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An Robert Klopstock
Lieber Robert, nein, keine Reise, keine so wilde Tat, wir werden auch ohne
das zusammenkommen, auf stillere, den schwachen Knochen entsprechendere
Art. Vielleicht - eigentlich denken wir ernstlich daran - kommen wir bald
nach Prag, käme ein Wiener Waldsanatorium in Betracht, dann gewiß.
Ich wehre mich gegen ein Sanatorium, auch gegen eine Pension, aber was
hilft es, da ich mich gegen das Fieber nicht wehren kann. 38 Grad ist zum
täglichen Brot geworden, den ganzen Abend und die halbe Nacht. Sonst,
trotzdem, ist es ja sehr schön hier, auf der Veranda zu liegen und
zuzusehn, wie die Sonne an zwei der Schwere nach so verschiedenen Aufgaben
arbeitet: mich und die Birke neben mir zu natürlichem Leben zu wecken
(die Birke scheint Vorsprung zu haben). Sehr ungern gehe ich von hier fort,
aber den Gedanken ans Sanatorium kann ich doch nicht ganz abweisen, denn
da ich wegen des Fiebers schon wochenlang nicht außerhalb des Hauses
war, im Liegen mich zwar genug stark fühle, aber irgendwelche Wanderungen
noch vor dem ersten Schritt den Charakter der Großartigkeit annehmen,
ist manchmal der Gedanke, sich lebend-friedlich im Sanatorium zu begraben,
gar nicht sehr unangenehm. Und dann doch wieder sehr abscheulich, wenn
man bedenkt, dass man sogar in diesen für die Freiheit vorbestimmten
paar warmen Monaten die Freiheit verlieren soll. Aber dann ist wieder der
stundenlange Morgen- und Abendhusten da und das fast täglich volle
Fläschchen, - das arbeitet wieder für das Sanatorium. Aber dann
z. B. wieder die Angst vor den dortigen, schrecklichen Essenspflichten.
Nun kam Ihr späterer Brief, Sie stimmen also zu, oder nur gezwungen?
Es freut mich, dass Sie sich korrigieren und den Onkel nicht mehr
einfach als "kalten Herrn" ansehn. Wie könnte auch Kälte
einfach sein? Schon da es wahrscheinlich immer nur eine historisch erklärbare
Erscheinung ist, muß sie kompliziert sein. Und dann: was ihn kalt
erscheinen läßt, ist wahrscheinlich dies, dass er seine
Pflicht erfüllt und das "Junggesellen-Geheimnis" hütet.
An Ihre Erzählungen von dem kranken Mädchen erinnere ich mich
wohl. War sie es nicht, in deren Träumen auch Abraham umging? Viel
habe ich an Sie gedacht beim Lesen von Holitschers Lebenserinnerungen,
sie erscheinen in der "Rundschau", die zweite und dritte Fortsetzung
habe ich gelesen. Zwar ist zwischen Ihnen und ihm gar keine unmittelbare
Beziehung festzustellen, als eben Ungarn und das uns allen gemeinsame Judentum,
aber ich halte mich gern an Örtlichkeiten fest und glaube aus ihnen
mehr zu erkennen als sie zeigen. Übrigens hat H. seiner Meinung nach
gar kein Ungartum in sich, er ist nur Deutscher, von solchen Budapestern
haben Sie mir kaum erzählt. Sehr schön in den Erinnerungen das
Auftauchen Verlaines, das Auftauchen Hamsuns. Mitbeschämend für
ihn und den Leser die besondere Art seiner Judenklage. So wie wenn man
in einer Gesellschaft stundenlang die Elemente eines gewissen Leids erörtert
und weiterhin ihre Unheilbarkeit unter allgemeiner Zustimmung festgestellt
hätte und nachdem alles fertig ist, fängt einer aus der Ecke
über eben dieses Leid jämmerlich zu klagen an. Und doch schön,
aufrichtig bis zu grotesker Jammerhaftigkeit. Trotzdem, man fühlt:
es ginge noch weiter.
Bei mir kommen zur Verstärkung des Genusses noch "literarische"
Jugenderinnerungen, das Aussaugen der Langenschen Verlagskataloge bis auf
den Grund und immer von neuem, weil sie unerschöpflich waren und weil
ich die Bücher, von denen sie handelten, meist nicht bekommen konnte
und meist auch nicht verstand. Der Glanz von Paris und von Literatur, der
für mich jahrelang um Holitscher und die Titel seiner Romane war,
und nun klagt der alternde Mann die Not dieser ganzen Zeit aus sich heraus.
Er war unglücklich damals, aber man denkt: wäre man doch einmal
auch so unglücklich gewesen, man hätte es doch einmal in dieser
Art versuchen wollen. Übrigens erklärt dort Hamsun - was offenbar
nur um mich zu trösten, aber recht grob und ungeschickt erfunden ist
-, dass ihm der Winter in Paris sehr zugesetzt habe, sein altes Lungenleiden
sich wieder melde, er in ein kleines Sommersanatorium oben in Norwegen
fahren müsse und dass Paris überhaupt zu teuer sei.
Nun kommt die Davos-Überraschung, wie schwer das alles ist und was
für entsetzliche Summen ich für mich aus andern werde pressen
müssen. Und Sie, Robert, klagen über die 1000 K. Was für
ein verwöhnter, selbständiger, freier Edelmann Sie sind.
Nun werden wir uns ja wohl sehn, der Onkel schlug mir zwar vor, ich solle
von hier direkt nach Innsbruck fahren, ich erklärte ihm aber heute,
warum ich es vorziehen würde, über Prag zu fahren. Vielleicht
stimmt er zu.
Holitschers: Arthur Holitscher, Romancier, Essayist
und Reiseschriftsteller. "Lebensgeschichte eines Rebellen"
erschien 1924 in Buchform, vorher, ab Januar 1924, in der "Neuen
Rundschau". In der "Neuen Rundschau" hatte Holitscher,
ab März 1912, auch über seine Reise nach Kanada berichtet, ein
Werk, auf das Kafka immer wieder hinwies und aus dem er gern einzelne Stellen
vorlas. Dieses Buch hat möglicherweise an der Konzeption von Kafkas
"Amerika" mitgewirkt.
Hamsun gehörte zu den Autoren, die Kafka am meisten liebte. Vor allem
schätzte er die beiden Reisebeschreibungen (Kaukasus, Türkei),
ferner die ersten Bücher und "Segen der Erde".
Zum Folgenden sei bemerkt, dass Kafka sehr gern in Verlagskatalogen
und Almanachen (Insel, S. Fischer, Georg Müller, A. Langen) las und
die bloßen Büchertitel zum Ausgangspunkt von Phantasien machte.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at