WŠhrend
wir uns im Jahr 2014 an den Beginn des ersten Weltkrieges erinnerten, gedachten
wir im Jahr 2015 an das Ende des Zweiten Weltkrieges. Doch im Dezember dieses
Jahres erinnern wir uns auch an Bertha von Suttner, die als erste Frau den
Friedensnobelpreis erhielt. Es war im Jahr 1905, dass Bertha von Suttner den
Friedensnobelpreis erhielt, doch im Jahr 1914 begann der Erste Weltkrieg, der zuletzt
mehrfach als eine Einheit mit dem Zweiten Weltkrieg interpretiert wurde. HŠufig
wurde in den letzten Jahren an die frŸheren Kriege erinnert, aber fast noch
hŠufiger kam Angst auf, dass die verschiedenen Kriegsgeschehnisse in aller Welt
oder die aktuelle Terrorwelle in Europa zu einem Krieg fŸhren kšnnte, der auch
Europa erfassen kšnnte. Die FlŸchtlingswelle ist ein Anlass, dass sich Europa
mit manchen Všlkern, die im Krieg leben mŸssen, mehr solidarisiert als dies je
zuvor fŸr mšglich gehalten wurde. Diesmal stš§t Europa vielleicht an seine
Grenze der Mšglichkeiten, nachdem eine Welle der internationalen SolidaritŠt aufkam,
wie sie bei der kurz davor wŸtenden massenhaften Christenverfolgungen in vielen
LŠndern noch nicht aufgekommen war.
Leider beobachten
wir: Die Aufmerksamkeit wird allemal und bis heute durch Gewalt und Krieg deutlich
mehr wachgerufen als durch den Frieden. Die Zeitungen berichten derzeit viel
ausfŸhrlicher als je zuvor von Terror und Kriegen. Andererseits ist unter dem
Aspekt der Zukunftstauglichkeit alles was dem Frieden dient das wichtigere
Ereignis als etwas, das dem Krieg dient. Mein Anliegen ist es, an die gro§e
šsterreichische FriedenskŠmpferin zu erinnern, welche weltweit geachtet wird,
aber viel zu wenig bekannt ist. Vielleicht hilft der Blick auf ihr Werk, wieder
mehr den Frieden anzustreben.
Manchmal
Ÿberschneiden sich die Ereignisse. Nehmen wir eine Zeitung der alten kuk Monarchie und blŠttern wir darin. Der Pester Lloyd schreibt: 24. Juni 1914: ãAus Wien wird uns
gemeldet: Das LeichenbegrŠbnis der Baronin Berta Suttner hat heute Nachmittag,
dem Wunsche der Verstorbenen gemŠ§, in aller Stille und ohne jedes GeprŠnge
stattgefunden. Im Trauerhause hatten sich blo§ die Familienmitglieder, sowie
ein kleiner Kreis von vertrauten Freunden eingefunden. Um 3 Uhr wurde der Sarg
geschlossen, auf den zweispŠnnigen Leichenwagen gehoben und auf den
Franz-Josef-Bahnhof gebracht. In Vertretung der šsterreichischen
Friedensgesellschaft begleitet Regierungsrat Schuster die Leiche nach Gotha, wo
am 25. d. nachmittags die EinŠscherung erfolgt. An die Baronesse Luise Suttner
sind zahllose Beileidstelegramme eingelangt, darunter auch von der ungarischen
parlamentarischen Gruppe der internationalen Union.Ò Baronin Luise Suttner war jene SchwŠgerin,
welche die Baronin Bertha von Suttner zuletzt aufopfernd pflegte.
Ein
ãLeichenbegrŠbnisÒ, von dem die Zeitung schrieb, fand eigentlich in Wien gar
nicht statt. Man wusste nicht, wie man Ÿber ein Ereignis dieser Art der
Verabschiedung von einer Verstorbenen anders berichten sollte. Denn es war
etwas Neue, eine EinŠscherung gab es in …sterreich-Ungarn damals von Gesetzes
wegen gar nicht. Suttner hatte sich selbst dafŸr eingesetzt, dass wenigstens
die thŸringische Stadt Gotha solche Leichenverbrennungen durchfŸhren mšge und
bestimmte, dass ihre sterbliche HŸlle nach Gotha gebracht und dort im
Urnenfriedhof beigesetzt werde. Dies sollte ein Protest der Baronin Suttner
gegen die Kirche und ihre Lehre sein. Sie war zornig Ÿber die Kirche, weil diese
damals nicht bereit war, sich definitiv fŸr den Frieden auszusprechen. Ihr
Vormund, den sie verehrte, war von einer - heute nicht mehr vorstellbaren -
doppelten Fršmmigkeit ergriffen: Er glaubte an die Armee und an die Kirche. Ihr
Protest gegen den Krieg hat aber letztlich kaum irgendwo so viel Zustimmung
gefunden wie gerade in der Kirche.
Die oben
erwŠhnte Ausgabe des Pester Lloyd vom 24. Juni 1914
berichtet auch von einem anderen Ereignis, das eigentlich Routine zu sein
schien. wird des weiteren folgendes berichtet: ãErzherzog Franz Ferdinand hat
heute um 9 Uhr 30 Minuten abends vom SŸdbahnhofe die Reise nach Bosnien
angetreten. ... Am 28. ... wird der Erzherzog ... um 9 Uhr 50 mittels
Hofsonderzuges nach Sarajevo fahren
...Ò Diese letzte Anreise erfolgte von
seiner letzten Zwischenstation, dem Thermalbadekurort Ilidze
in unmittelbarer NŠhe von Sarajewo.
Wie wir
wissen, wurden an diesem 28. Juni
1914 der damalige šsterreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und
seine Gemahlin Sophie Chotek ermordet. Damit war
zunŠchst noch nicht der Krieg ausgebrochen. Erst einen Monat spŠter, am 29.
Juli, erlie§ Kaiser Franz Josef das Manifest ãAn meine VšlkerÒ, welches die
formelle KriegserklŠrung an Serbien enthielt. Auch dies leitete noch nicht
unmittelbar Kriegshandlungen …sterreich-Ungarns gegen Serbien ein; die ersten
Kriegshandlungen waren der †berfall Deutschlands auf das neutrale Belgien,
einem Staat, dessen Bewohner sich traditionell mit …sterreich verbunden
fŸhlten. Damit holte Deutschland mit einer List zum Krieg gegen Frankreich aus,
weil Frankreich nicht mit einer NeutralitŠtsverletzung durch Deutschland
rechnete; aber der Krieg gegen Serbien, der formell der KriegserklŠrung
entsprochen hŠtte war, fing erst noch spŠter an. Faktisch war der Weltkrieg
also schon voll im Gange bevor dem erklŠrten Krieg …sterreichs gegen Serbien
Ÿberhaupt die ersten Kriegshandlungen folgten. Draus lŠsst sich ablesen, wie
sehr andere Staaten bereits auf einen Krieg gewartet hatten und die Ermordung
des šsterreichischen Thronfolgers fŸr die internationale Staatenwelt weit eher
als fŸr …sterreich ein willkommener Anlass war.
