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An Emmy Salveter
Herzlichen Dank für Karte und Brief, sie haben mich gar nicht überrascht,
es war mir als wäre es gar nicht der erste Brief, so viel habe ich
schon von Ihnen gehört und so vertraut ist mir Ihr Name. Nur dass
ich Sie noch nicht gesehn und gehört habe ist ein Mangel, aber auch
der ist nicht immer fühlbar, so sehr leben Sie in Maxens Erzählungen.
Und ich werde mich auch weiterhin damit begnügen müssen, denn
an die Ostsee zu fahren, erlaubt mir der Arzt nicht.
Sehr gerne aber würde ich mit Ihnen zusammenkommen, weil in einer
so beziehungsreichen und doch schweigsamen Entfernung leicht Mißverständnisse
entstehen und selbst Briefe können hier eher schaden als helfen. So
droht schon aus Ihrem lieben Brief ein solches, an sich unvermeidliches
Mißverständnis. Gesichter in der Ferne, gar solche, die man
nur aus Photographien kennt, formen sich in der Vorstellung ohne Schwierigkeit
böse und feindselig, Franz heiße ich auch, da scheint die Kanaille
nicht weit, im Augenblick überzeugt es fast mich selbst. In Wirklichkeit
aber - wie kann Ihnen jemand böse sein, dem an Maxens Leben und Arbeit
gelegen ist, wie könnte es dieser Jemand anstellen, zu Ihnen in ein
anderes Verhältnis zu kommen als das der tiefen Dankbarkeit. Maxens
Leben und Arbeit beruht auf der Freude darüber, dass Sie leben
und blühen, ihr. von Ihnen abdrängen zu wollen, hieße ihn
aus der Arbeit und aus dem Leben treiben wollen; muß nicht die Einigkeit,
die sich daraus zwischen Ihnen und Max und mir ergibt eine vollkommene
sein? Freilich es kommen Tage, wie jene vor der letzten Reise, da verkehrt
sich das Bild, eben das, was ihm Leben gibt, scheint es ihm dann nehmen
zu wollen, ich wage mich nicht in die unmittelbaren Anlässe einzumischen,
sehe natürlich auch, dass viel sinnlose Selbstquälerei vorliegt,
erklärlich nur durch die Not des in seinem Teuersten bedrohten Menschen
- aber wie es auch sein mag, wenn Sie, verehrtes Fräulein, ihn damals
oder bei ähnlichen Gelegenheiten gesehen hätten - diesen Anblick
können Sie nie haben, der ist mir vorbehalten, bei Ihnen ist Max immer
schon getröstet - zerrüttet, in zwei drei Tagen erschreckend
abgemagert, mit schlaflosen Augen, gegen alles gleichgültig, nur für
das eine nicht, was ihm Schmerz bereitet, dennoch mit seiner auch dann
ihn nicht verlassenden Energie weiterarbeitend und sich so auch weiter
zerstörend, wenn Sie das sehen würden, verehrtes Fräulein,
dann würden Sie gewiß, soviel glaube ich von Ihnen zu wissen,
sich nicht damit begnügen, was ich tue, nämlich still und hilflos
und bestenfalls fast unter den gleichen Schmerz mich drückend bei
ihm zu sitzen, sondern Sie wären noch viel mehr und hilf- und trostreicher
als ich an Maxens Seite. Schade, schade, dass Sie in solchen Augenblicken
nicht da sind und gewiß würden Sie mir dann nicht schreiben.
Dies zu Ihrem lieben Brief. Darüber hinaus habe ich wie ich höre
die Aufgabe, über die Kaffehauszusammenkunft mit Frl. F. zu berichten
und wie ich gleichzeitig höre, nicht zu berichten, sondern den Bericht
von Max listiger Weise mir diktieren zu lassen. Da sich diese zwei Aufgaben
nicht verbinden lassen, müssen Sie sich, verehrtes Fräulein,
mit der Bemerkung begnügen, dass diese Zusarnmenkunft eine der
bedeutungslosesten Angelegenheiten meines Lebens gewesen ist.
Letzte Änderung: 22.5.2013 werner.haas@univie.ac.at