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An Felix Weltsch
Lieber Felix, irre ich nicht, bist Du schon .in Schelesen? Einmal nanntest
Du, glaube ich, den Juli als Arbeitsmonat. Möge er es großartig
werden! Ich konnte mich gar nicht mehr von Dir verabschieden, zudem hatte
ich damals im Theater die Dummheit gemacht, Dir das Textbuch zu borgen,
wodurch ich zweierlei erreiche: dass Du Dich gar nicht mehr um mich
kümmertest und außerdem, dass ich das Textbuch nicht mehr
bekam. Aber der Abend war schön, nicht? Schließlich das Stück
doch noch schöner als die Aufführung? Diese Szene z.B.: draußen
klingelt der Schlitten, Chlastakoff, der schnell noch zwei Geliebte gewonnen
und darüber die Abfahrt fast vergessen hat, erinnert sich und eilt
mit den zwei Frauen aus der Tür. Die Szene ist wie ein Lockmittel,
hingeworfen den Juden. Es ist nämlich den Juden unmöglich, diese
Szene sich ohne Sentimentalität vorzustellen, ja sogar unmöglich,
sie ohne Sentimentalität nachzuerzählen. Wenn ich sage: "draußen
klingelt der Schlitten" so ist das sentimental, auch Maxens Kritik
war sentimental, das Stück aber hat keine Spur davon. - Mir geht es
hier leidlich, wäre nur nicht, hoffentlich merkst Du es in Schelesen
nicht, so viel Lärm auf der Welt. - Alles Gute Dir und Frau und Kind
Dein F.
Stück: Gogols "Revisor". - Kritik:
Gogols "Revisor". Prager Abendblatt, 14. 6. 1922.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at