Bevor
ich mich mit der besonderen Leistung der Frau Bertha von Suttner beschŠftige,
mšchte ich die damalige Situation begreiflich machen. Es ist nicht allgemein
bewusst, warum der Krieg Ÿberhaupt damals eine solche SelbstverstŠndlichkeit
war. Die Ursache war vor allem die Staatsphilosophie. Der Staat galt als die
oberste souverŠne Instanz der menschlichen Vergemeinschaftung.
Nun standen sich aber eine Reihe von Staaten gegenŸber und konkurrierten
miteinander. Dabei kam es freilich
zu Konflikten. Zur Beilegung solcher Konflikte gab es aber keine den Staaten
Ÿbergeordnete Instanz und konnte es insofern keine geben, weil nach der
damaligen Staatstheorie nichts auf der Erde Ÿber einem Staat stehen konnte.
WŠhrend Konflikte zwischen Personen von Gerichten geregelt werden konnten, gab
es keine Schiedsgerichte, die bei Konflikten zwischen Staaten angerufen werden
konnten. Die Einrichtung von internationalen Schiedsgerichten war eine der
wichtigsten Forderungen der Pazifistin Suttner. Es gab auch bereits einige
solche Schlichtungen von Konflikten und internationale Kongresse zur
Verbesserung der zwischenstaatlichen Koordination von friedenssichernden
Ma§nahmen.
Im Jahr
1914 war wieder ein solcher Kongress angesetzt, und zwar sollte dieser im
September in Wien stattfinden. Nicht erst der Krieg machte diesen unmšglich,
sondern die Kriegsstimmung, die bereits davor so gro§ war, dass bereits die
Vorbereitung des Kongresses scheiterte.
Ein Beispiel der Verharmlosung des Krieges
bietet die Philosophie Hegels. Jener
verglich den Krieg mit der Bewegung der StŸrme, ãwelche die See vor der FŠulnis
bewahrtÒ, und verstieg sich zu Behauptung, ãein dauernder oder gar ewiger
FriedeÒ wŸrde die Všlker ebenso in moralische FŠulnis versetzen. Dieses Bild
war damals durchaus populŠr und auch Suttner hat in ihren Schriften diesen
Gedanken den zeitgeistigen Personen in den Mund gelegt. Bertha von Suttner beschreibt
in ihrem Antikriegs-Roman ãDie Waffen niederÒ die damalige kriegsbereite
Stimmung, indem sie einige
handelnden Personen Aussagen machen lŠsst wie: ãHurra, jetzt
geht's los! ... Sie wollen PrŸgel haben, die Katzelmacher? So sollen sie PrŸgel
haben – sollen sie haben!Ò Katzelmacher war damals ein Schimpfwort fŸr
die Italiener, weil sie angeblich auch so viele Kinder hatten wie die Katzen.
Man glaubt, einen Zusammenhang zwischen Kriegsbereitschaft und Kinderfeindlichkeit
zu erkennen. Suttner bringt noch viele zeitgeistige Zitate, eines soll noch
genannt werden: ÈDie Abschaffung des Krieges
... ebenso gut kšnnte ich sagen, man solle das Erdbeben abschaffen ...Ç
Suttner
erwŠhnte auch den ãschweigsamen Schlachtendenker MoltkeÒ, jenen General, dem
Preu§en viele Siege verdankte und der auch MilitŠrberater fŸr das Osmanische
Reich war, welcher sagte: ãDer ewige Friede ist ein Traum – und nicht
einmal ein schšner Traum.Ò
Es wŠre
aus heutiger Sicht sinnlos, die KriegserklŠrung Kaiser Franz Josephs als die
eigentliche Ursache des Krieges anzusehen. Dasselbe kann man auch Ÿber die
sinnlos-brutale Tat von Gavrilo Princip sagen. Der
Dichter Stefan
Zweig betrachtete rŸckblickend die Zeit kurz vor dem Ausbruch des Ersten
Weltkriegs und urteilte folgend: ãWenn man heute ruhig Ÿberlegend sich fragt,
warum Europa 1914 in den Krieg ging, findet man keinen einzigen Grund
vernŸnftiger Art und nicht einmal einen Anlass. ... Ich wei§ es nicht anders zu
erklŠren als mit diesem †berschuss an Kraft, als tragische Folge jenes inneren
Dynamismus, der sich in diesen vierzig Jahren Frieden angehŠuft hatte und sich
gewaltsam entladen wollteÒ– ãDer Aufstieg war vielleicht zu rasch
gekommen, die Staaten, die StŠdte zu hastig mŠchtig geworden, und immer verleitet
das GefŸhl von Kraft Menschen wie Staaten, sie zu gebrauchen oder zu
missbrauchen. Frankreich strotzte vor Reichtum. Aber es wollte noch mehr ...
†berall stieg das Blut den Staaten kongestionierend
in den Kopf.Ò
Sobald jener Krieg tatsŠchlich wŸtete, den Bertha Suttner
voraussah, wussten die Philosophen, wie der Dichter richtig bemerkte,
ãplštzlich keine andere Weisheit, als den Krieg zu einem âStahlbadÕ zu
erklŠren.Ò Sie war freilich nicht Ÿberrascht vom Krieg, denn sie sah ihn
voraus, und dies schon deshalb, weil sie ja Alfred Nobel kannte.
Suttner war keine Feindin von MilitŠrs, das unterscheidet sie von
manchen anderen Pazifisten. Nicht nur, da sie Feindschaft ablehnte, auch hatte
sie mehrere Verwandte, die GenerŠle waren. Ihren Vater, den General Graf Kinsky, hat sie zwar nie gekannt, doch auch ihr Vormund,
bei dem sie die Kindheit verbrachte, diente der Armee. Auch von der Mutterseite
her war die Stimmung vom Militarismus geprŠgt.
