Gastkommentare
Bleibende Probleme und die gnädige Flut
Die Steuerreform wurde von der Flut weggeschwemmt, die Finanzprobleme sind noch da.

GASTKOMMENTAR VON HANNES ANDROSCH
Der Autor ist Industrieller und war von 1970 bis 1981 Bundesminister für Finanzen


Steuerreform als politisches Marketing klingt gut. Dies hieße aber eine Änderung des Steuersystems. Doch davon ist in der gegenwärtigen Diskussion ohnehin nicht die Rede. Wohl sollte es aber als Wahlzuckerl eine Senkung der Einkommens- und Lohnsteuer geben, vornehmlich für den "kleinen Mann". Doch die Einkommensschwächsten zahlen keine bzw. kaum Steuer, sie würden weitgehend leer ausgehen. Aber, welchen Populisten welchen Lagers immer kümmert dies?

Die meisten Steuerbürger wissen allerdings inzwischen, daß solchen wahlbezogenen Erleichterungen in der Regel höhere Belastungen folgen. Inzwischen erreichen wir auf diese Weise eine Rekordsteuerbelastungsquote von 46 Prozent. Trotz der hohen Steuerlast steigt die Verschuldung, insbesondere beim Bund munter weiter, und die Zinsen fressen einen immer größeren Teil der Einnahmen auf.

Die Situation wird noch durch die Hochwasser-Katastrophe verschärft. Es ist verständlich, daß das besonders betroffene Deutschland die schon beschlossene Steuersenkung um ein Jahr verschiebt. Mit gutem Recht darf auch EU-Solidarität eingefordert werden. Erleichtert kann auch unsere Regierung einen Beschluß zur Steuersenkung verschieben. Damit ist auch eines der Streitthemen innerhalb der Regierung zunächst vom Tisch.

Die Reduktion der Abfangjäger-Zahl ist in erster Linie als eine Replik auf das Volksbegehren zu werten. Der Argumentation der Regierung nach stellt sich aber sehr wohl die Frage, ab welchem Pegelstand kein einziger Jet mehr angeschafft werden würde.

Schließlich dient die Flut der Regierung auch dazu, sich vom ohnehin nicht verwirklichten Marketing-Gag des Nulldefizits verabschieden zu können. Insgesamt sind viele Teile eines zunehmend unerträglichen wirtschaftspolitischen Zick-Zack-Kurses der Regierung von der schlimmen Flut gnädig hinweggespült worden. Unsere finanzpolitischen Probleme sind aber um nichts geringer geworden.

Jeder vernünftige Mensch sieht ein, daß staatliche Ausgaben finanziert werden müssen und daher Steuern notwendig sind. Wie hoch diese sein sollen und welche öffentlichen Leistungen erbracht werden müssen, darüber läßt sich sicherlich streiten. Zu hohe Steuern hemmen die Leistungsbereitschaft der Bürger, zu geringe vernachlässigen die öffentlichen Aufgaben. Overtaxation ist leistungshemmend, undertaxation zukunftsschädlich. Dazwischen liegt allerdings ein beträchtlicher Gestaltungsspielraum.

Voll hoffnungsvoller Freude hören wir, daß die Steuerbelastungsquote bis 2010 um mehr als 6 Prozent unter 40 % gesenkt werden soll. Dies entspricht einem Fünftel aller Sozialausgaben bzw. entsprechend geringeren Ausgaben für den öffentlichen Dienst. Die Umsetzung dieser Zielsetzung erfordert daher eine massive Änderung der Ausgabenstruktur und des Ausgabenvolumens der öffentlichen Haushalte.

Wir werden uns also entscheiden müssen, welche öffentlichen Leistungen wir wollen, und welche Eigenleistungen von uns selbst zu erbringen sind. Dabei muß außer Streit stehen, daß unser vorbildliches Gesundheitswesen, ein gutes Bildungswesen und die Pensionsversicherung nicht unter die Räder kommen. Ebenso muß unser wirtschaftspolitischer Spielraum gewahrt oder, besser gesagt, wiederhergestellt werden. Dies erfordert politische Prioritätensetzung. Dazu bedarf es Leadership. Es gilt, alternative Programme anzubieten. Über diese müssen die WählerInnen entscheiden.

Dieser Kommentar drückt die persönliche Meinung des Autors aus.

22.08.2002 Quelle: Print-Presse