Bertha von Suttner und der Friedensnobelpreis

2014 und 2015 - zwei Gedenkjahre

WŠhrend wir uns im Jahr 2014 an den Beginn des ersten Weltkrieges erinnerten, gedachten wir im Jahr 2015 an das Ende des Zweiten Weltkrieges. Doch im Dezember dieses Jahres erinnern wir uns auch an Bertha von Suttner, die als erste Frau den Friedensnobelpreis erhielt. Es war im Jahr 1905, dass Bertha von Suttner den Friedensnobelpreis erhielt, doch im Jahr 1914 begann der Erste Weltkrieg, der zuletzt mehrfach als eine Einheit mit dem Zweiten Weltkrieg interpretiert wurde. HŠufig wurde in den letzten Jahren an die frŸheren Kriege erinnert, aber fast noch hŠufiger kam Angst auf, dass die verschiedenen Kriegsgeschehnisse in aller Welt oder die aktuelle Terrorwelle in Europa zu einem Krieg fŸhren kšnnte, der auch Europa erfassen kšnnte. Die FlŸchtlingswelle ist ein Anlass, dass sich Europa mit manchen Všlkern, die im Krieg leben mŸssen, mehr solidarisiert als dies je zuvor fŸr mšglich gehalten wurde. Diesmal stš§t Europa vielleicht an seine Grenze der Mšglichkeiten, nachdem eine Welle der internationalen SolidaritŠt aufkam, wie sie bei der kurz davor wŸtenden massenhaften Christenverfolgungen in vielen LŠndern noch nicht aufgekommen war.

Leider beobachten wir: Die Aufmerksamkeit wird allemal und bis heute durch Gewalt und Krieg deutlich mehr wachgerufen als durch den Frieden. Die Zeitungen berichten derzeit viel ausfŸhrlicher als je zuvor von Terror und Kriegen. Andererseits ist unter dem Aspekt der Zukunftstauglichkeit alles was dem Frieden dient das wichtigere Ereignis als etwas, das dem Krieg dient. Mein Anliegen ist es, an die gro§e šsterreichische FriedenskŠmpferin zu erinnern, welche weltweit geachtet wird, aber viel zu wenig bekannt ist. Vielleicht hilft der Blick auf ihr Werk, wieder mehr den Frieden anzustreben.

Manchmal Ÿberschneiden sich die Ereignisse. Nehmen wir eine Zeitung der alten kuk Monarchie und blŠttern wir darin. Der Pester Lloyd schreibt: 24. Juni 1914: ãAus Wien wird uns gemeldet: Das LeichenbegrŠbnis der Baronin Berta Suttner hat heute Nachmittag, dem Wunsche der Verstorbenen gemŠ§, in aller Stille und ohne jedes GeprŠnge stattgefunden. Im Trauerhause hatten sich blo§ die Familienmitglieder, sowie ein kleiner Kreis von vertrauten Freunden eingefunden. Um 3 Uhr wurde der Sarg geschlossen, auf den zweispŠnnigen Leichenwagen gehoben und auf den Franz-Josef-Bahnhof gebracht. In Vertretung der šsterreichischen Friedensgesellschaft begleitet Regierungsrat Schuster die Leiche nach Gotha, wo am 25. d. nachmittags die EinŠscherung erfolgt. An die Baronesse Luise Suttner sind zahllose Beileidstelegramme eingelangt, darunter auch von der ungarischen parlamentarischen Gruppe der internationalen Union.Ò Baronin Luise Suttner war jene SchwŠgerin, welche die Baronin Bertha von Suttner zuletzt aufopfernd pflegte.

Ein ãLeichenbegrŠbnisÒ, von dem die Zeitung schrieb, fand eigentlich in Wien gar nicht statt. Man wusste nicht, wie man Ÿber ein Ereignis dieser Art der Verabschiedung von einer Verstorbenen anders berichten sollte. Denn es war etwas Neue, eine EinŠscherung gab es in …sterreich-Ungarn damals von Gesetzes wegen gar nicht. Suttner hatte sich selbst dafŸr eingesetzt, dass wenigstens die thŸringische Stadt Gotha solche Leichenverbrennungen durchfŸhren mšge und bestimmte, dass ihre sterbliche HŸlle nach Gotha gebracht und dort im Urnenfriedhof beigesetzt werde. Dies sollte ein Protest der Baronin Suttner gegen die Kirche und ihre Lehre sein. Sie war zornig Ÿber die Kirche, weil diese damals nicht bereit war, sich definitiv fŸr den Frieden auszusprechen. Ihr Vormund, den sie verehrte, war von einer - heute nicht mehr vorstellbaren - doppelten Fršmmigkeit ergriffen: Er glaubte an die Armee und an die Kirche. Ihr Protest gegen den Krieg hat aber letztlich kaum irgendwo so viel Zustimmung gefunden wie gerade in der Kirche.

Die oben erwŠhnte Ausgabe des Pester Lloyd vom 24. Juni 1914 berichtet auch von einem anderen Ereignis, das eigentlich Routine zu sein schien. wird des weiteren folgendes berichtet: ãErzherzog Franz Ferdinand hat heute um 9 Uhr 30 Minuten abends vom SŸdbahnhofe die Reise nach Bosnien angetreten. ... Am 28. ... wird der Erzherzog ... um 9 Uhr 50 mittels Hofsonderzuges  nach Sarajevo fahren ...Ò Diese letzte Anreise erfolgte von seiner letzten Zwischenstation, dem Thermalbadekurort Ilidze in unmittelbarer NŠhe von Sarajewo. 

Wie wir wissen, wurden an diesem 28.  Juni 1914 der damalige šsterreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie Chotek ermordet. Damit war zunŠchst noch nicht der Krieg ausgebrochen. Erst einen Monat spŠter, am 29. Juli, erlie§ Kaiser Franz Josef das Manifest ãAn meine VšlkerÒ, welches die formelle KriegserklŠrung an Serbien enthielt. Auch dies leitete noch nicht unmittelbar Kriegshandlungen …sterreich-Ungarns gegen Serbien ein; die ersten Kriegshandlungen waren der †berfall Deutschlands auf das neutrale Belgien, einem Staat, dessen Bewohner sich traditionell mit …sterreich verbunden fŸhlten. Damit holte Deutschland mit einer List zum Krieg gegen Frankreich aus, weil Frankreich nicht mit einer NeutralitŠtsverletzung durch Deutschland rechnete; aber der Krieg gegen Serbien, der formell der KriegserklŠrung entsprochen hŠtte war, fing erst noch spŠter an. Faktisch war der Weltkrieg also schon voll im Gange bevor dem erklŠrten Krieg …sterreichs gegen Serbien Ÿberhaupt die ersten Kriegshandlungen folgten. Draus lŠsst sich ablesen, wie sehr andere Staaten bereits auf einen Krieg gewartet hatten und die Ermordung des šsterreichischen Thronfolgers fŸr die internationale Staatenwelt weit eher als fŸr …sterreich ein willkommener Anlass war.

