Denkanstoß für die Arbeitsgemeinschaft Religionsphilosophie
Denkanregung
zum Thema "Schöpfung und Evolution": Link
Erwin Bader
Braucht der Mensch Gott, um gut zu sein?
Der kurze Weg vom Herrn Keuner zu Kant.
Bertolt Brecht hat in seinen "Geschichten vom Herrn Keuner" folgendes
geschrieben:
Einer fragte
Herrn
K., ob es einen Gott gäbe.
Herr K. sagte:
"Ich
rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese
Frage sich ändern würde.
Würde es
sich
nicht ändern, dann können wir die Frage fallenlassen.
Würde es
sich
ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein,
daß ich dir sage, du hast dich schon entschieden:
Du brauchst
einen
Gott."
Diese Antwort des
Herrn
Keuner nach Bert Brecht scheint auf den ersten Blick den Glauben an
Gott
als rein subjektive Meinung bloßzustellen und demgegenüber
jener
Haltung den Vorzug zu geben, welche die Frage nach Gott gleich gar
nicht
stellt. Dies ist aber nicht nur eine aus gläubiger Sicht wegen
eines
(von der Gegenseite wird zwar beklagt, "ungerechtfertigten")
Wahrheitsanspruches
des Gottesglaubens abzulehnende Haltung, sondern auch eine unkritische
Haltung in Bezug auf den Text selbst.
Die Antwort trifft
nämlich nicht auf die Frage zu, ob es Gott gibt, sondern auf eine
ganz andere Frage, nämlich auf die Frage, ob der Fragende selber
Gott
bzw. einen Glauben an Gott braucht oder nicht, und zwar nach seiner
eigenen,
schon vor einer Antwort auf die Frage bestehenden Meinung,. Dabei
spielt
allerdings interessanter Weise die Frage nach dem Verhältnis
zwischen
Glauben und Lebenspraxis hinein, und zwar in der Form, daß
anerkannt
wird, daß der Glaube an Gott und die Lebenspraxis wenigstens bei
einigen Menschen im Zusammenhang stehen könnten. Dieser
Zusammenhang
wird aber von Herrn Keuner als Entscheidungskriterium angesehen,
welches
daher gültig ist, unabhängig davon, ob Gott tatsächlich
existiert oder nicht. Wenn aber dieser Zusammenhang überhaupt
denkmöglich
sein soll, dann ergibt sich folgendes:
Zunächst ist
zu
sehen, daß, falls tatsächlich irgendein Zusammenhang (und
nicht
bloß eine zufällige Gleichzeitigkeit) zwischen etwas und der
Lebenspraxis bei einer Person möglich ist, selbst wenn dies bei
einer
anderen Person nicht zutrifft, der Zusammenhang real möglich sein
muß, daß also eine Potenz vorhanden ist, die entweder zur
Wirkung
kommt oder auch nicht. Wenn nämlich, um ein anderes Beispiel zu
nehmen,
bei einer Person ein Zusammenhang zwischen Tanz und Freude besteht, bei
einer anderen aber nicht, dann wird damit anerkannt, daß Tanz
grundsätzlich
Freude machen kann, wenngleich dies nicht bei allen Personen zutrifft.
Ebenso kann der Glaube an Gott (auch im Bild, das Herr Keuner
verwendet)
grundsätzlich ein besseres Leben der glaubenden Person zur Folge
haben,
auch wenn das bei einer anderen Person nicht zutrifft. Die Potenz dazu
wäre aber, so sie überhaupt besteht, logisch notwendiger
Weise
in beiden Fällen vorhanden. Wenn nun jener, der nachdenkt und
meint,
der Glaube an Gott würde sein Leben nicht ändern, deshalb
auch
die Frage nach Gott beiseite schiebt und für überflüssig
hält, dann hat er nach seiner vorgefassten Meinung geurteilt, das
heißt, er meint, daß ein Glaube an Gott nicht notwendig
sei,
um ein besseres Leben zu führen. Er glaubt nicht, daß ein
Glaube
an Gott einen Einfluß auf sein eigenes Leben hätte, was so
zu
interpretieren ist, daß er eher nicht an Gott glaubt und es ihm
deshalb
auch nicht präsent ist, daß es einen grundsätzlichen
Zusammenhang
zwischen Gottesglauben und Lebenspraxis geben könnte.
