Bernd Lötsch:
DARWIN, CHRISTUS UND
EIN KARDINAL
Zur
neuerlichen Evolutions-Debatte zwischen Kirche und Wissenschaft.
Ich habe in dem ad
hoc Radio Interview, für das ich nur 10 Minuten Vorbereitungszeit
hatte und das
dann natürlich stark gekürzt wiedergegeben werden musste,
weder die Absicht
gehabt, den Kardinal zu kompromittieren, noch mich als
naturwissenschaftlich
geprägter „Parade-Atheist“ gegen die Kirche ausspielen zu lassen,
denn ein
solcher bin ich nicht. Gewiss bin ich
schon durch den Sponsionseid dem
verpflichtet, was ich für die Wahrheit halte und sollte auch
stellvertretend
für die wissenschaftliche Gemeinschaft sprechen. Ich tat dies
durchaus
selbstkritisch – etwa mit dem Hinweis, dass sich selbst
Hochschulbiologen
unbewusst dem Eindruck planvoller Prozesse in der Lebensentfaltung
nicht ganz
entziehen können – wenn sie bis heute vom „Bauplan“ der Mollusken,
Knorpelfische oder Säuger reden oder ökologische Nischen von
Arten mit
„Planstellen“ der Natur vergleichen. Ich hoffte, auch zeigen zu
können, dass
einen das biologische Evolutionsgeschehen selbst als
Naturwissenschaftler nicht
daran hindere, von Jesus fasziniert zu sein (wie auch ich es bin),
gleich ob er
der menschlichste Gott oder der göttlichste Mensch war, der je
unter uns
weilte. Immerhin zieht er seit 2.000 Jahren weltweit seine Spur.
Während
Kardinal Schönborn aus dieser hoffentlich ähnlich empfundenen
Faszination von
Jesus glaubt, die Evolutionstheorie rund um Gott entwickeln und an
diesen
anpassen zu müssen (Intelligent Design) können für mich
der göttliche Mensch
(oder menschliche Gott) Jesus und die Evolution nebeneinander auch so
koexistieren.
Wenn er Gott war, dann jene seiner Erscheinungsformen, die sich auf den
Menschen bezog. Die Entstehung des Universums und die Evolution waren
ihm keine
Bemerkung wert.
Viele Christen sehen in der Vielfalt, Schönheit und
Angepasstheit der Organismenwelt einen Ausdruck eines allwissenden,
allmächtigen
und liebenden Schöpfers. Wer aber die unsägliche Grausamkeit,
die täglich
millionenfach stattfindenden sinnlosen Leiden unschuldiger
Geschöpfe kennt, aus
welcher die so göttlich anmutende Ordnung des Lebendigen in
Wahrheit immer von
neuem emporwächst, kann zwar den großartigen Entwurf (the
grand design)
bewundern – aber die Intervention eines liebenden
persönlichen Gottes vermag er darin nicht zu erkennen.
Dies beschäftigte bereits Darwin mehr als die meisten
wissen. Denn nach einem (abgebrochenen) Medizinstudium war die einzig
abgeschlossene Ausbildung Darwins die Theologie. Er beabsichtigte ja,
sich nach
seiner Weltreise als Landpfarrer niederzulassen. Auf die ihn und unser
biologisches Weltbild verändernde fünfjährige
Forschungsreise mit der Beagle,
mit dem bibelfesten Kapitän Fitzroy, kam er nur wegen seiner
enormen
Kenntnisse, die er sich als Amateur“naturalist“ mit Jagd, Lektüre,
Tier- und
Pflanzenbestimmung und weit überdurchschnittlicher
Beobachtungsgabe schon früh
erworben hatte. Seine langsame, von ihm selbst, staunend – fast
widerwillig –
akzeptierte Erkenntnis des Artenwandels, die ihm während der
Weltenumsegelung
dämmerte (z.B. 1835 auf Galapagos) und durch Auswertung des
umfangreichen
Sammlungsmaterials zur Gewissheit wurde traf ihn unvorbereitet. Erst
dann spielte das Studium der
Domestikation, einer
Veränderung von Arten durch Auslese innerhalb der von Menschen
überschaubaren
letzten Jahrtausende eine wichtige Rolle auf dem Erkenntnisweg. Genetik
und die
Erkenntnis von „Mutationen“ als Schreib- und Kopierfehler der
Erbinformation
war noch nicht entwickelt und Charles war im Grunde seines Herzens
durchaus
auch „Lamarckist“, das heißt von der Möglichkeit einer Vererbung
erworbener
Eigenschaften noch überzeugt. Es ist selbst für moderne
Biologen immer
wieder verführerisch, auch solche Mechanismen anzunehmen, wenn sie
mit dem
völlig ziellosen Würfelspiel von Mutation und Selektion als alleinigem
Evolutionsprinzip unzufrieden sind.
