Vor einem sechsten Kondratieff ?

 Aufstieg und Abstieg von Technologien

 Konrad Ratz 

Schumpeters Auffassungen über die Rolle der Innovation für das Wirtschaftswachstum wurden durch die Innovationsforschungen von.Mensch (1975) bis Nefiodow (1996) bestätigt: Innovationsflauten im Unternehmensbereich lösen Depressionen aus. Die Innovationsbereitschaft der Wirtschaft wächst jedoch im Konjunkturtal. Die von Utterback (1994) untersuchten Fallbeispiele zeigen, wie ein sich auf dem Markt durchsetzendes dominantes Design die innovatorische Aktivität bremst. Künftige Basisinnovationen sind zwar wahrscheinlich, jedoch konkret weiterhin nicht voraussagbar. Innovatorische Suchprozesse im Unternehmenssektor und eine diese fördernde Innovationspolitik des Staates sind die besten Voraussetzungen für einen rechtzeitigen Einstieg in Zukunftstechnologien.

1.

Durch die moderne Innovationsforschung haben sich die Vorstellungen über die Triebkräfte des wirtschaftlichen Wachstums und des Konjunkturzyklus in eine Richtung bewegt, die Schumpeter bereits 1912 eingeschlagen hatte: Er hatte die kreative Zerstörung durch Innovation beschrieben. Dies hatte aber spätere Wachstums- und Konjunkturtheorien zunächst nicht nennenswert beeinflußt.[1] Einer der Gründe dafür mochte gewesen sein, daß Schumpeter von einem idealtypischen Innovator-Unternehmer ausging. Innovationen waren für ihn persongebundene, elitäre, heroische Leistungen. Der Schumpetersche Unternehmer ist zwar nicht unbedingt selbst Schöpfer neuer Technologien, doch greift er neue produktive Kombinationen auf und führt sie ein.

 Schumpeters Vorstellungen über den Innovator-Unternehmer könnten, wie sein Biograph März (1983) meinte, auf die österreichischen Wirtschaftsverhältnisse des ausgehenden 19. Jahrhunderts zurückgehen, in denen „die Antithese vom Unternehmer und der großen Masse der statischen Wirte sozusagen in der Luft“ lag. Dies bedeutet aber nicht, daß diese Vorstellung nicht auch für viele andere damalige Volkswirtschaften ihre Gültigkeit besessen hätte. Sie ließ aber im Zwischenkriegseuropa mit seiner totalitären staatlichen Wirtschaftsplanung und in der späteren Nachkriegszeit mit ihrem wohlfahrtsstaatlichen Versorgungsdenken offenbar political correctness vermissen.

 

Ein Extrembeispiel dafür war der Leiter des Moskauer Konjunkturforschungsinstitutes, Kondratieff , der 1926 im deutschen Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik seinen bahnbrechenden Artikel über die langen, durch Basisinnovationen bedingten Konjunkturwellen veröffentlichte. Er wurde 1938 in der stalinistischen Diktatur wegen antikommunistischer Agitation zum Tode verurteilt. Die Betonung marktwirtschaftlicher Eigengesetzlichkeiten war in der sowjetischen Kommandowirtschaft lebensgefährliches Abweichlertum. Schumpeter aber nahm die Kondratieffschen Ideen als Beweis für seine eigenen Auffassungen. Er prägte den berühmt gewordenen Satz: „Die Innovationen tragen den Kondratieff“.[2]

 

Der heute wieder aktuelle Begriff der entrepreneurship bestätigt, daß Schumpeters umstrittener Unternehmerbegriff doch für einen wesentlichen Aspekt der Wirtschaft, nämlich die technologische und organisatorische Neuschöpfung, aussagekräftig ist. Dazu paßt, daß Schumpeter als Erfolgsvoraussetzung für die Innovation auch die Kreditschöpfung anführt. Ihr Fehlen sei hauptsächlich an den Wirtschaftskrisen schuld. Damit nahm er offenbar die Risikoscheu der Banken aufs Korn - ein auch heute aktueller Vorwurf.

 Die Aufgabe des Unternehmers ist nach Schumpeter die diskontinuierliche, qualitative Veränderung der Produktionsweise. Solche Innovationen treten scharenweise auf, eine Sicht, die Mensch (1975) durch seine statistischen Analysen von Innovationsschwärmen bestätigt fand. Dies würde auch erklären, warum sie die makroökonomischen Konjunkturwellen stark beeinflussen.