Nur wer
tatsächlich
kaum an Gott denkt, kann meinen, es ginge ihm dabei nichts ab -
andernfalls
wäre sein Gedanke ja schon auf der Suche nach Gott. Denn analog
dazu
wird auch derjenige, der meint, der Tanz werde keine Freude bei ihm
bewirken,
wohl eher einer sein, der kaum tanzt oder bei solchen Versuchen bereits
so viele Schwierigkeiten hatte, daß (noch) keine Freude aufkommen
konnte. Also wäre ihm die subjektiv erwartete konkrete Wirkung
nicht
recht, die Mühe lohnt sich scheinbar für ihn nicht. Dabei
liegt
es aber meist an der Art, also dem Stil des Tanzes, nicht am
allgemeinen
Wesen des Tanzens, und analog ist es auch bei der Art, wie der Glaube
an
Gott verstanden wird, aber es läge wahrscheinlich weniger am
Glauben
an Gott an sich. Es gibt vermutlich auch bei der Religion nicht nur
unterschiedliche
Stile, sondern auch unterschiedlich talentierte Menschen. Aber dazu
kommt
auch noch die Frage: Brauche ich die Wirkung, die von etwas zu erwarten
ist, also hier die mutmaßlich auftretende Änderung meines
Lebens?
Brauche ich Gott, um gut zu sein? Oder liegt mir vielleicht nichts
daran,
mein Leben mit einem Glauben an Gott zu "belasten" - und dann
womöglich
"gut" auch noch sein zu "müssen"?
Brecht
berücksichtigt
dabei übrigens nicht, daß der Glaube an Gott bei einigen
Menschen
nicht nur eine Änderung des Lebens, sondern letztlich auch eine
Freude
und Glückseligkeit, und zwar eine tiefere als durch andere
Güter
und Lebensäußerungen, hervorrufen kann. Wenn wir schon den
Tanz
als analoges Beispiel gewählt haben, so ist dieser eine reale
Lebensäußerung,
die Freude hervorruft, wenngleich keine so tiefe und nachhaltige Freude
wie der Glaube an Gott. Nur etwas Reales hat eine reale Wirkung, und
wenn
Gott bei einigen Menschen "gebraucht" wird, weil sie (mit seiner Hilfe
oder sonstwie) gut und/oder glücklich sein wollen, und auch nur
manchen
dabei ein realer Erfolg zuteil wird, dann kann man kaum bezweifeln,
daß
auch Gott als die Quelle der Freude und des Guteseins real ist.
Freilich
ist hier nicht mehr nur vom Glauben an Gott, sondern auch von Gott
selber
die Rede und dem Problem, ob er existiert oder nicht.
Weiters ist zu
sehen,
daß, wenn Brecht seinen Herrn K. die Behauptung eines
möglichen
Zusammenhanges, wie es ja der Form nach im Originaltext heißt,
zwischen
Gott (also nicht: nur: Glaube an Gott) und der Lebenspraxis aufstellen
ließ, auch nach der Auffassung des solcherlei Sagenden beide
möglicherweise
im Zusammenhang stehenden Teile wahrscheinlicher existieren als nicht,
weil zwei Dinge, von denen auch nur eines nicht wirklich existieren
würde,
auch nicht wirklich im Zusammenhang stehen könnten. Es ist also
nicht
nur die Realität des Zusammenhangs, sondern auch die der
zusammenhängenden
Dinge anzunehmen. So stellen wir fest: Wenn auch nur irgendjemand Gott
tatsächlich braucht, dann ist dessen Existenz wahrscheinlicher als
dessen Nichtexistenz. An sich scheint im Sinne von Herrn K. zwar eher
der
Glaube an Gott gemeint zu sein und nicht Gott selber, auch wenn er sich
nicht so ausdrückt, aber andererseits wäre der Glaube ja nur
eine Art Vermittlung zu einem bestimmten Gut, also Gott, dessen
Realität
freilich vorausgesetzt werden müßte, sobald daraus eine
reale
Wirkung in seiner Lebenspraxis folgen können soll.