Der Krieg galt frŸher als eine SelbstverstŠndlichkeit.

Bevor ich mich mit der besonderen Leistung der Frau Bertha von Suttner beschŠftige, mšchte ich die damalige Situation begreiflich machen. Es ist nicht allgemein bewusst, warum der Krieg Ÿberhaupt damals eine solche SelbstverstŠndlichkeit war. Die Ursache war vor allem die Staatsphilosophie. Der Staat galt als die oberste souverŠne Instanz der menschlichen Vergemeinschaftung. Nun standen sich aber eine Reihe von Staaten gegenŸber und konkurrierten miteinander. Dabei kam es  freilich zu Konflikten. Zur Beilegung solcher Konflikte gab es aber keine den Staaten Ÿbergeordnete Instanz und konnte es insofern keine geben, weil nach der damaligen Staatstheorie nichts auf der Erde Ÿber einem Staat stehen konnte. WŠhrend Konflikte zwischen Personen von Gerichten geregelt werden konnten, gab es keine Schiedsgerichte, die bei Konflikten zwischen Staaten angerufen werden konnten. Die Einrichtung von internationalen Schiedsgerichten war eine der wichtigsten Forderungen der Pazifistin Suttner. Es gab auch bereits einige solche Schlichtungen von Konflikten und internationale Kongresse zur Verbesserung der zwischenstaatlichen Koordination von friedenssichernden Ma§nahmen.

Im Jahr 1914 war wieder ein solcher Kongress angesetzt, und zwar sollte dieser im September in Wien stattfinden. Nicht erst der Krieg machte diesen unmšglich, sondern die Kriegsstimmung, die bereits davor so gro§ war, dass bereits die Vorbereitung des Kongresses scheiterte.

Ein Beispiel der Verharmlosung des Krieges bietet die Philosophie Hegels. Jener verglich den Krieg mit der Bewegung der StŸrme, ãwelche die See vor der FŠulnis bewahrtÒ, und verstieg sich zu Behauptung, ãein dauernder oder gar ewiger FriedeÒ wŸrde die Všlker ebenso in moralische FŠulnis versetzen. Dieses Bild war damals durchaus populŠr und auch Suttner hat in ihren Schriften diesen Gedanken den zeitgeistigen Personen in den Mund gelegt. Bertha von Suttner beschreibt in ihrem Antikriegs-Roman ãDie Waffen niederÒ die damalige kriegsbereite Stimmung, indem sie einige handelnden Personen Aussagen machen lŠsst wie: ãHurra, jetzt geht's los! ... Sie wollen PrŸgel haben, die Katzelmacher? So sollen sie PrŸgel haben – sollen sie haben!Ò Katzelmacher war damals ein Schimpfwort fŸr die Italiener, weil sie angeblich auch so viele Kinder hatten wie die Katzen. Man glaubt, einen Zusammenhang zwischen Kriegsbereitschaft und Kinderfeindlichkeit zu erkennen. Suttner bringt noch viele zeitgeistige Zitate, eines soll noch genannt werden: ÈDie Abschaffung des Krieges ... ebenso gut kšnnte ich sagen, man solle das Erdbeben abschaffen ...Ç

Suttner erwŠhnte auch den ãschweigsamen Schlachtendenker MoltkeÒ, jenen General, dem Preu§en viele Siege verdankte und der auch MilitŠrberater fŸr das Osmanische Reich war, welcher sagte: ãDer ewige Friede ist ein Traum – und nicht einmal ein schšner Traum.Ò

Es wŠre aus heutiger Sicht sinnlos, die KriegserklŠrung Kaiser Franz Josephs als die eigentliche Ursache des Krieges anzusehen. Dasselbe kann man auch Ÿber die sinnlos-brutale Tat von Gavrilo Princip sagen. Der Dichter Stefan Zweig betrachtete rŸckblickend die Zeit kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und urteilte folgend: ãWenn man heute ruhig Ÿberlegend sich fragt, warum Europa 1914 in den Krieg ging, findet man keinen einzigen Grund vernŸnftiger Art und nicht einmal einen Anlass. ... Ich wei§ es nicht anders zu erklŠren als mit diesem †berschuss an Kraft, als tragische Folge jenes inneren Dynamismus, der sich in diesen vierzig Jahren Frieden angehŠuft hatte und sich gewaltsam entladen wollteÒ– ãDer Aufstieg war vielleicht zu rasch gekommen, die Staaten, die StŠdte zu hastig mŠchtig geworden, und immer verleitet das GefŸhl von Kraft Menschen wie Staaten, sie zu gebrauchen oder zu missbrauchen. Frankreich strotzte vor Reichtum. Aber es wollte noch mehr ... †berall stieg das Blut den Staaten kongestionierend in den Kopf.Ò

Sobald jener Krieg tatsŠchlich wŸtete, den Bertha Suttner voraussah, wussten die Philosophen, wie der Dichter richtig bemerkte, ãplštzlich keine andere Weisheit, als den Krieg zu einem âStahlbadÕ zu erklŠren.Ò Sie war freilich nicht Ÿberrascht vom Krieg, denn sie sah ihn voraus, und dies schon deshalb, weil sie ja Alfred Nobel kannte.

Suttner war keine Feindin von MilitŠrs, das unterscheidet sie von manchen anderen Pazifisten. Nicht nur, da sie Feindschaft ablehnte, auch hatte sie mehrere Verwandte, die GenerŠle waren. Ihren Vater, den General Graf Kinsky, hat sie zwar nie gekannt, doch auch ihr Vormund, bei dem sie die Kindheit verbrachte, diente der Armee. Auch von der Mutterseite her war die Stimmung vom Militarismus geprŠgt.