 März (1983, 35 ff.) hält den Schumpeterschen Unternehmer für das Produkt der zeitlich begrenzten „kapitalistischen (Epoche, denn) in jüngster Zeit wird die Einführung produktiver Kombinationen immer mehr zu einem routinemäßig betriebenen Geschäft, für das nicht mehr der einzelne Unternehmer, sondern ein Team von manageriellen Spezialisten zuständig ist. Der Fortschritt wird sozusagen automatisiert und entpersönlicht“. Das Phänomen der Routineentwicklung (Produktpflege) in Teamarbeit ist bekannt. Es scheint aber vor allem für die Spätphasen von Innovationszyklen typisch zu sein. In diesen kommen nach dem Höhepunkt einer Basisinnovation nur mehr Subinnovationen (Schmookler, 1966) oder Scheininnovationen (Mensch, 1975) zustande. Wenn selbst Schumpeter daher meinte, die Kollektivisierung der Unternehmerfunktion führe letztlich zum Absterben der kapitalistischen Produktionsweise, so dürfte er nur insofern recht gehabt haben, als dieses Phänomen den Weg ins Technologische Patt (Mensch) charakterisiert. Aus diesem hat es aber bisher immer Auswege gegeben.

2. 

Heute gehen Basisinnovationen fast nie auf Leistungen einzelner Unternehmer zurück, sondern sind das Ergebnis langer Prozesse, bei denen sich - in einer Art Stafettenlauf - Innovatoren (Erfinder und Unternehmer) aus verschiedenen Wissenszweigen und Branchen abwechseln. Damit ist aber gerade nicht gesagt, daß der Typ des Unternehmers im Aussterben begriffen sei. Bei kleinen und mittleren Unternehmen spielt er weiterhin, wie Betriebsberater oder Forschungsförderungsorganisationen bestätigen können, eine entscheidende Rolle. Aber auch bei Großunternehmen können Verkrustungen der Strukturen (Dinosaurierphänomen) durch Aufgliederung in Profit-Centers, Ausgliederung von autonomen Spin-off-Firmen usw., also durch Aufwertung der innovativen Unternehmerfunktion, die uni- oder multipersonal sein kann, aufgelockert werden, denn: „The most discouraging fact of big corporate life is the loss of what got them big in the first place: Innovation“ (Peters/Waterman, 1982, 22).

 

 Schumpeters Vorstellung von der Innovation als wichtiger Triebkraft der Wirtschaftsentwicklung und ihrer Zyklen ist durch die moderne Innovationsforschung wieder zur Diskussion gestellt, aber auch in vieler Hinsicht differenziert worden. Wie immer man die Rolle des innovativen Unternehmers im Wirtschaftsgeschehen bewerten mag, so scheint doch eines festzustehen: Die in der Wirtschaft sich abspielenden Basisinnovationen verlaufen diskontinuierlich, in großen Schüben, während die vorangehenden wissenschaftlichen Basis-Inventionen flachere Verläufe zeigen. Ernten und Mißernten auf den Feldern der wissenschaftlichen Erkenntnis divergieren nicht so kraß wie Innovationsschübe von Innovationsflauten im Unternehmenssektor (G. Mensch, 1975, 170 ff.).

         Abbildung 1: Basis-Inventionen und Basis-Innovationen 1850-1960 ff

                                                             

 G. Mensch konnte auch nachweisen, daß Innovationsflauten der Wirtschaft keineswegs das Echo auf Inventionsflauten der Wissenschaft darstellen. Die Schuld an technologischen Pattstellungen der Wirtschaft kommt nicht der Wissenschaft zu, die zu wenig anwendbare Ideen vorgebe, wie im Streit um Förderungsbudgets gelegentlich behauptet wird. Vielmehr besteht in der technologischen Pattsituation das Paradoxon der ungenutzten Technologien (Ideenstau in Universitäten, Forschungszentren, ja Firmenlabors). Solche Ideen werden deshalb nicht angewendet, weil die zur Umsetzung befähigten Kräfte an ihren Nutzen (noch) nicht glauben. Abbildung 1 zeigt, daß die meisten Basisinnovationen, die schubartig Mitte bis Ende der dreißiger Jahre zum Tragen kamen, in den Goldenen zwanziger Jahren vorhanden waren, aber erst in der Zeit der Großen Depression genutzt wurden. Offenbar regt ein Konjunkturtal die Innovationsbereitschaft wirksamer an als fette Jahre.

„Nur Basisinnovationen können eine Depression verhindern oder gegebenenfalls abbauen“ (Mensch, 1975, 83). Aus dieser Grundannahme folgerte Mensch sein Metamorphose-Modell:  

Zur Distanzierung kommt es z. B., wenn eine Technologie als gefahrvoll empfunden wird[3] oder wenn eine Neuentwicklung schlagende Vorteile gegenüber der herkömmlichen Technologie aufweist (etwa das Faxgerät gegenüber dem Fernschreiber). Das Schwanken der Nutzer zwischen der alten und der neuen Technologie läßt sich auch statistisch als Nachfrageoszillation feststellen, die als Todesbote das Absterben reifer Technologien ankündigt (Pistorius/Utterback, 1996).