Der Einwand, dass die Domestikation nur eine Abwandlung
von Arten aber keine Neuentstehung erbracht habe, stimmt, ist aber eine
Tautologie. Denn „Art“ wird als Fortpflanzungsgemeinschaft definiert
und die
Fortpflanzungsgemeinschaft mit der Ausgangsform war eine Voraussetzung
der
„Erzüchtung“ der domestizierten Formen. Eine Mutation welche die
Kreuzbarkeit
mit der Herkunftsart bzw. mit dem Genpool des gesamten Zuchtgeschehens
unterbände,
hätte keine züchterische Zukunft gehabt, hätte zum
Abbruch der Zuchtlinie
geführt. In der natürlichen Evolution hingegen, wo
Mechanismen wie
geographische Isolation zu genetischer Isolation führen konnten,
ist dies etwas
anderes.
Doch zurück zu Darwin und warum er den
„persönlichen“
Gott seiner Theologieausbildung allmählich verlor: Wenn ein Mensch
leidet,
meinte er sinngemäß, könne man hinter diesem Leiden
innerhalb des religiösen
Menschbildes mit Seele, Unsterblichkeit und einen Tod als Wechsel der
Welten
noch einen Sinn vermuten (göttliche Prüfung, Schicksalswende
zum Wesentlichen,
Sühne, Ausgleich im Jenseits, etc.)
Was aber ist der Sinn des so häufig beobachtbaren
Leidens
der unschuldigen Kreaturen, wie es uns in der belebten Natur so
tausendfältig
begegnet? Das sollte ein liebender Gott sein? Dies lies Darwin zu Gott
auf
Distanz gehen. Er erkannte ihn als Uhrmacher des Universums und der
Lebensgesetze an, hielt seine Rolle für die Schöpfung damit
aber auch schon für
erledigt. Er litt selbst darunter, beklagte, dass das
naturwissenschaftliche
Denken, das für alles rationale Beweise braucht, ihn zunehmend an
religiösen
Empfindungen hindere, wie auch seine Fähigkeit zum Kunstgenuss
allmählich
zurück gegangen sei. Vor allem scheint er das Gebet vermisst zu
haben. Es gibt
dazu einen berührenden Briefwechsel mit seiner Frau Emma.
Jedenfalls wollte er
keine Kontroversen mit der Kirche – die führten seine
Freunde und Schüler wie Thomas Henry Huxley (1825-1895) in
England („Bulldogge Darwins“) oder der streitbare Ernst Haeckel
(1834-1919)in
Deutschland.
