Was tun die kastrierten Finanzminister?  

Bezüglich der Maastrichtkriterien für ein ausgeglichenes Budget

Der Brüsseler Vorschlag zur Verschiebung des Stabilitätspaktziels müßte eigentlich auf bereiten Widerstand treffen,

denn er nutzt nur drei großen Ländern. Eigentlich

Die Presse vom 28.9.2002

Das Raunen unter den Finanzministern der kleineren EU-Staaten hat nicht lange auf sich warten lassen. Denn die vom Brüsseler Währungskommissar Pedro Solbes vorgeschlagene Verschiebung des Zieldatums für ausgeglichene Haushalte von 2004 auf 2006 hat für sie in erster Linie negative Auswirkungen. Selbst in Brüssel kann niemand verschweigen, daß der Vorschlag nur für jene drei großen Mitgliedsstaaten maßgeschneidert ist, die derzeit innenpolitisch bedingt mit der Budgetkonsolidierung nicht zu Rande kommen: Frankreich, Deutschland und Italien.

Schon nach dem abgewendeten Blauen Brief an Deutschland zu Beginn des Jahres stand für die Finanzminister der kleineren Länder fest, daß es eine unterschiedliche Behandlung kleinerer und großer Staaten bei der Einforderung der Euro-Sparziele gibt. "Glauben sie wirklich, ein solcher Beschluß wäre zustande gekommen, wenn es nur um Portugal gegangen wäre", hatte damals Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FP) verärgert erklärt. Auch heute muß Grasser und seinen Amtskollegen in Belgien, Finnland oder Irland klar sein, daß mit zweierlei Maß gemessen wird. Eine solche Sonderregelung wäre nie zustande gekommen, ginge es nicht um drei große Länder.

Der belgische Finanzminister Didier Reynders polterte dieser Tage besonders laut. Er erinnert sich jetzt an schwere Zeiten, als es in seinem Land gute Gründe gegeben hätte, über das staatliche Füllhorn etwas mehr als erlaubt auszuschütten. Etwa im vergangenen Jahr, als die nationale Fluglinie Sabena in den Konkurs krachte. Damals kam aber ein Njet aus Brüssel. Belgien mußte dem Sparkurs und den gemeinsamen Wettbewerbsregeln treu bleiben.

Angesichts der derzeitigen Stimmung unter den Finanzministern kleinerer Länder müßte die Mehrheit in der nächsten Ratstagung eigentlich gegen den Kommissionsvorschlag stimmen. Denn letztlich geht es nicht nur um eine Ungleichbehandlung zwischen Klein und Groß, sondern auch um ein heikles Präjudiz. Nun kann zwar argumentiert werden, daß die Kommission nur den Rest des Stabilitätspakts retten wollte. Doch Brüssel hat mit diesem Schnitt in den Pakt nicht bloß einen kleinen währungspolitischen Aderlaß vollzogen, sondern viele der bisher sparsamen Finanzminister auch innenpolitisch regelrecht kastriert. Denn sie werden nun in ihren Hauptstädten kaum noch Manns genug sein, ehrgeizige Sparziele umzusetzen. Bisher waren die stets wiederholten gemeinsamen Beschlüsse zur Beibehaltung des Stabilitätspakts ihr bestes Argument, um daheim den ausufernden Forderungen ihrer Ministerkollegen einen Riegel vorzuschieben. Doch was nun?

Ob die sich abzeichnende Front der Finanzminister kleinerer EU-Länder aber hält, ist fraglich. Denn bisher haben sie es immer noch beim verbalen Poltern belassen, um schließlich im Sinne einer gemeinsamen Linie klein beizugeben. Auch im Falle von Finanzminister Karl-Heinz Grasser war da so: etwa Anfang des Jahres, als auch er den gemeinsamen Beschluß mittrug, keinen Blauen Brief an Berlin abzuschicken. Und es war auch so, als Grasser einem Treffen im Juni in Madrid fernblieb, wo es um Ausnahmeregelungen für Frankreich für die Erfüllung seiner Sparziele ging. Ein österreichischer Diplomat hatte mit Grassers Wissen auch dieses Abgehen vom Stabilitätspakt letztlich mitgetragen.

27.09.2002 Quelle: Print-Presse