Berthas Mutter hie§ vor der Heirat von Kšrner und war mit dem sehr jung verstorbenen Freiheitsdichter Theodor Kšrner verwandt; dieser Dichter war jener Verwandte, von dem Bertha von Suttner die dichterische Begabung geerbt hatte. Er wollte die Leser fŸr den Freiheitskampf begeistern. Hier die erste von sechs Strophen seines Gedichts ãAn mein VolkÒ:

ãFrisch auf, mein Volk! die Flammenzeichen rauchen / Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht / Du sollst den Stahl in Feindesherzen tauchen / Frisch auf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen / Die Saat ist reif, ihr Schnitter, zaudert nicht! / Das hšchste Heil, das letzte liegt im Schwerte / DrŸck dir den Speer ins treue Herz hinein. / Der Freiheit eine Gasse! wasch die Erde / Das deutsche Land mit deinem Blute rein.Ò

Der Freiheit eine Gasse – dies war ein Zitat des Dichters Georg Herwegh und zugleich eine Anspielung an ein Ereignis in einer Schlacht der Eidgenossen gegen …sterreich. Ein ãHeldÒ stŸrmte damals zu Beginn der Schlacht gegen die …sterreicher voraus und animierte damit die gesamte erste Reihe der entgegentretenden Soldaten, ihre Speere in seine eigene Brust zu sto§en. Da alle Speere der ersten Reihe der šsterreichischen Soldaten bereits in der Brust jenes Opfers steckten und somit unbrauchbar waren, war der Weg nach vorne fŸr die Schweizer frei. Derlei Heroisierung von Krieg und Opfertod war im damaligen Denken in Europa leider durchaus Ÿblich, wogegen Suttners Pazifismus oft verspottet wurde. Angesichts der RŸckschau auf das Denken jener Zeit kann sagen: Suttners Denken hat sich schlie§lich doch durchgesetzt.

 

Aber nicht erst nach der Ermordung des Thronfolgers war man sich der Kriegsgefahr in Europa bewusst, sondern schon seit gut zwanzig, vielleicht drei§ig Jahren wussten MilitŠrfachleute Bescheid. Ein Beispiel ist General Moltke. Er eilte von einem Sieg fŸr Preu§en und Deutschland zum nŠchsten und erhielt wohl mehr militŠrische Auszeichnungen, speziell auch von anderen europŠischen und Staaten als die Zeitgenossen. Doch als alter, vielleicht auch weise gewordener fast 90-JŠhriger Mann warnte er in seiner letzten Reichstagsrede: ãMeine Herren, wenn der Krieg, der jetzt ... wie ein Damoklesschwert Ÿber unseren HŠuptern schwebt, ... zum Ausbruch kommt, so ist seine Dauer und ist sein Ende nicht abzusehen ... es kann ein siebenjŠhriger, es kann ein drei§igjŠhriger Krieg werden – und wehe dem, der zuerst die Lunte in das Pulverfass schleudert!Ò

Zwei Jahrzehnte spŠter hat jener Krieg begonnen. Der erste Teil dauerte zwar weniger als sieben Jahre, doch dann folgte noch ein zweiter Teil - und Moltke hatte somit Recht behalten. Man verwendet heute durchaus den Begriff ãDrei§igjŠhriger KriegÒ fŸr die Ereignisse zwischen 1914 und 1945. An Ausdehnung und Grausamkeit hat unser zweiter Drei§igjŠhriger Krieg den ersten freilich weit Ÿbertroffen.

Bertha Suttners frŸhe Jahre

Baronin Bertha von Suttner wurde als Sophia Felicita GrŠfin Kinsky von Wchinitz und Tettau im Palais Kinsky in Prag geboren. Der Vater Berthas, Graf Franz Joseph Kinsky, starb im 75. Lebensjahr - kurz vor der Geburt der Tochter. Er war in zweiter Ehe mit der 50 Jahre jŸngeren BŸrgerlichen Sophie Kšrner verheiratet, die zwar mit dem berŸhmten, gefeierten Freiheitsdichter Theodor Kšrner verwandt war, aber von der hochadeligen Familie geschnitten wurde. Bertha kam also schon als Halbwaise zur Welt und erhielt einen Vormund, und zwar einen unverheirateten und kinderlosen Kameraden des Vaters, Landgraf Friedrich FŸrstenberg. Zu ihm kam sie mit der Mutter nach BrŸnn, wo Bertha ihre Kindheit verbrachte. Da die Mutter spielsŸchtig war, verlor sie ihre Abfertigung der adeligen Familie am Spieltisch von Kasinos. Der Vormund, der in die Mutter zwar heimlich verliebt war, aber enttŠuscht von ihrer Lebensweise, verjagte sie samt der Tochter, als diese 16 Jahre alt war. Mutter und Tochter nahmen eine Wohnung in Wien. Der Vormund starb nicht lange darauf und hinterlie§ Bertha sein Vermšgen. Da Bertha aber noch nicht volljŠhrig war, verwaltete die Mutter dieses und verspielte es ebenfalls. Von der kleinen Witwenpension, welche die Mutter auch noch erhielt, konnte sie ihren anspruchsvollen Lebensstil nicht finanzieren und sie drŠngte Bertha, reich zu heiraten, was aber misslang.

Daher begann Bertha zu arbeiten und erhielt 1873 eine Stelle als Erzieherin der halbwŸchsigen Tšchter im Hause des Barons von Suttner. Sie vermittelte musikalische Erziehung, Sprachkenntnisse, kulturelle und literarische Bildung etc. Sie arbeitete zur vollen Zufriedenheit, verliebte sich aber allmŠhlich in den Sohn des Hauses, was vom Baron missbilligt wird; daher musste sie 1876 das Haus verlassen. Der Baron zeigte ihr ein Inserat eines angeblichen Šlteren Herrn namens Alfred Nobel, der in Paris eine SekretŠrin suchte. Sie antwortet umgehend, wird angenommen und fŠhrt sofort nach Paris. Nobel und Suttner verstehen sich prŠchtig. Beide sprechen mehrere Sprachen flie§end, beide kennen die Literatur, Suttner interessiert sich fŸr die Neuerungen der Technik. Nobel, bekannt durch seine Erfindung des Dynamit, war einer der reichsten MŠnner jener Zeit.

Der 43jŠhrige Nobel war keineswegs ein Šlterer Herr, aber er lebte zurŸckgezogen, las eine Unmenge BŸcher, experimentierte und arbeitete flei§ig. Er war unter anderem Dynamitfabrikant und er entwarf nicht nur zivile Schiffe, sondern auch Kriegsschiffe, effektivere Munition und neue Waffen, was Bertha nicht erfreute. Also diskutierten sie auch Ÿber Krieg und Frieden. Die Arbeit bei Nobel dauert kaum zwei Wochen, aber die Freundschaft mit vielen Diskussionen zieht sich Ÿber Jahre bis zum Lebensende. Suttner kŸndigt ihre TŠtigkeit bei Nobel, als sie ein Telegramm von Arthur erhŠlt, er kšnne ohne sie nicht leben. Bertha versetzt ein kostbares SchmuckstŸck, fŠhrt von Paris nach Wien zurŸck, die beiden heiraten heimlich am 12. Juni 1876 und flŸchten gleich darauf in den Kaukasus. Dort kennt Bertha eine adelige Freundin, eine nominelle FŸrstin von Migrelien, bei der sie wohnen kšnnen. Der Aufenthalt dauerte neun Jahre. Arthur beginnt mit dem Zeichnen von Tapeten, dann entwirft er HŠuser, spŠter schreibt er fŸr westliche Zeitungen. Bertha gibt Unterricht in Deutsch und Musik und beginnt zšgerlich ebenfalls zu schreiben – wobei sie gleich gro§en Erfolgt hat. Als bereits bekannte Schriftstellerin versšhnt sie sich mit dem Schwiegereltern und darf im Jahr 1885, inzwischen 42 Jahre alt, wieder ans Schloss in Harmannsdorf zurŸckkommen. Ihr Einkommen als Schriftstellerin kam dem Baron nicht ungelegen, da gerade ein Steinbruch in seinem Besitz in Konkurs zu gehen drohte.