Berthas
Mutter hie§ vor der Heirat von Kšrner und war mit dem sehr jung verstorbenen
Freiheitsdichter Theodor Kšrner verwandt; dieser Dichter war jener Verwandte,
von dem Bertha von Suttner die dichterische Begabung geerbt hatte. Er wollte
die Leser fŸr den Freiheitskampf begeistern. Hier die erste von sechs Strophen
seines Gedichts ãAn mein VolkÒ:
ãFrisch
auf, mein Volk! die Flammenzeichen rauchen / Hell aus dem Norden bricht der
Freiheit Licht / Du sollst den Stahl in Feindesherzen tauchen / Frisch auf,
mein Volk, die Flammenzeichen rauchen / Die Saat ist reif, ihr Schnitter,
zaudert nicht! / Das hšchste Heil, das letzte liegt im Schwerte / DrŸck dir den
Speer ins treue Herz hinein. / Der Freiheit eine Gasse! wasch die Erde / Das deutsche Land mit deinem Blute rein.Ò
Der Freiheit eine Gasse – dies war ein Zitat des Dichters
Georg Herwegh und zugleich eine Anspielung an ein Ereignis in einer Schlacht
der Eidgenossen gegen …sterreich. Ein ãHeldÒ stŸrmte damals zu Beginn der
Schlacht gegen die …sterreicher voraus und animierte damit die gesamte erste
Reihe der entgegentretenden Soldaten, ihre Speere in seine eigene Brust zu
sto§en. Da alle Speere der ersten Reihe der šsterreichischen Soldaten bereits
in der Brust jenes Opfers steckten und somit unbrauchbar waren, war der Weg
nach vorne fŸr die Schweizer frei. Derlei Heroisierung von Krieg und Opfertod
war im damaligen Denken in Europa leider durchaus Ÿblich, wogegen Suttners
Pazifismus oft verspottet wurde. Angesichts der RŸckschau auf das Denken jener
Zeit kann sagen: Suttners Denken hat sich schlie§lich doch durchgesetzt.
Aber nicht erst nach der Ermordung des Thronfolgers war man sich
der Kriegsgefahr in Europa bewusst, sondern schon seit gut zwanzig, vielleicht
drei§ig Jahren wussten MilitŠrfachleute Bescheid. Ein Beispiel ist General
Moltke. Er eilte von einem Sieg fŸr Preu§en und Deutschland zum nŠchsten und
erhielt wohl mehr militŠrische Auszeichnungen, speziell auch von anderen
europŠischen und Staaten als die Zeitgenossen. Doch als alter, vielleicht auch
weise gewordener fast 90-JŠhriger Mann warnte er in seiner letzten
Reichstagsrede: ãMeine Herren, wenn der Krieg, der jetzt ... wie ein
Damoklesschwert Ÿber unseren HŠuptern schwebt, ... zum Ausbruch kommt, so ist
seine Dauer und ist sein Ende nicht abzusehen ... es kann ein siebenjŠhriger,
es kann ein drei§igjŠhriger Krieg werden – und wehe dem, der zuerst die
Lunte in das Pulverfass schleudert!Ò
Zwei Jahrzehnte spŠter hat jener Krieg begonnen. Der erste Teil
dauerte zwar weniger als sieben Jahre, doch dann folgte noch ein zweiter Teil -
und Moltke hatte somit Recht behalten. Man verwendet heute durchaus den Begriff
ãDrei§igjŠhriger KriegÒ fŸr die Ereignisse zwischen 1914 und 1945. An
Ausdehnung und Grausamkeit hat unser zweiter Drei§igjŠhriger Krieg den ersten
freilich weit Ÿbertroffen.
Baronin
Bertha von Suttner wurde als Sophia Felicita GrŠfin Kinsky von Wchinitz und Tettau im Palais Kinsky in Prag
geboren. Der Vater Berthas, Graf Franz Joseph Kinsky,
starb im 75. Lebensjahr - kurz vor der Geburt der Tochter. Er war in zweiter
Ehe mit der 50 Jahre jŸngeren BŸrgerlichen Sophie Kšrner verheiratet, die zwar
mit dem berŸhmten, gefeierten Freiheitsdichter Theodor Kšrner verwandt war,
aber von der hochadeligen Familie geschnitten wurde. Bertha kam also schon als
Halbwaise zur Welt und erhielt einen Vormund, und zwar einen unverheirateten
und kinderlosen Kameraden des Vaters, Landgraf
Friedrich FŸrstenberg. Zu ihm kam sie mit der Mutter nach BrŸnn,
wo Bertha ihre Kindheit verbrachte. Da die Mutter spielsŸchtig war, verlor sie
ihre Abfertigung der adeligen Familie am Spieltisch von Kasinos. Der Vormund,
der in die Mutter zwar heimlich verliebt war, aber enttŠuscht von ihrer
Lebensweise, verjagte sie samt der Tochter, als diese 16 Jahre alt war. Mutter
und Tochter nahmen eine Wohnung in Wien. Der Vormund starb nicht lange darauf
und hinterlie§ Bertha sein Vermšgen. Da Bertha aber noch nicht volljŠhrig war,
verwaltete die Mutter dieses und verspielte es ebenfalls. Von der kleinen
Witwenpension, welche die Mutter auch noch erhielt, konnte sie ihren
anspruchsvollen Lebensstil nicht finanzieren und sie drŠngte Bertha, reich zu
heiraten, was aber misslang.
Daher begann Bertha zu arbeiten
und erhielt 1873 eine Stelle als Erzieherin der halbwŸchsigen Tšchter im Hause
des Barons von Suttner. Sie vermittelte musikalische Erziehung,
Sprachkenntnisse, kulturelle und literarische Bildung etc. Sie arbeitete zur
vollen Zufriedenheit, verliebte sich aber allmŠhlich in den Sohn des Hauses,
was vom Baron missbilligt wird; daher musste sie 1876 das Haus verlassen. Der
Baron zeigte ihr ein Inserat eines angeblichen Šlteren Herrn namens Alfred
Nobel, der in Paris eine SekretŠrin suchte. Sie antwortet umgehend, wird
angenommen und fŠhrt sofort nach Paris. Nobel und Suttner verstehen sich
prŠchtig. Beide sprechen mehrere Sprachen flie§end, beide kennen die Literatur,
Suttner interessiert sich fŸr die Neuerungen der Technik. Nobel, bekannt durch
seine Erfindung des Dynamit, war einer der reichsten MŠnner jener Zeit.
Der 43jŠhrige Nobel war
keineswegs ein Šlterer Herr, aber er lebte zurŸckgezogen, las eine Unmenge
BŸcher, experimentierte und arbeitete flei§ig. Er war unter anderem
Dynamitfabrikant und er entwarf nicht nur zivile Schiffe, sondern auch
Kriegsschiffe, effektivere Munition und neue Waffen, was Bertha nicht erfreute.
Also diskutierten sie auch Ÿber Krieg und Frieden. Die Arbeit bei Nobel dauert
kaum zwei Wochen, aber die Freundschaft mit vielen Diskussionen zieht sich Ÿber
Jahre bis zum Lebensende. Suttner kŸndigt ihre TŠtigkeit bei Nobel, als sie ein
Telegramm von Arthur erhŠlt, er kšnne ohne sie nicht leben. Bertha versetzt ein
kostbares SchmuckstŸck, fŠhrt von Paris nach Wien zurŸck, die beiden heiraten
heimlich am 12. Juni 1876 und flŸchten gleich darauf in den Kaukasus. Dort
kennt Bertha eine adelige Freundin, eine nominelle FŸrstin von Migrelien, bei der sie wohnen kšnnen. Der Aufenthalt
dauerte neun Jahre. Arthur beginnt mit dem Zeichnen von Tapeten, dann entwirft
er HŠuser, spŠter schreibt er fŸr westliche Zeitungen. Bertha gibt Unterricht
in Deutsch und Musik und beginnt zšgerlich ebenfalls zu schreiben – wobei
sie gleich gro§en Erfolgt hat. Als bereits bekannte Schriftstellerin versšhnt
sie sich mit dem Schwiegereltern und darf im Jahr 1885, inzwischen 42 Jahre
alt, wieder ans Schloss in Harmannsdorf zurŸckkommen.
