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An Robert Klopstock

[Prag, 22. November 1922]
 

Lieber Robert, wann werden Sie mich endlich ohne Übermalung so sehn wie ich wirklich bin, ohnmächtig hier auf dem Kanapee liege. Oben auf der äußersten Turmspitze der Russischen Kirche mir gegenüber klettern, arbeiten und singen Bauspengler in Wind und Regen, ich staune sie durch das offene Fenster an wie Riesen der Vorwelt; wenn ich ein Zeitgenosse bin, was können sie anderes sein als Riesen der Vorwelt. Kein anderer Grund für mein Nichtschreiben als dieser oder doch noch einer: Ohnmacht, Sie zu überzeugen.

Vielen Dank. Allmählich gräbt man sich doch mit kleinen Hilfen hie und da diesen großen Menschen aus dem ungarischen Dunkel, allerdings assistieren dabei gewiß in Mengen falsche Vorstellungen und vor allem falsche Analogien. Eine solche Übersetzung erinnert ein wenig an die Klagen der Geister über die quälende Unfähigkeit der Medien. Hier die verbündete mediale Unfähigkeit des Lesers und des Übersetzers. Aber die Prosa ist eindeutiger und man sieht ihn dort doch aus etwas größerer Nähe. Manches verstehe ich nicht, aber das Ganze geht mir ein, es macht - wie immer in solchem Fall - glücklich darüber, dass er da war und ist und deshalb irgendwie mit ihm verwandt - "mit niemandem verwandt" heißt es, also auch darin verwandt. Die Gedichtübersetzungen sind offenbar jämmerlich, nur hie und da ein Wort, ein Ton vielleicht. Um das Verhältnis zum Original festzustellen, habe ich als Maßstab das Verhältnis zwischen mir und den Bauspenglern.

Gegen den Herausgeber sind Sie etwas ungerecht. Was liegt an dem Gewinn, den er hat. Und was ist gegen das Schmarotzen einzuwenden, wenn es offen, ehrlich, aus eingeborener Fähigkeit und zum allgemeinen Nutzen geschieht. Sind wir nicht auch Schmarotzer und ist nicht er unser Anführer? Übrigens ist auch der Anblick des Beisammenseins der Zwei sehr eindringlich und erkenntnisfördernd, des einen, der so viel spricht und des andern, der so viel schweigt. Auch stehn. wenigstens für mich, Neuigkeiten in dem Nachwort.

Mein Leben war, glücklicher Weise, in der letzten Zeit sehr gleichförmig. Nur Max kommt manchmal, einmal war Werfel hier, um mich auf den Semmering einzuladen, das war sehr lieb, aber der Arzt hat mir nicht erlaubt zu fahren, schließlich hatte ich vier Tage lang Besuch. Das ist alles.

Nun nähert sich bald der Jahrestag meiner Ankunft in Mattar und des Kennerlernens des reichen dicken jungen Herrn, der warm zwischen schönen Frauen mit der Weihnachtsnummer der Neuen Freien Presse saß.

Leben Sie wohl.

Ihr K.


Es kam Ihr Expreßbrief. Es gibt offenbar keinen andern Weg für Sie, mich zu erkennen, als durch den Haß, den endlich mein Verhalten in Ihnen erzeugen muß.


Grüßen Sie Glauber, bitte.


Was macht Frau Galgen?

Frl. Ilonka hat mir letzthin geschrieben.




Mensschen: Der ungarische Lyriker Andreas Ady wurde Kafka durch Vermittlung Klopstocks bekannt, der einiges für ihn übersetzte, ihm auch eine Sammlung übersetzter Verse und Prosastücke Adys schickte.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at