Nun stellten sich einige lang ersehnte Erfolge ein. Das Buch ãDas MaschinenzeitalterÒ (sie schreibt ursprŸnglich: ãMaschinenalterÒ) erscheint unter dem Pseudonym ãJemandÒ und findet guten Anklang. Darin schildert sie fiktiv eine RŸckschau auf jene Zeitereignisse, die sie gerade erlebte, allerdings im RŸckblick von hundert Jahren spŠter. ãDas Europa des neunzehnten Jahrhunderts war in Barbarei noch tief versunken. Bis an die ZŠhne bewaffnet standen die Všlker da, stets bereit, Ÿber einander herzufallen.Ò Im Mittelalter sei alles der Kirche unterworfen gewesen, im Maschinenalter sei aber alles dem Militarismus unterworfen ãgewesenÒ: ãUrsprŸnglich waren die Heere entstanden, um den Anforderungen des Krieges zu genŸgen – spŠter entstanden die Kriege, um der Anforderungen des Heeres willen.Ò – so schalt sie.

Viel wird in diesem Buch auch Ÿber die Kirche philosophiert, welche nach Suttners Ansicht einen schlechten Einfluss auf die Menschen ausŸbt. Damit folgt sie einerseits den liberalen Ideen ihrer Zeit, andererseits zeichnet sie sich aber durch eine innere ReligiositŠt aus. Sie bezeichnet sich als Freidenkerin, bekennt sich aber zur Religion.

Einerseits findet sie scharfe Worte gegen die Kirche und bezeichnet deren Vertreter als LŸgner, speziell, wenn es um die Frage der Kriege geht, denn sie ist enttŠuscht Ÿber das BŸndnis zwischen dem kampfbereiten MilitŠr und dem treu folgenden Klerus. Andererseits betont sie den Wert der Religion zur Hebung der Sitten und verteidigt auch den Glauben an die Existenz hšherer Gewalten: ãJa, nicht nur die grš§ten Philosophen der alten und neuen Welt, - von Aristoteles bis zu Hegel, von Plato bis ... Schopenhauer -, nicht nur die Weisen des Morgen- und Abendlandes, Moses und Zoroaster, die KirchenvŠter und die Konzile – haben wir fŸr uns; - wir haben das unabweisbare Zeugnis der Menschennatur selber, welches seit jeher und Ÿberall erkannt hat, dass es ŸbernatŸrliche Gewalten gibt.Ò Anderswo schreibt sie Šhnlich: ãDie ewigen Wahrheiten und ewigen Rechte haben stets am Himmel der menschlichen Erkenntnis aufgeleuchtet, aber nur ganz langsam wurden sie von da herabgeholt, in Formen gegossen, mit Leben erfŸllt, in Taten umgesetzt.Ò

Nach langjŠhrigem vergeblichen BemŸhen gelingt es Bertha von Suttner, einen Verleger fŸr ihr bereits lange fertiges, auf mŸhsamen Recherchen beruhendes Buch ãDie Waffen niederÒ zu finden, womit ihr der erste wirklich gro§e Wurf des Lebens gelingt. Das Buch wurde in 16 Sprachen Ÿbersetzt und war ein Bestseller der damaligen Zeit.

Die Waffen nieder

Dieser Roman schildert die fiktiven Erinnerungen einer šsterreichischen GrŠfin namens Martha Althaus an die Ereignisse im Laufe von mehreren Kriegen. WŠhrend des Zweiten Italienischen UnabhŠngigkeitskriegs 1859 verliert die Baronin ihren ersten Ehemann, der Graf Arno Dotzky in der blutigen Schlacht von Solferino. Dies war jene Schlacht, die Henry Dunant als Handelsreisender zufŠllig erlebte, woraufhin er spontan fŸr die zahllosen Verletzten Hilfe organisierte, ein Buch darŸber schrieb und danach das Rote Kreuz grŸndete.

Baronin Martha Althaus beschlie§t in Suttners Roman, kŸnftig gegen den Krieg zu sein. Ihr zweiter Mann, Baron Friedrich Tilling, teilt ihre pazifistischen †berzeugungen, obwohl er ein Offizier der šsterreichischen Armee ist. Er musste in der šsterreichischer Armee im Jahre 1864 im Zweiten Deutsch-DŠnischen Krieg an der Seite Preu§ens gegen DŠnemark kŠmpfen. Der Krieg begann, als die deutsche Mehrheit sich Deutschland anschlie§en wollte und von DŠnemark unterdrŸckt wurde.

Zwei Jahre spŠter aber (1866) kŠmpfte Tillich im Preu§isch-…sterreichischen Krieg, der in Deutschland den Namen ãDeutscher KriegÒ trŠgt, gegen Preu§en. Dieser Krieg entzŸndete sich an der Verwaltung jenes gerade gewonnenen Gebiets von Schleswig-Holstein. Er dauerte sieben Wochen und endete mit der besonders blutigen Schlacht bei KšniggrŠtz, auf tschechisch Hradec Kr‡lovŽ; danach zerfiel der Deutsche Bund.

Zwei Schwestern Marthas und ihr Bruder sterben an der Cholera, die infolge des Krieges ausbrach, danach stirbt ihr Vater aus Gram Ÿber den Verlust der Kinder. Friedrich trat nun von der Armee in den Ruhestand, um Marthas FriedensaktivitŠten zu unterstŸtzen. WŠhrend des Deutsch-Franzšsischen Krieges wird Friedrich allerdings erschossen, weil man in ihm einen preu§ischen Spion vermutet, wŠhrend Martha sich in Paris aufhŠlt. Martha Altmann legt, Šhnlich wie Bertha Suttner im tatsŠchlichen Leben, danach die Trauerkleidung als Witwe ihr ganzes Leben lang nicht mehr ab. Marthas Sohn aus erster Ehe, Rudolf, beginnt, in die Fu§stapfen seiner Mutter zu treten.

