Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Felix Weltsch

[Postkarte. Planá, Ende Juni 1922]
 

Lieber Felix, irre ich nicht, bist Du schon .in Schelesen? Einmal nanntest Du, glaube ich, den Juli als Arbeitsmonat. Möge er es großartig werden! Ich konnte mich gar nicht mehr von Dir verabschieden, zudem hatte ich damals im Theater die Dummheit gemacht, Dir das Textbuch zu borgen, wodurch ich zweierlei erreiche: dass Du Dich gar nicht mehr um mich kümmertest und außerdem, dass ich das Textbuch nicht mehr bekam. Aber der Abend war schön, nicht? Schließlich das Stück doch noch schöner als die Aufführung? Diese Szene z.B.: draußen klingelt der Schlitten, Chlastakoff, der schnell noch zwei Geliebte gewonnen und darüber die Abfahrt fast vergessen hat, erinnert sich und eilt mit den zwei Frauen aus der Tür. Die Szene ist wie ein Lockmittel, hingeworfen den Juden. Es ist nämlich den Juden unmöglich, diese Szene sich ohne Sentimentalität vorzustellen, ja sogar unmöglich, sie ohne Sentimentalität nachzuerzählen. Wenn ich sage: "draußen klingelt der Schlitten" so ist das sentimental, auch Maxens Kritik war sentimental, das Stück aber hat keine Spur davon. - Mir geht es hier leidlich, wäre nur nicht, hoffentlich merkst Du es in Schelesen nicht, so viel Lärm auf der Welt. - Alles Gute Dir und Frau und Kind

Dein F.




Stück: Gogols "Revisor". - Kritik: Gogols "Revisor". Prager Abendblatt, 14. 6. 1922.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at