Ihr Einkommen als Schriftstellerin kam dem Baron nicht ungelegen, da gerade ein
Steinbruch in seinem Besitz in Konkurs zu gehen drohte.
Nun stellten sich einige lang
ersehnte Erfolge ein. Das Buch ãDas MaschinenzeitalterÒ (sie schreibt
ursprŸnglich: ãMaschinenalterÒ) erscheint unter dem Pseudonym ãJemandÒ und
findet guten Anklang. Darin schildert sie fiktiv eine RŸckschau auf jene
Zeitereignisse, die sie gerade erlebte, allerdings im RŸckblick von hundert
Jahren spŠter. ãDas Europa des neunzehnten
Jahrhunderts war in Barbarei noch tief versunken. Bis an die ZŠhne bewaffnet
standen die Všlker da, stets bereit, Ÿber einander herzufallen.Ò Im Mittelalter sei alles der
Kirche unterworfen gewesen, im Maschinenalter sei aber alles dem Militarismus
unterworfen ãgewesenÒ: ãUrsprŸnglich waren die Heere entstanden, um den
Anforderungen des Krieges zu genŸgen – spŠter entstanden die Kriege, um
der Anforderungen des Heeres willen.Ò – so schalt sie.
Viel wird in diesem Buch auch
Ÿber die Kirche philosophiert, welche nach Suttners Ansicht einen schlechten
Einfluss auf die Menschen ausŸbt. Damit folgt sie einerseits den liberalen
Ideen ihrer Zeit, andererseits zeichnet sie sich aber durch eine innere
ReligiositŠt aus. Sie bezeichnet sich als
Freidenkerin, bekennt sich aber zur Religion.
Einerseits
findet sie scharfe Worte gegen die Kirche und bezeichnet deren Vertreter als
LŸgner, speziell, wenn es um die Frage der Kriege geht, denn sie ist enttŠuscht
Ÿber das BŸndnis zwischen dem kampfbereiten MilitŠr und dem treu folgenden
Klerus. Andererseits betont sie den Wert der Religion zur Hebung der Sitten und
verteidigt auch den Glauben an die Existenz hšherer Gewalten: ãJa, nicht nur
die grš§ten Philosophen der alten und neuen Welt, - von Aristoteles bis zu
Hegel, von Plato bis ... Schopenhauer -, nicht nur die Weisen des Morgen- und
Abendlandes, Moses und Zoroaster, die KirchenvŠter und die Konzile –
haben wir fŸr uns; - wir haben das unabweisbare Zeugnis der Menschennatur
selber, welches seit jeher und Ÿberall erkannt hat, dass es ŸbernatŸrliche
Gewalten gibt.Ò Anderswo schreibt sie Šhnlich: ãDie ewigen Wahrheiten und
ewigen Rechte haben stets am Himmel der menschlichen Erkenntnis aufgeleuchtet,
aber nur ganz langsam wurden sie von da herabgeholt, in Formen gegossen, mit
Leben erfŸllt, in Taten umgesetzt.Ò
Nach langjŠhrigem vergeblichen
BemŸhen gelingt es Bertha von Suttner, einen Verleger fŸr ihr bereits lange
fertiges, auf mŸhsamen Recherchen beruhendes Buch ãDie Waffen niederÒ zu
finden, womit ihr der erste wirklich gro§e Wurf des Lebens gelingt. Das Buch
wurde in 16 Sprachen Ÿbersetzt und war ein Bestseller der damaligen Zeit.
Dieser Roman
schildert die fiktiven Erinnerungen einer šsterreichischen GrŠfin namens Martha
Althaus an die Ereignisse im Laufe von mehreren Kriegen. WŠhrend des Zweiten
Italienischen UnabhŠngigkeitskriegs 1859 verliert die Baronin ihren ersten
Ehemann, der Graf Arno Dotzky in der blutigen
Schlacht von Solferino. Dies war jene Schlacht, die
Henry Dunant als Handelsreisender zufŠllig erlebte, woraufhin er spontan fŸr
die zahllosen Verletzten Hilfe organisierte, ein Buch darŸber schrieb und
danach das Rote Kreuz grŸndete.
Baronin Martha
Althaus beschlie§t in Suttners Roman, kŸnftig gegen den Krieg zu sein. Ihr zweiter
Mann, Baron Friedrich Tilling, teilt ihre
pazifistischen †berzeugungen, obwohl er ein Offizier der šsterreichischen Armee
ist. Er musste in der šsterreichischer Armee im Jahre 1864 im Zweiten
Deutsch-DŠnischen Krieg an der Seite Preu§ens gegen DŠnemark kŠmpfen. Der Krieg
begann, als die deutsche Mehrheit sich Deutschland anschlie§en wollte und von
DŠnemark unterdrŸckt wurde.
Zwei Jahre
spŠter aber (1866) kŠmpfte Tillich im Preu§isch-…sterreichischen Krieg, der in
Deutschland den Namen ãDeutscher KriegÒ trŠgt, gegen Preu§en. Dieser Krieg
entzŸndete sich an der Verwaltung jenes gerade gewonnenen Gebiets von
Schleswig-Holstein. Er dauerte sieben Wochen und endete mit der besonders
blutigen Schlacht bei KšniggrŠtz, auf tschechisch
Hradec Kr‡lovŽ; danach zerfiel der Deutsche Bund.
Zwei
Schwestern Marthas und ihr Bruder sterben an der Cholera, die infolge des
Krieges ausbrach, danach stirbt ihr Vater aus Gram Ÿber den Verlust der Kinder.
Friedrich trat nun von der Armee in den Ruhestand, um Marthas FriedensaktivitŠten
zu unterstŸtzen. WŠhrend des Deutsch-Franzšsischen Krieges wird Friedrich
allerdings erschossen, weil man in ihm einen preu§ischen Spion vermutet,
wŠhrend Martha sich in Paris aufhŠlt. Martha Altmann legt, Šhnlich wie Bertha
Suttner im tatsŠchlichen Leben, danach die Trauerkleidung als Witwe ihr ganzes
Leben lang nicht mehr ab. Marthas Sohn aus erster Ehe, Rudolf, beginnt, in die
Fu§stapfen seiner Mutter zu treten.