Das Buch ist eigentlich eine geistreiche philosophische Abhandlung Ÿber den Krieg, die in die Form eines Romans gegossen wurde, untermalt mit vielen historischen Dokumenten und Tatsachenberichten sowie schaurigen Details des Leidens aufgrund der Kriegsereignisse.

Folgende Textprobe beschreibt die Erlebnisse Marthas auf der Suche nach ihrem Mann, der am Schlachtfeld verwundet wurde: ãAm Fu§e (der Kirchhofsmauer) lagen zahlreiche Leichen ... Der Verwesungsgeruch, der von diesen toten Kšrpern aufstieg, war es, der mich aus dem Schlaf gerissen hatte. Als wir vorbeifuhren, hob sich ein dichter Schwarm von Raben und KrŠhen kreischend von dem Leichenhaufen empor, flatterte eine zeitlang - wie schwarzes Gewšlk, gegen den hellen Himmelhintergrund und lie§ sich dann wieder zum Schmause nieder.  - âFriedrich, mein Friedrich! - âBeruhigen Sie sich, Baronin MarthaÔ, tršstete mich [der sie beschŸtzende Arzt, Anm. E. B.] Bresser; âIhr Mann konnte nicht dabei gewesen sein.Ô - Bresser mit seinen Leuten machten sich bei den Armen zu schaffen; ich stŸtzte mich an einen Seitenaltar und blickte mit unnennbarem Schauer auf das Jammerbild. - Und das war der Tempel des Gottes der ewigen Liebe - das waren die wundertŠtigen Heiligen, welche da in den Nischen und an den WŠnden fromm ihre HŠnde falteten und ihre Kšpfe unter dem goldstrahlenden Glorienschein emporhoben? - âO Mutter Gottes, heilige Mutter Gottes ... einen Tropfen Wasser ... erbarme dich!Ô hšrte ich einen armen Soldaten flehen. Das hatte er zu dem buntbemalten, tauben Bilde wohl schon tagelang vergebens gebetet. - o ihr armen Menschen, ehe ihr nicht dem Gebot der Liebe gehorcht, das ein Gott in eure Herzen gelegt hat, werdet ihr immer vergebens die Liebe Gottes anrufen - so lange unter euch die Grausamkeit nicht Ÿberwunden ist, habt ihr vom himmlischen Mitleid nichts zu hoffen....Ò

Dieses Beispiel zeigt gut, wie sie in diesem Roman versucht, die Schilderungen von Ereignissen mit ihrer Philosophie zu verbinden. Er geht ihr darum, im Gegensatz zu den kalten Kriegsberichten in der Presse das Herz sprechen zu lassen, die Verzweiflung spŸrbar zu machen und vor allem, das Gewissen anzusprechen: Du sollst nicht tšten. Die Schilderung der Grausamkeit des Krieges wird bei ihr laufend mit der sittlichen AufrŸttelung verbunden, denn nur wenn es zur Regel wird, dass der Mensch unbeirrt auf sein Herz achtet, wo er Gottes Stimme hšrt, kann Friede werden.

Das Buch ist insgesamt so kenntnisreich und einfŸhlsam geschrieben, dass man es fŸr eine Tatsachenschilderung halten konnte. Suttner schwenkte zwischen nachprŸfbaren, mŸhsam recherchierten RealitŠtsschilderungen und fiktiven Personen, die in ihrem Roman vorkommen, so geschickt hin und her, dass auch das Erfundene als real erscheint. Und es war auch tatsŠchlich jemand, der das Buch fŸr ganz wirklichkeitsgetreu hielt, der Bertha von Suttner innerhalb kurzer Zeit in die internationale Friedensbewegung fŸhrte.

Der Eintritt in die Friedensbewegung

Suttner schildert dies selbst und betont ausdrŸcklich, dass erst der Erfolg des Buches sie dazu brachte, sich fortan in der Friedensbewegung zu engagieren. Im FrŸhling 1891, ungefŠhr 15 Monate nach der Veršffentlichung von ãDie Waffen nieder", hielten sich Bertha und Arthur Suttner in Venedig auf.

Hier gebe ich ihre eigenen Worte wieder: ãEines Nachmittags wurde an der TŸre geklopft und mein Mann šffnete sie in Abwesenheit des Dieners. Ein Šlterer, elegant gekleideter Herr stand in der Vorhalle. âWohnt Baronin Suttner hier?Õ frug er. âJawohl, es ist meine Frau,Õ war die Antwort. âWie! Sie sind der Gatte von Frau von Suttner — Berta von Suttner?Õ âAllerdings, der bin ich.Õ âSie sind also nicht tot?Õ âMit Ihrer gŸtigen Erlaubnis lebe ich noch.Õ âAber wurden Sie denn nicht in Paris erschossen?Õ âEs scheint nicht.Õ ...Ò

Bertha und Arthur Suttner fŸhrten den Gast in den Salon und erfuhren, dass jener Mann, es war Felix Moscheles aus England, den Roman ãDie Waffen niederÒ gelesen hatte und nun die Verfasserin dieses Buches, die er fŸr die in Roman in Ich-Form erzŠhlende Witwe hielt, kennen lernen wollte. Zu seiner Freude erfuhr er, dass diese sich gerade in Venedig aufhielt, im Palazzo Dario - gleich gegenŸber seiner Unterkunft. Also war er rasch gekommen, um mit Suttner gemeinsam FriedensplŠne zu schmieden. Arthur, der im selben Jahr 1891 einen Verein gegen den Antisemitismus grŸndete, war mit ganzem Herzen dabei.

Bertha erinnerte sich, dass damals in Venedig ein Herr Marquis Beniamino Pandolfi lebte, ein Mitglied der italienischen Kammer, dessen Frau eine Jugendfreundin von Bertha war. Die Folge war die GrŸndung einer Sektion der Interparlamentarischen Union im italienischen Parlament. Diese Vereinigung war im Jahre 1888 gegrŸndet worden. ZunŠchst hatte diese nur in England uns Frankreich bestanden. Nach einiger Vorbereitung grŸndete Bertha die …sterreichische Friedensgesellschaft durch einen Aufruf in der Tageszeitung Neue Freie Presse am 3. September jenes Jahres, wobei es ihr vor allem um die Mitarbeit von Parlamentariern ging. Hier schrieb sie u.a.: ã Millionenheere - in zwei Lager geteilt - harren nur eines Winkes, um aufeinander loszustŸrzen. ... Jeden Augenblick kann die Explosion kommen. Diejenigen, welche die Lunten in HŠnden halten, ... wissen, dass bei solchem Pulvervorrat die Folgen schrecklich wŠren. ... [Um vor den dessen Einsatz abzuschrecken] wird der Pulvervorrat immer vergrš§ert. WŠre es nicht einfacher, freiwillig die Lunten wegzutun, mit anderen Worten abzurŸsten? ... Wer die wei§e Fahne schwingt, hat Millionen hinter sich, aber diese Millionen sind noch stumm ... An alle Jene ... ergeht die Aufforderung, ihren Namen und Wohnort einzusenden ...Ò

