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[Tagebuch, 25. Oktober 1921; Dienstag]

25 (Oktober 1921) gestern Ehrenstein

Die Eltern spielten Karten; ich saß allein dabei, gänzlich fremd; der Vater sagte, ich solle mitspielen oder wenigstens zuschauen; ich redete mich irgendwie aus. Was bedeutete diese seit der Kinderzeit vielmals wiederholte Ablehnung? Das gemeinschaftliche, gewissermaßen das öffentliche Leben wurde mir durch die Einladung zugänglich gemacht, die Leistung, die man als Beteiligung von mir verlangte, hätte ich nicht gut, aber leidlich zustandegebracht, das Spielen hätte mich wahrscheinlich nicht einmal allzu sehr gelangweilt - trotzdem lehnte ich ab. Ich habe, wenn man es danach beurteilt, unrecht, wenn ich mich beklage, dass mich der Lebensstrom niemals ergriffen hat, dass ich von Prag nie loskam, niemals auf Sport oder auf ein Handwerk gestoßen wurde udgl. - ich hätte das Angebot wahrscheinlich immer abgelehnt, ebenso wie die Einladung zum Spiel. Nur das Sinnlose bekam Zutritt, das Jusstudium, das Bureau, später dann sinnlose Nachträge, wie ein wenig Gartenarbeit, Tischlerei udgl., diese Nachträge sind so aufzufassen, wie die Handlungsweise eines Mannes, der den bedürftigen Bettler aus der Tür wirft und dann allein den Wohltäter spielt, indem er Almosen aus seiner rechten in seine linke Hand gibt.

Ich lehnte also immer ab, wohl aus allgemeiner und besonders aus Willensschwäche, ich habe das verhältnismäßig sehr spät erst begriffen. Ich hielt diese Ablehnung früher meist für ein gutes Zeichen (verführt durch die allgemeinen großen Hoffnungen die ich auf mich setzte), heute ist nur noch ein Rest dieser freundlichen Auffassung geblieben.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at