Wirtschaftskarten in der Schulkartographie

Zum Stand der Entwicklung in den Schulatlanten

Roman STANI - FERTL (Uni Wien, 2003)

Am Ende der 1980er Jahre fand ein Umbruch in der Darstellung wirtschaftlicher Sachverhalte in der Atlaskartographie statt. Ausgelöst durch die Kritik an der starken Unterrepräsentanz des Dienstleistungssektors in den Wirtschaftskarten wurden Lösungsansätze gesucht und entwickelt, diesen adäquat zu seiner Bedeutung in die Karten des Schulatlas einzubauen. Einer jener Ansätze ist der von W. Ritter [9], der im Österreichischen Unterstufenatlas von Ed. Hölzel [2] umgesetzt wurde. Seit damals sind über 10 Jahre vergangen. Wo befindet sich die Schulkartographie heute? In welcher Form wird Wirtschaft in den aktuellen Schulatlanten dargestellt? Die Antworten auf diese Fragen sollen mit Hilfe einer Typologie der Wirtschaftskarten gefunden werden. Einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der Schulatlaskartographie gibt W. Sitte [10].

1  Typen von Wirtschaftskarten

 1.1 „Klassische Wirtschaftskarte“

Die klassische Wirtschaftskarte versucht eine Zusammenschau der wichtigsten Wirtschaftselemente in einer Karte. Als dieser Kartentyp entwickelt wurde, war die Bedeutung des primären und sekundären Sektors noch eine wesentlich größere, als es der heutigen Situation entspricht. Entsprechend liegt das Darstellungsschwergewicht wirtschaftlicher Faktoren bei diesem Typ in der Landwirtschaft, der Industrie und dem Bergbau. In ihrer Idealform steht die klassische Wirtschaftskarte im Atlas einer gleichmaßstäbigen physisch-geographischen Karte gegenüber, um so den unmittelbaren Vergleich Wirtschaft und Naturraum zu erleichtern. Die Aufbereitung der Thematik erfolgt in analytisch-komplexer Form. Es werden ausgewählte charakteristische Themen eines Wirtschaftsbereiches in die Karte eingebracht, z. B. die Bodennutzung für den primären Wirtschaftssektor, Industrie und Bergwerksstandorte für den sekundären und in den letzten Jahren Fremdenverkehrsorte oder Verwaltungszentren für den tertiären Sektor. Es handelt sich dabei in der Regel um eine überaus dichte mehrschichtige Karte. (s. Schweizer Weltatlas [11] S. 50f, Diercke [5] S. 64f.

.

1.2 Karten wirtschaftlicher Teilbereiche

Hierbei werden wichtige ausgewählte Teilbereiche der Wirtschaft in eigenen thematischen Karten aufbereitet. Ziel ist es, der Bedeutung eines Wirtschaftsbereiches für eine Region gerecht zu werden und diesen herauszustreichen oder als exemplarisches Beispiel diese Thematik als solche aufzuarbeiten. Der Anteil dieses Kartentyps in Atlanten ist in stetigem Steigen begriffen. Er löst die Komplexität der Wirtschaft in Segmente auf oder deckt ergänzende Inhalte ab, die in der klassischen Wirtschaftskarte nicht darstellbar sind. Beispiele in den Atlanten sind etwa: Diecke [5] S. 74 Mitteleuropa - Energiewirtschaft, Hölzel [8] S. 102 Europa - Verkehr, Freytag-Berndt [13] S. 85 Mittelmeerländer - Fremdenverkehr.

.

1.3 Statistische Karten

In ihnen werden wirtschaftliche Kennzahlen (Arbeitslosenrate, Bruttosozialprodukt u. a.), bezogen auf statistische Raumeinheiten, aufbereitet und als Flächen- oder Figurenkartogramme dargestellt. Vielfach ist noch eine zweite Aussageschicht in die Karte einbezogen, um den Aussagewert zu erhöhen. Beispiele hierfür wären Diercke [5] S. 173 Erde -Ferntourismus, Hölzel [8] S. 47 Österreich - Bevölkerungsentwicklung, Freytag-Berndt [13] S. 90 Europa - Arbeitsbevölkerung. Auch die Kombination obiger drei Typen der Aufarbeitung wirtschaftlicher Sachverhalte in Karten kommen in der Atlaskartographie vor.