Das Buch ist
eigentlich eine geistreiche philosophische Abhandlung Ÿber den Krieg, die in
die Form eines Romans gegossen wurde, untermalt mit vielen historischen
Dokumenten und Tatsachenberichten sowie schaurigen Details des Leidens aufgrund
der Kriegsereignisse.
Folgende
Textprobe beschreibt die Erlebnisse Marthas auf der Suche nach ihrem Mann, der
am Schlachtfeld verwundet wurde: ãAm Fu§e (der Kirchhofsmauer) lagen zahlreiche
Leichen ... Der Verwesungsgeruch, der von diesen toten Kšrpern aufstieg, war
es, der mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Als wir vorbeifuhren, hob sich ein
dichter Schwarm von Raben und KrŠhen kreischend von dem Leichenhaufen empor,
flatterte eine zeitlang - wie schwarzes Gewšlk, gegen
den hellen Himmelhintergrund und lie§ sich dann wieder zum Schmause
nieder. - âFriedrich, mein
Friedrich! - âBeruhigen Sie sich, Baronin MarthaÔ, tršstete mich [der sie
beschŸtzende Arzt, Anm. E. B.] Bresser; âIhr Mann konnte nicht dabei gewesen
sein.Ô - Bresser mit seinen Leuten machten sich bei den Armen zu schaffen; ich
stŸtzte mich an einen Seitenaltar und blickte mit unnennbarem Schauer auf das
Jammerbild. - Und das war der Tempel des Gottes der ewigen Liebe - das waren
die wundertŠtigen Heiligen, welche da in den Nischen und an den WŠnden fromm
ihre HŠnde falteten und ihre Kšpfe unter dem goldstrahlenden Glorienschein
emporhoben? - âO Mutter Gottes, heilige Mutter Gottes ... einen Tropfen Wasser
... erbarme dich!Ô hšrte ich einen armen Soldaten flehen. Das hatte er zu dem
buntbemalten, tauben Bilde wohl schon tagelang vergebens gebetet. - o ihr armen
Menschen, ehe ihr nicht dem Gebot der Liebe gehorcht, das ein Gott in eure
Herzen gelegt hat, werdet ihr immer vergebens die Liebe Gottes anrufen - so
lange unter euch die Grausamkeit nicht Ÿberwunden ist, habt ihr vom himmlischen
Mitleid nichts zu hoffen....Ò
Dieses
Beispiel zeigt gut, wie sie in diesem Roman versucht, die Schilderungen von
Ereignissen mit ihrer Philosophie zu verbinden. Er geht ihr darum, im Gegensatz
zu den kalten Kriegsberichten in der Presse das Herz sprechen zu lassen, die
Verzweiflung spŸrbar zu machen und vor allem, das Gewissen anzusprechen: Du
sollst nicht tšten. Die Schilderung der Grausamkeit des Krieges wird bei ihr
laufend mit der sittlichen AufrŸttelung verbunden, denn nur wenn es zur Regel
wird, dass der Mensch unbeirrt auf sein Herz achtet, wo er Gottes Stimme hšrt,
kann Friede werden.
Das Buch ist
insgesamt so kenntnisreich und einfŸhlsam geschrieben, dass man es fŸr eine
Tatsachenschilderung halten konnte. Suttner schwenkte zwischen nachprŸfbaren,
mŸhsam recherchierten RealitŠtsschilderungen und fiktiven Personen, die in
ihrem Roman vorkommen, so geschickt hin und her, dass auch das Erfundene als
real erscheint. Und es war auch tatsŠchlich jemand, der das Buch fŸr ganz
wirklichkeitsgetreu hielt, der Bertha von Suttner innerhalb kurzer Zeit in die
internationale Friedensbewegung fŸhrte.
Suttner
schildert dies selbst und betont ausdrŸcklich, dass erst der Erfolg des Buches
sie dazu brachte, sich fortan in der Friedensbewegung zu engagieren. Im FrŸhling
1891, ungefŠhr 15 Monate nach der Veršffentlichung von ãDie Waffen
nieder", hielten sich Bertha und Arthur Suttner in Venedig auf.
Hier gebe ich
ihre eigenen Worte wieder: ãEines Nachmittags wurde an der TŸre geklopft und
mein Mann šffnete sie in Abwesenheit des Dieners. Ein Šlterer, elegant
gekleideter Herr stand in der Vorhalle. âWohnt Baronin Suttner hier?Õ frug er.
âJawohl, es ist meine Frau,Õ war die Antwort. âWie! Sie sind der Gatte von Frau
von Suttner — Berta von Suttner?Õ âAllerdings, der bin ich.Õ âSie sind
also nicht tot?Õ âMit Ihrer gŸtigen Erlaubnis lebe ich noch.Õ âAber wurden Sie
denn nicht in Paris erschossen?Õ âEs scheint nicht.Õ ...Ò
Bertha und
Arthur Suttner fŸhrten den Gast in den Salon und erfuhren, dass jener Mann, es
war Felix Moscheles aus England, den Roman ãDie
Waffen niederÒ gelesen hatte und nun die Verfasserin dieses Buches, die er fŸr
die in Roman in Ich-Form erzŠhlende Witwe hielt, kennen lernen wollte. Zu
seiner Freude erfuhr er, dass diese sich gerade in Venedig aufhielt, im Palazzo
Dario - gleich gegenŸber seiner Unterkunft. Also war er rasch gekommen, um mit
Suttner gemeinsam FriedensplŠne zu schmieden. Arthur, der im selben Jahr 1891
einen Verein gegen den Antisemitismus grŸndete, war mit ganzem Herzen dabei.
Bertha
erinnerte sich, dass damals in Venedig ein Herr Marquis Beniamino Pandolfi lebte, ein Mitglied der italienischen Kammer,
dessen Frau eine Jugendfreundin von Bertha war. Die Folge war die GrŸndung
einer Sektion der Interparlamentarischen Union im italienischen Parlament.
Diese Vereinigung war im Jahre 1888 gegrŸndet worden. ZunŠchst hatte diese nur
in England uns Frankreich bestanden. Nach einiger Vorbereitung grŸndete Bertha
die …sterreichische Friedensgesellschaft durch einen Aufruf in der Tageszeitung
Neue Freie Presse am 3. September jenes Jahres, wobei es ihr vor allem um die
Mitarbeit von Parlamentariern ging. Hier schrieb sie u.a.: ã Millionenheere -
in zwei Lager geteilt - harren nur eines Winkes, um aufeinander loszustŸrzen.
