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Milena Jesenská an Max Brod


[Frühjahr/Sommer 1921]


In tschechischer Sprache geschrieben; übersetzt von Max Brod.


Sehr geehrter Herr Doktor.

Verzeihen Sie, dass ich so spät antworte. Ich bin gestern zum erstenmal aus dem Bett aufgestanden, meine Lungen haben zu Ende gewirtschaftet, der Arzt gibt mir nur noch ein paar Monate, wenn ich nicht sofort wegfahre. Gleichzeitig schreibe ich meinem Vater; schickt er mir Geld, fahre ich, wohin und wann, weiß ich noch nicht. Vorher aber komme ich bestimmt nach Prag und werde mir erlauben, Sie aufzusuchen, um etwas Genaueres über Frank zu erfahren. Ich schreibe Ihnen noch, wann ich einlange. Ich bitte Sie aber entschieden, F. von meiner Krankheit nichts zu sagen.

Ich habe keine Ahnung, wann das Buch erscheint, offenbar im Winter. Herausgegeben wird es von K. St. Neumann, im Verlag Borový, als Bändchen der Reihe Červen, Stefansgasse 37, vielleicht können Sie bei ihm anfragen, ob Sie die Vorrede separat veröffentlichen können, ehe sie im Buch erscheint. Es gibt wenig Papier und Geld, alles dauert lange, ich wollte von Ihrer Vorrede nichts streichen. (Sie ist so schön.)

Ich habe den Eindruck, als ob Sie sich irgendwie über mich ärgerten? Ich weiß nicht, warum ich diesen Eindruck hatte, so aus diesem Brief. Verzeihen Sie mir die "Analysen" Franks, es ist schändlich und ich schäme mich, dass ich mir das erlaubt habe, aber es ist mir manchmal, als müßte ich mein Gehirn mit den Handflächen zusammenpressen, damit es nicht zerspringt.

Ich danke Ihnen für alles und auf Wiedersehen. Ihre M. P.




Buch erscheintVeröffentlicht im November-Heft 1921 der "Neuen Rundschau" als "Der Dichter Franz Kafka".

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at