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[An Ottla und Josef David]
Liebste Ottla, siehst Du ich verspäte mich auch und habe keine solche
Tat hinter mir, wie den Weg zum Direktor. Es war ein starkes Stück,
ich danke Dir vielmals; dass es ganz so glatt ging wie Du es beschreibst,
kann ich kaum glauben. Verschweigst Du mir nichts? Nun im letzten Grunde
ist es nicht phantastischer, als das wunderbare Paket, das Ihr mir geschickt
habt und die Ankündigung gar eines 15 kg Paketes, vor dem ich mich
fast fürchte. Jedenfalls dem Vater den Dank zu unterbreiten, wage
ich gar nicht mehr. Und der Mutter kann ich auch hier innerhalb Deines
Briefs danken. Aber 15 kg scheint mir auch von der Seite des Bedarfs gesehn,
zu viel; was kann darin nur alles sein? Und aus Deinem Haushalt gar? Ich
durchsuche in der Erinnerung Deinen Besitz. Du hast doch gar nicht soviel.
Manchmal freilich Vormittag, wenn der Vater zu Dir zu Besuch kam, hattest
Du im Zimmer vielerlei Besitz, aber davon taugte kaum etwas zum Wegschicken.
Den größten Eindruck
machten übrigens auf D. merkwürdiger Weise die Abwisch- und Tischtücher,
sie sagte, sie möchte am liebsten heulen und sie tat wirklich fast
etwas derartiges. - In der Beilage schicke ich das Briefkonzept, das Pepa,
bitte, zu übersetzen so gut sein möge. Aber lies und redigiere
es bitte vorher, es muß sich ja decken mit allem was bei dem Direktor
gesprochen wurde und auch mit dem Ton, in dem es geschah. Von Palästina
scheinst Du z.B. nichts gesprochen zu haben, auch von meiner Berliner Beschäftigung
nichts. Kann ich in dem Brief davon schweigen ist es mir natürlich
sehr recht. Sollte der Brief an den Direktor persönlich gerichtet
sein? Oder vielleicht an die Anstalt? Das letztere würde eine gewisse
Nüancierung verlangen. Aber der Brief an den Direktor mag wirklich
genügen. Soll ich aber außer dem officiellen Brief noch einen
kleinen persönlichen Dankbrief (der deutsch sein könnte)
an den Direktor schreiben? Ob das nötig wäre, würde von dem Eindruck abhängen,
den Du vom Direktor hattest.
Warum geht es Dir diesen Monat gar so gut? Offenbar hast Du die
Puppen mit großem Gewinn verkauft. Andererseits freilich ist
Vera bei Dir und läßt Dich schreiben, woraus man schließen
könnte, dass sie gespannt das Ohr auf den Bauch der Puppe gelegt
hat und zuhört wie es dort spricht. Jedenfalls, wenn die Puppe nichts
anderes erreicht, den Begriff, den sich Vera von Berlin macht, wird sie
entscheidend beeinflussen. - Rede nicht immerfort von Geld, das Du schuldig
bist. Ich habe die paar Tage von Dir (fast hätte ich, ich glaube nach
einer hebräischen Redensart gesagt: von Deinem Fett) gelebt, das Papier
auf dem ich schreibe ist von Dir, die Feder von Dir, u.s.w.; wenn jemand
auf ausgesucht kostspielige Weise eine Berliner Reise machen will, dann
soll er als mein Gast kommen. Alles Gute! Und ruiniert Euch nicht meinetwegen!
Und wegen Dr. Kaiser mach Dir keine Sorgen. Er hat sein Geld.
F
Grüß Klopstock schön! Hat er zu essen? Und seine Gesundheit?
so muß ich mich drängen, um auch zu Wort
zu kommen. Kann ja auch nichts Kluges sagen. Ich wäre sehr neugierig
etwas über Vieras Ansicht über Berlin zu hören. Viele herzliche
Grüße. Dora
Ich freue mich schon auf den Brief
Sehr geehrter Herr Direktor! Ich erlaube mir mitzuteilen
dass ich mich für einige Zeit in Steglitz bei Berlin aufhalten
möchte und bitte dies kurz erklären zu dürfen: Der Zustand
meiner Lunge war im vorigen Herbst und Winter nicht gut und wurde noch
verschlechtert durch schmerzhafte Magen- und Darmkrämpfe, nicht ganz
klaren Ursprungs, die ich im Laufe jenes Halbjahres in voller Stärke
einigemal hatte. Das Lungenfieber und jene Krämpfe bewirkten es, dass
ich einige Monate das Bett kaum verließ. Gegen das Frühjahr
zu besserten sich diese Leiden, wurden aber abgelöst durch eine äußerste
Schlaflosigkeit, ein Leiden, das ich als Vorläufer und Begleiterscheinung
der Lungenkrankheit schon seit Jahren hatte, aber doch nur zeitweilig und
nicht vollständig und nur aus bestimmten Anlässen, diesmal aber
kam es ohne bestimmten Anlaß und dauernd, es halfen kaum Schlafmittel.