Es war gerade ein gŸnstiger Zeitpunkt, diese Organisationen zu grŸnden, da im November desselben Jahres die Interparlamentarische Union zu einer gro§en Friedenskonferenz in Rom aufgerufen hatte. Als Delegierte dieser eben erst gegrŸndeten šsterreichischen Sektion wurde Suttner eingeladen, an dem vom 11.-14. September tagenden 3. Weltfriedenskongress im Kapitol in Rom zu sprechen. Dies war ihr erster šffentlicher Auftritt - und sie brillierte mit einem frei gesprochenen fulminanten Vortrag in italienischer Sprache Ÿber die Bedeutung des Friedens und Ÿber die Mšglichkeiten, ihn zu realisieren. Bald kam es auch zur GrŸndung eines Vereines in Berlin. Reisen zu VortrŠgen und Kongressen quer durch Europa und Amerika folgten nach und nach.

Arthur, ihr Mann, war erstmals auch besorgt. Einerseits war sie oft auf Reisen, andererseits brachte sie nun weniger Geld nach Hause, da sie weniger schrieb oder ihre neuen BŸcher nicht mehr den gro§en finanziellen Erfolg einbrachten, andererseits kosteten ihre Reisen auch Geld und das Schloss war bereits verschuldet. Die Lage dŸrfte sich jedoch mit dem Jahr 1892 wieder fŸr einige Zeit gebessert haben.

Suttner und der Friedensnobelpreis

WŠhrend jener Zeit bleibt der Kontakt mit Nobel aufrecht, sie schickten sich laufend Post zu. Nobel war ein intelligenter Mann, er experimentierte und korrigierte seine Produkte. Dass seine Erfindung des Dynamits nicht nur fŸr Bergwerke und Stra§enbau verwendet werden konnte, sondern auch im Krieg, war ihm durchaus klar. Nicht genug damit, war aber auch Nobel derjenige, der einen effektiveren Einsatz von Schie§pulver ermšglichte. Davor drohte jeweils nach der ZŸndung der Munition doppelte Gefahr: Rauchschwaden signalisierten dem Feind, woher der Schuss kam, doch die SchŸtzen selbst waren in Nebel gehŸllt und mussten erst einmal warten, bis sie einen neuen gezielten Schuss abgeben konnten. Erst durch Alfred Nobels Erfindung des rauchschwachen Pulvers war der moderne Krieg, das effektive und massenhafte Tšten im Ersten Weltkrieg so richtig mšglich geworden. Er dachte freilich nicht an einen kŸnftigen Krieg, sondern hoffte im Gegenteil, seine Erfindung werde Kriege sogar verhindern, denn die Menschheit sei nicht so verrŸckt, so gefŠhrliche Waffen auch massenhaft anzuwenden. Nobel verdiente zwar noch mehr Geld, wenn gerade irgendwo ein lokaler Krieg herrschte, aber er war immer wieder besorgt, ob seine Hoffnung auf einen Frieden durch Abschreckung nicht vielleicht doch falsch sei.

Als Bertha und ihr Mann im Jahre 1892 anlŠsslich eines Kongresses in Bern mit Nobel zusammentrafen, lud er die beiden nach ZŸrich ein. Er brachte sie in einem noblen Hotel unter, wo er manchmal abstieg, in einem Zimmer, aus dem gerade tags zuvor die Kaiserin Elisabeth abgereist war. Es war zu Ende September, und Suttner schildert in ihren Erinnerungen, wie unvergesslich die vom schšnsten Herbstwetter begŸnstigte Spazierfahrt auf dem ZŸricher See gewesen sei, an Bord des eigenen kleinen, sensationell modernen Aluminiumschiffes Nobels. Und die drei sprachen von tausend Dingen; sie schwŠrmten, wie sich Suttner erinnert, gemeinsam davon ãwie schšn diese Gotteswelt sein kšnnte, wenn erst das Gšttliche zum Durchbruch kŠme, das in manchem Menschenherzen glŸht und in manchen Menschenhirnen leuchtet, aber noch sehr erstickt wird unter der Wucht von Unwissenheit und Roheit

Bertha von Suttner verabredete damals mit Alfred Nobel, dass beide zusammen ein Buch schreiben wŸrden, ein Kampfbuch gegen alles Gemeine, und berieten schon Ÿber den Titel. Doch es kam nicht zu einer AusfŸhrung. Aber Suttner bemerkt, Nobel habe zwar keine gro§en literarischen Werke hinterlassen - wenngleich einige seiner Schriften es wohl verdienten, posthum veršffentlich zu werden -, doch habe er mit seinem Testament ein Geisteswerk von unermesslicher Tragweite hinterlassen. Nicht nur dass die Wissenschaft gefšrdert werden sollte, sondern auch der Frieden. Diese ErgŠnzung zu seinem bereits vorher niedergeschriebenen Testament bestimmte Nobel im Jahre 1895. Dieses GesprŠch am ZŸrchersee war wohl ein wichtiger Teil der Leistung Bertha von Suttners.