 2 Aufgaben von Wirtschaftskarten

Die Wirtschaftskarten eines Schulatlas besitzen eine Vielzahl von Funktionen. Einige der wichtigeren seien hier kurz aufgelistet, um einen Eindruck von deren vielfältigen geo- bzw. kartographiedidaktischen Nutzen zu geben.

 

• Sie liefern einen generellen Überblick über die Nutzung des Raumes.

• Sie geben einen Überblick über wirtschaftliche Verflechtungen und das Wechselspiel zwischen Natur- und Wirtschaftsraum.

• Sie greifen aktuelle, dominierende Themen heraus und machen damit Probleme mit ihren Raumbezügen verständlich.

• Sie stellen das wirtschaftliche Gefüge typischer Regionen dar und wirken exemplarisch für ähnliche Gebiete.

· Sie zeigen uns die wirtschaftlichen Verflechtungen von Regionen.

Vergleicht man diese und noch zahlreiche andere mögliche Funktionen von Wirtschaftskarten mit den oben aufgelisteten Kartentypen, so zeigt sich deutlich, dass es die Wirtschaftkarte in einem Schulatlas nicht geben kann, sondern jede Fragestellung mit dem einen oder anderen Typ besser aufbereitet werden kann. Während aber Teilbereichskarten und statistische Karten in der Regel exemplarische räumliche oder thematische Teilbereiche sehr gut darstellen können, sieht sich die klassische Wirtschaftskarte, neben der Forderung einer Zusammenschau der ökonomischen Faktoren, auch dem Wunsch gegenüber, für alle Gebiete der Erde einheitlich gestaltet zu sein, um auch den großräumlichen Vergleich zu ermöglichen und so Ähnlichkeiten bzw. die Verschiedenartigkeit der jeweilig vorhandenen wirtschaftlichen Ausrichtung herausarbeiten zu können. Es wäre wünschenswert, zukünftig ein Konzept einer Wirtschaftskarte zu entwickeln, dass den aktuellen Verhältnissen Rechnung trägt und weiterhin der physisch-topographischen Karte gegenüber steht, um so die Beziehung zum Naturraum herstellen zu können. Das bedeutet, es muss dem tertiären Sektor die inhaltliche Betonung gegeben werden, die ihm entsprechend seinem Beitrag zum BIP bzw. Bruttoregionalprodukt zukommt.

Ein Zusammenziehen dieser beiden Kartentypen, wie es etwa in manchen Atlanten [1] geschieht, ist meiner Meinung nach problematisch, weil :

• die Vermittlung des Naturraumes völlig verloren geht,

• der Atlas des wichtigsten Mittel für die Erfüllung seiner primären und bedeutendsten Funktion, nämlich der Orientierung im Raum, beraubt wird,

• die Karten noch unübersichtlicher werden, ohne eine adäquaten Informationsgewinn zu erzielen.

Es ist ein Faktum, dass sich wirtschaftliche Aktivitäten immer mehr von einer Raumabhängigkeit lösen. So ist es für eine Investmentgesellschaft völlig unabhängig vom Naturraum, wo sie sich letztendlich ansiedelt. Doch gänzlich lösen können sich wirtschaftliche Aktivitäten vom Naturraumbedingungen nicht. Daher ist es auch heute noch notwenig den Zusammenhang wirtschaftlicher Aktivitäten zum Naturraum zu wahren und diese nicht auf rein ökonomische Determinanten zu reduzieren.

3  Formen der kartographischen Informationsaufbereitung

Nachfolgend werden Methoden aufgezeigt, wie thematische Inhalte aufbereitet und kartographisch gestaltet werden können. Dieser Abschnitt ist eine kurze Einführung, um die weitere Entwicklung der Wirtschaftkarten beurteilen zu können.

3.1 Analytische Karte

In analytischen Karten wird ein einziger Inhalt auf einer topographisch stark reduzierten, dem Thema angepassten Grundlage dargestellt. Es ist im Allgemeinen eine recht einfach zu lesende Karte mit nur einer oder zwei Aussageschichten. Beispiele sind Diercke [5] S. 29.3 Österreich -Jahresniederschlag, Ed. Hölzel [8] S. 100 Europa - Bevölkerungsverteilung, Freytag-Berndt [13] S. 44 Österreich - Agrarwirtschaft. Auch die in viele n Schulbüchern vorkommenden thematischen Karten entsprechen vielfach diesem Typ.

