Ch. SITTE: Entwicklung des Unterrichtsgegenstandes Geographie, Erdkunde, Geographie u. Wirtschaftskunde an allgemeinbildenden Schulen in Österreich nach 1945. Dissertation an der Grund- u. Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. 1989, 2 Bde

zum Inhaltsverzeichnis hier

Kap. 7.   DER  LEHRPLAN  1989  AUF  DER   A H S - OBERSTUFE

________________________________________________________________

7.1  EINLEITUNG

     Das durch das  Schulvolksbegehren Mitte 1969  geschaffene "Dauerprovisorium" (in dessen Verlauf zwar - siehe vorhergegangenes Kap. 6.1 - mehr als eineinhalb Jahrzehnte  Schulversuche auch an achzehn Schulen  der AHS-Oberstufe stattfanden)  wurde durch die  11. SchOG-Novelle (11. Schulorganisationsgesetznovelle BGBl. Nr. 327 v. 30.6.1988) endlich beendet,  sodaß ab  dem  Schuljahr 1989/90 die ersten Schüler im Anschluß an die reformierte Unterstufe (LPe aus 1985) mit der neuen AHS-Oberstufe konfrontiert sind.

      Der SchOG-Novelle war ein langjähriges politisches Tauziehen um den Kompromiß einer  "neuen"  AHS-Oberstufe  vorangegangen.(Die grundidee einer AHS-Oberstufenreform mit dre Schultypen und Wahlpflichtfächern und einer Fachbereichsarbeit im Rahmen einer reformierten Matura waren schon im Grundsatzpapier der "Neuen Großen Koalition" Mitte Jänner 1987 festgelegt worden - vgl. ARBEITSÜBEREINKOMMEN S. 688). Noch im Jännerheft von GW-UNTERRICHT schrieb W. MALCIK (1987a), daß der Unterrichtsminister der Kleinen Koalition  H. MORITZ im Herbst verlauten ließ, daß die Projektgruppen die in den Schulversuchen erstellten Lehrplanvorschläge auf die alte Stundentafel (da die Parteien sich nicht auf eine neue Organisation einigen könnten)  bis November 1987 adaptieren sollten;  als bleibende Errungenschaft waren damals nur "gestraffte und fachdidaktisch zeitgemäße" Lehrpläne in Sicht, aber keine grundsätzliche  Veränderung mit Wahlpflichtfächern, Maturaordnung etc.  Als "deadline" stand aber schon der Wunsch bzw die Notwendigkeit im Raum, daß die Absolventen der neuen LP auf der Stufe der 10-14jährigen ab Herbst 1989  keinesfalls mehr  nach den  alten LPn aus 1970 weiterunterrichtet werden sollten.

      Erst im Dezember 1987 konnte zwischen den Schulpolitikern von ÖVP und SPÖ die grundsätzliche Einigung über eine  (damals noch) zukünftige 11.SchOG-Novelle und über den Rahmen der entsprechenden Lehrplanverordnung (Stundentafel) erreicht werden.

Nach den jeweiligen Begutachtungsverfahren wurde das Gesetz dann im Juni 1988,  der Lehrplan  am 12.Dezember 1988 verabschiedet (= LP 1989 )  63 Vdg. "Änderung der Lehrpläne der AHS BGBl. v. 7. Feb. 1989 (vgl. http://www.ris.bka.gv.at/auswahl/ )

      Eine durchgreifende Oberstufenreform, wie sie den Oberstufenschulversuchsmodellen vorschwebte wurde nicht erreicht – die beabsichtigte Reform blieb in den Ansätzen stecken. Es entstand ein Gemisch  aus den Resten eines Wahlpflichtmodells  und einem Typenbildungsmodell, mit dem letztendlich in den Stellungnahmen in den Lehrerzeitungen  keine Seite zufrieden  war/ist;  das in dieser Form nicht in den Schulversuchen erprobt worden ist  und das,  wie die Stellungnahmen zeigten, in der Praxis  (besonders ab  1990/91,  wenn die ersten Wahlpflichtkurse  ab der 6. Klasse AHS-Oberstufe dann anlaufen werden) sich so manchen Problemen gegenüber sehen werden wird.