Im Text heißt
es allerdings nicht, daß der Glaube an Gott, sondern daß
Gott
vielleicht existiert oder auch nicht, und am Ende heißt es
ebenfalls,
daß jemand Gott braucht und nicht nur den Glauben an Gott.
Zweifellos
sehen wir andererseits, dass es auch genug Menschen gibt, denen es
offenbar
bestens gelingt, eine wirklich gute Lebensführung ohne
ausdrücklichen
Glauben an Gott zu meistern. Ob jemand Gott aber wirklich braucht oder
nicht, ist freilich nicht allein aus der Meinung herauszulesen, die
jemand
darüber besitzt. Wesentlich ist eher, daß auch nur wenige
Menschen,
die eine gute Lebensführung haben, ihre Erfahrung mitteilen, dass
sie Gott tatsächlich brauchen, also nicht nur an Gott glauben,
sondern
etwa auch ein philosophisches Wissen davon besitzen, daß sie
insofern
Gott "brauchen", als sie sich von ihm irgendwie abhängig wissen
und
ihr Leben mehr oder weniger als eine Beziehung zu ihm verstehen.
Wenn aber Gott
existiert,
dann ist freilich anzunehmen, daß ihn auch jene brauchen (ohne es
zu wissen), die nicht an ihn glauben. Es ist unbegründet zu
behaupten,
wenn jemand Gott oder sonst etwas braucht, dann sei deshalb dessen
Existenz
zweifelhaft. Man muß zugeben, daß die Tatsache, daß
jemand
etwas braucht, niemals ein Beweis gegen die Existenz des Gebrauchten
sein
kann. Dies trifft selbst dann zu, wenn von einem Brauchen in einem
abzulehnenden
Sinn die Rede ist. Jemand braucht den Konsum von Opium oder Kokain
(Marx
verglich bekanntlich den Glauben an Gott mit dem Genuß von
Opium),
aber diese Substanzen bestehen auch wirklich, wenngleich ihre Wirkung
nicht
lobenswert und ihr Konsum nicht naturnotwendig ist. Wenn ich aber sage,
die Pflanze braucht (von ihrer Natur aus) Wasser, dann spricht das
(erst
recht) niemals gegen die Existenz des Wassers, selbst wenn eine
bestimmte
Pflanze, sofern sie ihre Gedanken ausdrücken könnte, sagen
sollte,
sie brauche kein Wasser. Es ist ein Irrtum, zu meinen, bloß weil
jemand sagt, er brauche Gott nicht, der andere aber das Gegenteil,
daraus
zu schließen, bei beiden Aussagen handle es sich um gleich wahre
Ansichten; im Gegenteil, selbst wenn zum Beispiel nur wenige Menschen
die
Erkenntnis hätten, daß Lebewesen den Vorgang der Osmose (und
in der Regel auch die Fähigkeit zur Regulation ihres Drucks)
brauchen,
ein solches Unwissen der Allgemeinheit kein Beweis gegen die
Wirklichkeit
der Osmose bzw. gegen die Wahrheit dieser Aussage wäre. Wenn also
auch die meisten Menschen - was freilich nicht der Fall ist - meinen
sollten,
sie bräuchten Gott nicht, dann spräche dies nicht gegen die
Existenz
Gottes, aber sobald auch nur wenige Menschen überzeugt sind,
daß
sie Gott brauchen, so ist dies bereits ein sehr wichtiges Argument
für
die Existenz Gottes.
Bekanntlich
postulierte
Immanuel Kant, dass der Mensch zum Zweck der Moral den Begriff Gottes
brauche.