 

3.2 Komplex-analytische Karte

Die dargestellten Sachverhalte sind klar verständlich, allerdings befinden sich in der Karte mehrere thematische Aussageschichten übereinander, sodass an die daraus erfolgende Interpretation der Inhalte höhere Anforderungen gestellt werden. Die Karte muss für eine Auswertung erst in ihre Aussageebnen zerlegt und diese dann einzeln interpretiert werden, entweder jeweils für sich alleine oder in Zusammenschau mit den anderen thematischen Schichten der Karte. Viele der klassischen Wirtschaftskarten bis in die 1980er Jahre waren komplex-analytische Karten. (z. B. Ed. Hölzel [2] Deutschland - Wirtschaft)

 

3.3 Synthetische Karte

In diesen Karten ist nur ein Thema behandelt, sodass sich eine kartographisch recht einfache Darstellung ergibt. Synthetisch sind sie dadurch, dass (komplizierte) Sachverhalte zu einem Überbegriff zusammengefasst oder auf eine Maßzahl reduziert sind. Damit kann ein umfassender Informationsgewinn oft erst mit dem Verständnis des theoretischen Hintergrundes für den so dargestellten Begriff erfolgen. So ist beispielsweise eine Darstellung der Weltstädte kartographisch recht einfach zu lösen und deren räumliche Verteilung für den Nutzer aus der Karte leicht wahrzunehmen. Wie eine Weltstadt aber an sich definiert ist, was hinter diesem Begriff tatsächlich alles steckt, ist erst aus der Legende oder durch zusätzliche Informationen fassbar. Weitere Beispiele wären Diercke [5] S. 59.2 Europa – Erwerbsstruktur, Ed. Hölzel [8] S. 104 Europa – Energie, Freytag-Berndt [13] S. 59.1 Österreich - Gewässerbelastung. Hölzel [4] S. 76 Europa – Zentrum und Peripherie. Besonders in der französischen Schulbuchkartographie kommen solche synthetischen Darstellungen als methodisch-didaktisches Resultat eines Erarbeitungsprozesses in Schulbüchern vor. Dort werden diese Ergebnisse als „croquis“ bezeichnet. (Menschik / Sitte Ch. [7])

 

3.4 Komplex-synthetische Karte

Es werden mehrere synthetische Inhalte miteinander kombiniert und in einer Karte dargestellt. So entsteht eine mehrschichtige Karte, die einige Vorkenntnisse und viel Kartenverständnis erfordert. Mit dieser Form der Aufbereitung lässt sich die umfangreichste Information in eine Karte verpacken. Zur Auswertung sind klare Begriffsbildung sowie verständliche Legende und Erläuterungen notwendig. Beispiele dafür sind die von W. Ritter konzipierten Wirtschaftsstrukturkarten in Ed. Hölzel [3] S. 20f Europa – Wirtschaftsstruktur .

4 Umfassende Wirtschaftskarte / Komplette Wirtschaftskarte

Betrachtet man die aktuellen Schulatlanten, so werden darin alle Karten als Wirtschaftskarten betitelt, die sich aus den klassischen Wirtschaftskarten weiterentwickelt haben. Sie wurden um synthetische Inhalte ergänzt, einige analytische Elemente zusammengefasst oder weggelassen. Eine „umfassende Wirtschaftskarte“, die alle großen Teilbereiche der Wirtschaft, vom primären bis zum quartären Sektor, befriedigend abdeckt, ist im gegenwärtigen Entwicklungsstand der Kartographie noch nicht zu finden. Eine Annäherung an einen solchen Kartentyp kann aber sicher nur in Form einer komplex-synthetischen Karte erfolgen. Die Karten zur „Wirtschaftsstruktur“ in Ed. Hölzel [3] gehen eindeutig in diese Richtung. Damit verbunden steht aber die Forderung nach ausgewogenen Wirtschaftskarten, die alle wichtigen Teilbereiche auch in einem ihrer Bedeutung entsprechenden Verhältnis zeigen. Allein, was ist ausgewogen? • Ist es der Flächenanteil der einzelnen Wirtschaftszweige an der Gesamtfläche der Karte? • Ist es der Anteil der Legendenelemente jedes Wirtschaftszweiges? • Ist es der subjektive Gesamteindruck des geographisch geschulten und erfahrenen Betrachters (in unserem Fall einerseits des Bearbeiters und danach des Lehrers und des Schülers) der Karte?