Suttner schildert wšrtlich: ãAn der Vervollkommnung der GeschŸtze und der Geschosse arbeitete Nobel auch rastlos weiter. Die steigende FŸrchterlichkeit der Kriegsmittel musste seiner Ansicht nach die AbsurditŠt und die Unmšglichkeit kŸnftiger Kriege immer auffallender machen und deren Abschaffung herbeifŸhren. Dies war anfŠnglich auch der einzige, etwas gar indirekte Weg, den er sich zur Erlangung des Friedenszustandes der Všlker vorstellte.Ò Nobel war nach der Schilderung Suttners vollkommen davon Ÿberzeugt, dass die Menschen, wenn sie erst mehr Bildung, mehr Wissenschaft, Kunst und Kultur besŠ§en, auch ein gerechtes VerhŠltnis zueinander pflegen wŸrden und dass damit auch der Krieg ein Ende finden werde. Diesem Ziel wollte er dienen, indem er Geld nach seinem Tode zur Fšrderung dieser Voraussetzungen des Friedens beschaffe. DafŸr wollte er seinen Erfindergeist, seine IngenieursfŠhigkeiten und sein unternehmerisches Talent einsetzen. Wie er sagte, wolle er die menschliche Dummheit und Rohheit verscheuchen. Nur durch mehr technisches Wissen kšnne das Elend der Menschen endlich Ÿberwunden werden. Freilich dachte er auch an die Folgen seiner Erfindung im militŠrischen Bereich und hoffte, dass dadurch auf der anderen Seite der Krieg unmšglich gemacht werde, denn niemand werde so verrŸckt sein, bei einer so gefŠhrlichen HochrŸstung noch einen Krieg zu fŸhren. Er sprach wšrtlich von einer ãAd-absurdum-FŸhrung des Krieges durch seine eigene hšllische Entfaltung.Ò Dieser Teil seiner Hoffnung hat sich freilich nicht erfŸllt, vor allem nicht in der ersten HŠlfte des 20. Jahrhunderts, aber eigentlich wohl auch nicht fŸr die Jahre seither, speziell fŸr unsere konkrete Gegenwart, wo so viele und grausame Kriege zugleich wŸten wie wahrscheinlich noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Von einer Friedensbewegung habe Nobel vor 1892 noch keine Ahnung gehabt, schreibt sie im RŸckblick. Erst Suttner habe er gro§es Interesse darŸber bei ihm geweckt. Sie erinnert sich, dass er sagte: ãWenn ich die †berzeugung gewŠnne, ... dass durch die Liga deren Ziel nŠher gerŸckt werden kšnnte, so wŸrde ich einen gro§en Betrag bestimmen — doch muss ich zuvor Ÿber die Sache erst genau unterrichtet werden. Bekehren Sie mich dazu!" Dazu kommentiert sie: ãSeitdem hielt ich ihn auf dem Laufenden — und die Bekehrung ist gelungen.Ò Offenbar ist nach Suttner die wichtigste Aufgabe der Friedensbewegung, dass durch die Weckung des Gewissens gerade jene faktischen MachttrŠger zu Frieden bekehrt werden, die selbst oft ohne Wissen wesentlich fŸr die Kriege mitverantwortlich sind.

Nobel unterstŸtzte wŠhrend der letzten Jahre seines Lebens Bertha von Suttners Friedensbewegung, so dass Frau Suttner alle Not hatte, manchen VorwŸrfen der …ffentlichkeit zu begegnen, welche spotteten, es sei absurd, dass ausgerechnet der Erfinder des Dynamit und des rauchschwachen Pulvers das Friedenswerk der Bertha von Suttner unterstŸtzte. Bertha konterte, dass schon die Bestimmung, mit dem erworbenen Geld posthum die Wissenschaft zu fšrdern, ein wichtiger Beitrag fŸr den Frieden sei, denn wie sonst als auf der Grundlage der Wissenschaft kšnne einmal der Friede gestaltet werden? Aber dies war ja nicht alles, doch Bertha wusste nicht, sondern bangte stets, ob Nobel wohl auch tatsŠchlich einen Teil seines testamentarischen Preisgeldes fŸr den Frieden bestimmen werde oder nicht. Bertha Suttner, die Nobel laufend gesagt hatte, Nobel solle doch ein Herz haben, hoffte berechtigt, fŸhlte sich darŸber bis zuletzt im Ungewissen.

Wenige Tage vor seinem Tode erhielt Bertha von Suttner einen Brief von Nobel, worin er schrieb: ãHabe ich im figŸrlichen Sinne ein Herz? . . . Das wei§ ich nicht, so viel ist aber sicher, im physiologischen Sinne ist das obbenannte Organ sehr bedenklich krank bei mir"

Am 10. Dezember 1896 starb Alfred Nobel. Doch die Verleihung der Preise hatte noch einige Schwierigkeiten zu Ÿberwinden. Die Verwandten waren freilich nicht erfreut Ÿber das Testament und hofften, in jahrelangen Prozessen und Verhandlungen mšglichst viel, ja am besten das ganze unermessliche Vermšgen des Verstorbenen zu erhalten und unter sich zu verteilen. Letztlich wurde der Wunsch des Erblassers befolgt und der erste Friedenspreis im Jahre 1901 erging nicht, wie Bertha und Arthur erhofft hatten, an die beiden, sondern an die beiden verdienten Persšnlichkeiten Jean Henry Dunant und FrŽdŽric Passy. Passy, den Suttner persšnlich sehr schŠtzte, war der Pionier der franzšsischen Friedensbewegung und der GrŸnder der Interparlamentarischen Union. Doch der Preis fŸr Henry Dunant stie§ auf Kritik bei Suttner. Denn sie sagte, die Hilfsma§nahmen des Roten Kreuzes hŠtten den Eindruck erzeugt, dass der Krieg wieder fŸhrbar geworden sei, weil ja die Schrecknisse gemildert wŸrden. Dabei dachte sie daran, dass in der Schlacht von KšniggrŠtz bereits das Rote Kreuz aktiv war, aber die BrutalitŠt jener Schlacht dennoch nicht geringer war als in der berŸchtigten Schlacht von Solferino. 

Seit dem Tod von Alfred Nobel erhielt die Friedensbewegung keine vergleichbare UnterstŸtzung mehr und die Kosten waren drŸckend. Die Friedensarbeit der Baronin Bertha von Suttner kostete freilich Geld. Suttner war stets bemŸht, standesgemŠ§ aufzutreten, doch die Schulden wurden immer grš§er. Erst durch die Zuerkennung eines Nobelpreises wŸrde sich die finanzielle Lage beruhigen.

Dazu kamen noch Spannungen zwischen den Eheleuten, denn Arthur und eine Nichte verband eine verdŠchtig gute Freundschaft zueinander, welche Bertha wohl nicht zu Unrecht beunruhigte.

Es ist ein eigenartiger Zufall, dass Arthur ausgerechnet am 10. Dezember verstorben ist. Mir kam der Gedanke, es kšnnte die EnttŠuschung eine Rolle gespielt haben, dass auch die zweite Verleihung des Nobelpreises nicht die erhoffte finanzielle Entspannung fŸr das mit Hypotheken belastete Schloss in Harmannsdorf brachte.

Als Bertha von Suttner im Jahre 1904 zu einem Friedenskongress nach Boston, USA, eingeladen wurde, unterstŸtzte ein Bruder von Alfred Nobel die Friedensaktivistin, wodurch ihre Teilnahme ermšglicht wurde. Es folgte eine Reise durch mehrere Staaten der USA mit VortrŠgen in den wichtigsten StŠdten und auch einigen Besichtigungen, wobei sie au§erdem noch einer Einladung beim PrŠsidenten Theodore Roosevelt in Washington folgte. Suttner, die bisher vor allem auf die Friedensbereitschaft des russischen Zaren Nikolaus II. besetzt hatte, bestŸrmte den PrŠsidenten, fŸr den Frieden einzutreten. Der PrŠsident versprach darauf: ãIch werde tun, was in meiner Macht liegt, um die Friedenssache zu fšrdern, [...] Ich verspreche [...] erstens, allen europŠischen Staaten SchiedsgerichtsvertrŠge anzutragen — zweitens, eine Vermittlung einzulenken, um dem abscheulichen russisch-japanischen Krieg ein Ende zu machen — drittens, die Einberufung der zweiten Haager Konferenz zu veranlassen." Nachdem der PrŠsident tatsŠchlich diese drei Versprechen erfŸllt hatte, wurde er auch nach Suttner mit dem nŠchsten Nobelpreis im Jahr 1906 ausgezeichnet.