... Jeden Augenblick kann die Explosion kommen. Diejenigen, welche die Lunten
in HŠnden halten, ... wissen, dass bei solchem Pulvervorrat die Folgen
schrecklich wŠren. ... [Um vor den dessen Einsatz abzuschrecken] wird der
Pulvervorrat immer vergrš§ert. WŠre es nicht einfacher, freiwillig die Lunten
wegzutun, mit anderen Worten abzurŸsten? ... Wer die wei§e Fahne schwingt, hat
Millionen hinter sich, aber diese Millionen sind noch stumm ... An alle Jene
... ergeht die Aufforderung, ihren Namen und Wohnort einzusenden ...Ò
Es war gerade
ein gŸnstiger Zeitpunkt, diese Organisationen zu grŸnden, da im November
desselben Jahres die Interparlamentarische Union zu einer gro§en
Friedenskonferenz in Rom aufgerufen hatte. Als Delegierte dieser eben erst
gegrŸndeten šsterreichischen Sektion wurde Suttner eingeladen, an dem vom
11.-14. September tagenden 3. Weltfriedenskongress im Kapitol in Rom zu
sprechen. Dies war ihr erster šffentlicher Auftritt - und sie brillierte mit
einem frei gesprochenen fulminanten Vortrag in italienischer Sprache Ÿber die
Bedeutung des Friedens und Ÿber die Mšglichkeiten, ihn zu realisieren. Bald kam
es auch zur GrŸndung eines Vereines in Berlin. Reisen zu VortrŠgen und
Kongressen quer durch Europa und Amerika folgten nach und nach.
Arthur, ihr
Mann, war erstmals auch besorgt. Einerseits war sie oft auf Reisen,
andererseits brachte sie nun weniger Geld nach Hause, da sie weniger schrieb
oder ihre neuen BŸcher nicht mehr den gro§en finanziellen Erfolg einbrachten,
andererseits kosteten ihre Reisen auch Geld und das Schloss war bereits
verschuldet. Die Lage dŸrfte sich jedoch mit dem Jahr 1892 wieder fŸr einige
Zeit gebessert haben.
WŠhrend jener Zeit bleibt der
Kontakt mit Nobel aufrecht, sie schickten sich laufend Post zu. Nobel war ein
intelligenter Mann, er experimentierte und korrigierte seine Produkte. Dass
seine Erfindung des Dynamits nicht nur fŸr Bergwerke und Stra§enbau verwendet
werden konnte, sondern auch im Krieg, war ihm durchaus klar. Nicht genug damit,
war aber auch Nobel derjenige, der einen effektiveren Einsatz von Schie§pulver
ermšglichte. Davor drohte jeweils nach der ZŸndung der Munition doppelte
Gefahr: Rauchschwaden signalisierten dem Feind, woher der Schuss kam, doch die
SchŸtzen selbst waren in Nebel gehŸllt und mussten erst einmal warten, bis sie
einen neuen gezielten Schuss abgeben konnten. Erst durch Alfred Nobels
Erfindung des rauchschwachen Pulvers war der moderne Krieg, das effektive und
massenhafte Tšten im Ersten Weltkrieg so richtig mšglich geworden. Er dachte
freilich nicht an einen kŸnftigen Krieg, sondern hoffte im Gegenteil, seine
Erfindung werde Kriege sogar verhindern, denn die Menschheit sei nicht so
verrŸckt, so gefŠhrliche Waffen auch massenhaft anzuwenden. Nobel verdiente
zwar noch mehr Geld, wenn gerade irgendwo ein lokaler Krieg herrschte, aber er
war immer wieder besorgt, ob seine Hoffnung auf einen Frieden durch
Abschreckung nicht vielleicht doch falsch sei.
Als Bertha und
ihr Mann im Jahre 1892 anlŠsslich eines Kongresses in Bern mit Nobel
zusammentrafen, lud er die beiden nach ZŸrich ein. Er brachte sie in einem
noblen Hotel unter, wo er manchmal abstieg, in einem Zimmer, aus dem gerade
tags zuvor die Kaiserin Elisabeth abgereist war. Es war zu Ende September, und
Suttner schildert in ihren Erinnerungen, wie unvergesslich die vom schšnsten
Herbstwetter begŸnstigte Spazierfahrt auf dem ZŸricher See gewesen sei, an Bord
des eigenen kleinen, sensationell modernen Aluminiumschiffes Nobels. Und die
drei sprachen von tausend Dingen; sie schwŠrmten, wie sich Suttner erinnert,
gemeinsam davon ãwie schšn diese Gotteswelt sein kšnnte, wenn erst das
Gšttliche zum Durchbruch kŠme, das in manchem Menschenherzen glŸht und in
manchen Menschenhirnen leuchtet, aber noch sehr erstickt wird unter der Wucht von
Unwissenheit und Roheit.Ò
Bertha von
Suttner verabredete damals mit Alfred Nobel, dass beide zusammen ein Buch
schreiben wŸrden, ein Kampfbuch gegen alles Gemeine, und berieten schon Ÿber
den Titel. Doch es kam nicht zu einer AusfŸhrung. Aber Suttner bemerkt, Nobel
habe zwar keine gro§en literarischen Werke hinterlassen - wenngleich einige
seiner Schriften es wohl verdienten, posthum veršffentlich zu werden -, doch
habe er mit seinem Testament ein Geisteswerk von unermesslicher Tragweite
hinterlassen. Nicht nur dass die Wissenschaft gefšrdert werden sollte, sondern
auch der Frieden. Diese ErgŠnzung zu seinem bereits vorher niedergeschriebenen
Testament bestimmte Nobel im Jahre 1895. Dieses GesprŠch am ZŸrchersee
war wohl ein wichtiger Teil der Leistung Bertha von Suttners.
Suttner
schildert wšrtlich: ãAn der Vervollkommnung der GeschŸtze und der Geschosse
arbeitete Nobel auch rastlos weiter. Die steigende FŸrchterlichkeit
der Kriegsmittel musste seiner Ansicht nach die AbsurditŠt und die
Unmšglichkeit kŸnftiger Kriege immer auffallender machen und deren Abschaffung
herbeifŸhren. Dies war anfŠnglich auch der einzige, etwas gar indirekte Weg,
den er sich zur Erlangung des Friedenszustandes der Všlker vorstellte.Ò Nobel
war nach der Schilderung Suttners vollkommen davon Ÿberzeugt, dass die
Menschen, wenn sie erst mehr Bildung, mehr Wissenschaft, Kunst und Kultur
besŠ§en, auch ein gerechtes VerhŠltnis zueinander pflegen wŸrden und dass damit
auch der Krieg ein Ende finden werde. Diesem Ziel wollte er dienen, indem er
Geld nach seinem Tode zur Fšrderung dieser Voraussetzungen des Friedens
beschaffe. DafŸr wollte er seinen Erfindergeist, seine IngenieursfŠhigkeiten
und sein unternehmerisches Talent einsetzen. Wie er sagte, wolle er die
menschliche Dummheit und Rohheit verscheuchen. Nur durch mehr technisches
Wissen kšnne das Elend der Menschen endlich Ÿberwunden werden. Freilich dachte
er auch an die Folgen seiner Erfindung im militŠrischen Bereich und hoffte,
dass dadurch auf der anderen Seite der Krieg unmšglich gemacht werde, denn
niemand werde so verrŸckt sein, bei einer so gefŠhrlichen HochrŸstung noch
einen Krieg zu fŸhren. Er sprach wšrtlich von einer ãAd-absurdum-FŸhrung des
Krieges durch seine eigene hšllische Entfaltung.Ò Dieser Teil seiner Hoffnung
hat sich freilich nicht erfŸllt, vor allem nicht in der ersten HŠlfte des 20.
