Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

[Postkarte. Schelesen. Stempel: Berlin-Steglitz, 8.10.23; Ankunftstempel; Praha-Hrad, 9.10.23]

[An: ] Martin Salvat Praha-Hrad poste restante Tschechoslowakei


Lieber Max, Emmy habe ich jetzt ein paar Tage nicht gesehn, einmal waren wir im Botanischen Garten recht freundschaftlich beisammen, wieder überwog der Eindruck der Tapferkeit den der Unruhe. Seitdem ist schlechteres Wetter, Steglitz lockt nicht mehr zu Spaziergängen und vor der Stadt fürchte wieder ich mich. Gestern Sonntag war E., wie mir telephoniert wurde, ein wenig unwohl, wahrscheinlich das unwohlsein, von dem sie ankündigend und ängstlich schon vor paar Tagen sprach. Übrigens war gleichzeitig auch mir nicht ganz gut, ein Husten, harmlos der Qualität nach, ärgerlich in der Quantität, kostete mich eine Nacht, ich blieb den Sonntag im Bett und er ist vorüber. Vielleicht erfahre ich heute etwas über E. - Über meine Zeiteinteilung ist noch nichts zu sagen, unmerklich, untätig verfliegen mir die Tage. Anders Dr. Weiß, mit dem ich gestern, er war bei mir, zum erstenmal sprach. Tätig, nervös, die Nervosität des Starken, verbittert-fröhlich, sogar erfolgreich (Eröffnung des Schauspielerteaters mit der Bergner als Tanja), außerdem machte ich ihm aufsgeratewohl Hoffnung, dass vielleicht in dem Cyklus Deiner Prager Besprechungen auch Nahar an die Reihe kommt, er glaubts nicht. - Klopstock geht es, glaube ich, sehr schlecht, hält sich für "verkommen", wagt deshalb nicht, zu Dir zu gehn, "seine Artikel erfüllen mich aber mit immer neuer Freude und die immer zunehmende Ehrfurcht mit der ich seine Sachen lese, wiedergeben mir selbst einen Teil der schon sinkenden Würde". Herzlichst

F         


Grüß Felix und Oskar.



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Dr Weiß: Zu Ernst Weiß siehe 1913 Anm.15.


Bergner als Tanja: Ernst Weiß' Stück Tanja hatte Kafka - laut Gustav Janouch (Gespräche mit Kafka, Frankfurt am Main: S. Fischer 1951, S. 37f.) 1919 in der Prager Uraufführung gesehen, wobei Rahel Samara die Titelrolle verkörperte. Diesmal spielte Elisabeth Bergner, deren Ruhm schon beträchtlich war.


Nahar: Ernst Weiß, Nahar. Roman, München: Kurt Wolff 1922.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at