 

Man kann allerdings aus der Kenntnis des Innovationszyklus keine monokausale Erklärung des Wirtschaftswachstums und der Konjunkturschwankungen ableiten. Obwohl Schumpeters Feststellung, „Die Innovationen tragen den Kondratieff“, unbestreitbar ist, stellen geldliche, zinsmäßige, psychologische, wirtschaftspolitische und andere Faktoren, die sich z.T. in eigenen kumulativen Prozessen entwickeln, ebenso wichtige Kräfte für Innovationsschübe dar. Da diese finanziert werden müssen, wird in der Rezession nicht nur vom Unternehmenssektor, sondern auch seitens des Kreditapparats bzw. der finanziellen Förderungsorganisationen der öffentlichen Hand besondere Risikobereitschaft erforderlich sein, um den Griff auf ungenutzte Ideen zu ermöglichen. Eine Strategie ist jedenfalls zum Scheitern verurteilt: der Versuch, Ideen erst zu generieren, wenn man glaubt sie zu brauchen. Mit diesen Einschränkungen soll nunmehr ein Blick auf die Eigengesetzlichkeit von Innovationen geworfen werden.

3.

Die Eigengesetzlichkeit technischer Innovationen: Von der Schreibmaschine zum Personal Computer

 Bei aller Einbettung technischer Innovationen in das wirtschaftliche, ökologische und soziale Umfeld hat deren Entwicklung auch eine gewisse Eigengesetzlichkeit. Diese ist in jüngster Zeit vor allem von Utterback (1994) anhand von Branchenbeispielen aufgezeigt worden. Allerdings führt auch diese Eigendynamik sehr bald in Situationen, in denen das genannte Umfeld als förderliche oder hinderliche Kraft voll wirksam wird.[4]

 

Bezeichnenderweise wurde die erste brauchbare Schreibmaschine von einem

potentiellen User, dem Journalisten Christopher Latham Scholes, entwickelt. Als dieser 1868 darauf ein Patent erhielt, hatte die Telegraphie ihren Siegeszug bereits angetreten. Scholes hatte hier auf eine bereits bewährte Technologie, die Mechanik der Tastatur, zurückgreifen können. Über einen Agenten gelangte die Erfindung an die Remington Company, die im amerikanischen Bürgerkrieg mit der Waffenherstellung hohe Gewinne erzielt hatte, nun aber an Diversifizierung dachte. 1873 übernahm Remington die exklusive Fertigung der Schreibmaschine, nachdem sie diese von zwei Spitzentechnikern zum industriellen Prototyp hatte entwickeln lassen. Die 1874 auf den Markt gebrachte Remington No.1 hatte den Nachteil, daß die Typen das Papier innerhalb des Gehäuses, also unsichtbar, beschrifteten, und nur Großbuchstaben druckten. Der Benützer, meist ungeübt und daher höchst fehlerhaft tippend, erlebte auch oft, daß seine Briefe bei seinen Geschäftspartnern als junk mail ungelesen in den Papierkorb wanderten. Die Umsätze der ersten Zeit ließen daher zu wünschen übrig. Erst als 1878 Groß- und Kleinschreibung möglich wurden, begann ein Aufstieg, der nun aber auch zahlreiche Konkurrenten auf den Plan rief . Die neue Entwicklung revolutionierte den Bürobetrieb, indem sie einen neuartigen Beruf ins Leben rief, den der Stenotypist(inn)en. 1890 waren diese noch zu noch 36 Prozent Männer, 1920 bereits zu 92 Prozent Frauen.

 

Wie es zum nichtalphabetischen Buchstabenfeld kam, ist strittig. Der Theorie, daß Scholes, der auch Druckereierfahrung besaß, sich nach der statistischen Verwendungshäufigkeit bestimmter Lettern richtete, steht etwa die Meinung gegenüber, daß durch die Buchstabenanordnung möglichst vermieden werden sollte, daß benachbarte Typen nacheinander angeschlagen wurden und sich verklemmten. Die in den USA übliche QWERTY-Tastatur setzte sich im Laufe der Zeit durch (David, 1985). Die Benützer identifizierten sich mit dieser Anordnung so sehr, daß selbst ergonomisch verbesserte Tastaturen keine Chance hatten: Als sich das rapide Wachstum des Marktes für die Schreibmaschine zeigte, stimulierte dies den Wettbewerb. Dabei kam es nicht nur zu Billigversionen, sondern auch zu neuartigen, wenn auch nicht immer erfolgsträchtigen technischen Variationen: Z. B. benützte der Yost Caligraph für Groß- und Kleinschreibung keine Schalttaste, sondern zwei verschiedene Tastaturen, eine Konstruktion, die allerdings im Schnelligkeitswettbewerb unterlag.

