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An Oskar Baum

[Planá, 4. Juli 1922]
 

Lieber Oskar, seid Ihr aber gute, präzise und einfühlsame Menschen. Alles was Du mir vorbereitet hast und was Du mir rätst, ist nötig und ist ausgezeichnet. Ich werde also kommen, vielleicht nicht gerade am Fünfzehnten, aber wohl vor dem Zwanzigsten, es ist mir sogar willkommen, früher kommen zu können, denn mein Madrider Onkel ist für den August angesagt, ohne dass noch das Datum feststünde, und so könnte es geschehen, dass ich etwa am 20. August (er bleibt gewöhnlich vierzehn Tage) in Prag wieder sein müßte, um ihn zu sehen. Den genauen Tag meiner Ankunft zwischen 15. und 20. Juli werde ich Euch noch telegraphieren, wenn Ihr so gut seid, zu allem andern auch noch die Vermittlung mit der Wirtin zu übernehmen. Auch noch aus andern Gründen ist mir das Datum sehr angenehm, denn hierher, wo es übrigens recht schön bei Ottla ist, kommen um diese Zeit Gäste, der Platz würde vielleicht etwas beengt, dagegen kann ich dann noch Ende August herkommen; Ottla bleibt wahrscheinlich bis Ende September.

Du merkst vielleicht, dass ich Nötiges und Unnötiges durcheinanderschreibe, und das hat seinen guten oder schlechten Grund. Von allem andern abgesehn, was mich nach Georgental treibt (die Freude, mit Dir, mit Euch ein wenig zusammenzuleben ; in der Nähe Deiner Arbeit zu sein; ein wenig Zürauer Zeit zu verkosten, die mir, mit allem was ich damals war, weit verschwunden ist; ein wenig die Welt zu sehn und mich davon zu überzeugen, dass es auch noch anderswo atembare Luft gibt - selbst für meine Lungen - eine Erkenntnis, durch die zwar die Welt nicht weiter wird, aber irgendein nagendes Verlangen beruhigt), abgesehen von dem allen habe ich einen äußerst wichtigen Grund, zu fahren - meine Angst. Du kannst Dir diese Angst gewiß irgendwie vorstellen, aber bis in ihre Tiefe kannst Du nicht kommen, dafür bist Du zu mutig. Ich habe, aufrichtig gesagt, eine fürchterliche Angst vor der Reise, natürlich nicht gerade vor dieser Reise und überhaupt nicht nur vor der Reise, sondern vor jeder Veränderung; je größer die Veränderung ist, desto größer zwar die Angst, aber das ist nur verhältnismäßig, würde ich mich nur auf allerkleinste Veränderungen beschränken - das Leben erlaubt es allerdings nicht -, würde schließlich die Umstellung eines Tisches in meinem Zimmer nicht weniger schrecklich sein als die Reise nach Georgental. Übrigens nicht nur die Reise nach Georgental ist schrecklich, auch die Abreise von dort wird es sein. Im letzten oder vorletzten Grunde ist es ja nur Todesangst. Zum Teil auch die Angst, die Götter auf mich aufmerksam zu machen; lebe ich hier in meinem Zimmer weiter, vergeht ein Tag regelmäßig wie der andere, muß natürlich auch für mich gesorgt werden, aber die Sache ist schon im Gang, die Hand der Götter führt nur mechanisch die Zügel, so schön, so schön ist es, unbeachtet zu sein, wenn bei meiner Wiege eine Fee stand, war es die Fee "Pension". Nun aber diesen schönen Gang der Dinge verlassen, frei unter dem großen Himmel mit dem Gepäck zum Bahnhof gehe, die Welt in Aufruhr bringen, wovon man freilich nichts merkt als den Aufruhr im eigenen Innern, das ist schrecklich. Und doch muß es geschehn, ich würde - es müßte nicht allzulange dauern - das Leben überhaupt verlernen. - Also zwischen dem Fünfzehnten und Zwanzigsten. Grüße alle. Dank auch Deiner Frau Sekretärin. - dass ich noch am gleichen Abend in Georgental sein werde, ist ausgezeichnet. Das ist wohl Georgental-Ort?

Dein Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at