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An Robert Klopstock

[Planá, September 1922]
 

Lieber Robert, die Feder ist mir fast ungewohnt in der Hand, so lange habe ich schon nicht geschrieben. Diesmal ist aber der Anlaß wichtig genug, um es doch zu versuchen. Ohne jeden Zweifel rate ich Ihnen, das Wintersemester in Berlin zu verbringen, und zwar aus folgenden Überlegungen:

Eine solche Gelegenheit, sorgenlos in Berlin zu leben und nach Willkür zu arbeiten, ist völlig einmalig und deshalb auf keinen Fall zu verwerfen. (Wofür zahlt Ihnen Dr. Steinfest? Es ist ein Geschenk?)

Das "Abenteuer" zu bestehn, das darin liegt, den Studienort wieder zu wechseln, Eilft Ihnen leicht; nützen Sie auch diese große innere Möglichkeit aus!

Der Wert von Prag ist fragwürdig. Abgesehn von allem deutlich Persönlichen hat frag auch noch etwas besonders Verlockendes, das kann ich verstehn, ich glaube, es ist eine Spur von Kindlichkeit in den Geistern. Diese Kindlichkeit ist aber so sehr gemischt mit Kindischem, Kleinlichem, Ahnungslosem, dass es für den Fremden zwar keine erstrangige, aber doch eine Gefahr bedeutet. Prag ist nützlicher, wenn man von Berlin kommt, was übrigens meines Wissens noch niemand in großem Stil gemacht hat. Jedenfalls ist Prag eine Medizin gegen Berlin, Berlin eine Medizin gegen Prag, und da der Westjude krank ist und sich von Medizinen nährt, darf er, wenn er sich in diesem Kreis bewegt, an Berlin nicht vorübergehn. Das habe ich mir immer gesagt, ich hatte aber nicht die Kraft, die Hand aus dem Bett nach dieser Medizin zu Strecken, auch suchte ich sie mir, zu Unrecht, mit dem Gedanken zu entwerten, dass es ja nur eine Medizin sei. Heute ist Berlin übrigens mehr, es gibt, glaube ich, auch einen stärkeren Ausblick nach Palästina als Prag.

Was Max betrifft, so wird die Verbindung mit ihm in diesem Winter fast besser in Berlin als in Prag aufrechtzuhalten sein, denn aus einem bestimmten Grunde wird Berlin jetzt seine zweite Heimatsstadt sein. Auch könnten Sie ihm dort vielleicht Dienste leisten, die für ihn unschätzbar wären. (Übrigens wird er dort auch eine Uraufführung haben, zu der ich wahrscheinlich kommen werde.)

Ich, nun ich werde zwar, bis auf ein paar Wochen, die ich bei meinem Onkel sein werde (in Mähren, es ist fast weiter von Prag entfernt, als Berlin), in Prag bleiben, da ich geistig nicht transportabel bin. Es wird mir aber ein sehr lieber Gedanke sein, Sie irgendwo als meinen Quartiermacher zu haben. - Das alles gilt nur für den Winter. Vielleicht genügt ein Winter in Berlin (wollte nicht auch Ihre Cousine im Winter in Berlin sein?), dann kommen Sie als ein gereister Mann, der vergleichen kann, nach Prag zurück (wenn Sie dann noch dazu Lust haben und nicht eine süddeutsche Universität vorziehn), dazu wird es auch passen, dass Ihr Gönner vom Mai ab in Prag ist. - Als Voraussetzung des Ganzen nehme ich auch an, dass Sie sich gesundheitlich wohlfühlen, sonst würden Sie ja nicht mit solchen Plänen spielen. - An Empfehlungen für Berlin wird es Ihnen von Seiten des Max und Felix nicht fehlen, von mir an Ernst Weiß, wenn Sie wollen. Die Hilfe des reichen Herrn werden Sie allerdings trotz des Geldes des Dr. Steinfest in Anspruch nehmen müssen, mit 10.000 Mark ist nach einem Bericht des Dr. Weiß kaum auszukommen.

Und in Prag sehen wir uns (am 1. Oktober bin ich dort wohl schon bestimmt) auf Ihrer Durchreise nach Berlin und besprechen noch das Nötige. Fährt Frl. Irene wieder nach Dresden? Wo ist Glauber? In Lomnitz? Grüßen Sie ihn bitte von mir! Und Szinay? - Meine kleine Nichte kommt nicht nach Hellerau, natürlich. Immerhin habe ich erreicht, dass die Schwester mit dem Schwager und den Kindern in Hellerau waren, allerdings habe ich gerade durch diesen Zwischensieg jede Hoffnung auf den endgültigen Sieg verloren. Frau Neustädter hat sehr abgeschreckt, sie hatte boshafterweise an dem Tag gerade Schnupfen und Geschwüre im Gesicht, Herr Neustädter, der Engländer, eine Hilfslehrerin, eine Dalcroze-Schülerin haben zwar sehr gefallen, konnten aber gegen den Schnupfen nicht aufkommen; die Schüler waren auf einem Ausflug, es war Sonntag. Es ist eben so, dass die Schwester nicht die Kraft hat, den Entschluß zu fassen, ich kann es ihr nicht übelnehmen, ich will seit Monaten einen 10 Minuten-Ausflug mit der Bahn machen und es wird mir nicht gelingen.

Alles Gute!

Ihr K.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at