 

Die wahre Bedrohung der Vormachtstellung der Remington-Konstruktion ergab sich aber erst durch die Erfindung des für den Benützer sichtbaren und daher sofort korrigierbaren Anschlags. Underwood produzierte Karbonfarbbänder, kaufte diese Entwicklung vom Erfinder Franz X. Wagner und brachte sie 1895 auf den Markt. Die Entwicklung war ein voller Erfolg, was Remington gefolgt von immer zahlreicher werdenden Konkurrenten dazu brachte, die Underwood-Konstruktion ebenfalls zu übernehmen. Marktbeherrschend blieben jedoch Underwood, Remington, Royal und L.C. Smith & Brothers. Mit der Erreichung des dominierenden Design (Utterback, 1994) nahm die Innovationsfreudigkeit schlagartig ab, viele Mitbewerber gaben das Rennen auf und die verbliebenen großen Hersteller trachteten, durch Verfahrensverbesserungen und Kostenreduktion ihre Marktanteile zu halten.

 

Die nächste Phase, das Elektrozeitalter der Schreibmaschine, begann 1933, als mitten in der Weltwirtschaftskrise der Büromaschinenhersteller IBM die kleine Firma Electrostatic Typewriters aufkaufte. Auch Remington und Underwood hatten sich schon seit 1925 erfolglos mit der Konstruktion elektrischer Schreibmaschinen beschäftigt. Im Zweiten Weltkrieg mußten sich diese Firmen allerdings vorwiegend auf militärische Produktion umstellen, während IBM die neue Entwicklung ungehindert vorantreiben konnte. Auch hier bedurfte es einer langen Anpassung an die Nutzergewohnheiten, zumal die Vorteile der elektrischen gegenüber der mechanischen Schreibmaschine zu Beginn nicht überzeugend waren. Erst 1965 waren über die Hälfte aller Schreibmaschinen in den USA electrics. Zu diesem Zeitpunkt war IBM mit 74 Prozent Anteil der unbestrittene Marktbeherrscher, Remington dagegen figurierte nur mehr unter ferner liefen.

 

In den frühen siebziger Jahren brachte IBM durch Kombination der electrics mit der Digitalrechnertechnik die Textverarbeitungsmaschine (Word Processor) auf den Markt. Der erhoffte Boom traf jedoch nach Anfangserfolgen doch nicht ein. Großfirmen, welche auf die neue Karte gesetzt hatten, gingen entweder zugrunde (Wang) oder zogen sich zurück (Exxon, ITT und AT&T). Der Grund für den mangelnden Erfolg war, daß der unzweifelhafte Nutzen der Textverarbeitung nur speziellen Nutzergruppen zugute kam, nämlich solchen, die entweder große Mengen Text neu oder repetitiv produzierten (Schriftsteller, Anwaltsbüros, Verwaltungsbehörden ).

 

Erst der in den siebziger Jahren aufkommende Personal Computer, der alle Vorteile einer Textverarbeitungsmaschine, daneben aber eine Reihe von features bot, die aufgrund spezieller Software für eine Vielzahl von computerunterstützten Tätigkeiten dienten, eroberte mit Leichtigkeit den bereits für Schreibmaschinen und Textverarbeitungsmaschinen bestehenden Markt. Er gewann aber auch noch Nutzer hinzu, z.B. Studenten, Wissenschaftler und Haushalte, in denen sie nicht nur als Buchhaltungsbehelfe und Archiv, sondern auch der Unterhaltung diente. Die mögliche Vernetzung mit einer Vielzahl von Geräten, vom Telefax bis zum Synthesizer, tat ein übriges, sie unentbehrlich zu machen. Das Identifikationsobjekt für die Masse der Nutzer war dabei offenbar der bereits durch das Fernsehen populäre Bildschirm. Der 1981 lancierte IBM PC wurde zum dominanten Design. Der mit großem Abstand Zweite im Rennen blieb war Apple Macintosh, zahlreiche Konkurrenten der Startperiode (Commodore, Atari, Texas Instruments) gerieten aber in Schwierigkeiten oder schieden aus.

