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[Berlin-Steglitz. Ankunftstempel: Praha-Hrad, 2.11.23]

[An:] Martin Salvat Praha-Hrad poste restante Tschechoslowakei

[Abs.:] Dr Kafka Berlin-Steglitz Miquelstraße 8


Liebster Max, Du kommst also, wie ich von E. hörte. Wie ich es schon im zweiten Brief und in der Karte sagte, ich kann auch nur das für das Richtige halten. Nun ist auch über alles andere damit Zusammenhängende nichts weiter zu schreiben, denn wir werden einander ja bald sehn. Ich bin übrigens heute auch nicht im Besitze aller Geisteskräfte, zu viel mußte ich abgeben an ein ungeheueres Ereignis: ich werde am 15. November übersiedeln. Ein sehr vorteilhafter Umzug wie mir scheint. (Ich fürchte mich fast, diese Sache, die meine Hausfrau erst am 15. November erfahren wird, zwischen ihren über meine Schultern hinweg mitlesenden Möbeln aufzuschreiben, aber sie halten, wenigstens einzelne, zum Teil auch mit mir.)

    Was die Erbschaft betrifft, so ist das wirklich Gerede, aber ein, wie es scheint, verbreitetes, denn auch Else Bergmann hat mir schon davon geschrieben. Die Wahrheit ist, dass die Erbschaft brutto etwa 600 000 K beträgt, auf welche außer der Mutter noch 3 Onkel Anspruch haben. Das wäre nun freilich noch immer schön, aber leider sind die Hauptbeteiligten die französische und die spanische Regierung und Pariser und Madrider Notare und Advokaten.

    Hinsichtlich der Freundin magst Du Recht haben, ein-zweimal huschte an solchen Stellen die Freundin durch das Gespräch. Übrigens hat E. neben der Zuneigung zu dieser Freundin auch eine sehr starke Abneigung ihr gegenüber, die man nur unterstützen müßte.

    Bei Deinen Befürchtungen wegen der Zukunft vergißt Du, dass Du jetzt doch auch wertbeständiges Geld von Wolff bekommen mußt, der übrigens wahrhaftig ungeheuerliches Geld verdient haben muß.

    Aus dem Teaterbesuch mit E. ist vorläufig nichts geworden, die Teuerung ist wirklich ungeheuerlich, zwei Teater kamen für mich in Betracht, Lessingteater (Rausch, Kortner, Gerda Müller), und Schillertheater (Volksfeind mit Klöpfer), das erstere ist aber unbezahlbar, das letztere auf Tage hinaus ausverkauft und bei jedem Wetter kann ich nicht gehn.

    Lebwohl und möge uns - unschuldig oder schuldig - noch einmal die Luganosonne scheinen.

F.         



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


übersiedeln: Von der Miquelstraße zur (ebenfalls in Steglitz liegenden) Grunewaldstraße 13.


die Erbschaft: Seines verstorbenen "Madrider Onkels", Alfred Löwy, der französischer Staatsbürger war. Siehe Anthony Northey, Kafkas Mischpoche, Berlin: Wagenbach 1988, S. 38.


noch 3 Onkel: Richard Löwy (1857-1938), Joseph Löwy (1858-1932) und Siegfried Löwy.


Rausch: Deutscher Titel von Strindbergs Stück Brott och Brott (1899).


die Luganosonne: Kafka denkt an die besonders glückliche Ferienreise mit Brod im Jahre 1911 zurück (Siehe BKR).


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at