Gradienten der Energiedichte kann man dadurch erzeugen, daß man die Substanz zwischen zwei Wärmespeicher verschiedener Temperatur bringt. Verwendet man wieder die gleiche einfache Geometrie wie im Fall der Viskosität, dann weist der Gradient der Temperatur (und damit der Energiedichte) nur die eine Komponente $dT/dz$ auf, die zu einem Energiefluß in Gegenrichtung führt. Der Koeffizient $\lambda$ der Wärmeleitung ist definiert durch (Fouriersches Gesetz)
\begin{displaymath}
j_{E}= -\lambda \frac{d T(z)}{dz}
\end{displaymath} (2.34)

$\bullet$
Diffusionskonstante: Auch in einem homogenen Gas (und auch in einem Fluid oder einem Festkörper) aus gleichartigen Molekülen werden die individuellen Moleküle im Lauf der Zeit ihren Ort wechseln. Dieser Vorgang wird als Selbstdiffusion bezeichnet. Es ist möglich, einzelne Teilchen zu ,,markieren`` - etwa dadurch, daß man sie mit einem isotopen radioaktiven Kern ausstattet. Auch in diesem Fall kann die Dichte der markierten Teilchengattung - nennen wir sie Spezies $1$ - einen Gradienten aufweisen, der durch einen Teilchenfluß ausgeglichen wird (Ficksches Gesetz):
\begin{displaymath}
j_{1}= -D \frac{d \rho_{1}(z)}{dz}
\end{displaymath} (2.35)



MITTLERE FREIE WEGLÄNGE
Bevor wir versuchen, die oben definierten Transportkoeffizienten aus der Betrachtung der mikroskopischen Dynamik der Moleküle zu bestimmen, schätzen wir zunächst den Weg ab, den ein Gasteilchen im Mittel zurücklegen kann, ehe es mit einem anderen Molekül kollidiert. Der freie Flug eines Moleküls zwischen je zwei Kollisionen ist gewissermaßen der Elementarprozess für den Transport der mechanischen Erhaltungsgrößen Impuls, Energie und Masse.

Sei $P(x)$ die - zunächst noch unbekannte - Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein Teilchen vor Zurücklegen der Wegstrecke $x$ eine Kollision erleidet. Dann ist $1-P(x)$ die Wahrscheinlichkeit dafür, den Punkt $x$ ohne Kollision zu erreichen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Zusammenstoß innerhalb einer infinitesimalen Wegstrecke $dx$ ist aber gegeben durch $p =\rho \sigma^{2} \pi dx$, wo $\sigma$ der Durchmesser der Teilchen ist. ($p$ ist gleich dem Bruchteil der ,,Zielfläche`` des linear bewegten Teilchens, der von anderen Teilchen überdeckt wird.) Somit ist die differentielle Wahrscheinlichkeit für einen Stoß zwischen $x$ und $x+dx$:

\begin{displaymath}
dP(x)=[1-P(x)]\rho \sigma^{2}\pi dx
\end{displaymath} (2.36)

und daher
\begin{displaymath}
P(x)= 1- e^{-\rho \sigma^{2}\pi x}
\end{displaymath} (2.37)

Die Wahrscheinlichkeitsdichte $p(x) \equiv dP(x)/dx$ für einen Stoß in genau diesem Intervall ist
\begin{displaymath}
p(x)=\rho \sigma^{2}\pi e^{-\rho \sigma^{2}\pi x}
\end{displaymath} (2.38)

Die mittlere freie Weglänge ist - in dieser Näherung - durch das erste Moment dieser Dichte gegeben:
\begin{displaymath}
l \equiv \langle x \rangle \equiv \int_{0}^{\infty} dx   x   p(x)
= \frac{1}{\rho \sigma^{2}\pi }
\end{displaymath} (2.39)



BEISPIEL: Der Durchmesser des $H_{2}$-Moleküls beträgt $\sigma \approx 10^{-10}m$ ($= 1$ Ångstrøm). Bei Normalbedingungen befinden sich nach Loschmidt $6.022 \cdot 10^{23}$ Teilchen in einem Volumen von $22.4 \cdot 10^{-3}m^{3}$; die Teilchendichte beträgt also $\rho = 2.69 \cdot 10^{25} m^{-3}$. Die freie Weglänge ist daher $l=1.18 \cdot 10^{-6}m$.


Applet Hspheres: Start

Simulation: Stoßzahl im verdünnten Gas
3-dimensionales System aus harten Kugeln in einem kubischen Gefäß:
- Vergleich der theoretischen Kollisonsrate $Z_{th}$ mit der empirischen $Z_{ex}$



[Code: Hspheres]




ABSCHÄTZUNG DER TRANSPORTKOEFFIZIENTEN
Im Fall des verdünnten Gases lassen sich explizite Ausdrücke für die Transportkoeffizienten finden. Dabei gehen wir wieder von der einfachen geometrischen Anordnung aus, die in vielen Experimenten ebenfalls verwendet wird. Der Gradient der betreffenden Erhaltungsgröße soll nur eine $z$-Komponente aufweisen, sodaß auch der resultierende Strom nur in $z$-Richtung erfolgt.

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F. J. Vesely / StatPhys Tutorial, Deutsch, 2001-2003