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[An Ottla Kafka: Briefkopf: ein Blatt Tatranské-Matliary, klimatischer Höhenkurort]
Liebste Ottla und Věruška (? die Mutter schrieb
den Namen so, was ist das für ein Nahme? Věra etwa oder Vjera
so wie Frau Kopals Tochter heißt? Was für überlegungen
giengen der Namensgebung vor?) also ein Weg bitte! Frau Forberger braucht
für ihren Bruder den Markensammler
100 ,, 80 ,, Marken } mit dem
100 ,, 90 ,, ,, } Bild von Hus
Ist der Weg für Euch zwei zu schwer (wie soll man auch mit dem Kinderwagen
in die Hauptposthalle hinauffahren?) (Hast Du auch einen schönen Wagen?
Ist Frau Weltsch ein wenig neidisch?) dann könnte
vielleicht Pepa so gut sein (Ja fährt er denn nicht nach Paris?) Ihm
kannst Du dann auch das beiliegende Feuilleton der Brünner
Lidové Noviny zur Beurteilung vorlegen; hält er die Sache für
gut, natürlich müßte man auch noch mit Dr. Kral sprechen,
könnte er sich, könnte er sich vielleicht auch noch erkundigen,
wo man Plätze für die Sanatoriumsschiffe bekommen kann und wie
teuer das Ganze ist. Mußt ihm nicht gleich sagen, dass es leider
in der Nummer vom ersten April stand, es stand ganz ernst drin, ein armer
Kranker hier hat es voll Hoffnungen dem Doktor zur Beurteilung gegeben
der brachte es mir, ich solle es durchlesen weil er tschechisch nicht versteht
und ich war damals vom Darmkatarrh so geschwächt dass ich wirklich
1, 2 Stunden daran glaubte.
Das sind die äußern Anlässe, im übrigen wollte ich
Dir schon längst schreiben, aber ich war zu müde oder zu faul
oder nur zu schwer, das ist ja kaum zu unterscheiden, auch habe ich immer
irgendeine Kleinigkeit, jetzt z. B. wieder einen wilden Abscess, mit dem
ich kämpfe. Daß Ihr zwei so flink seid, freut mich, aber Ihr
sollt nicht zu flink sein, hier ist eine junge Bauersfrau,
mittelkrank, übrigens lustig und lieb und hübsch in ihrer dunklen
Tracht mit dem hin und herwehenden Ballerinenrock, die ist von ihrer Schwiegermutter
immer zu sehr zur Arbeit angehalten worden trotzdem der Arzt dort immer
gewarnt und gesagt hat:
so wie goldene Citronen
Immerhin, ein Weg wird notwendig werden, zum Direktor; es ist, um sich
die Lippen zu zerbeißen. Am 20. Mai läuft der Urlaub ab (er
hat Dich wirklich von der Urlaubsbewilligung verständigt?) was dann?
Wohin ich dann fahre oder ob ich etwa noch bis Ende Juni hier bleibe ist
eine nebensächlichere überlegung (Seit dem Darmkatarrh der meiner
Meinung nach vom Fleisch kam ist es so eingerichtet, dass ein Fräulein
in der Küche, ich glaube einen großen Teil ihrer Zeit damit
verbringt nachzudenken, was man mir kochen könnte. Beim Frühstück
macht man mir Vorschläge inbetreff des Mittagessens, bei der Jause
inbetreff des Nachtmahls. Letzthin träumte das Fräulein aus dem
Fenster hinaus, ich dachte, sie träumte von ihrer Heimat Budapest,
bis sie dann plötzlich sagte: "Ich bin aber wirklich gespannt,
ob Ihnen abend das Salatgemüse schmecken wird".) Wie soll ich
aber wieder den Urlaub verlangen? Und wo ist ein Ende abzusehn? Es ist
sehr schwer. Vielleicht einen Urlaub mit halbem Gehalt verlangen? Ist es
leichter, um einen solchen Urlaub zu bitten? Es wäre leicht um Urlaub
zu bitten, wenn ich mir und andern sagen könnte, dass die Krankheit
etwa durch das Bureau verschuldet oder verschlimmert worden ist, aber es ist ja das Gegenteil wahr, das Bureau hat die Krankheit
aufgehalten. Es ist schwer und doch werde ich um Urlaub bitten müssen.
Ein Zeugnis werde ich natürlich vorlegen können, das ist sehr
einfach. Nun, was meinst Du?
