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[An die Eltern] E Nr. 19

[Berlin-Zehlendorf, 15. März 1924]
 


Liebste Eltern, das ist ja keine Weste, das ist ein Wunderwerk, so schön und warm, wie hast Du das nur selbst machen können, auch D. versteht es nicht. Um wie viel besser ist sie in jeder Hinsicht, als die Weste, die ich bis jetzt trug und doch auch schon für sehr gut gehalten habe. Sehr erfreulich - in gebürendem [sic] Abstand von der Weste - war auch die Buttersendung. Seit zwei Tagen kann ich die hiesige Butter wieder nicht essen, sie ist ja wahrscheinlich sehr gut, schmeckt immer irgenwie nach Lachsschinken, aber man kann nicht immerfort Lachsschinken essen. - Wahrscheinlich werde ich also mit Max kommen, aber vielleicht werde ich doch mit den Reisevorbereitungen nicht bis Montag fertig, dann fahre ich paar Tage später. Gewiß soll Robert nicht kommen, ich weiß, er täte es gern, ich weiß auch aus Erfahrung dass man bei ihm aufgehoben ist wie in den Armen des Schutzengels, aber für diese kurze bekannte Strecke ist es ganz gewiß nicht nötig, bitte, redet es ihm bestimmt aus. - Die Einrichtung die Du mit den Zimmern treffen willst, ist natürlich die beste, ich danke dem Fräulein für die überlassung des Zimmers, mehr als zwei, drei Tage wird es ja wohl nicht dauern. - Der Diener des Onkels muß Montag abend nicht auf der Bahn warten, da es ja noch immerhin ziemlich unsicher ist, ob ich komme. Ist es übrigens derselbe, der mir vor einem halben Jahr den Koffer getragen hat? Ein ausnehmend angenehmer bereitwilliger Mensch.

Also auf Wiedersehn Montag oder nicht viel später.

Euer F.




Brief, 1 Blatt, 22,4 x 13,9 cm, beide Seiten mit Tinte beschrieben. Unter Kafkas Unterschrift der Zusatz Brief von Franz aus Zehlendorf am 15/3 1924, offensichtlich von der Hand der Mutter.

Undatiert; Zuordnung nach dem Inhalt des Briefes (Kafka reiste am 17. März 1924 nach Prag ab, an dem Montag, der im Brief erwähnt wird) sowie nach dem Zusatz der Mutter bestimmt.


1] das ist ja keine Weste: Vgl. Nr. 13, 14 und 18.


2] Montag: Kafka reiste in Begleitung von Max Brod am Montag, dem 17. März 1924, von Berlin nach Prag (Bi, 178).


3] Gewiß soll Robert nicht kommen: Kafka bittet Robert Klopstock in einem Brief, den Brod ungefähr auf Anfang März 1924 datiert, nicht nach Berlin zu kommen: "Lieber Robert, nein, keine Reise, keine so wilde Tat, wir werden auch ohne das zusammenkommen, auf stillere, den schwachen Knochen entsprechendere Art." (Br, 477) Klopstock kam trotzdem nach Berlin.

Brod zufolge (Bi, 178) begleiteten er und Dora Diamant Kafka am 17. März zum Bahnhof.


4] dem Fräulein: Vgl. Nr. 3, Anm.9.


5] mehr als zwei, drei Tage wird es ja wohl nicht dauern: Kafkas Aufenthalt in Prag dauerte fast drei Wochen. Zum Sanatorium Wienerwald beim Dorfe Ortmann in Niederösterreich reiste er am 5. April 1924 in Begleitung von Dora Diamant ab. Wie ein Schreiben Kafkas vom 19. März 1924 an den Direktor der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, Dr. Odstrčil, belegt, war er zunächst entschlossen, zur Kur nach Davos zu fahren (L, 82, FKAS, 322). Auch andere Möglichkeiten kamen in Betracht, wie ein Formular, datiert 27. März 1924, über Kafkas Paß mit der Genehmigung zur Reise nach Italien, Deutschland, Österreich und in die Schweiz belegt (SUA, PŘ, Fasz. Franz Kafka, Sign. K 854/6, Kart.-Nr. 7368. Vgl. hierzu Johann Bauer [d. i. Josef Čermák], Kafka und Prag, Stuttgart 1971, S.122). Schließlich fiel die Wahl auf das Sanatorium Wienerwald, wo Kafkas Onkel Dr. Siegfried Löwy einen der Ärzte kannte (vgl. Nr. 21). Während seines dreiwöchigen Aufenthaltes in Prag, vor seiner Abreise ins Sanatorium, überließ das "Fräulein", die Wirtschafterin Marie Wernerová, ihr Zimmer Kafka, weil in dessen Zimmer der Onkel wohnte.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at