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[Berlin-Steglitz. Ankunftstempel: Praha-Hrad, 5.11.23]

[An: ] Martin Salvat Praha-Hrad poste restante Tschechoslowakei

[Abs.: ] Dr Kafka Berlin-Steglitz Miquelstraße 8


Liebster Max, eine kurze Darstellung dessen, wie sich die Sache in einem heute allerdings aus verschiedenen Gründen etwas erschütterten Kopfe malt; das Material dazu habe ich hauptsächlich aus dem gestrigen, Donnerstägigen Gespräch mit E., die etwa von 7-10 bei mir war, übrigens gerade zu der Zeit, als Dein Brief kam, den ich vor ihr nicht aufmachen wollte:

    Darin hast Du gewiß recht: wenn die Berliner Verhältnisse so wären wie etwa voriges Jahr, das Leben leicht, die Möglichkeiten groß, angenehme Zerstreuungen u.s.w., dann wäre es sehr wahrscheinlich zu einem solchen Ausbruch nicht gekommen, aber nicht deshalb weil in dem Vulkan kein Feuer wäre, es hätte sich nur andere Wege gesucht; das hätte unter Umständen friedliche Zeiten ergeben, dauernde gewiß nicht, denn es ist ein Mittelpunkts-Leid da, in welchem sich mancherlei mischt und das zu verschiedenen Zeiten - gar unter dem offenbar übermächtigen Einfluß Deiner Gegenwart - einen ganz verschiedenen Anblick gibt, aber immer da ist. Dazu kann man sich so verhalten, dass man sich mit dem äußerlichen Frieden begnügt. Das wäre ja auch wirklich sehr viel, denn schließlich kann ja auch nach diesem vorläufigen Frieden durch erwartete oder unerwartete Dinge einmal der wirkliche Friede kommen. Diesen vorläufigen Frieden kann nun das heutige Berlin nicht zustandebringen, auch wenn Du Dich übermenschlich anstrengst und Du scheinst das leider wirklich zu tun. Da es aber Berlin nicht kann, muß man nachhelfen und diese Nachhilfe wäre Dein Kommen alle 4 Wochen. Das würde besser nähren als die besten Kistchen. Du mußt keine andern unmittelbaren Anlässe für den letzten Ausbruch suchen. Noch vor 14 Tagen beschränkte sich die Forderung nur auf Dein Kommen, erst jetzt ist sie so ungeheuerlich gestiegen. Ich glaube deshalb auch, dass sie sich durch Deinen persönlichen Einfluß wieder einschränken lassen wird und nur in dieser Hoffnung habe ich gestern den für Dich vielleicht schrecklichen, innerhalb meines Vorstellungskreises aber erlösenden Vorschlag gemacht, dass Ihr Euch in diesen letzten Tagen nicht mehr mit dein Hin und Her der Brief und Telephongespräche quält, sondern alles dein Aug-in-Aug-Sein überlaßt, von dem sich dann wieder der "vorläufige Friede" erhoffen läßt.

    Die jetzige Hauptforderung E's ist ungeheuerlich, das fühle ich, Max, tief mit Dir. Aber es ist nicht nur Eifersucht, trotzdem auch diese nicht "sinnlos" wäre, wie Du schreibst. Es ist nicht nur Eifersucht - ich sage das nicht deshalb, weil Du es etwa nicht weißt, ich sage das, um Dir in diesem sonderbaren, versteckten, rätselhaften Leid nah zu sein - es ist auch Unmöglichkeit des Verstehns, sowie es auf Deiner Seite Unmöglichkeit der Erklärung ist. Du kannst doch nicht glauben, dass Du E. widerlegt hast, wenn Du sagst, "dass nur Pflicht mich hier in der Ehe festhält". Was weiß sie alles an Unwiderleglichem dazu zu sagen! Und an Selbstverständlichem. Es ist eben nicht nur "Pflicht", aber es läßt sich im Augenblick nicht anders ausdrücken. Du darfst aber auch nicht hoffen, damit etwas zu widerlegen.

    Übrigens sah E., vielleicht noch unter dem Einfluß des wie sie sagte, "beglückenden" Telephongesprächs (das später durch Deinen Brief gänzlich widerrufen worden sein soll) recht gut aus, hatte auf der Probe Erfolg gehabt, hatte außerdem die Aussicht in einem Kirchenkoncert mitzusingen, so dass der Gesamteindruck durchaus nicht verzweifelt war, nur hie und da brach es hervor, dann waren es entweder Fragen die "Pflicht" betreffend, oder es war Angst vor der Beeinflussung und Einschläferung durch Dich, wenn Du hier sein wirst.

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    Der Mutter habe ich allerdings vor einiger Zeit geschrieben, dass Du nach Berlin kommen wirst; ich werde es jetzt widerrufen, aber auch sonst hätte es keine Bedeutung, ich kann mich doch geirrt haben. Wenn Du die Sachen mitnehmen kannst, - eine Last bleibt es, wie man es auch einrichtet - dann bring sie bitte; unbedingt nötig ist es aber nicht, es würde sich wohl auch sonst eine Gelegenheit finden, sie herzuschaffen. Bringst Du sie, dann gib einfach den Gepäckschein dem Bahnzustellungsdienst mit meiner jetzigen Adresse. Vielleicht werde ich Dir aber noch rechtzeitig meine neue (ab 15. November geltende) Adresse schicken, damit der Koffer der Einfachheit halber gleich hingebracht wird. Aber wichtiger als alles das ist, dass wir uns nun bald wiedersehn.

F          



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Donnerstägigen: D.h. am 1. November.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at