      Um die beiden Pole der Meinungen darzustellen, sei kurz aus zwei veröffentlichten Stellungnahmen zum Entwurf der 11.SchOG -Novelle zitiert:

     Der (ÖVP-dominierte) " Zentralausschuß  beim BMUK  für die Bundeslehrer an allgemeinbildenden Schulen" (GÖD) begründete in seinem Rundschreiben Nr.4/88 (v.21.3.1988) seine Ablehnung  u.a. mit der Kürze des Begutachtungsverfahrens, dem unterschiedlichen Ausmaß der Wahlpflichtgegenstände ( die Stundenzahl von 8 - wie im Gymnasium und im ORG strebte man generell für alle Typen an), und dafür mehr Stunden für typenspezifische Gegenstände etc.

     In der in "ahs-aktuell" (Nr.51/1988) veröffentlichten Stellungnahme des "Fachverbandes sozialistischer Lehrer  an AHS im BSA" wurde hingegen das vom "Zentralausschuß" gelobte Typenmodell abgelehnt, da damit der Entwurf keine Reform, sondern nur eine geringfügige Änderung  im bestehenden System  darstellte; positive Ansätze, wie fächerübergreifender Unterricht, Fächerkonzentrationen in den Bereich der Freigegenstände  und unverbindliche Übungen gestellt worden seien   "und damit meist nur auf dem Papier bestehen"; ferner die zu geringe Zahl der Wahlpflichtstunden (besonders in Gymnasium und Realgymnasium) kritisiert.

           Als Kennzeichen der neu strukturierten AHS-Oberstufe nach der 11. SchOG-Novelle sind zu nennen (BENEDIKT E:1989, S.155):

 * Teilweiser Übergang von differenzierten Oberstufenformen zur Differenzierung via alternativer Pflichtgegenstände

 * offizielle Bezeichnung der "typenbildenden Pflichtgegenstände".

Daraus schälten sich neben dem erhalten gebliebenen ORG nur mehr drei Typen von Oberstufenformen heraus:   "Gymnasium", "Realgymnasium" und  (eigentlich als Nachfolgerin der MädchenRGs) ein "Wirtschaftskundliches Realgymnasium".

 * Die Neueinführung von  "Wahlpflichtgegenständen": 8 Wochenstunden im G,  10 im RG,  12 im WRG.

      Die ursprüngliche Vorstellung der SPÖ nach einer einheitlichen AHS-Oberstufe, wo dann die Wahlpflichtstunden (den Vorstellungen nach 18 Wochenstunden) die Typenwahl bestimmt hätten, gelangte nicht zur Realisierung,  da die ÖVP an der Forderung, die bisher bestimmenden  AHS-Langformtypen beizubehalten  festhielt (siehe auch dazu die verankerung im ARBEITSÜBEREINKOMMEN der Großen Koalition SP/VP).

      Entgegen früheren Lehrplänen sind die 1989 erlassenen LPe - wie schon die für die Schulen der 10-14jährigen- zielorientiert und dadurch im Textumfang länger, was aber nicht eine Vergrößerung des Stoffdruckes bedeutet, sondern im Gegenteil - erst die Zielformulierungen ermöglichen die Sichtung und Lichtung der Stofffülle.

     Die Allgemeinen Bestimmungen, das Bildungsziel der AHS und die Allgemeinen didaktischen Grundsätze des AHS-Unterstufen LPs von 1985 (In BGBl. 88/1985 - vgl. http://www.ris.bka.gv.at/auswahl/) besitzen auch weiterhin für den LP der Oberstufe ihre Gültigkeit.

      Für Geographie und Wirtschaftskunde  erfuhr die Stundentafel folgende Änderung: In den Oberstufen-Klassen 5 bis 8 wird das Fach GW wieder (wie schon im LP 1946 bzw. 1955),  statt mit 2/3/2/1,  durchgehend mit je zwei  Wochenstunden nun in allen vier Oberstufenklassen der AHS unterrichtet.

