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An Felix Weltsch

[Postkarte. Berlin-Steglitz, Stempel: 9.X.I923]
 

Lieber Felix, vielen Dank für die "Selbstwehr", ich bin doch länger geblieben als ich dachte und hätte sie schwer entbehrt. Bei Lise war ich noch nicht, die Tage sind so kurz, sie vergehn mir noch schneller als in Prag und glücklicher Weise viel unmerklicher. Daß sie so schnell vergehe, ist freilich traurig, es verhält sich eben so mit der Zeit, hat man einmal die Hand von ihrem Rad genommen, saust es an einem vorüber und man sieht für die Hand keinen Platz mehr. Über die nächste Umgebung der Wohnung komme ich kaum hinaus, diese ist freilich wunderbar, meine Gasse ist etwa die letzte halb städtische, hinter ihr löst sich das Land in Gärten und Villen auf, alte üppige Gärten. An lauen Abenden ist ein so starker Duft, wie ich ihn von anderswoher kaum kenne. Dann ist da noch der große Botanische Garten, eine Viertelstunde von mir, und der Wald, wo ich allerdings noch nicht war, keine volle halbe Stunde. Die Einfassung des kleinen Auswanderers ist also schön. - Noch eine Bitte, Felix; wenn Du kannst, nimm Dich ein wenig (Stellenvermittlung) des armen Klopstock an.

Herzliche Grüße Dir und den Deinen

F


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at