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An M. E.
Liebe Minze,
Meinen letzten Brief werden sie wohl in Teplitz nicht mehr bekommen haben.
Er handelte von einer schweren Operation meiner Mutter; die Operation ist
nun vorüber und die Mutter scheint sich langsam, sehr langsam zu erholen.
Diese Dinge und andere hinderten mich, Ihnen früher zu schreiben und
nun sind Sie inzwischen wirklich in Ihrem winterlichen Garten. Daß
es schwer ist, Minze, wie sollte ich das nicht wissen. Es ist ein ganz
verzweifeltes jüdisches Unternehmen, aber es hat, so weit ich sehe,
Großartigkeit in seiner Verzweiflung. (Vielleicht ist es übrigens
gar nicht so verzweifelt, wie es mir heute nach einer selbst für meine
Verhältnisse ungewöhnlich schlaflosen, zerstörenden Nacht
erscheint.) Man kann nicht die Vorstellung abweisen, dass ein Kind
verlassen in seinem Spiel irgendeine unerhörte Sessel-Besteigung oder
dergleichen unternimmt, aber der ganz vergessene Vater doch zusieht und
alles viel gesicherter ist als es scheint. Dieser Vater könnte z.B,
das jüdische Volk sein*. Können Sie übrigens hebräisch
oder haben Sie es wenigstens jemals zu lernen begonnen? Ihr Bräutigam
ist Jude? Zionist?
Sorge macht mir eigentlich in dem ganzen Unternehmen nur die körperliche
Müdigkeit, von der Sie manchmal schreiben. Ist es die Spur einer Krankheit?
Oder nur oder zum größten Teil jene selbstverständliche
Müdigkeit, die mit dem wunderbaren, mir versagten Schlaft endet?
Wenn ich in besserer Geistesverfassung bin, schreibe ich wieder.
Leben Sie recht wohl.
Ihr Kafka
* Dies würde auch das Ihnen unverständliche, aus eigener Kraft
nicht hervorzubringende, fortwährende Sich-Sträuben gegen die
Gleichgültigkeit erklären helfen.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at