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An Franz Werfel

[Vermutlich nicht abgeschickt. Prag, Dezember 1922]
 

Lieber Werfel, nach meiner Aufführung bei Ihrem letzten Besuch konnten Sie nicht wieder kommen, das wußte ich ja. Und ich hätte Ihnen gewiß schon geschrieben, wenn mir nicht das Brief-Schreiben allmählich so schwer würde wie das Reden und wenn nicht sogar das Brief-Wegschicken Schwierigkeiten machen würde, denn einen Brief hatte ich für Sie schon fertig. Es ist aber unnütz, alte Dinge wieder aufzunehmen; wohin käme man, wenn man niemals davon ablassen würde, alle seine alten Kläglichkeiten immer wieder zu verteidigen und zu entschuldigen. Nur dieses, Werfel, was Sie ja wohl auch selbst wissen müssen: Wenn es sich um ein gewöhnliches Milifallen gehandelt hätte, dann wäre es doch vielleicht leichter zu formulieren gewesen und wäre dann überdies so belanglos gewesen, dass ich darüber ganz gut hätte schweigen können. Es war aber Entsetzen und das zu begründen ist schwer, man sieht verstockt und zäh und widerhaarig aus, wo man nur unglücklich ist. Sie sind gewiß ein Führer der Generation, was keine Schmeichelei ist und niemandem gegenüber als Schmeichelei verwendet werden könnte, denn diese Gesellschaft in den Sümpfen kann mancher führen. Darum sind Sie auch nicht nur Führer, sondern mehr (Sie haben Ähnliches selbst in dem schönen Vorwort zu Brands Nachlaß gesagt, schön bis auf das Wort von dem "freudig Lug-Gewillten") und man verfolgt mit wilder Spannung Ihren Weg. Und nun dieses Stück. Es mag alle Vorzüge haben, von den theatralischen bis zu den höchsten, es ist aber ein Zurückweichen von der Führerschaft, nicht einmal Führerschaft ist darin, eher ein Verrat an der Generation, eine Verschleierung, eine Anekdotisierung, also eine Entwürdigung ihrer Leiden.

Aber nun schwätze ich wieder, wie damals und das Entscheidende zu denken und zu sagen bin ich unfähig. Bleibe es dabei. Wäre nicht meine Teilnahme, meine höchst eigennützige Teilnahme an Ihnen so groß, ich würde nicht einmal schwätzen.

Und nun die Einladung; hat man sie als Dokument in der Hand, bekommt sie ein noch großartigeres wirklicheres Aussehn. Hindernisse sind die Krankheit, der Arzt (den Semmering lehnt er wieder unbedingt ab, Venedig im Vorfrühling nicht unbedingt) und wohl auch das Geld (ich müßte mit tausend Kronen monatlich auskommen können), aber das Haupthindernis sind sie gar nicht. Von dem Ausgestrecktsein im Prager Bett zu dem aufrechten Herumgehn auf dem Markusplatz ist es so weit, dass es nur die Phantasie knapp überwindet, aber das sind ja erst die Allgemeinheiten, darüber hinaus etwa die Vorstellung zu erzeugen, dass ich z.B. in Venedig in Gesellschaft mittagesse (ich kann nur allein essen), das verweigert sogar die Phantasie. Aber immerhin, ich halte die Einladung fest und danke Ihnen vielmals.

Vielleicht sehe ich Sie im Jänner. Leben Sie wohl!

Ihr Kafka


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at