Doch darfst Du nicht glauben, dass man sich hier immerfort mit solchen
Gedanken abgibt, gestern habe ich z. B. gewiß den halben Nachmittag
mit Lachen verbracht und zwar nicht mit Auslachen, sondern mit einem gerührten,
liebenden Lachen. Leider ist dieSache nur anzudeuten, unmöglich in
ihrer ganzen Großartigkeit zu vermitteln. Es ist hier ein
Generalstabshauptmann, er ist dem Barakenspital zugeteilt, wohnt aber
wie manche Offiziere hier unten, weil es oben in den Baraken zu schmutzig
ist, das Essen läßt er sich von oben holen. Solange viel Schnee
war, hat er ungeheuere Skitouren gemacht, bis nahe an die Spitzen, oft
allein, was fast tollkühn ist, jetzt hat er nur 2 Beschäftigungen,
Zeichnen und Aquarellmalen ist die eine, Flötenspiel die andere. Jeden
Tag zu bestimmten Stunden malt und zeichnet er im Freien, zu bestimmten
Stunden bläst er Flöte in seinem Zimmerchen. Er will offenbar
immer allein sein (nur wenn er zeichnet, scheint er es gern zu dulden,
wenn man zusieht) ich respektiere das natürlich sehr, ich habe bisher
kaum 5 mal mit ihm gesprochen, nur wenn er mich etwa von der Ferne ruft
oder wenn ich unerwartet irgendwo auf ihn stoße. Treffe ich ihn beim
Zeichnen, mache ich ihm paar Komplimente, die Sachen sind auch wirklich
nicht schlimm, gute oder sehr gute dilettantische Arbeit. Das wäre
alles, wie ich sehe, noch immer nichts Besonderes, ich sage ja und weiß
es: es ist unmöglich das Wesen des Ganzen mitzuteilen. Vielleicht
wenn ich versuche zu beschreiben wie er aussieht: Wenn er auf der Landstraße
spazieren geht, immer hoch aufgerichtet, langsam bequem ausschreitend,
immer die Augen zu den Lomnitzer Spitzen erhoben, den Mantel im Wind, schaut
er etwa wie Schiller aus. Wenn man in seiner Nähe ist und das magere
faltige (zum Teil vom Flötenblasen faltige) Gesicht ansieht, mit seiner
blassen Holzfärbung, auch der Hals und der ganze Körper ist so
trocken hölzern, dann erinnert er an die Toten (auf dem Bild von Signorelli, ich glaube es ist unter den Meisterbildern) wie
sie dort aus den Gräbern steigen. Und dann hat er noch eine dritte
ähnlichkeit. Er kam auf die phantastische Idee, mit seinen Bildern
in der Haupt-
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nein est ist zu groß, ich meine: innerlich. Kurz, er veranstaltete
also eine Ausstellung, der Mediciner schrieb eine Besprechung in eine ungarische
Zeitung, ich in eine deutsche, alles im Geheimen. Er kam mit der ungarischen
Zeitung zum Oberkellner, damit er es ihm übersetze; diesem war es
zu kompliciert, er führte daher in aller Unschuld den Hauptmann zu
dem Mediciner, er werde es am besten übersetzen. Der Mediciner lag
gerade mit ein wenig Fieber im Bett, ich war bei ihm zu Besuch, so fieng
es an, aber genug davon; wozu erzähle ich es, wenn ich es nicht erzähle.
übrigens, um wieder an das Vorige anzuknüpfen, Du darfst auch
nicht glauben, dass man immerfort lacht, wirklich nicht. Die Rechnung
von Taussig lege ich jetzt bei, ferner einen Ausschnitt für Elli,
Felix betreffend, auch für die Deine kann es in Betracht
kommen nach 10 Jahren, da ist nicht sehr lang, man dreht sich auf dem Liegestuhl
einmal von links nach rechts, schaut auf die Uhr und die 10 Jahre sind
vorüber, nur wenn man in Bewegung ist, dauert es länger.
Elli und Valli lasse ich natürlich wieder ganz besonders grüßen.
Wie meinst Du es? Ich lasse sie grüßen, weil grüßen
leicht ist und schreibe ihnen nicht besonders, weil ich Dir schreibe! Am
Ende wirst Du sagen dass ich auch Deine Tochter nur grüßen
lasse, weil Schreiben schwer ist. Und doch ist Schreiben nicht schwerer,
als alles andere, eher ein wenig leichter.
Leb wohl mit
den Deinen
F
Bitte grüße das Fräulein von mir
Text dieses Briefes bereits in Br 323 ff.
Věruška: Koseform von Věrá,
Ottlas am 21. März geborener Tochter.
Frau Weltsch: Irma Weltsch war mit Kafkas Freund
Felix Weltsch verheiratet und hatte damals eine to Monate alte Tochter.
das beiliegende Feuilleton: Der als Aprilscherz
gemeinte Aufsatz trägt den Titel Léčení tuberkulosy
Einsteinovým principem relativity? (Behandlung der Tuberkulose nach
dem Einsteinschen Relativitätsprinzip) Auf originelle und für
einen Laien nicht ganz einfach zu durchschauende Weise wird hier das von
der herkömmlichen Mastkur geforderte Dickerwerden des Patienten mit
der von Einstein unter bestimmten Bedingungen behaupteten Vergrößerung
der Längenmaße von Körpern in Beziehung gebracht. In einem
fingierten Gelehrtenstreit zwischen einem Berliner Professor Dr. med. F.
Wergeist und seinem Münchner Kontrahenten Kropfmeier kristallisiert
sich die Auffassung heraus, der Kranke, bei dem (wie z. T. bei Kafka) die
Mastkur versage, müsse von Triest aus in südöstlicher Richtung
sich auf einem Schiff durch die Meere bewegen, um aufgrund physikalischer
Gesetze soviel an Umfang zuzunehmen, dass sich die Kavernen in der
Lunge schließen. Inzwischen sei in Prag ein Konzern gebildet worden,
der in kürzester Zeit einige schwimmende Sanatorien ausrüsten
werde.
Stipendien ermöglichen auch weniger begüterten Leuten diese Anti-Tbc-Fahrt
gegen die meuchelmörderische Natur mit Hilfe der Natur selbst. Ausführliche
Darstellung der Zusammenhänge in KB 547 ff
eine junge Bauersfrau: die in Nr. 100 genannte Frau
Galgon, vgl. Br 323.
es ist ja das Gegenteil wahr: so auch Br 309.
ein Generalstabshauptmann: sein Name war Holub (vgl.
Br 364); die Kritik ist wieder gedruckt in WB 280.
Signorelli: bezieht sich auf Luca Signorellis Fresko
"Das Jüngste Gericht" im Dom zu Orvieto.
Felix betreffend: Nach Kafkas Wunsch sollte der
knapp zehnjährige Felix in einer Internatsschule in Hellemu bei Dresden
erzogen werden, vgl. dazu seine ausführlichen Briefe an Elli. (Br
339 ff. Vgl. auch Br 354 und 418)
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at