Jahrhunderts, aber eigentlich wohl auch nicht fŸr die Jahre seither, speziell
fŸr unsere konkrete Gegenwart, wo so viele und grausame Kriege zugleich wŸten
wie wahrscheinlich noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Von einer
Friedensbewegung habe Nobel vor 1892 noch keine Ahnung gehabt, schreibt sie im
RŸckblick. Erst Suttner habe er gro§es Interesse darŸber bei ihm geweckt. Sie
erinnert sich, dass er sagte: ãWenn ich die †berzeugung gewŠnne, ... dass durch
die Liga deren Ziel nŠher gerŸckt werden kšnnte, so wŸrde ich einen gro§en
Betrag bestimmen — doch muss ich zuvor Ÿber die Sache erst genau
unterrichtet werden. Bekehren Sie mich dazu!" Dazu kommentiert sie:
ãSeitdem hielt ich ihn auf dem Laufenden — und die Bekehrung ist
gelungen.Ò Offenbar ist nach Suttner die wichtigste Aufgabe der
Friedensbewegung, dass durch die Weckung des Gewissens gerade jene faktischen
MachttrŠger zu Frieden bekehrt werden, die selbst oft ohne Wissen wesentlich
fŸr die Kriege mitverantwortlich sind.
Nobel unterstŸtzte wŠhrend der
letzten Jahre seines Lebens Bertha von Suttners Friedensbewegung, so dass Frau
Suttner alle Not hatte, manchen VorwŸrfen der …ffentlichkeit zu begegnen,
welche spotteten, es sei absurd, dass ausgerechnet der Erfinder des Dynamit und
des rauchschwachen Pulvers das Friedenswerk der Bertha von Suttner
unterstŸtzte. Bertha konterte, dass schon die Bestimmung, mit dem erworbenen
Geld posthum die Wissenschaft zu fšrdern, ein wichtiger Beitrag fŸr den Frieden
sei, denn wie sonst als auf der Grundlage der Wissenschaft kšnne einmal der
Friede gestaltet werden? Aber dies war ja nicht alles, doch Bertha wusste
nicht, sondern bangte stets, ob Nobel wohl auch tatsŠchlich einen Teil seines
testamentarischen Preisgeldes fŸr den Frieden bestimmen werde oder nicht.
Bertha Suttner, die Nobel laufend gesagt hatte, Nobel solle doch ein Herz
haben, hoffte berechtigt, fŸhlte sich darŸber bis zuletzt im Ungewissen.
Wenige Tage vor seinem Tode
erhielt Bertha von Suttner einen Brief von Nobel, worin er schrieb: ãHabe ich
im figŸrlichen Sinne ein Herz? . . . Das wei§ ich nicht, so viel ist aber
sicher, im physiologischen Sinne ist das obbenannte
Organ sehr bedenklich krank bei mir"
Am 10. Dezember 1896 starb Alfred
Nobel. Doch die Verleihung der Preise hatte noch einige Schwierigkeiten zu
Ÿberwinden. Die Verwandten waren freilich nicht erfreut Ÿber das Testament und
hofften, in jahrelangen Prozessen und Verhandlungen mšglichst viel, ja am
besten das ganze unermessliche Vermšgen des Verstorbenen zu erhalten und unter
sich zu verteilen. Letztlich wurde der Wunsch des Erblassers befolgt und der
erste Friedenspreis im Jahre 1901 erging nicht, wie Bertha und Arthur erhofft
hatten, an die beiden, sondern an die beiden verdienten Persšnlichkeiten Jean
Henry Dunant und FrŽdŽric Passy. Passy, den Suttner persšnlich sehr schŠtzte,
war der Pionier der franzšsischen Friedensbewegung und der GrŸnder der
Interparlamentarischen Union. Doch der Preis fŸr Henry Dunant stie§ auf Kritik
bei Suttner. Denn sie sagte, die Hilfsma§nahmen des Roten Kreuzes hŠtten den
Eindruck erzeugt, dass der Krieg wieder fŸhrbar
geworden sei, weil ja die Schrecknisse gemildert wŸrden. Dabei dachte sie
daran, dass in der Schlacht von KšniggrŠtz bereits
das Rote Kreuz aktiv war, aber die BrutalitŠt jener Schlacht dennoch nicht
geringer war als in der berŸchtigten Schlacht von Solferino.
Seit dem Tod von Alfred Nobel
erhielt die Friedensbewegung keine vergleichbare UnterstŸtzung mehr und die
Kosten waren drŸckend. Die Friedensarbeit der Baronin Bertha von Suttner
kostete freilich Geld. Suttner war stets bemŸht, standesgemŠ§ aufzutreten, doch
die Schulden wurden immer grš§er. Erst durch die Zuerkennung eines Nobelpreises
wŸrde sich die finanzielle Lage beruhigen.
Dazu kamen noch Spannungen
zwischen den Eheleuten, denn Arthur und eine Nichte verband eine verdŠchtig
gute Freundschaft zueinander, welche Bertha wohl nicht zu Unrecht beunruhigte.
Es ist ein eigenartiger Zufall,
dass Arthur ausgerechnet am 10. Dezember verstorben ist. Mir kam der Gedanke,
es kšnnte die EnttŠuschung eine Rolle gespielt haben, dass auch die zweite
Verleihung des Nobelpreises nicht die erhoffte finanzielle Entspannung fŸr das
mit Hypotheken belastete Schloss in Harmannsdorf
brachte.
Als Bertha von
Suttner im Jahre 1904 zu einem Friedenskongress nach Boston, USA, eingeladen
wurde, unterstŸtzte ein Bruder von Alfred Nobel die Friedensaktivistin, wodurch
ihre Teilnahme ermšglicht wurde. Es folgte eine Reise durch mehrere Staaten der
USA mit VortrŠgen in den wichtigsten StŠdten und auch einigen Besichtigungen,
wobei sie au§erdem noch einer Einladung beim PrŠsidenten Theodore Roosevelt in
Washington folgte. Suttner, die bisher vor allem auf die Friedensbereitschaft
des russischen Zaren Nikolaus II. besetzt hatte, bestŸrmte den PrŠsidenten, fŸr
den Frieden einzutreten. Der PrŠsident versprach darauf: ãIch werde tun, was in
meiner Macht liegt, um die Friedenssache zu fšrdern, [...] Ich verspreche [...]
erstens, allen europŠischen Staaten SchiedsgerichtsvertrŠge anzutragen —
zweitens, eine Vermittlung einzulenken, um dem abscheulichen
russisch-japanischen Krieg ein Ende zu machen — drittens, die Einberufung
der zweiten Haager Konferenz zu veranlassen." Nachdem der PrŠsident
tatsŠchlich diese drei Versprechen erfŸllt hatte, wurde er auch nach Suttner
mit dem nŠchsten Nobelpreis im Jahr 1906 ausgezeichnet.