Bertha von Suttner erhielt am 10. Dezember 1905 als erste Frau der Welt den Nobelpreis und reiste daher im Jahr 1906 nach Oslo, um ihn offiziell persšnlich entgegen zu nehmen, besuchte aber auch Schweden etc.

Bei der †berreichung des Preises fŸhrte sie als BegrŸndung der Notwendigkeit des Friedens unter anderem aus: ãDer stŠrkste aller Triebe, der Selbsterhaltungstrieb, ist gleichsam eine Legitimation dieses Rechtes [auf Leben], und seine Anerkennung ist durch ein uraltes Gebot geheiligt: âDu sollst nicht tšten!Õ ... Doch wie wenig im gegenwŠrtigen Stande der menschlichen Kultur jenes Recht respektiert und jenes Gebot befolgt wird, das brauche ich nicht zu sagen. Auf Verleugnung der Friedensmšglichkeit, auf GeringschŠtzung des Lebens, auf den Zwang zum Tšten ist bisher die militŠrisch organisierte Gesellschaftsordnung aufgebaut.Ò Damit sprach sie sich gegen die allgemeine Wehrpflicht aus.

Schlu§

In den letzten Lebensjahren war Bertha von Suttner eigentlich am Hšhepunkt ihres Lebens, sie war NobelpreistrŠgerin, sie reiste zu VortrŠgen, die finanzielle Situation war immerhin so gŸnstig, dass sie sich gerade noch ein Haus in der Steiermark kaufen konnte. Ein Filmdokument Ÿber sie wurde gedreht, worin sie als quirlige Frau in ihrem Arbeitszimmer werkend gezeigt wird. Ein Friedenskongress in Wien wird fŸr September 1914 geplant und sie ist trotz ihres fŸr damalige VerhŠltnisse hohen Alters von siebzig Jahren an der Vorbereitung mitbeteiligt. Aber Bertha litt an Magenkrebs und die Weltlage lieferte GrŸnde genug, Ÿber die sie sich zu Šrgern und aufzuregen hatte.

Stefan Zweig berichtet darŸber, dass er Bertha von Suttner im Jahr 1913 in Wien auf der Stra§e traf. Es war die Zeit, als Oberst Redl als Spion entlarvt wurde, der sŠmtliche AufmarschplŠne …sterreichs in Fall eines Krieges mit Russland an den Zaren verraten hatte. Denkende Menschen erkannten sehr genau, dass nicht nur in Ostasien und in anderen Teilen der Welt Kriege herrschten, sondern dass sich unter der friedlichen OberflŠche alle Staaten Europas jeweils fŸr den Krieg gegen den anderen wappneten. Der Bericht Ÿber die Begegnung lautet so: ãZufŠllig traf ich ... Bertha von Suttner, die gro§artige und gro§mŸtige Kassandra unserer Zeit. ... Sie schrieb einen Roman ãDie Waffen niederÒ,  der einen Welterfolg hatte, sie organisierte unzŠhlige pazifistische Versammlungen, und der Triumph ihres Lebens war, dass sie Alfred Nobel, dem Erfinder des Dynamits, das Gewissen erweckte, als Entgelt fŸr das Unheil, das er mit seinem Dynamit angerichtet, den Nobelpreis fŸr Frieden und internationale VerstŠndigung zu stiften. Sie kam ganz erregt auf mich zu. âDie Menschen begreifen nicht, was vorgeht.Õ, schrie sie ganz laut auf der Stra§e, so still ... sie sonst sprach. âDas war schon der Krieg, und sie haben wieder einmal alles vor uns versteckt und geheim gehalten. Warum tut ihr nichts, ihr jungen Leute? Euch geht es vor allem an! Wehrt euch doch, schlie§t euch zusammen! Lasst nicht immer alles uns paar alte Frauen tun, auf die niemand hšrt! ... Es steht schlimmer als je, die Maschine ist doch schon im Gang.ÕÒ Zweig schreibt weiter, er habe bald erkannt, wie prophetisch die alte Frau, die in Wien nicht ernst genommen worden sei, die Zukunft gesehen hatte.

Immerhin bemŸhte sich Stefan Zweig dann wŠhrend des Weltkrieges, in VortrŠgen Bertha von Suttner, die BegrŸnderin des Pazifismus begeistert zu loben, ohne von den MilitŠrbehšrden beanstandet worden zu sein und man darf annehmen, dass wohl auch andere, wenn sie wirklich wollten, gefahrlos fŸr den allgemeinen Frieden reden konnten, freilich ohne dafŸr Lob zu erhalten.

Am 9. September 1914, wenige Tage nach seiner AmtseinfŸhrung, rief Papst Benedikt XV. in seiner ersten šffentlichen ErklŠrung Ubi primum die kriegsfŸhrenden MŠchte dazu auf, ãihre Waffen niederzulegen und FriedensgesprŠche zu fŸhren.Ò Allerdings konnte nicht einmal der Papst, der Suttners Parole offenbar aufnahm, sich bei den MŠchtigen Gehšr verschaffen, wie hŠtte es die einfache Baronin aus Harmannsdorf schaffen sollen?

Dennoch scheint sich die Prognose Bertha von Suttners zumindest vorlŠufig bewahrheitet zu haben: ãDas 20. Jahrhundert wird nicht zu Ende gehen, ohne dass die menschliche Gesellschaft die grš§te Geisel, den Krieg als legale Institution abgeschafft haben wird.Ò Sie sagte nicht, der Krieg werde Ÿberhaupt abgeschafft, sondern als legale Institution werde er abgeschafft. Das Všlkerrecht verbietet heute die Angriffskriege und solche sind also illegal.

Diese Regelung, dass Angriffskriege všlkerrechtlich nicht erlaubt sind, welche zumindest bis zur Jahrtausendwende formal gegolten hatte, mšge hoffentlich im 21. Jahrhundert noch verbessert werden, doch derzeit scheint sogar ihre GŸltigkeit fraglich. Aber ein Friedenszustand kann nur bestehen, wenn es der Menschheit kŸnftig besser gelingen wird, gemeinsam dem Frieden den absoluten Vorrang zu geben und vor allem die jungen Menschen, welcher religišsen und politischen †berzeugung sie auch angehšren, wirklich fŸr den Frieden zu begeistern.