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An Emmy Salveter

[Entwurf eines Briefes. Planá, August 1922]
 

Herzlichen Dank für Karte und Brief, sie haben mich gar nicht überrascht, es war mir als wäre es gar nicht der erste Brief, so viel habe ich schon von Ihnen gehört und so vertraut ist mir Ihr Name. Nur dass ich Sie noch nicht gesehn und gehört habe ist ein Mangel, aber auch der ist nicht immer fühlbar, so sehr leben Sie in Maxens Erzählungen. Und ich werde mich auch weiterhin damit begnügen müssen, denn an die Ostsee zu fahren, erlaubt mir der Arzt nicht.

Sehr gerne aber würde ich mit Ihnen zusammenkommen, weil in einer so beziehungsreichen und doch schweigsamen Entfernung leicht Mißverständnisse entstehen und selbst Briefe können hier eher schaden als helfen. So droht schon aus Ihrem lieben Brief ein solches, an sich unvermeidliches Mißverständnis. Gesichter in der Ferne, gar solche, die man nur aus Photographien kennt, formen sich in der Vorstellung ohne Schwierigkeit böse und feindselig, Franz heiße ich auch, da scheint die Kanaille nicht weit, im Augenblick überzeugt es fast mich selbst. In Wirklichkeit aber - wie kann Ihnen jemand böse sein, dem an Maxens Leben und Arbeit gelegen ist, wie könnte es dieser Jemand anstellen, zu Ihnen in ein anderes Verhältnis zu kommen als das der tiefen Dankbarkeit. Maxens Leben und Arbeit beruht auf der Freude darüber, dass Sie leben und blühen, ihr. von Ihnen abdrängen zu wollen, hieße ihn aus der Arbeit und aus dem Leben treiben wollen; muß nicht die Einigkeit, die sich daraus zwischen Ihnen und Max und mir ergibt eine vollkommene sein? Freilich es kommen Tage, wie jene vor der letzten Reise, da verkehrt sich das Bild, eben das, was ihm Leben gibt, scheint es ihm dann nehmen zu wollen, ich wage mich nicht in die unmittelbaren Anlässe einzumischen, sehe natürlich auch, dass viel sinnlose Selbstquälerei vorliegt, erklärlich nur durch die Not des in seinem Teuersten bedrohten Menschen - aber wie es auch sein mag, wenn Sie, verehrtes Fräulein, ihn damals oder bei ähnlichen Gelegenheiten gesehen hätten - diesen Anblick können Sie nie haben, der ist mir vorbehalten, bei Ihnen ist Max immer schon getröstet - zerrüttet, in zwei drei Tagen erschreckend abgemagert, mit schlaflosen Augen, gegen alles gleichgültig, nur für das eine nicht, was ihm Schmerz bereitet, dennoch mit seiner auch dann ihn nicht verlassenden Energie weiterarbeitend und sich so auch weiter zerstörend, wenn Sie das sehen würden, verehrtes Fräulein, dann würden Sie gewiß, soviel glaube ich von Ihnen zu wissen, sich nicht damit begnügen, was ich tue, nämlich still und hilflos und bestenfalls fast unter den gleichen Schmerz mich drückend bei ihm zu sitzen, sondern Sie wären noch viel mehr und hilf- und trostreicher als ich an Maxens Seite. Schade, schade, dass Sie in solchen Augenblicken nicht da sind und gewiß würden Sie mir dann nicht schreiben.

Dies zu Ihrem lieben Brief. Darüber hinaus habe ich wie ich höre die Aufgabe, über die Kaffehauszusammenkunft mit Frl. F. zu berichten und wie ich gleichzeitig höre, nicht zu berichten, sondern den Bericht von Max listiger Weise mir diktieren zu lassen. Da sich diese zwei Aufgaben nicht verbinden lassen, müssen Sie sich, verehrtes Fräulein, mit der Bemerkung begnügen, dass diese Zusarnmenkunft eine der bedeutungslosesten Angelegenheiten meines Lebens gewesen ist.


Letzte Änderung: 22.5.2013werner.haas@univie.ac.at