Bertha von Suttner erhielt am 10.
Dezember 1905 als erste Frau der Welt den Nobelpreis und reiste daher im Jahr 1906
nach Oslo, um ihn offiziell persšnlich entgegen zu nehmen, besuchte aber auch
Schweden etc.
Bei der
†berreichung des Preises fŸhrte sie als BegrŸndung der Notwendigkeit des
Friedens unter anderem aus: ãDer
stŠrkste aller Triebe, der Selbsterhaltungstrieb, ist gleichsam eine
Legitimation dieses Rechtes [auf Leben], und seine Anerkennung ist durch ein
uraltes Gebot geheiligt: âDu sollst nicht tšten!Õ ... Doch wie wenig im
gegenwŠrtigen Stande der menschlichen Kultur jenes Recht respektiert und jenes
Gebot befolgt wird, das brauche ich nicht zu sagen. Auf Verleugnung der
Friedensmšglichkeit, auf GeringschŠtzung des Lebens, auf den Zwang zum Tšten
ist bisher die militŠrisch organisierte Gesellschaftsordnung aufgebaut.Ò Damit sprach sie sich gegen die allgemeine
Wehrpflicht aus.
In den letzten Lebensjahren war
Bertha von Suttner eigentlich am Hšhepunkt ihres Lebens, sie war
NobelpreistrŠgerin, sie reiste zu VortrŠgen, die finanzielle Situation war
immerhin so gŸnstig, dass sie sich gerade noch ein Haus in der Steiermark
kaufen konnte. Ein Filmdokument Ÿber sie wurde gedreht, worin sie als quirlige
Frau in ihrem Arbeitszimmer werkend gezeigt wird. Ein Friedenskongress in Wien
wird fŸr September 1914 geplant und sie ist trotz ihres fŸr damalige VerhŠltnisse
hohen Alters von siebzig Jahren an der Vorbereitung mitbeteiligt. Aber Bertha
litt an Magenkrebs und die Weltlage lieferte GrŸnde genug, Ÿber die sie sich zu
Šrgern und aufzuregen hatte.
Stefan Zweig berichtet darŸber, dass er Bertha von Suttner im Jahr
1913 in Wien auf der Stra§e traf. Es war die Zeit, als Oberst Redl als Spion
entlarvt wurde, der sŠmtliche AufmarschplŠne …sterreichs in Fall eines Krieges
mit Russland an den Zaren verraten hatte. Denkende Menschen erkannten sehr
genau, dass nicht nur in Ostasien und in anderen Teilen der Welt Kriege
herrschten, sondern dass sich unter der friedlichen OberflŠche alle Staaten
Europas jeweils fŸr den Krieg gegen den anderen wappneten. Der Bericht Ÿber die
Begegnung lautet so: ãZufŠllig traf ich ... Bertha von Suttner, die gro§artige
und gro§mŸtige Kassandra unserer Zeit. ... Sie schrieb einen Roman ãDie Waffen
niederÒ, der einen Welterfolg
hatte, sie organisierte unzŠhlige pazifistische Versammlungen, und der Triumph
ihres Lebens war, dass sie Alfred Nobel, dem Erfinder des Dynamits, das
Gewissen erweckte, als Entgelt fŸr das Unheil, das er mit seinem Dynamit
angerichtet, den Nobelpreis fŸr Frieden und internationale VerstŠndigung zu
stiften. Sie kam ganz erregt auf mich zu. âDie Menschen begreifen nicht, was
vorgeht.Õ, schrie sie ganz laut auf der Stra§e, so still ... sie sonst sprach.
âDas war schon der Krieg, und sie haben wieder einmal alles vor uns versteckt
und geheim gehalten. Warum tut ihr nichts, ihr jungen Leute? Euch geht es vor
allem an! Wehrt euch doch, schlie§t euch zusammen! Lasst nicht immer alles uns
paar alte Frauen tun, auf die niemand hšrt! ... Es steht schlimmer als je, die
Maschine ist doch schon im Gang.ÕÒ Zweig schreibt weiter, er habe bald erkannt,
wie prophetisch die alte Frau, die in Wien nicht ernst genommen worden sei, die
Zukunft gesehen hatte.
Immerhin bemŸhte sich Stefan Zweig dann wŠhrend des Weltkrieges, in
VortrŠgen Bertha von Suttner, die BegrŸnderin des Pazifismus begeistert zu
loben, ohne von den MilitŠrbehšrden beanstandet worden zu sein und man darf
annehmen, dass wohl auch andere, wenn sie wirklich wollten, gefahrlos fŸr den
allgemeinen Frieden reden konnten, freilich ohne dafŸr Lob zu erhalten.
Am 9. September 1914, wenige Tage nach seiner AmtseinfŸhrung, rief
Papst Benedikt XV. in seiner ersten šffentlichen ErklŠrung Ubi primum die kriegsfŸhrenden MŠchte dazu
auf, ãihre Waffen niederzulegen und FriedensgesprŠche zu fŸhren.Ò Allerdings
konnte nicht einmal der Papst, der Suttners Parole offenbar aufnahm, sich bei
den MŠchtigen Gehšr verschaffen, wie hŠtte es die einfache Baronin aus Harmannsdorf schaffen sollen?
Dennoch scheint sich die Prognose Bertha von Suttners zumindest
vorlŠufig bewahrheitet zu haben: ãDas 20. Jahrhundert wird nicht zu Ende gehen,
ohne dass die menschliche Gesellschaft die grš§te Geisel, den Krieg als legale
Institution abgeschafft haben wird.Ò Sie sagte nicht, der Krieg werde Ÿberhaupt
abgeschafft, sondern als legale Institution werde er abgeschafft. Das
Všlkerrecht verbietet heute die Angriffskriege und solche sind also illegal.
Diese Regelung, dass Angriffskriege všlkerrechtlich nicht erlaubt
sind, welche zumindest bis zur Jahrtausendwende formal gegolten hatte, mšge
hoffentlich im 21. Jahrhundert noch verbessert werden, doch derzeit scheint
sogar ihre GŸltigkeit fraglich. Aber ein Friedenszustand kann nur bestehen,
wenn es der Menschheit kŸnftig besser gelingen wird, gemeinsam dem Frieden den
absoluten Vorrang zu geben und vor allem die jungen Menschen, welcher
religišsen und politischen †berzeugung sie auch angehšren, wirklich fŸr den
Frieden zu begeistern.