 

Dieser Rückblick zeigt, wie sehr die Innovationen, die den Weg von der mechanischen Schreibmaschine zum PC markieren, stets auf Nutzung bereits vorhandener, neu kombinierter Technologien aufbauten.[5] Nutzergewohnheiten waren ins Kalkül zu ziehen, so die Qwerty-Anordnung , die auch am PC-Keyboard zu finden ist. Sowohl für die mechanische und die elektrische Schreibmachine als auch für Textverarbeitungsanlagen und PCs bildete sich nach dem Durchprobieren zahlreicher Varianten durch eine Vielzahl von Wettbewerbern ein dominantes Design heraus. Dieses hat nicht nur eine technologische und eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziologisch-psychologische Seite. Letztere besteht aus den verfestigten Vorstellungen darüber, wie ein derartiges Produkt typischerweise auszusehen und zu funktionieren hat. Diese Vorstellungen machen sich meist an einem pars pro toto Identifikationsobjekt (hier: dem Bildschirm) fest.

 

Mit der Verfestigung einer Innovation zu einem dominanten Design wird der Freiraum für weitere technische Varianten enger. Die den Markt und die User-Mentalität beherrschende Technik behindert für geraume Zeit Innovationen im gleichen Bereich. Daß bekanntlich eine bestehende Technologie, bevor sie sich nicht amortisiert hat, von Unternehmern möglichst lange beibehalten wird, ist nur ein Aspekt dieses Phänomens. Beim dominanten Design geht es darüber hinaus darum, daß dieses die Rahmenbedingungen für einschlägige Innovationen und damit die Performanzanforderungen (Produktionstechnik, Preis/Leistungverhältnis) und Eintrittsbarrieren (Markennamen, Vertriebssystem, Normen, Käuferwünsche) so sehr vorgibt, daß der Einstieg neuer Firmen, wenn überhaupt, nur durch weitestgehende Adoption des vorgebenen Systems möglich ist. Das Aufkommen eines dominanten Designs ist daher mit dem Ausscheiden zahlreicher Innovatoren aus dem betreffenden Markt verbunden, der dann für Jahre von wenigen Herstellern beherrscht wird, die sich durch Verbesserungen der Fertigungstechnik und Kostenreduktionen konkurrenzieren.

 Ein dominantes Design kann jedoch durch revolutionierende Neuerungen gestürzt werden. Dazu gehörten in unseren Bereich das sichtbare Schreiben, also die Verlegung des Typenaufschlags in das Blickfeld des Maschinschreibers, die Elektroschreibmaschine und der PC. Derartige Neuerungen kommen nicht immer, aber doch häufig  von Außenseitern der Branche, die aber dabei oft, wie IBM mit der Einführung der electrics auf die bewährte Technologie ihrer eigenen Branche zurückgreifen können. Daß IBM auch beim Personal Computer führend blieb, hängt weniger mit hoher einschlägiger Innovation als damit zusammen, daß die Firma es verstand, das MS-DOS-Betriebssystem und Intel Chips in ihre PCs zu verpacken. Microsoft und Intel übten mit ihren von außen kommenden Technologien die eigentliche innovatorische leadership in diesem Bereich aus.

 

4.

 Entwicklungsphasen innovativer Firmen

 Utterback (1994) weist für Firmen auf drei typische Phasen im Innovationsverlauf hin, die flüssige, die Übergangs- und die spezifische Phase:

In der flüssigen Phase ist durch eine grundlegende Erfindung eines Pioniers eine neue Entwicklung in Gang gekommen. Man weiß aber noch nicht, wohin sie führen wird. Der innovative Wettbewerb setzt ein. Mehrere Pioniere versuchen, verschiedene Produktdesigns auszutesten. Die F&E-Aufgaben sind unstrukturiert, der Kreativität muß ein hoher Freiheitsgrad eingeräumt werden. Da es um Marktakzeptanz geht, muß der Kontakt mit Kunden und Nutzern intensiv sein. In dieser Phase sind kleine und risikofreudige Unternehmen gegenüber großen im Vorteil, weil sie billiger arbeiten und eine Allzweckausrüstung einsetzen können. Gefahren im Wettbewerb drohen vor allen daraus, daß einem Konkurrenten eine bessere Lösung einfällt.

 

Die Übergangsphase setzt mit dem Aufkommen eines dominanten Designs ein. Dieses kann von einem oder auch von mehreren Mitbewerbern gleichzeitig erreicht werden. Damit haben sich die Nutzererwartungen auf ein bestimmtes Produktprofil konzentriert. Für dieses steigt nun die Nachfrage. Die Innovationstätigkeit fokussiert sich auf bestimmte, noch zu verbessernde Produktmerkmale, was meist durch firmeninterne Projektgruppen, die mit Nutzern zusammenarbeiten, geschieht. Die Effizienz des Herstellungsverfahrens gewinnt an Bedeutung. Die Produktionsausrüstung kann durch Spezialmaschinen teilweise automatisiert werden, was sie allerdings verteuert. Wenn einmal ein dominantes Design die Kundenvorstellungen geprägt hat, verlagert sich der Wettbewerb auf die Kosten- und die Qualitätsfrage.

