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An Robert Klopstock
Lieber Robert, die Feder ist mir fast ungewohnt in der Hand, so lange habe
ich schon nicht geschrieben. Diesmal ist aber der Anlaß wichtig genug,
um es doch zu versuchen. Ohne jeden Zweifel rate ich Ihnen, das Wintersemester
in Berlin zu verbringen, und zwar aus folgenden Überlegungen:
Eine solche Gelegenheit, sorgenlos in Berlin zu leben und nach Willkür
zu arbeiten, ist völlig einmalig und deshalb auf keinen Fall zu verwerfen.
(Wofür zahlt Ihnen Dr. Steinfest? Es ist ein Geschenk?)
Das "Abenteuer" zu bestehn, das darin liegt, den Studienort
wieder zu wechseln, Eilft Ihnen leicht; nützen Sie auch diese große
innere Möglichkeit aus!
Der Wert von Prag ist fragwürdig. Abgesehn von allem deutlich Persönlichen
hat frag auch noch etwas besonders Verlockendes, das kann ich verstehn,
ich glaube, es ist eine Spur von Kindlichkeit in den Geistern. Diese Kindlichkeit
ist aber so sehr gemischt mit Kindischem, Kleinlichem, Ahnungslosem, dass
es für den Fremden zwar keine erstrangige, aber doch eine Gefahr bedeutet.
Prag ist nützlicher, wenn man von Berlin kommt, was übrigens
meines Wissens noch niemand in großem Stil gemacht hat. Jedenfalls
ist Prag eine Medizin gegen Berlin, Berlin eine Medizin gegen Prag, und
da der Westjude krank ist und sich von Medizinen nährt, darf er, wenn
er sich in diesem Kreis bewegt, an Berlin nicht vorübergehn. Das habe
ich mir immer gesagt, ich hatte aber nicht die Kraft, die Hand aus dem
Bett nach dieser Medizin zu Strecken, auch suchte ich sie mir, zu Unrecht,
mit dem Gedanken zu entwerten, dass es ja nur eine Medizin sei. Heute
ist Berlin übrigens mehr, es gibt, glaube ich, auch einen stärkeren
Ausblick nach Palästina als Prag.
Was Max betrifft, so wird die Verbindung mit ihm in diesem Winter fast
besser in Berlin als in Prag aufrechtzuhalten sein, denn aus einem bestimmten
Grunde wird Berlin jetzt seine zweite Heimatsstadt sein. Auch könnten
Sie ihm dort vielleicht Dienste leisten, die für ihn unschätzbar
wären. (Übrigens wird er dort auch eine Uraufführung haben,
zu der ich wahrscheinlich kommen werde.)
Ich, nun ich werde zwar, bis auf ein paar Wochen, die ich bei meinem Onkel
sein werde (in Mähren, es ist fast weiter von Prag entfernt, als Berlin),
in Prag bleiben, da ich geistig nicht transportabel bin. Es wird mir aber
ein sehr lieber Gedanke sein, Sie irgendwo als meinen Quartiermacher zu
haben. - Das alles gilt nur für den Winter. Vielleicht genügt
ein Winter in Berlin (wollte nicht auch Ihre Cousine im Winter in Berlin
sein?), dann kommen Sie als ein gereister Mann, der vergleichen kann, nach
Prag zurück (wenn Sie dann noch dazu Lust haben und nicht eine süddeutsche
Universität vorziehn), dazu wird es auch passen, dass Ihr Gönner
vom Mai ab in Prag ist. - Als Voraussetzung des Ganzen nehme ich auch an,
dass Sie sich gesundheitlich wohlfühlen, sonst würden Sie
ja nicht mit solchen Plänen spielen. - An Empfehlungen für Berlin
wird es Ihnen von Seiten des Max und Felix nicht fehlen, von mir an Ernst
Weiß, wenn Sie wollen. Die Hilfe des reichen Herrn werden Sie allerdings
trotz des Geldes des Dr. Steinfest in Anspruch nehmen müssen, mit
10.000 Mark ist nach einem Bericht des Dr. Weiß kaum auszukommen.
Und in Prag sehen wir uns (am 1. Oktober bin ich dort wohl schon bestimmt)
auf Ihrer Durchreise nach Berlin und besprechen noch das Nötige. Fährt
Frl. Irene wieder nach Dresden? Wo ist Glauber? In Lomnitz? Grüßen
Sie ihn bitte von mir! Und Szinay? - Meine kleine Nichte kommt nicht nach
Hellerau, natürlich. Immerhin habe ich erreicht, dass die Schwester
mit dem Schwager und den Kindern in Hellerau waren, allerdings habe ich
gerade durch diesen Zwischensieg jede Hoffnung auf den endgültigen
Sieg verloren. Frau Neustädter hat sehr abgeschreckt, sie hatte boshafterweise
an dem Tag gerade Schnupfen und Geschwüre im Gesicht, Herr Neustädter,
der Engländer, eine Hilfslehrerin, eine Dalcroze-Schülerin haben
zwar sehr gefallen, konnten aber gegen den Schnupfen nicht aufkommen; die
Schüler waren auf einem Ausflug, es war Sonntag. Es ist eben so, dass
die Schwester nicht die Kraft hat, den Entschluß zu fassen, ich kann
es ihr nicht übelnehmen, ich will seit Monaten einen 10 Minuten-Ausflug
mit der Bahn machen und es wird mir nicht gelingen.
Alles Gute!
Ihr K.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at