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[An die Eltern] E 30

[Kierling, Sanatorium Dr. Hoffmann,
Ende April, Anfang Mai 1924]
 


Ich könnte, glaube ich immerfort vom Wetter sprechen und schreiben. Nun ja es ist eben so beglückend, dass sich diese mächtigste aller Kräfte endlich auswirken kann. Franz ist eben vom Balkon, wo er viele Stunden fast nackt draußen lag ins Bett gegangen. Jetzt wird er wohl ein bißchen schlafen wollen. Ich muß mich darum sehr beeilen, damit er noch, ohne gestört zu werden anschreiben kann. Ich würde sehr gerne hören, wie es Ihnen geht, ob Sie schon wieder gut aussehen und d. gl. sonst nur noch herzliche Grüße an Alle.

D.


Liebste Eltern, vielen Dank für Eueren lieben schönen guten Brief. Heute lag ich schom im Schatten auf dem Balkon fast halbnackt, das war sehr angenehm. Einen Gast haben wir, der sich meiner sehr annimmt: Klopstock. Der Onkel läßt nichts von sich hören und reist doch fast schon 5 Wochen. Herzliche Grüße Euch und allen

F




Postkarte, 15,5 x 10,5 cm, beide Seiten beschrieben; die Adresse des Empfängers: I. W. Frau Julie Kafka, Prag, Altstädter Ring 6 und des Absenders: Abs. Dr Franz Kafka, Klosterneuburg-Kierling, Sanatorium Dr. Hoffmann, Niederösterreich mit Tinte geschrieben, von Dora Diamants Hand. Der Text von Dora Diamant und ein Teil des Kafkaschen Textes sind ebenfalls mit Tinte geschrieben ("Ich könnte... lag ich schon im Schatten auf"), der restliche Teil des Textes von Kafka (ab "dem Balkon . . .") mit Bleistift. Frankierung: 1400 österreichische Kronen. .

Undatiert. Zuordnung annähernd nach dem Inhalt bestimmt. Die Postkarte ist offensichtlich späteren Datums als Nr. 29 vom 25. April, da Kafka darin den Eltern für "Eueren lieben schönen guten Brief" dankt, den Dora in dem Brief vom 25. April noch vermißte. Die Erwähnung von Robert Klopstocks Anwesenheit entspräche zeitlich dem Mai-Datum, falls Binder und Wagenbach recht damit haben, dass Klopstock Anfang Mai (O, 215) nach Kierling gekommen ist. Nr. 30 ist jedoch früheren Datums als Nr. 117 in O, 154, den Binder und Wagenbach auf Ende April 1924 datieren, da in Nr. 30 Kafka noch keine Nachrichten von Onkel Siegfried hat, der Italien bereist, während in Nr. 117 bereits die Rede von des Onkels Ansichtskarte aus Venedig ist.


1] Klopstock: Vgl. Nr. 12, Anm.16.


2] Der Onkel... reist doch fast schon 5 Wochen: Vgl. Nr. 25 und hierzu Anm. 3.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at