 

Die spezifische Phase ist vor allem durch Strukturierung und Verfestigung gekennzeichnet. Da die Technologie nunmehr - wie ein beliebter Werbeslogan lautet - ausgereift ist, werden nur mehr inkrementale Produkt- und Produktivitätsverbesserungen angestrebt. Oft wird die Innovationstätigkeit auf Zulieferer ausgelagert. Das Produkt wird immer mehr standardisiert, teure Produktionsanlagen werden rentabel. Es wird angestrebt, diese möglichst solange zu nutzen, bis sie amortisiert sind. Die vorhandene Technologie wird damit zum Hindernis für technologische Neuerungen. Hohe Produktionsfixkosten verlangen nach immer weiter steigenden Umsätzen. Marktmäßig wird eine Oligopolstellung angestrebt, bei der sich die Markanteile wenig ändern. Gefährlich für diese Konstellation ist nur das Aufkommen völlig neuer, revolutionärer Basisinnovationen.

 

Selbstverständlich ist jede große Herstellerfirma bestrebt, ihr Produkt rasch zum dominanten Design werden zu lassen. Die dazu angewendeten Strategien beschränken sich keineswegs auf Technologie allein. Vielmehr wird versucht, strategische Allianzen mit ausländischen Großfirmen zu schließen, Regierungen zu beeinflussen, die als Auftraggeber auftreten oder durch technische Vorschriften das Marktangebot einschränken können. Auch durch Werbekampagnen soll das eigene Design als marktbeherrschend dargestellt werden. Wesentlich für den Erfolg ist dabei eine ständige Beobachtung der Kundenreaktionen auf das angebotene neue Produkt. Trotzdem läßt sich nicht im voraus bestimmen, welche Merkmale das letztlich zum dominanten Design gewordene Produkt haben wird.

 

Genau diese Ideenfreiheit regt aber die kreative Phantasie an. Viele Newcomer (zu denen nicht nur Kleinfirmen, sondern auch branchenfremde Großfirmen gehören können) rechnen sich Erfolgschancen aus, solange nicht einer der Bewerber das Rennen gewonnen und Marktdominanz erreicht hat. So steigt die Zahl der potentiellen Innovatoren. Ist aber ein dominantes Design erreicht, ziehen sich immer mehr Firmen aus der betreffenden Branche zurück oder erleiden darin Schiffbruch. Dementsprechend reduziert sich die Zahl der Konkurrenten auf einige wenige, deren Produkte, wenn auch mit Varianten, dem dominanten Design entsprechen.

Wenngleich nicht voraussagbar ist, welche Merkmale ein bestimmtes Produkt im Rahmen einer Innovationswelle zum dominanten Design machen können, kann

eine innovierende Firma sehr wohl erkennen, in welchem System sich ähnliche Produkte oder das Vorgängerprodukt, das durch eine Innovation verbessert oder ersetzt werden soll, bewegen. Durch Marktbeobachtung, namentlich durch Studium der Aktivitäten innovativer Newcomer können verschiedene Lösungsmöglichkeiten für das kommende Produkt festgestellt werden. Diese Vorgangsweise ist oft einfacher als die Analyse von Patenten, da von solchen nur ein geringer Prozentsatz zu tatsächlichen Innovationen führt.[6]

 

Das krampfhafte Festhalten an bisher dominanten, jedoch durch aufkommende Neuentwicklungen bedrohten Technologien kann den Untergang einer Firma oder Branche bedeuten. Zeitverlust im Innovationswettlauf ist tödlich. Ein österreichisches Beispiel dafür ist der bereits in die Wirtschaftsgeschichte eingegangene Fall Eumig (Friedrich, 1987).[7]

 

So verhängnisvoll es ist, an bestehenden Technologien zu kleben, so sinnvoll kann es sein, diese in Neuentwicklungen zu integrieren und überhaupt bestehende Systeme so weit wie möglich zu nutzen. So benützte schon Edison, der 1884 eine Glühlampe entwickelt hatte, die sich sehr bald als dominantes Design herausstellen sollte, die in Großstädten verlegten Gasrohre dazu, die Stromkabel zu verlegen. Da die Bevölkerung an Gasbrenner gewohnt war, nannte er seine Lampe zunächst Elektrobrenner. Übrigens war aber auch er nicht gegen das Festhalten an alten Technologien gefeit. Er arbeitete seit 1884 mit Gleichstrom, weil er Wechselstrom für lebensgefährlich erachtete. Als Westinghouse kurz darauf Wechselstromgeneratoren auf den Markt brachte, empfahl der große Erfinder den amerikanischen Justizbehörden nicht ohne Hintergedanken die Einführung des elektrischen Stuhles, der mit Wechselstrom arbeitete (Utterback, 1994, 75).