Aber nicht nur der Ethik wegen braucht der Mensch Gott, sondern auch
der
Vernunft und des Verstandes wegen bedarf er Gottes:
"Die menschliche Vernunft bedarf einer Idee der höchsten
Vollkommenheit
... Gott ist eine nothwendige Idee unseres Verstandes, weil er
das
Substratum der Möglichkeit aller Dinge ist. ...Den allgemeinen
Begriff
von Gott haben wir ... festgesetzet, daß er nämlich ens
realissimum
sey. Dieses ist das Ideal, dessen unsere Vernunft bedarf, um einen
höhern
Maaßstab für das minder vollständige zu haben"
(Immanuel
Kant, Akademie-Ausgabe Bd. 28, 2, 2, S. 993, 1015, 1019)
Nicht genug damit,
betont Immanuel Kant sogar, daß auch die Ästhetik, vor allem
die Schönheit der Natur, im Menschen stets geradezu ein
Bedürfnis
weckt, Gott zu danken, wessentwegen der Mensch wiederum Gottes bedarf:
"Setzet einen Menschen in den Augenblicken der Stimmung seines
Gemüths
zur moralischen Empfindung! Wenn er sich, umgeben von einer
schönen
Natur, in einem ruhigen, heitern Genusse seines Daseins befindet, so
fühlt
er in sich ein Bedürfniß, irgend jemand dafür
dankbar
zu sein.... Mit einem Worte: er bedarf einer moralischen Intelligenz,
um
für den Zweck, wozu er existirt, ein Wesen zu haben, welches
diesem
gemäß von ihm und der Welt die Ursache sei. ..." (Immanuel
Kant,
suhrkamp tb, hrsg. v. W. Weischedl, Bd. 10, S. 407)
Kant schrieb drei
große
Kritiken, in welchen er die drei Grundfragen "Was kann ich wissen,
was
soll ich tun, was darf ich hoffen?" beantwortet werden, wobei alle
drei Fragen insofern in Gott münden, als er demonstriert, wie sehr
alle drei, die menschliche Vernunft, die Ethik und Ästhetik, sowie
der Mensch schlechthin, Gottes bedürfen. Aber wenn der Mensch Gott
braucht, warum lehnt denn dann Kant die Beweisbarkeit Gottes ab? Weil "dessen
Begriff von keinem andern Begriffe abgeleitet werden kann, weil aus
dessen
Begriff alle andern Begriffe von Dingen abgeleitet werden
müssen."(Immanuel
Kant, Akademie-Ausgabe Bd. 28, 2, 2, S.1014)
Nun zurück zu
Brecht. So gesehen kann also der Hintergrund der Aussage des Dichters,
die er hier dem Herrn Keuner in den Mund legt, so verstanden werden,
daß
der Mensch (eigentlich doch) Gott braucht, insbesondere um sein Leben
zu
ändern, weil es offenbar Menschen gibt, die dies bezeugen. Herr K.
macht ferner deutlich: Wenn jemand hingegen glaubt, daß er Gott
nicht
brauche, dann kann er auch die Frage nach Gott nicht sinnvoll stellen
und
wird dieses Problem eher beiseite schieben. Wer dagegen sagt, er wisse,
daß er Gott braucht, der hat wohl letztlich auch die Frage, ob
Gott
existiert, schon positiv beantwortet, bevor er sie stellt.
Diesen Gedanken
finden
wir in besonders deutlicher Form bei Immanuel Kant ausgedrückt,
wie
gezeigt werden soll. Eigentlich leuchtet dies auch dem
Allgemeinverstand
ein, auch wenn Herr Keuner in unserem Beispiel nicht selbst diese
Erkenntnis
zum Ausdruck bringt, was daran liegen mag, daß selbst Herr
Brecht,
der ja der Autor des Gedankenspiels ist, die Tragweite seiner
Erkenntnis
nicht ganz erfassen konnte. An sich spielt wie gesagt auch die Hoffnung
auf ein größeres Glück durch den Glauben hier hinein,
welche
Brecht leider nicht erwähnt. Wahr ist freilich auch, daß,
wenn
jemand an dieExistenz Gottes noch so gewiß glaubt, sein Denken an
ihn oft nicht viel mehr als ein unbeholfenes, aber doch drängendes
Fragen nach ihm ist und nicht für alle Menschen Gottes Existenz
wirklich
evident ist. Aber wenn das Denken an ihn nicht auch ein Streben nach
Veränderung
der eigenen unvollkommenen Lebenspraxis wäre, so hätte die
Frage
nach seiner Existenz für den Menschen nicht viel Sinn.
