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Max Brod an Franz Kafka

[ Prag ]

Dienstag [27.6.22]


Lieber Franz,

Beiliegender Brief von R. Kayser wird doch interessieren. Bitte, schicke mir ihn zurück, - da ich ihn noch nicht beantwortet habe; allerdings weiß ich auch kein Antwort.

    Ich arbeite täglich - heute ganz gut, gestern schrieb ich mehr, aber schlechter. Wenn nur nicht jeden Tag was dazwischen käme. Politische Schreckensnachrichten - ein böser Brief Rosenheims (Königsberg), weil ich ihm die "Klarissa" nicht zur Uraufführung gegeben habe; wirft mir Undank vor - es ist alles so voll Schwierigkeiten. Da drei glücklichen Monaten des vorigen Jahres (Franzi) sind immer noch mein Traum. Auf sie kann ich mich berufen als auf die einzige Zeit, in der ich so gelebt habe, wie ich wollte. - E. schreibt auch nur sehr unregelmäßig. Und so ist kein Ende der Hindernisse. Ich ertrage sie, weil die Novelle jetzt sehr gut dem Ende zurast. Aber wie würde sie erst rasen, wenn .... Das ist keine bloße Einbildung. Ich fühle, wie ich Wolken wegschieben muß, und mit der Federspitze das Papier zu erreichen.

    Deine beiden Karten geben Aussichten auf eine gute Zeit. - Gern wüßte ich, wie du die ehrliche Begeisterung des von deiner Methode doch unberührten Dr Kayser erklären wirst?

    Viele Grüße, auch an Ottla

dein Max        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


R. Kayser: Rudolf Kayser (1889-1964), vom Januarheft 1922 ab verantwortlicher Redakteur der Neuen Rundschau, hatte eine einsichtsvolle Studie über Brods literarischen Werdegang veröffentlicht ("Max Brod und unsere Zeit", Neue Jüdische Monatshefte II, 6 [25. Dezember 1917], S. 152-157). Vgl. auch KW 182. Kaysers Briefe an Brod sind nicht überliefert: zu dem hier erwähnten Brief siehe Anm.16 unten.


Rosenheim: Richard Rosenheim, Direktor des Neuen Schauspielhauses in Königsberg, der Brods Stück Die Fälscher bei der Uraufführung selbst geleitet hatte (siehe 1920 Anm.34).


"Klarissa": Max Brod, Klarissas halbes Herz. Lustspiel in drei Akten, München: Kurt Wolff 1923. Widmung: Meinem lieben Freunde Richard Rosenheim, Theaterdirektor in Königsberg.


die Novelle: "Leben mit einer Göttin". Laut Brods Tagebuch hat er diese Erzählung (Leben mit einer Göttin. Roman, München: Kurt Wolff 1923) Mitte Mai 1922 begonnen; am 27. Juli 1922 schreibt er im Prager Abendblatt, dass er seinen ",Roman Leben mit einer Göttin . . . eben beendet" habe. Vgl. Anm.47 unten.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at