 

6.

Die verschiedenen Phasen von Basisinnovationen führen zu jeweils typischen Firmenstrukturen. Dafür bieten technologieorientierte Neugründungen ein gutes Beispiel. Sie arbeiten zunächst mit vollem Einsatz an der Entwicklung eines noch nicht marktreifen Produkts, dessen Merkmale erst in Grundzügen feststehen. Dabei werden zahlreiche konkurrierende Ideen getestet. Die meisten betrieblichen Vorgänge laufen in dieser kreativen Phase informell innerhalb eines in ständiger Kommunikation stehenden Teams ab. Ein Vertriebssystem besteht in diesem Stadium erst in Ansätzen. Was für den Markt das dominante Design ist, ist für das innovative Unternehmen der Prototyp. Während aber das dominante Design ein Ergebnis der Marktakzeptanz sowie der sozialen und ökologischen Eingliederung ist, muß über die Beschaffenheit des Prototyps im Unternehmen intern mit entsprechendem Risiko entschieden werden. Für die Entwicklungsstrategie von Firmen läßt sich aus dem makroökonomischen Wettbewerb bei Basisinnovationen vor allem ein Gesichtspunkt ableiten: Die erstbeste ist nur selten die beste Idee! Erst durch empirisches Durchprobieren (Durchrechnen) zahlreicher (technischer, wirtschaftlicher und Verbrauchergewohnheiten berücksichtigender) Varianten kann eine optimale Lösung gefunden werden. Dies ist allerdings meist mit einem hohen finanziellen Einsatz verbunden. Don’t aim too low! und Think big! sind daher Prinzipien, die nicht nur für die Festsetzung der Forschungsbudgets in Firmen, sondern auch für die Dotierung der Innovationsförderung durch die öffentliche Hand gelten.

 

Die Prototypfertigstellung stellt einen entscheidenden Einschnitt im Leben einer Firmenneugründung dar. Nun geht es sowohl um die Fertigungsüberleitung als auch um den Markteinstieg. Je mehr sich das Unternehmen vorher Gedanken über Produktion und Vertrieb gemacht hat, desto leichter wird dieser Übergang erfolgen. Insgesamt bedeutet er aber eine Kräfteverschiebung von der Innovation zur Produktion und zum Vertrieb, damit aber auch eine neue Aufgabenstellung für die weitere Innovationstätigkeit. Es geht nun nicht mehr sosehr darum, eine Vielfalt von möglichen Produktideen zu testen. Ein Teil der Kreativität muß nunmehr der Prozeßinnovation für das fertigentwickelte Produkt gewidmet werden. Wichtig ist aber, daß auch dann noch Kapazität für neue Produktideen bleibt.

 

Prognosen aus der Innovationstheorie

 Jede Konjunkturlehre versucht, vergangene Entwicklungen durch bestimmte Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Die Entwicklungslogik bietet Ansätze zur Prognose. Innovationstheorien sind vorwiegend technologisch orientierte Konjunkturtheorien, wenngleich auch das ökonomische sowie das ökologische und soziale Umfeld eine wesentliche Rolle spielen. Auch die Innovationstheorien bilden Ansätze für eine Zukunftsbetrachtung und damit technologiepolitische Perspektiven. Dies läßt sich besonders gut anhand der zwei Jahrzehnte auseinanderliegenden Theorien von Mensch (1975) und Nefiodow (1996) zeigen.

 

Mensch hat die Kondratieff-Zyklen der letzten 200 Jahre untersucht. 1814 bis 1827, 1870 bis 1884/85 und 1925 bis 1939 gab es langfristige Depressionen. In diesen Phasen entstand ein technologisches Patt, d.h., die technologische Entwicklung erwies sich zum damaligen Zeitpunkt als unfähig, durch neue Basisinnovationen die Depression zu überwinden. Eine solche Depression gab es nach Mensch auch in der Mitte der siebziger Jahre. Er stellte 1975 die These auf, daß die damalige weltwirtschaftliche Stagnation durch einen Innovationsschub größten Ausmaßes überwunden werden würde, den er an das Ende der achtziger und den Beginn der neunziger Jahre verlegte, ohne ihn inhaltlich näher umschreiben zu können. In einer Besprechung dieser Arbeit schrieb ich 1975: „Die Frage, wie der von G. Mensch für wahrscheinlich gehaltene Innovationsschub der nächsten Jahre beschaffen sein wird, zumal spektakuläre technologische Änderungen für die nächste Zukunft kaum zu erwarten sind, dürfte ... ihre Antwort darin finden, daß sich zunächst zahlreiche Unternehmen bemühen werden, ihre Produktpalette den geänderten Weltmarktbedingungen anzupassen. Dies wird zweifellos zu einer Belebung der Innovationsbereitschaft überhaupt führen...Diese schafft aber günstige Voraussetzungen für den Durchbruch technologischer Neuerungen“ (Ratz, 1975).