Allerdings
müssen
wir dabei bedenken, daß die Philosophie ja gerade nach dem Sinn
sucht
und strebt und mit Ansichten und Denkstufen, welche keinen Sinn machen,
nicht zufrieden sein kann. Dazu können wir uns von Immanuel Kant
belehren
lassen, welcher seinen praktischen Gottesbeweis gerade auf jenem hier
besprochenen
Zusammenhang zwischen Glaube an Gott und Lebenspraxis aufbaut,
übrigens
durchaus auch in Verbindung mit dem Streben nach Glückseligkeit.
Dabei
urteilt er, wenn auch kulturkreisabhängig, aber doch mit klaren
philosophischen
Argumenten recht konsequent über die bewußte, in voller
Absicht
ausgesprochene Leugnung Gottes, in Hinblick auf die Konsequenz dieser
Ansicht
für die Lebensführung:
"Der Atheismus (Ohngötterei, Gottesverläugnung) wird
eingetheilt,
in den skeptischen und dogmatischen. Jener bestreitet nur die
Beweise
für das Daseyn eines Gottes, insonderheit die apodiktische
Gewißheit
derselben, nicht aber das Daseyn Gottes selbst, wenigstens nicht die
Möglichkeit
desselben. ... Ganz etwas anders ist es mit dem dogmatischen Atheisten,
welcher geradezu das Daseyn eines Gottes abläugnet, und es
überhaupt
für unmöglich erkläret, daß ein Gott sey. Solche
dogmatische
Atheisten hat es entweder nie gegeben, oder sie sind die boshaftesten
Menschen
gewesen. Bei ihnen fallen alle Triebfedern zur Moralität weg; und
diesen Atheisten ist entgegen gesetzet der moralische Theismus"
(Immanuel
Kant, Akademie-Ausgabe Bd. 28, 2, 2, S. 1010)
An anderer Stelle
lesen
wir ähnlich, wobei hier abermals ein moralisches Argument
vorgebracht
wird, diesmal schon gegen die Ansicht, Gottes Existent für
fraglich
halten zu können:
"Der Atheismus ist zweifach: der dogmatische und der skeptische.
Der
dogmatische beweiset, es sey kein Gott; der skeptische negirt es nicht
schlechtweg, er //PM297// nimmt aber auch nicht das Gegentheil an,
sondern
betrachtet es nur als ein Problem. ... Das Daseyn Gottes ist ...
wider den dogmatischen Atheismus gesichert. Mit dem skeptischen ist es
schon schwerer, .... Allein ich darf dem Skeptiker nur
beweisen,
daß die Frage: Ob ein Gott sey oder nicht? nicht problematisch,
sondern
kategorisch kann tractirt werden; ich muß gewiß wissen, ob
keiner oder einer ist. Problematisch kann ich also diesen Beweis nicht
behandeln; denn sonst weiß ich nicht, wie ich mich zu verhalten
habe."