Ich habe in dem raschen Kurzinterview darauf hingewiesen,
dass der orthodoxe kompromisslose Neodarwinismus viele Biologen im
Laufe ihres
Reifungsprozesses unbefriedigt lasse. Hier sei das Problem aber weniger
die
Frage göttlicher Interventionen, sondern der „Vererbung erworbener
Eigenschaften“, das heißt, wieweit sich physiologische
Erfahrungen Hunderter
von Generationen nicht doch in irgendeiner Form unterschwellig dem
Erbgut
mitteilen könnten. Darwin selbst war kein „Darwinist“ im heutigen
Sinn, sondern
auch „Lamarckist“, der solche zielgerichtet wirkende Mechanismen –
zusätzlich
zum blindzufälligen Spiel von Variation und Selektion – in
Betracht zog. Wir
sollten aber über all dem nicht vergessen, dass das, was wir heute
als planvoll
wirkende Ordnung des Universums bestaunen, erst aus Millionen von
Katastrophen
hervorgegangen ist – dass das Universums vor Milliarden Jahren ein
Schlachtfeld
von kosmischen Kollisionen, Explosionen und Eruptionen war, und dass
wir heute
nur jene Planetenbahnen sehen, die aus all dem übrig geblieben
sind. Ebenso
wissen wir, dass die heute hoch angepasst und vernetzt wirkende Ordnung
des
Lebendigen aus Millionen von Fehlkonstruktionen emporgestiegen ist,
deren Reste
wir punktuell als Fossilien auf dem Abfallhaufen der Erdgeschichte
finden.
Ich glaube, dass eine nach inneren Zwängen aus Versuch
und Irrtum und vielleicht zusätzlichen Mechanismen (gentic shifts,
etc.) –
ablaufende Evolution, keinen Widerspruch zum wahrhaft christlichen
Gott- Mensch
Bezug rund um das Phänomen Jesus bilden muss. Hunderte Millionen
Jahre verlief
die Evolution des Lebens zu immer höherer tierischer Intelligenz,
ohne dass
dabei das Problem „Gut/Böse“ oder „Verantwortung“ entstand. Die
Tierwelt war eingebettet
und gesichert in einem Netzwerk von Trieben und Instinkten. Kein Tier –
auch
nicht das Intelligenteste – kann mehr als es darf.
Erst mit dem Homo sapiens sapiens vor rund vierzigtausend
Jahren tritt eine völlig neue Dimension auf – ein Wesen, das aus
der
instinktgesicherten tierischen Existenz herausgewachsen, plötzlich
mehr kann
als es darf, mit der „Frucht der Erkenntnis“ (seiner wahren
„Erbschuld“) auch
Verantwortung erhält, Gut und Böse unterscheiden muss.
Die Evolution hat mit ihm einen Punkt erreicht, wo sie
sich ihrer selbst bewusst werden konnte, durch ein Wesen, das ausbricht
aus dem
bisherigen instinktgesicherten Naturgeschehen, ja mehr noch: ein Wesen,
durch
welches alles Bisherige außer Kontrolle zu geraten droht, das
sich selbst das Leben
zur Hölle machen kann, das dem Fortbestand intelligenten Lebens in
der belebten
Kruste des Mutterplaneten aus eigener Kraft gefährden kann.
Hier ist es selbst für hart gesottene
Naturwissenschaftler verführerisch darüber nachzudenken,
wieso an diesem Punkt
ein Gottmensch oder Menschgott auftritt, dessen Strahlkraft und Lehre
wie eine
Korrektur für die aus dem Ruder laufende Evolution wirken
könnte: die fast bedingungslose Liebe.
Verführerisch der Gedanke, dass dies gerade an einem
Punkt der Menschheitsentwicklung einsetzt, an welchem erstmals eine
globale
Verbreitung, jedenfalls in der alten Welt möglich wird – durch
schriftliche
Aufzeichnung und kontinentale Migrationen, wie sie das römische
Weltreich
innerhalb relativ kurzer Zeitspannen vermochte.
Mit diesen Gedankensplittern lasse ich es genug sein –
ich meine nur, dass die Kirche sich weiter und wieder verstärkt
mit diesem zutiefst
menschlichen Kernbereich zu befassen hätte, statt in die kosmische
und biologische
Evolution hinein zu lehren.
Dabei stimme ich mit dem Kardinal völlig überein,
dass
die Gelehrtenwelt, sowohl in ihren gängigen Ansichten zur
Lebensentstehung als
auch zur Evolution ebenso viele Glaubenelemente braucht, wie jemand der
an die
Interventionen einer schöpferischen Instanz glaubt. Der
gläubige Atheist ist
ein Glaubender.
Der Kern des Christentums aber liegt – wie ich zu zeigen
versuchte – jenseits dieser Kontroverse.