 

Heute wissen wir, daß der von Mensch prognostizierte Innovationsschub von der Informationstechnik (IT) getragen wurde, die eine Revolution in den Möglichkeiten individueller und industrieller Informationsabläufe ausgelöst hat. Zweifellos handelte es sich hier um eine Basisinnovationen, welche die mit der IT befaßten Industrien umsatzmäßig an die Weltspitze katapultiert hat.[8] Dem positiven Beschäftigungseffekt durch gesteigerten Umsatz in der Informatikbranche stehen allerdings Rationalisierungseffekte in fast allen anderen Branchen gegenüber, sodaß dem zweifellos gegebenen Innovationsschub kaum ein Beschäftigtenschub entspricht. Es scheint, daß die Informations- und Kommunikationstechnik eines so grundlegenden, jedoch vorwiegend qualitativen Einflusses auf die Gesellschaft fähig ist, daß derzeit die sozialen Umgliederungen erst begonnen haben, während die Expansion der IT bereits ihren Höhepunkt erreicht hat (Nefiodow, 1996, 126). Namentlich scheint das heute noch übliche Arbeitszeit- und Tarifmodell ein schwer zu veränderndes sozialpsychologisches dominantes Design zu bilden.

 

Nach weitgehender, aber nicht völliger Ausschöpfung des Potentials des fünften Kondratieff - der IT - steht im kommenden Jahrtausend, wie Nefiodow annimmt, ein sechster Kondratieff bevor. Er nennt dafür fünf Kandidaten: Information, Umwelt, Biotechnologie, Optische Technologien (einschließlich der Solartechnik) und Gesundheit. Als gemeinsamen Nenner führt er die psychosoziale Gesundheit an. Dazu zählen Sicherheit, Moral, Ethik, die zur Überwindung der heutigen social deseases wie Verbrechen, Drogensucht und Identitätsverlust beitragen sollen. Ob es dabei nur um eine weitergehende Anwendung der IT geht oder um eine völlig neue Basistechnologie, läßt sich allerdings ebensowenig mit Sicherheit voraussagen, wie man 1975 nach der Prognose von Mensch den Siegeszug der IT voraussehen konnte. Je intensiver aber in der nun wieder aktuellen Rezession die innovativen Suchprozesse einzelner Industrien und des Staates ablaufen, desto rascher könnten die neuen, heute noch unbekannten Pioniere fündig werden.

 

Literatur

 

Bresnahan, T.F./Gordon, R. J. (1997), The Economics of New Goods, Chicago.

David, P. A. (1985), Clio and the Economics of Qwerty, American Economic Review, PaPr, 332-337.

Friedrich, G. (1987), Der Fall Eumig, Wien.

Hartmann, Ch. (1997), Sieben Jahre ..., Finanznachrichten 20/21.

Kondratieff, N. D. (1926), Die langen Wellen der Konjunktur, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 56, 573 ff.

März, E. (1983), Joseph Alois Schumpeter, Forscher, Lehrer und Politiker, Wien.

Mensch, G. (1975), Das technologische Patt, Frankfurt.

Nefiodow, L.A. (1996), Der sechste Kondratieff, Sankt Augustin. bzw. ders. in Österr.Apothekerzeitung 22/2001 bzw. 2002 in München

Paters, J./Waterman, R.H. (1982), In Search of Excellence, New York.

Pigou, A. G. (1927), Industrial Fluctuations, London.

Pistorius, W.I./Utterback, J.M. (1996), The Death Knells of Mature Technologies, MIT Industrial Liaison Program Report, Boston.

Ratz, K. (1955), Neuere angloamerikanische Konjunkturlehren, Diss., Wien.

Ratz, K. (1975), Kommt der große Innovationsschub?, Die Industrie 41 (10. Oktober), 6-11.

Ratz, K. (1979), Zur Überwindung sozialpsychologischer Widerstände bei Innovationsprozessen, Zeitschrift für Ganzheitsforschung 4, 230-241.

Scherrer, W. (1996), Lange Wellen, neue Technologien und Beschäftigung, Wirtschaftspolitische Blätter 2, 132-141.

Schmookler, J. (1966), Invention and Economic Growth, Cambridge MA.

Schumpeter, J.A. (1912), Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Leipzig.

Schumpeter, J.A. (1961), Konjunkturzyklen, Göttingen.

Spann, O. (1930), Die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre, Leipzig.

Utterback, J.M. (1994), Mastering the Dynamics of Innovation, Boston.