(Immanuel Kant, Vorlesungen über Metaphysik - von Pölitz,
1821,
nach CD-ROM "Kant im Kontext", Wiss. Buchges. Darmstadt)
Wenn also Herr
Keuner
bei Brecht anrät, "...nachzudenken, ob dein Verhalten je nach
der
Antwort auf diese Frage (ob Gott existiert) sich ändern
würde.",
so postuliert Kant mit "logischer Präzision", nach seiner
Darlegung
des moralischen Gottesbeweises (in der Kritik der Urteilskraft), trotz
bestehender Meinungsunterschiede letztlich sogar in strikter,
Verbindlichkeit
beanspruchender Form:
"Es
ist eben so notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen, als die
Gültigkeit
des moralischen Gesetzes anzuerkennen ..." (Immanuel Kant,
suhrkamp
tb, hrsg. v. W. Weischedl, Bd. 10, S. 413)
Nun ist Kant aber
bekanntlich
auch so tolerant, daß er jemanden, der nicht die von ihm
erreichte
Einsicht teilen würde und der in der Philosophie doch bei einer
größeren
Skepsis verbleiben möchte, seinen Anspruch, sich Philosoph zu
nennen,
keineswegs bestreitet; allerdings demjenigen tritt er scharf entgegen,
der im Namen vorgeblicher philosophischer Gründe dem Gottesglauben
die Berechtigung absprechen möchte:
"Daher kann ein skeptischer Atheist immer Religion haben, weil er
aufrichtig
gestehet, daß es weit unmöglicher sey, zu beweisen,
daß
kein Gott sey, als daß einer sey. Er läugnet nur, daß
die menschliche Vernunft durch Speculation je die Gewißheit des
Daseyns
Gottes beweisen könne; aber er siehet auch auf der andern Seite,
daß
sie eben so gewiß nie werde darthun können, daß Gott
nicht
sey. ... Ganz etwas anders ist es mit dem dogmatischen Atheisten,
welcher
geradezu das Daseyn eines Gottes abläugnet, und es überhaupt
für unmöglich erkläret, daß ein Gott sey. Solche
dogmatische
Atheisten hat es entweder nie gegeben, oder sie sind die boshaftesten
Menschen
gewesen." (Immanuel Kant, Akademie-Ausgabe Bd. 28, 2, 2, S. 1010)
Wie wir gesehen
haben,
trifft ein solcher dogmatischen Atheismus auch nicht für den
Kommunisten
Bertold Brecht wirklich zu, obwohl der offizielle Kommunismus den
dogmatischen
Atheismus sogar gewaltsam propagierte. In seinem bekannten Denkspiel,
das
Brecht dem Herrn Keuner in den Mund legt, ist sein Denken, trotz der
Anlehnung
an atheistische Denkmuster, dem von Immanuel Kant strukturell durchaus
ähnlich, wenngleich die bisher übliche Interpretation
hartnäckig
ein falsches Bild verbreitet, welches in diesem Denkanstoß
zurückgewiesen
werden sollte. Weiterführend sollte man wohl auch das
"hagiographische
Argument" in diesem Sinne mit berücksichtigen, also die Tatsache,
daß bei sittlich besonders vorbildlichen Menschen, etwa Mutter
Theresa,
sehr häufig ein persönliches Zeugnis vorliegt, sie haben die
Liebe, die sie anderen Menschen geschenkt haben, selber von Gott
erhalten,
also für dieses besondere Leben Gottes Liebe gebraucht. Der Weg
von
der bekannten Denkfigur des Herrn Keuner bei Brecht führte also
über
textkritische Bemerkungen hin zur Aufdeckung einiger Parallelen bei
Immanuel
Kant und legt folgenden Schluß nahe: Auf autonome Weise, also
beim
mutigen, eigenständigen Gebrauch seines "aufgeklärten"
Verstandes
kann der Mensch durch einiges Nachdenken durchaus zu einer Erkenntnis
kommen,
die ähnlich dem Satz des Herrn Keuner ist:
"Du brauchst
Gott(es
Hilfe)."
siehe auch:
"Mit
dem abwesenden Gott leben." Herbert Schnädelbach
im Streitgespräch mit dem evangelischen Bischof Horst Hirschler -
mit Kommentar von Erwin Bader und darauffolgendem Briefwechsel mit
Schnädelbach.
Das
Wort "Gott ist tot"
Die
Einzigartigkeit Gottes und der Dialog der Religionen
Ist Gott evident?
Ist die Schöpfung zeitlich?
Religion, Gefühle, Ethik