Noch ist in der anhaltenden Diskussion nicht geklärt worden, was als ausgewogen zu gelten hat. Die Hauptproblematik besteht aber vorerst in der Auswahl der repräsentierenden Elemente. Während für den primären und sekundären Sektor sich traditionelle Inhalte seit Jahrzehnten halten (Bodennutzung, Industriestandorte u.a.), ist es für den tertiären und quartären Sektor noch nicht gelungen Kennzahlen und Themen zu finden, die als repräsentativ für diese zu stehen hätten. Trotz über einem Jahrzehnt des Problembewusstseins erwecken die Wirtschaftskarten in vielen auch neuen Atlanten noch immer den Eindruck einer Wirtschaftsstruktur, in welcher der primäre und sekundäre Sektor dominieren. Und noch eine für den Schulkartographen nicht unwesentliche Frage drängt sich auf: Ist es bei der relativen Raumunabhängigkeit eines Finanz-oder Verwaltungszentrums im Gegensatz zum beispielsweise standortabhängigen Bergbau oder zur landwirtschaftlichen Bodennutzung überhaupt möglich, eine Karte mit einer adäquaten gleichwertigen Darstellung der gesamten Wirtschaft zu entwickeln?

5 Ausblick

Kehren wir zur eingangs gegebenen Fragestellung zurück, welche Karten die heutigen Atlanten verwenden, so lassen sich zwei wesentliche Trends ablesen: • Der Anteil an gut lesbaren übersichtlichen Teilbereichskarten nimmt in den Atlanten ständig zu. • Die Entwicklung zu einer ausgewogenen „umfassenden Wirtschaftskarte“ wird von den Verlagen teilweise stark und mit unterschiedlichen Methoden vorangetrieben, ist aber noch nicht mit einem befriedigenden Ergebnis als abgeschlossen anzusehen.

Literatur:

[1] Altemüller F., Knippert U. (1996): Alexander Pro. Klett-Perthes. Gotha und Stuttgart.

[2] Birsak L. (1989): Österreichischer Unterstufenschulatlas. Ed. Hölzel. Wien.

[3] Birsak L. (2000): Hölzel-Themenatlas. Ed. Hölzel. Wien.

[4] Birsak L. et al. (1995): Hölzel-Weltatlas für die Oberstufe. Ed. Hölzel. Wien

[5] Diercke (2000): Weltatlas Österreich. Westermann. Wien. 6

[6] Hüttermann A. (1998): Kartenlesen – (k)eine Kunst. Einführung in die Didaktik der Schulkartographie. Oldenburg. München.

[7] Menschik G., Sitte Ch.: La Géographie française – Nachhilfe für Österreich? In: GW-Unterricht 65, S 48-59.

[8] Neuer Kozenn Atlas (1996): Ed. Hölzel. Wien.

[9] Ritter W. (1990): Neue konzeptionelle Ansätze für die Gestaltung von Wirtschaftskarten in Schulatlanten. In: Schulkartographie. Wiener Symposium 1990. Wiener Schriften zur Geographie und Kartographie. Band 5, S 83-89.

[10] Sitte W. (2001): Schulatlas II. In: Beiträge zur Didaktik des „Geographie und Wirtschaftskunde“-Unterrichts. Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde. Band 16, S. 424-446.

[11] Spiess E. (1997): Schweizer Weltatlas. Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Nachgeführte Ausgabe. Zürich.

[12] Stani-Fertl R. (1995): Physisch-topographische Übersichtskarte und Wirtschaftskarte im Schulatlas. In: GW-Unterricht 59, S. 38-40. Kartenbeispiel hier

[13] Stani-Fertl R. (2001): Unterstufen-Schulatlas. Freytag-Berndt u. Artaria. Wien. 7

_________________________

Mag. Roman STANI-FERTL

ist Berufskartograph, Mitarbeiter bei einem Schulkartographischen Verlag in Österreich und Lektor am Institut für Geographie und Regionalforschung an der Universität Wien