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[Tagebuch, 24. Januar 1922; Dienstag]

24 (Januar 1922) Das Glück der jungen und alten Ehemänner im Bureau. Mir unzugänglich und wenn es mir zugänglich wäre mir unerträglich und doch das einzige, an dem mich zu sättigen ich Anlage habe.

Vorschlag für E. P.

Das Zögern vor der Geburt. Gibt es eine Seelenwanderung, dann bin ich noch nicht auf der untersten Stufe. Mein Leben ist das Zögern vor der Geburt.

Standfestigkeit. Ich will mich nicht auf bestimmte Weise entwickeln, ich will auf einen andern Platz, das ist in Wahrheit jenes "Nach-einem-andern-Stern-wollen", es würde mir genügen knapp neben mir zu stehn, es würde mir genügen den Platz auf dem ich stehe als einen andern erfassen zu können

Die Entwicklung war einfach. Als ich noch zufrieden war, wollte ich unzufrieden sein und stieß mich mit allen Mitteln der Zeit und der Tradition, die mir zugänglich waren, in die Unzufriedenheit, nun wollte ich zurückkehren können. Ich war also immer unzufrieden, auch mit meiner Zufriedenheit. Merkwürdig, dass aus Komödie bei genügender Systematik Wirklichkeit werden kann. Mein geistiger Niedergang begann mit kindischem allerdings kindisch-bewußtem Spiel. Ich ließ z. B. Gesichtsmuskeln künstlich zusammenzucken, ich ging mit hinter dem Kopf gekreuzten Armen über den Graben. Kindlich-widerliches aber erfolgreiches Spiel. (Ähnlich war es mit der Entwicklung des Schreibens, nur dass diese Entwicklung leider später stockte.) Wenn es möglich ist auf diese Weise das Unglück herbeizuzwingen, sollte alles herbeizwingbar sein. Ich kann, so sehr mich die Entwicklung zu widerlegen scheint und so sehr es überhaupt meinem Wesen widerspricht so zu denken, auf keine Weise zugeben, dass die ersten Anfänge meines Unglücks innerlich notwendig waren, sie mögen Notwendigkeit gehabt haben, aber nicht innerliche, sie kamen angeflogen wie Fliegen und wären so leicht wie sie zu vertreiben gewesen.

Das Unglück auf dem andern Ufer wäre ebenso groß, wahrscheinlich größer (infolge meiner Schwäche), die Erfahrung dessen habe ich doch, der Hebel zittert gewissermaßen noch von der Zeit her, als ich ihn zuletzt umgestellt habe, warum vergrößere ich aber dann das Unglück auf diesem Ufer zu sein durch die Sehnsucht nach dem andern.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at