     Gegenüber dem LP 1970 bedeutet dies den Verlust einer Wochenstunde in der  6. Klasse Oberstufe aber das Hinzufügen einer  zweiten Stunde in der Maturaklasse. Die, bei der Reduzierung von 9 auf 8 Klassen AHS-Schulzeit (von LP 1967 zu LP 1970) geschaffene fächerübergreifende "Arbeitsgemeinschaft" (Kap. 3.3.4.4 ) verschwand wieder.

W.MALCIK (1987b, S.4) schrieb dazu, daß diese sich nur dann als effizient erwiesen hat, wenn beide Fächer (GW und GS) in Personalunion in der 8.Klasse unterrichtet worden sind, was aber nur in den seltensten Fällen aus lehrfächertechnischen und persönlichen Gründen der Fall gewesen war.

      NEU aber ist eine Stundenausweitung für den Unterrichtsgegenstand "Geographie und Wirtschaftskunde" (aufgrund der Wirtschaftskunde) in dem Typ "Wirtschaftskundliches Realgymnasium", wo GW eine Stundentafel von  2 / 2 / 3 / 3  Wochenstunden im für alleSchüler verbindlichen Kernfach zugesprochen wurde. Gemeinsam mit 2 und 2 Stunden des Wahlpflichtgegenstandes GW besteht in diesem Schultyp die  bisher noch nie dagewesene Möglichkeit  GW  in  14  Wochenstunden an einer Oberstufe der AHS zu unterrichten.

Diese Wahlpflichtgegenstände (WPF),als das wichtigste Resultat der langjährigen AHS-Oberstufen-Schulversuche sind in allen drei (mit dem ORG sogar vier) Oberstufentypen  die große Chance - allerdings im Konkurrenzkampf mit anderen Fächern  (besonders "Informatik" und einer weiteren lebenden Fremdsprache) - zu beweisen, einen attraktiven GW-Unterricht, für eine kleine, besonders motivierte Schülergruppe anbieten zu können ! Gegenüber den Schulversuchsmodellen mit einem WPF  "Geographie" und einem WPF "Wirtschaftskunde" besteht aber nur mehr, wie für alle anderen Gegenstände auch nur mehr   e i n   WPF  "GW".   

Gegenüber dem Versuchsentwurf (wo GW nur ein dreistufiges Angebot war) fiel die dort gegebene attraktive Möglichkeit der "Vormatura" am Ende der 7.Klasse Oberstufe weg.  Bei der Matura kam  neu die  (auch für die anderen Fächer existente) Möglichkeit einer schriftlichen "Fachbereichsarbeit" dazu (vergl. FORSTER/ SITTE Ch.:1988 -  bzw. Kap. 11.5 ),  die derzeit sich noch im Erprobungsstadium befindet bzw für die die genauen Durchführungsbestimmungen Mitte 1989 noch ausständig sind.

 Anm. Ch.S. 2002: Mit dem Wahlpflichfach beschäftigte sich eine fachdidaktische Analyse im Proseminar Fachdidaktik der Universität Wien, die auch in der Zeitschrift GW-Unterr. 46 / 1992 (von KICKINGER U., LAMBAUER R.) veröffentlicht wurde. Die wiener Lehrerzeitschrift "GermanistInnen-Forum gab in ihrer Ausgabe Nr. 12 vom Dezember 1997, S. 57 für Wien eine Liste der Zahlenmäßigen Verteilung der Wahlpflichtgegenstände im Schuljahr 1997/98 an: E mit 285 Kursen, Philosophie/Psychologie 198, Geschichte 162, Biologie 141, GWK 74, D 69, BE 63, F 59 Ph 47, CH 24, ITal 20 Rk 20 ...

Für die Fachbereichsarbeiten verweise ich hier auf die Homepage der Wiener GWK-ARGE http://www.brg-pichlmayergasse.at/ag-gwk/fba-i.htm

.

zurück zum Anfang   

weiter zum nächsten Kapitel >>>

Diese Seite steht am Fachdidaktikwebsite des Instituts für Geographie der Universität Wien   http://mailbox.univie.ac.at/Christian.Sitte/FD/

Ch.S. 2001