Warum die Europäer aussterben

Der Wunsch nach Kindern ist groß, doch er wird zu spät oder gar nicht realisiert. Es herrscht Sorge um die Zukunft: Das Ziel, den Kindern Sicherheit zu bieten, wirkt Geburten hemmend.

WIEN/BRÜSSEL. Die EU-Kommission schlägt Alarm. "Die Union hat keinen demografischen Motor mehr", heißt es in einem Grünbuch zur Bevölkerungsentwicklung. Das bereits bekannte Phänomen des aussterbenen Kontinents soll noch im März - rechtzeitig zum kommenden EU-Gipfel - mit neuen Daten belegt werden. Laut bisherigen Studien ist die Geburtenrate in den 25 EU-Mitgliedstaaten von 2,6 Kinder pro Familie im Jahr 1960 auf durchschnittlich nur noch 1,5 gesunken. In Österreich lag der Wert 2004 bei 1,42.

Doch wo liegen die Gründe? Ist es der Wohlstandsegoismus oder die wirtschaftliche Verunsicherung? Eine vom deutschen Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) im Auftrag der Brüsseler Kommission erarbeitete Studie zeigt, dass die in der öffentlichen Debatte verbreitete Begründung von der eigennützigen Konsumgesellschaft empirisch nicht belegbar ist. Egoistisches Karrieredenken ist nicht der Hauptauslöser für die kinderlose Gesellschaft. Der heute weit wichtiger Grund ist die hinausgezögerte Geburt vieler Paare. Je besser die Ausbildung der Eltern, desto später kommen ihre Kinder auf die Welt. In Österreich liegt das Durchschnittsalter der Mütter von Erstgeborenen mittlerweile bereits bei 27,6 Jahren.

Noch immer ist ein starker Wunsch nach Kindern in der jüngeren Bevölkerung vorhanden. Lediglich zehn Prozent der Österreicher und Österreicherinnen unter 50 Jahren möchten kinderlos bleiben. 24 Prozent der Frauen und 21,1 Prozent der Männer in dieser Altersgruppe wünschen sich sogar mehr als drei Kinder. Doch der Wunsch wird oft nicht mehr in die Realität umgesetzt. Die biologische Uhr tickt so lange, bis sie nach Ausbildung und Etablierung im Beruf irgendwann verstummt.

Gleichzeitig weisen die Experten darauf hin, dass die Familienbildung in Österreich, aber auch in Belgien, Finnland und den Niederlanden "relativ spät beginnt". "Viele der Befragten (unter 50) sehen sich als zu alt für die Geburt eines Kindes an", heißt es in der BIB-Studie, die für 14 EU-Ländern erarbeitet wurde. In Österreich wird das "zu hohe Alter" nach dem Argument "Habe so viele Kinder, wie ich möchte" als zweitwichtigster Grund gegen ein (weiteres) Kind genannt.

In der Befragung wird zwar auch deutlich, dass die Kosten für ein zusätzliches Kind in einigen Ländern eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Familienplanung bildet. Besonders oft wird dies in Estland, Polen und Österreich als Begründung genannt. In Ländern wie Italien oder Finnland spielt das Kosten-Argument aber fast überhaupt keine Rolle.
 

Ein weit wichtigerer Faktor, warum ein Großteil der Bevölkerung ihre Kinder erst sehr spät oder gar nicht mehr bekommt, ist die Verunsicherung durch die instabile Wirtschaftslage. Die europaweite Geburtenstatistik zeigt, dass in Jahren wirtschaftlicher Verunsicherung die Geburtenrate sofort sinkt. Der deutsche Familienforscher Walter Bien kommt in einem Arbeitspapier über den Geburtenrückgang zum Schluss: "Sehr oft ist nicht die Ablehnung von Kindern, sondern das übersteigerte Ideal von einer optimalen Bedingung für das Aufwachsen von Kindern der wirkliche Grund für Kinderlosigkeit."
 

Die potenziellen Eltern wollen ihren Kindern eine sichere Zukunft bieten und wären sogar bereit, sich selbst zurückzunehmen. Auch die BIB-Studie belegt, dass so genannte "individualistische Motive" bei der Familienplanung wenig Bedeutung haben. Motive, wie "Ich könnte das Leben nicht mehr so genießen wie bisher" oder "Ich müsste meine Freizeitinteressen aufgeben" haben bei der Entscheidung gegen Kinder "nur eine untergeordnete Rolle", heißt es in der Studie.
 

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Weniger Geburten 

Presse 18.3.2006 http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=eu&id=546174