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[An Ottla Kafka: Postkarte]
Liebste Ottla, eben bekomme ich kurz nach Deinem lieben Brief eine entzückende
Nachricht: die Hausfrau ist angeblich mit mir zufrieden.
Freilich, leider, das Zimmer kostet nicht mehr 20 K sondern für September
etwa 70 K und für Oktober zumindest 180 K, die Preise klettern wie
die Eichhörnchen bei Euch, gestern wurde mir fast ein
wenig schwindelig davon und die innere Stadt ist davon und auch sonst
für mich schrecklich. Aber sonst, hier draußen, vorläufig,
hier ist es friedlich und schön. Trete ich Abends an diesen lauen
Abenden aus dem Haus kommt mir aus den alten üppigen Gärten ein
Duft entgegen, wie ich ihn in dieser Zartheit und Stärke nirgends
gefühlt zu haben glaube, nicht in Schelesen, nicht in Meran, nicht
in Marienbad. Und alles andere entspricht dem bisher. Ja es ist eine Zürauer
Reise, freilich es sind erst 8 Tage vorüber und wenn Du nach Arbeit
und Zeiteinteilung fragst, weiß ich noch nichts zu sa
gen. Näheres beschreiben ist schwer, den Eltern gegenüber bemühe
ich mich es zu tun, übrigens, h ä t t e s t
D u k e i n e L u s t, e s
D i r a n z u s c h a u e n ?
Ich hoffe, Du würdest mich noch nicht auf der Kirchentreppe ausgestreckt
finden zwischen den Kindern. - Die Butter ist bis jetzt Dienstag leider
nicht gekommen, man wird aufhören müssen sie zu schicken. Ich
bekomme übrigens knapp erträgliche, auch Milch.
Was macht mein lieber Pepa? Wieviele events versäume
ich! Grüß die Kinder und Fini.
Von der Ella Prochaska hast Du nichts geschrieben.
die Hausfrau: Am 15. November zog Kafka von der
Miquelstraße 8 in die Grunewaldstraße 13 um. (Vgl. Nr. 113)
Ihm war nun doch gekündigt worden. Nach Dora Dymants Erinnerungen
haben die Schwierigkeiten mit der Vermieterin auf die Konzeption der Kleinen
Frau eingewirkt. (Vgl. FK 172 und 174)
ein wenig schwindelig davon: Am gleichen Tag schrieb
Kafka an Max Brod: "Auch suche ich mich hier draußen gegen
die wirklichen Qualen der Preise zu schützen, man hilft mir darin
sehr, in der Stadt versagt das, gestern z. B. hatte ich einen starken Anfall
des Zahlenwahns." (Br 448, vgl. Nr. 107)
events: Josef David war Anglophile und Fußballfreund,
zur Sache vgl. die Anmerkungen zu Nr. 115.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at