Der Zustand grenzte monatelang
knapp ans Unerträgliche und verschlechterte auch noch die Lunge. Im
Sommer fuhr ich mit Hilfe einer Schwester - selbst war ich weder zu Entschlüssen
noch zu Unternehmungen fähig - nach Müritz an der Ostsee, der
Zustand besserte sich dortim Grunde gar nicht, aber es fand sich dort die
Möglichkeit, dass ich im Herbst nach Steglitz fahren könnte,
wo Freunde ein wenig für mich sorgen wollten, was allerdings bei den
schon damals schwierigen Berliner Verhältnissen ein unbedingte Vorbedingung
für meine Reise war, denn allein hätte ich in meinem Zustand
in der fremden Stadt nicht leben können.
Hoffnung gebend erschien mir ein zeitweiliges Leben in Steglitz unter anderem
aus folgenden Gründen:
1.) Von einem vollständigem Wechsel der Umgebung und allem was damit
zusammenhängt versprach ich mir einen günstigen Einfluß
auf mein Nervenleiden. An das Lungenleiden dachte ich erst in zweiter Reihe
denn sofort etwas gegen das Nervenleiden zu tun, war viel dringlicher.
2.) Es traf sich aber zufällig, dass die Wahl des Ortes - wie
mir schon mein Arzt in Prag sagte, der Steglitz kennt - auch für das
Lungenleiden nicht ungünstig war. Steglitz ist ein halbländlicher,
gartenstadtähnlicher Vorort von Berlin, ich wohne in einer kleinen
Villa mit Garten und Glasveranda, ein halbstündiger Weg zwischen Gärten
führt zum Grunewald, der große botanische Garten ist 10 Minuten
entfernt, andere Parkanlagen sind in der Nähe und von meiner Straße
ab führt jede Straße durch Gärten.
3.) Mitbestimmend war schließlich für meinen Entschluß
die Hoffnung, in Deutschland mit meiner Pension leichter das Auskommen
finden zu können, als in Prag. Diese Hoffnung erfüllt sich allerdings
nicht mehr. In den letzten zwei Jahren wäre dies zugetroffen, aber
gerade jetzt im Herbst hat die Teuerung hier die Weltmarktpreise erreicht
und vielfach überschritten, so dass ich nur äußerst
knapp das Auskommen finde und auch dies nur, weil mich Freunde beraten
und weil ich ärztliche Behandlung noch nicht aufsuchte:
Im ganzen kann ich berichten, dass der Aufenthalt in Steglitz bis
jetzt auf meinen Gesundheitszustand günstig einwirkt. Ich wollte deshalb
sehr gerne noch einige Zeit hierbleiben, immer freilich unter der Voraussetzung,
dass die Teuerung mich nicht vorzeitig zur Rückkehr zwingt.
Ich bitte nun höflichst sehr geehrter Herr Direktor um die Bewilligung
meines hiesigen Aufenthaltes von Seiten der Anstalt und füge das Ersuchen
bei, mir die Pensionsbezüge auch weiterhin an die Adresse meiner Eltern
überweisen zu lassen wie bisher. Zu dieser letzteren Bitte werde ich
dadurch veranlaßt, dass jede andere überweisung mich finanziell
schädigen würde und ich bei der Knappheit meiner Mittel jede
Schädigung sehr schmerzlich fühlen würde. Schädigen
würde mich jede andere überweisung deshalb, weil sie entweder
in Mark erfolgen würde (dann hätte ich Kursverlust und Kosten)
oder in Kc (dann hätte ich noch größere Kosten) während
die Eltern doch immer eine Möglichkeit finden können, mir durch
einen Bekannten der gerade nach Deutschland fährt, das Geld kostenlos,
ev. gleich für zwei Monate zu schicken. Die überweisung an die
Eltern würde all
erdings nicht hindern, dass ich immer rechtzeitig die vielleicht notwendige
Lebensbestätigung, über deren Form ich mich
zu belehren bitte, von hier aus direkt an die Anstalt senden würde.
Indem ich nochmals bitte dieses ganze für mich sehr wichtige Ersuchen
günstig aufzunehmen
verbleibe
ich
mit ergebenen
Grüßen
Pepo, prosím, nezlob se k vůli te velkě práci,
za to přece zase Hakoah proti Slavii prohrála. Pozdravuj tv‚
rodiče asestry. A Ottlo prosím vysvětli rodičům,
že teď jen jednou nebo dvakrát týdně mohu
psát, porto je už tak drahé jako u nás. Vám
ale prikládám české známky, abych Vás
také trochu podporoval.
Deutsche Übersetzung des tschechisch geschriebenen Schlußteils:
Pepo, bitte, ärgere Dich nicht wegen der großen Arbeit, dafür
hat doch wieder Hakoah gegen Slavia verloren. Grüße
Deine Eltern und Schwestern. Und Ottla bitte erkläre den Eltern, dass
ich jetzt nur ein- oder zweimal wöchentlich schreiben kann, das Porto
ist schon so teuer wie bei uns. Euch lege ich aber tschechische Briefmarken
bei, damit ich Euch auch ein bißchen unterstütze.]
Der an Josef David gerichtete Briefteil ermöglicht es, den Zeitpunkt
festzustellen, an dem dieses Schreiben frühestens verfaßt worden
sein kann: Das von Kafka erwähnte Fußballspiel, das am 25. XI.
stattfand, wurde am 30. XI. in der Selbstwehr referiert (Nr. 47-48,
S. 8), und nur aus dieser Quelle kann er davon erfahren haben (vgl. Nr.
107, 114 und die Anmerkungen zu Nr. 77). Er hat die betreffende Nummer
- das Blatt wurde ihm nach Berlin geschickt (vgl. Br 466) - frühestens
am Montag, dem 3. XII, in Händen gehabt. Da andererseits die Wendung
"diesen Monat" voraussetzt, dass zum Zeitpunkt, an dem
die Schwester von ihrem Besuch beim Direktor berichtet, schon ein größeres
Stück vom Dezember vorüber gewesen sein muß und außerdem
der von David übersetzte Bericht an den Direktor von Kafka erst am
zo. Dezember aus Berlin weggeschickt wurde, dürfte die Abfassungszeit
des Briefs etwa Mitte Dezember sein.
einen kleinen persönlichen Dankbrief: Kafka
schrieb ihn am 8. I. 1924 (der Aufenthalt in Berlin und die Auszahlung
der Pension an die Eltern waren am 31. XII. 1923 genehmigt worden, zum
letzteren vgl. auch Nr. 116), im Gegensatz zu den bei entsprechenden Gelegenheiten
abgefaßten Schreiben des Jahres 1921 (vgl. Nr. 95 und 98) jedoch
in tschechischer Sprache (veröffentlicht D 81). Josef David hatte
Kafkas Entwurf, der in Nr. 116 erhalten ist, zu übersetzen (vgl. Nr.
90 und 103).
die Puppe: Kafka hatte Ottlas Tochter Verä
eine Puppe gekauft und sie Ottla als Geschenk mitgegeben, als sie Ende
November von ihrem Berlin-Besuch nach Prag zurückkehrte (vgl. die
Anmerkungen zu Nr. 112).
so muß ich mich drängen: Aus Platzmangel
fügte Dora Dymant ihre an Ottla gerichteten Grüße in den
freien Raum zwischen die beiden letzten Abschnitte des an die Schwester
gerichteten Briefteils. Vgl. das Faksimile dieser Briefseite in Abb. 22.
Sehr geehrter Herr Direktor: Die von David hergestellte
tschechische Fassung ist in D 8o f. veröffentlicht, eine davon angefertigte
deutsche Rückübersetzung in K. Hermsdorf, Briefe des Versicherungsangestellten
Franz Kafka in: Sinn und Form 9 (1957), S. 648 f.
Lebensbestätigung: Ein solches Dokument, allerdings
aus der Zeit in Kierling, ist faksimiliert in: "Exhibition Franz
Kafka 1883-1924". Catalogue, Jerusalem 1969, S. 30.
Hakoah gegen Slavia: David war Anhänger des
Fußballvereins Slavia Prag, der vor allem im Mittelstand seinen Anhang
hatte und damals ziemlich glücklich 4:2 gewann.
Briefmarken: David war Sammler, vgl. auch Nr. 109
und den Editionsbericht.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at